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Bukumatula 1/2013

Der Fall Wilhelm Reich

Eine Film–Nachlese
von
Beatrix Teichmann-Wirth:

Der Film „The Strange Case of Wilhelm Reich“ von Antonin Svoboda hat mich eindrücklich berührt. Es berührte mich Reichs tragische Geschichte seiner letzten Jahre in Amerika, es berührte mich die authentische Darstellung von Klaus Maria Brandauer als Wilhelm Reich, vor allem berührte mich die für mich zentralste Botschaft des Films – dass es da einen Menschen gab – Wilhelm Reich – der trotz aller Widernisse und Störungen, Ungerechtigkeit, Verfolgung, Ausgeliefertsein und Ohnmacht, das tut, was er zu tun hat – weiter forschen, weiter arbeiten, weiter für die Wahrheit einstehen, weiter für die Menschen, die ihm anvertraut sind, da sein. Das ist wahrlich ein großer Aufruf auch an mich selbst.

Angeregt durch den Film habe ich mich neuerlich für die Geschehnisse dieser Zeit interessiert und mich darangemacht, anhand der Reich-Biographie Myron Sharafs „Der heilige Zorn des Lebendigen“ diese Zeit nachzuzeichnen. Der folgende Text ist ein von mir persönlich gefärbtes Transkript der letzten amerikanischen Jahre, jener Zeit also, die im Film dargestellt wurde.

Ich konnte erkennen, dass Vieles im Film sehr nahe an den Tatsachen ist. Das Lesen all der Grausamkeiten und der Gnadenlosigkeit ergriff mich jedoch fast noch mehr. Es ist unfassbar, was da geschehen ist, und es ist unermesslich traurig – eine Hatz in derart mörderischem Ausmaß, gnadenlos und völlig unangemessen dem Anlass gegenüber. Handschellen wie bei einem Mörder, eine unbedingte Gefängnisstrafe wie bei einem Gewaltdelikt, wo Gefahr im Verzug ist, erfolglose Berufung, keine vorzeitige Entlassung, Ermordung? Jedenfalls Bedingungen, die Reich offenbar das Herz gebrochen haben. Oft ist in mir beim Lesen der Satz entstanden, dass das wie ein schlechter Film ist.

Vieles, was in der Biographie beschrieben ist, hat Antonin dankenswerterweise aus dem Film herausgehalten, etwa Reichs Paranoia, seine Irrationalismen, wie die Vorstellung, dass er von der US Air Force beschützt wird, seine überbordende Eifersucht und Wut, die meiner Ansicht nach teilweise höchst problematischen Aspekte in der Beziehung zu seinem Sohn Peter (nachzulesen in Peter Reichs Biographie „Der Traumvater“). Antonin hat demgegenüber den rationalen, zärtlichen, ermutigenden, klaren Reich zur Darstellung gebracht, was ein wertvoller Beitrag für die schon längst überfällige Anerkennung Reichs ist. Er hat damit eine Möglichkeit geschaffen, die Größe des Mannes und seines Werkes erkennen zu können. Dafür danke.

Alone. Wilhelm Reich 1950-57 in Amerika

„Was mich im Nachhinein an dem Mann am meisten beeindruckte, war seine Einsamkeit.“

Das sagte der Gefängniskaplan Frederick Silber über Wilhelm Reich. Das Alleingelassen-Sein begann nach dem Oranur-Experiment in Orgonon, das schwere Folgen für die Familienmitglieder und MitarbeiterInnen hatte. Diese Wirkungen zeigten sich auf unterschiedlichsten Ebenen; es verstärkte nicht nur die latenten körperlichen Schwächen, sondern auch verborgene emotionale Probleme. Körperlich betraf es Ilse Ollendorf-Reich, sie erkrankte an Gebärmutterkrebs, Eva Reich, die eine Leukämie bekam und Helen Tropp, welche auch an Krebs erkrankte.

Reich selbst litt an Herzbeschwerden und hatte im Oktober 1951 einen schweren Herzanfall, dessen Ursache er in Oranur sah. Die Erkrankung zwang ihn zu einer vierwöchigen Bettlägrigkeit, aufgrund derer sich seine Depressionen und Ängste verschlimmerten. Ilse schreibt in einem Brief an Elsworth Baker, dass Reichs Empfindsamkeit gegenüber jeder Form der Irrationalität massiv gesteigert war und er „zwischen Sterben-Wollen, Nicht Sterben-Wollen und sich vor dem Sterben fürchten“ schwankte. Er begann sich der Malerei zu widmen und schrieb in einem Brief an A.S. Neill: „Wenn Kunst eine Krankheit ist, dann hat Oranur den Maler in mir ausbrechen lassen.“ S. 470.

Was die Emotionalität betrifft trieb es Reich – so Sharaf – mit der Heftigkeit seiner Reaktionen auf die Spitze, vor allem dann, wenn sich Menschen ihm gegenüber ambivalent oder nicht ganz offen verhielten. So befahl er etwa Eva nach einem heftigen Streit – Eva hatte nur zögerlich auf sein Geschenk, ein Mikroskop reagiert – Orgonon zu verlassen, was sie auch tat. Auch nach ihrer Rückkehr, 1951, setzten sich deren Spannungen fort. Reich fühlte sich durch Evas zeitweilig verwirrte und zerstreute Charakterzüge provoziert, bzw. durch ihre mystischen Neigungen irritiert.

Ilse Ollendorf-Reich verließ Orgonon für 6 Wochen wegen ihrer Uterusoperation. Paradoxerweise drängte Reich in dieser Zeit auf die Einleitung des Scheidungsverfahrens, mit der Vorstellung, dass die Beziehung ohne Heiratsurkunde mehr Chancen auf ein Überleben hätte. Letztlich dauerte deren Beziehung, die laut Ollendorfs Biografie durch Reichs Eifersuchtssausbrüche, seine Beharrlichkeit auf ein bedingungsloses Interesse für seine Ideen und seiner Wut geprägt war, bis 1954.

Sharaf merkt hier Ollendorfs mangelnde Kritikfähigkeit ihren eigenen irrationalen Mechanismen gegenüber an, die Reichs Zorn provozierten. Im Film geht Ilses Trennung fast unscheinbar vonstatten. Auch waren mir die eigentlichen Motive unklar. Sharaf schreibt dazu: „…sie habe Reich letztendlich verlassen, weil sie solche Überzeugungen, daß der rote Faschismus hinter diesem oder jenem Angriff stecke, oder daß er machtvolle Freunde in hohen Regierungsstellen habe, nicht mehr nachvollziehen konnte.“ S. 486

Oranur markierte einen Ausbruch und einen neuen Anfang, der jedoch nicht wie in all den vorhergehenden Neuanfängen (Wien-Berlin-Skandinavien) von interessierten und aufnahmebereiten Gefährten begleitet war. Es fand auch auf einer intellektuellen Ebene zunehmend eine Isolierung statt. Baker und andere orgnonomische Ärzte waren zwar unterstützend, konnten sich jedoch nicht an der wissenschaftlichen Forschung zur Orgonenergie beteiligen. Theo Wolfe, ein langjähriger Mitarbeiter zog sich – u.a. weil er der Übersetzertätigkeit leid war, zurück.

Simeon Tropp war Berater und Freund Reichs und einer der wenigen Kollegen, mit welchem Reich auch seine Freizeit verbrachte. Beide, Simeon und Helen Tropp waren offenbar von Oranur schwer in Mitleidenschaft gezogen. Helen starb 42jährig an einem Krebsleiden. Zum engeren Kreis zählte bis zuletzt Bill Moise, Evas späterer Ehemann, der mit seinem warmherzigen, ruhigen Charakter und seiner Loyalität einen besänftigenden Einluss auf die bisweilen emotional hochaufgeladene Atmosphäre hatte.

Auch Tom Ross, der Hausmeister, dem Reich sehr nahe stand, harrte bis zuletzt auf dem Gelände aus, ebenso wie ein erst im Jahre 1953 eingestiegener Assistent, Robert McCullough. Er war Reich gegenüber loyal und voller Anerkennung und Würdigung, trotz seiner Skepsis der Orgonenergie gegenüber. Und Reich war ihm ein freundschaftlicher und hilfsbereiter Lehrer. Und natürlich A.S. Neill, mit dem Reich über 40 Jahre in regelmäßiger, freundschaftlicher Korrespondenz stand (s. dazu das Buch “Zeugnisse einer Freundschaft“).

Aber auch diese Beziehung war nicht spannungsfrei. Neill äußerte sich beispielsweise sehr kritisch über Reichs Einfluss auf seinen Sohn Peter, der zunehmend im Bann seines Vaters zu stehen schien und ebenso wie er an die Gefahren des roten Faschismus glaubte und sich mehr und mehr als `Soldat´ im Kampf gegen feindliche Mächte verstand. Zu seinem Sohn hatte Reich in diesen Jahren eine sehr innige Beziehung. Er war einer der wenigen Menschen, denen sich Reich gegenüber in seinen Gefühlen ausdrückte und der ihn auch aus heftigen Zuständen herausbringen konnte. Wenn man das Buch „Der Traumvater“ liest, kann man jedoch nicht umhin, Neill´s Bedenken zu teilen.

Was die Beziehung zu Frauen betrifft war es Lois Wyvell, mit der Reich von 1951-53 eine sexuelle Beziehung verband, sowie Grethe Hoff, die Frau Myron Sharafs, mit welcher Reich ab Herbst 1954 – zum Leidwesen Sharafs (deren Sohn war erst 1 Jahr alt), eine intime Beziehung einging. Diese Beziehung dauerte bis Juni 1955 und ging zu Ende – so Sharaf – weil Grethe Reichs Ideen zunehmend kritisch gegenüber stand und auch, weil sie ein Bedürfnis nach einer „normalen Existenz“ hatte.

Die Trennung war für Reich sehr schmerzlich; er schrieb sie, wie so oft, ihrem „Willen zur Kleinheit“ zu und dem Umstand, dass sie vor sich selbst davonlaufe. Und Reich war allein, da er niemanden fand, der mit dem nötigen Überblick ihm kritisch zur Seite stehen konnte. Sharaf schreibt dazu: „Reich konnte zu niemandem gehen, wenn er nicht fühlte, daß diese Person wußte, wo er richtig und wo er falsch lag. Es gab keine solchen Personen, obwohl Reich sich nach jemandem sehnte, zu dem er voller Offenheit hätte sprechen können.“ S. 488

Sharaf gesteht in seiner ihm eigenen Offenheit zu, dass Reich zwar auf ängstliche Zurückhaltung oder gar geheime Feindseligkeit mit heftigen Emotionen reagierte, „daß er die Kritik jedoch viel bereitwilliger aufgenommen hätte, wenn ich mich Reich gegenüber offener und mutiger verhalten hätte, mit einem tieferen Bewusstsein dessen, wer er wirklich war.“ Und weiter: „Niemand in seiner Umgebung hat diese Haltung eingenommen. Grundsätzlich machten die Leute einfach mit, oder sie gingen.“ S. 489

Die FDA-Untersuchung

Die FDA (Food and Drug Administration) nahm im August 1951 ihre Untersuchungen wieder auf. Reich argumentierte zunächst, dass die Orgonenergie ja gar nicht in deren Zuständigkeit falle, da es sich weder um ein Arznei- noch um ein Nahrungsmittel handle. Dieses Argument stand allerdings auf wackligen Beinen, sprach Reich doch im Zusammenhang mit den Akkumulatoren von deren präventiver und sogar heilender Wirkung. Die Wilhelm Reich Foundation vermietete seit geraumer Zeit die Akkumulatoren, und die daraus bezogenen Gelder waren eine wichtige Einnahmequelle, nicht zuletzt für Forschungszwecke.

Nach einer Zeit der vermeintlichen Ruhe, drangen drei FDA-Beamte unangemeldet in das Gelände von Orgonon ein, was natürlich eine heftige Reaktion hervorrief. Reich sah die Kampagne – Sharaf zufolge – in irrationaler Weise zu allererst als Ausdruck einer „Verschwörung des roten Faschismus“. Demgegenüber blieb Reichs Glaube an die amerikanische Regierung ungebrochen, obwohl die McCarthy Ära in einer Atmosphäre von Furcht und Verdächtigung derartige Angriffe wie die gegen Reich, ja überhaupt erst möglich machten.

Dieser (Irr-)Glaube an die beschützenden USA wurde schließlich durch die Wahl von Eisenhower zum Präsidenten im November 1952 unterstützt, dem Reich in idealisierender Weise „die Einfachheit, die Offenheit und die Kontaktfähigkeit genitaler Charaktere“ zuschrieb. S. 497 Reich hegte die Phantasie, dass Eisenhower sein persönlicher Freund sei und dass ihm auch andere Freunde gegen die Attacken der FDA helfen würden – auch von Seiten der psychoanalytisch-psychiatrischen Vereinigungen.

Auch seine Annahme, dass ihm in fliegenden Untertassen, welche zu dieser Zeit vermehrt gesichtet wurden – sogenannte CORE(Cosmic Orgone Engineering)-Wesen Beistand leisten wollten, drückt sein verzweifeltes Verlangen nach Unterstützung aus, was bei all der Grausamkeit und dem Ausmaß an Angriffen, denen er ausgesetzt war, wahrlich nicht verwundert. Das Verbot des Vertriebs der Akkumulatoren war dabei nur ein Anlass, vielmehr wurde Reichs gesamtes Spätwerk verleumdet.

Da es der FDA nicht möglich war, unzufriedene Akkumulator-Benutzer zu finden, wurden als ein weiterer Schritt der FDA-Kampagne eigene Akkumulatortests durchgeführt. Allerdings waren diese Tests – was die Untersuchungsbedingungen betrifft, höchst unzulänglich. Um die Ergebnisse der Originaluntersuchungen zu verifizieren, hätte es einer genauen Wiederherstellung der experimentellen Bedingungen gebraucht. Die Prüfer hätten sich überdies mit den Schriften Reichs vertraut machen müssen, um ein gutes Fundament für die Durchführung der Tests zu haben. Aber dies geschah nicht. Vor allem jedoch fußten diese Tests auf der von vornherein verfestigten Überzeugung der Untersucher über die Unwirksamkeit der Akkumulatoren.

Am 10. Februar 1954 erfolgte, wie Sharaf schreibt, „Der Schlag“: Auf Antrag der FDA wurde von der US-Staatsanwaltschaft für den Staat Maine Klage gegen Wilhelm Reich, Ilse Ollendorf und die Wilhelm Reich Foundation eingereicht, fußend auf den Untersuchungsergebnissen, „die die Nichtexistenz der Orgonenergie bewiesen und daher alle Akkumulatoren aufgrund des Gesetzes über Nahrung, Medikamente und Kosmetika wegen falscher und irreführender Behauptungen zu zerstören seien.“ S. 504. Das 27-seitige Dokument schloss mit der Behauptung, dass Reich „aus menschlichem Leid propheziehe.“ S. 504

Darüber hinaus wurden alle seine in Amerika erschienenen Schriften als `Werbematerial´ deklariert, darunter auch Werke, die vor der Entdeckung der Orgonenergie erschienen sind, wie die „Charakteranalyse“,

„Die sexuelle Revolution“ und „Massenpsychologie des Faschismus“. Weiters wurde beantragt, dass den Angeklagten „und jeder Person in aktivem Einvernehmen oder in Teilhaberschaft mit irgendeinem von ihnen lebenslang untersagt wird, direkt oder indirekt irgendeine Handlung in Bezug auf den Orgonenergie-Akkumulator vorzunehmen, ob mündlich, schriftlich oder in anderer Weise.“ S. 505

Das heißt genau betrachtet, dass es nicht nur um ein Verbot des Vertriebs der Akkus ging, sondern um eine Unterbindung jeglicher orgonomischer Forschung. Unterzeichnet wurde die Klage von Peter Mills, jenem Anwalt, der mehrere Jahre lang für die Wilhelm Reich Foundation gearbeitet hat. Reich entschied sich, seine Verteidigung selbst zu übernehmen. Indem er sich von vornherein entschied, keine formal-juristische Winkelzüge zu unternehmen, verfolgte er eine gänzlich andere Linie als es üblicherweise Anwälte getan hätten.

Nach einem Gespräch u.a. mit Baker, Raphael und Silvert, entschied Reich – wohl weil er nicht noch mehr „Dreck ins Gesicht bekommen wollte“, dass er nicht vor Gericht erscheinen würde. Anstelle dessen entwarf er eine Erwiderung, die er im Februar 1954 zusammen mit einem kurzen Begleitbrief unter Auflistung seiner Veröffentlichungen an den Richter John Clifford des US Bezirksgerichts Maine schickte. S. 509

Die Grundposition der Erwiderung war Reichs Argument, dass es unzulässig sei, „sowohl moralisch als auch juristisch oder sachlich, den Naturwissenschaftler zu zwingen, seine wissenschaftlichen Ergebnisse und Methoden der Grundlagenforschung vor Gericht zu vertreten.“ In dieser Erwiderung ging Reich in keiner Weise auf die tatsächlichen Anklagepunkte ein, da „die Klägerin bereits durch die bloße Anklage ihre Ignoranz in Bezug auf die Naturwissenschaften gezeigt habe.“ S. 510

Hier zeigte sich ein Phänomen, das den ganzen Prozess bestimmen sollte. Und zwar das der `Counter-Truth´. Ganz im Gegensatz zu früheren Erkenntnissen zu dem Phänomen der Gegen-Wahrheit, wonach Diskussionen, welche auf verschiedenen Funktionsebenen geführt werden, schlicht nicht möglich sind, war er dennoch in der naiven Hoffnung, dass der Richter erkennen würde, dass er „ein rechtschaffener Wissenschaftler und nicht ein Quacksalber sei.“ S. 510

Leider war dies ganz und gar nicht der Fall. Richter Clifford – an sich Reich gegenüber wohlwollend, aber ganz dem Rechtssystem verpflichtet, merkte an, dass dieses Schreiben keine juristische Bedeutung für die Verhandlung hätte. Reichs Nichterscheinen geriet der FDA zum triumphalen Sieg, insofern, als die endgültige Verfügung noch weiter ging als der Antrag, indem sie auch die Literatur betraf. Die Verfügung ordnete nämlich an, dass alle Exemplare der Broschüren Reichs, die noch auf Lager waren, inklusive dem „International Journal of Sex-Economy and Orgone-Research“, dem „Orgone Energy Bulletin“ und „The Oranur Experiment“ vernichtet werden sollen.

Aber auch alle Bücher, in welchen auch nur nebensächlich von `Orgonenergie´ die Rede war, waren davon betroffen. Dieser Teil der Verfügung war eindeutig verfassungswidrig – es widersprach der verfassungsmäßig verankerten Rede- und Pressefreiheit. Nach einer ersten Erstarrungsreaktion und nachfolgender Wut, verlieh Reich dieser seinen Ausdruck durch eine `Regenmacher-Aktion´. Er schickte eine diesbezügliche Ankündigung an staatliche Stellen, dass sie durch das Erzeugen von Gewittern, die nicht vorhergesagt wurden, die Existenz der Orgonenergie erkennen könnten. Die Aktion führte tatsächlich zu nicht vorhergesagten Schneefällen und Regen, was jedoch als Zufallsbefund interpretiert wurde.

In einem weiteren Schritt legte Reich die Verantwortung für die Akkumulatoren in die Hände der Orgonomisten, die sie verschrieben, worauf fünfzehn orgonomische Ärzte begannen, im „Fall der Regierung gegen Reich“ zu intervenieren. Die Klage ging durch alle Instanzen, wobei Richter Clifford in erster Instanz festlegte, dass „die Vernichtung der Veröffentlichungen und der Akkumulatoren zurückgestellt werde, bis zur endgültigen Entscheidung über die Berufung, oder… bis zu weiteren Anordnungen dieses Gerichts“. Höchst erstaunlich war, dass keine Reaktionen, keinerlei Auflehnung oder Empörung seitens der Öffentlichkeit aufkam.

Das Gegenteil war der Fall: Die Berufsvereinigungen zollten der FDA Dank. Dr. Daniel Blain, der medizinische Direktor der `American Psychiatric Association´ sprach sogar „tiefempfundenen Dank aus“, und auch vom Sekretär der `Psychoanalytic Association´, Richard L. Frank, wurde das Vorgehen der FDA gelobt. Er schrieb: „Dr. Reich und seine Mitarbeiter sind keine Mitglieder der Psychoanalytic Association und ihre Theorien und Aktivitäten sind allen unseren Praktiken fremd. … Unglücklicherweise waren wir nie in der Position, seine Aktivitäten in irgendeiner Form zu überwachen oder kontrollieren zu können.“ S. 515 Der Boden der McCarthy Ära machte die Generation der fünfziger Jahre zu einer schweigenden.

Sharaf vermerkt jedoch eindrücklich, dass auch in den folgenden dreißig Jahren, bis zum Verfassen seiner Reich-Biographie, sich die Empörung über eine derartig extreme Tat einer Bücherverbrennung in Grenzen gehalten hat. Er schreibt, in Heranziehung einer Erklärung Reichs: „Die Angst der Menschen vor spontaner Bewegung verhindert nicht nur das ernsthafte Studium eines neuen Paradigmas, sie blockiert auch die Wut über diejenigen, die Schritte unternehmen, die Beweise für die Konzepte zu zerstören.“ S. 517

Veröffentlichungen

Schon im Film fand ich einen Aspekt der letzten Lebensjahre Reichs äußerst bemerkenswert: Dass er trotz allen Unbills und aller Schwierigkeiten in seinem näheren Umfeld wie auch durch die FDA-Klagen bis zuletzt derart arbeitsfähig war. Er bereitete einige größere Veröffentlichungen vor: das `Orgone Energy Bulletin´ erschien weiterhin, und das Buch „Christusmord“ wurde auf der Höhe der Oranur Reaktion 1951 verfasst. Er versuchte darin, seine Version der Legende Christus zu erfassen, nicht ohne alle wichtigen Bücher, die über Jesus Christus verfügbar waren, zu studieren. Für Reich war Christus „das höchste Beispiel für ungepanzertes Leben“. Sein Christus ist einer, der Kinder liebt, Sündern vergibt und Heilkräfte hat. Christus kann heilen, weil er ein starkes Energiefeld hat und fähig ist, die trägen,`toten´ Energiesysteme des Elenden anzuregen.“ S. 477

Und es ist – Reichs Auffassung zufolge, ein Christus, der Frauen körperlich liebt, was wohl die strittigste Aussage im Buch sein mag. Ein wesentlicher Aspekt ist – wie auch der Titel sagt – der Christusmord. Die jedem Kind und auch kreativen Erwachsenen innewohnende Kraft der Lebendigkeit und Spontanität wird in der Antwort von gepanzerten Menschen zur Lebensgefahr. Für Reich bleibt Christus „das klarste Beispiel für den Mord am Lebendigen“, und er findet eine Vielzahl von Menschen, wie beispielsweise Giordano Bruno, die dieses Schicksal ereilte. Reich sieht sich selbst in diese Reihe gestellt. Die Verfolgung durch die FDA, das Missverstanden werden von den engsten Vertrauten ließen ihn, wie Sharaf meint, ahnen, „dass er seinem eigenen Gethsemane entgegenging“. S. 478

Auch „Cosmic Superimposition“ wurde in der dichten Zeit 1951 veröffentlicht. Reich widmet sich darin den Naturphänomenen, der vielschichtigen Beziehung zwischen Energie und Masse, letztlich entwirft er darin eine neue Theorie der Panzerung, der zufolge der Ursprung der Panzerung in der Denkfähigkeit, im Selbstbewusstsein des Menschen liegt, in dem Sinne, „daß die Anwendung des Denkens auf sich selbst die erste emotionale Blockade im Menschen auslöste.“ S. 481

Er zeigt darin insofern aber auch einen Ausweg aus der Blockade auf, als der Mensch sein Denken nützen könne, um besseren Kontakt mit seiner Tiefe, seinen Gefühlen und seiner Lust herzustellen. Für mich ist er damit ein Vorreiter der Humanistischen Therapieansätze, die das Gewahrsein über inneres Erleben ins Zentrum der Veränderungsarbeit stellt. Und er sichtete sein Gesamtwerk. Da er von einer tiefgreifenden Furcht beherrscht war, dass „sein Werk und sein Name nicht nur aktuell, sondern auch im Nachhinein irgendwie verleumdet und diffamiert werden könnten“, wollte er in einer Reihe von Veröffentlichungen Material aus allen Lebensphasen sammeln und in ihrer Einheitlichkeit präsentieren. Er machte sich – gemeinsam mit Sharaf, Ende 1951 ans Werk und war in dieser Arbeit ein „gewissenhafter und sorgfältiger Archivar“. Diese Unternehmung brachte die „sanfte, sinnende Seite in ihm hervor.“ S. 474-475

Er tat dies auch mit durchaus kritischem Geist, lehnte beispielsweise einige Schriften aus seiner marxistischen Periode ab, ohne diese jedoch den Emotionen opfern zu wollen, weshalb er eine Rubrik „Stiller Beobachter“ einrichtete, die Raum gab für aktuelle Bemerkungen zum Material. Auch das legendäre Interview mit Kurt Eissler (siehe „bukumatula“ 2/94) fand in dieser Zeit, 1952, statt. Reich ging in dem Gespräch nicht nur auf seine Beziehung zu Freud ein – meinem Empfinden nach in einer sehr liebevollen, anerkennenden Weise, sondern formulierte grundsätzliche, sich von der Psychoanalyse unterscheidende Auffassungen über die Aktualneurose, kindliche Sexualität und Widerstand.

Und er sprach auch über die Vorgänge rund um seinen Ausschluss aus der Psychoanalytischen Vereinigung. Beim Lesen des Interviews gewann ich den Eindruck, dass Reich mit seiner insistierenden Art das „Heft in der Hand hielt“. Demgegenüber schreibt Sharaf, dass Eissler innerlich über Reichs Aussagen lachte und er dieses Gespräch als einen neuerlichen Beweis seiner Geisteskrankheit sah.

Das Wüstenexperiment und die Vorverhandlungen 1954-55

Die Arizona-Expedition fand 1954/55 statt. Dieser Expedition schlossen sich neben Reich, Eva, Bill Moise, Bob McCullogh und der 11-jährige Peter an. Sie war mit enormen Kosten verbunden. Reich nutzte die Reise vor allem auch, um detaillierte Beschreibungen der Landschaft zu verfassen. Wie in den früheren Beobachtungen an Patienten und von Naturphänomenen ging es ihm dabei um den „emotionalen Geschmack“, und er betonte, dass es auch hier Zeit, Geduld und vor allem keine Voreingenommenheit, kein „Alles-bereits-Wissen“ geben dürfe, das dem Lernen entgegenstehe.

Silvert hielt einstweilen die Stellung in Orgonon, ließ aber eine große Lastwagenladung mit Akkumulatoren und Literatur zu seiner Privatadresse in New York City bringen. Er tat dies – wie später von ihm und Reich behauptet, in eigener Verantwortung, was jedoch offenbar wenig glaubwürdig war, weshalb er schließlich ebenso wie Reich wegen Missachtung der Verfügung angeklagt wurde. S. 522

Für den 26. Juli 1955 erging von Richter Clifford eine neuerliche Ladung an Reich, Silvert und die Stiftung; sie sollten argumentieren, warum keine weiteren strafrechtlichen Maßnahmen gegen sie eingeleitet werden sollten. Reich stellte sich hierfür einen juristischen Berater zur Seite, Charles Haydon, der es als einziger „fertigbrachte mit Reich, diesem recht unbequemen Klienten, eine Vertrauensbeziehung von einer gewissen Festigkeit und Dauer aufzubauen.“ S. 526

Dennoch war es offenbar schwierig, eine gemeinsame Linie zu finden, vor allem weil es galt, das von Reich an sich richtige Argument, dass ein Gericht nicht berechtigt sei, über wissenschaftliche Aussagen zu urteilen, in dem Sinne zu relativieren, dass dies juristisch nicht durchsetzbar sei. Reich wollte dieses Spiel um formaljuristische Spitzfindigkeiten nicht mitspielen. Dennoch profitierte Haydon aus dem Kontakt mit Reich, u.a. durch Reichs Lektion, dass Menschen nicht lügen können, weil das in ihren Gesichtszügen und ihrer Gestik zu erkennen sei. Das war in weiterer Folge für Haydon in seiner Tätigkeit als Anwalt sehr nützlich.

Trotz des guten Kontakts entschied sich Reich einen anderen Anwalt als persönliche Vertretung heranzuziehen – Frederick Fisher. Vor der Anhörung gab es eine Vorbesprechung mit den Ärzten Baker, Raphael, Duval und Silvert, Eva und den Anwälten. Reich plädierte dafür, dass die Anwälte die Fakten in den Mittelpunkt stellen sollten und meinte damit die Tatsache der Verschwörung gegen ihn, die emotionale Pest, gegen die er zu kämpfen hätte und die Tatsache der Orgonenergie. Das war eine Argumentationslinie die diametral der Klägerseite gegenüberstand – hier ging es einzig und allein darum, dass die Angeklagten die Verfügung – die Zerstörung der Akkumulatoren und der Literatur- erfüllen.

In seinem Abschlussstatement versuchte Reich zu erklären, weshalb es unmöglich wäre, der Verfügung nachzukommen, da die Literatur weltweit veröffentlicht war und die Akkumulatoren weltweit vertriebenen wurden. Zudem betonte er nochmals, dass die Grundlagenwissenschaften jenseits der Rechtsprechung bleiben müssen, und dass es nicht anginge, dass wissenschaftliche Fragen juristisch beantwortet werden.

Da die grundsätzliche Ausrichtung der Verhandlungsführung zwischen Reich und Fisher, der pragmatisch einen Vergleich erzielen wollte – nämlich, dass Reich alles erlaubt wäre, außer die Akkumulatoren in den zwischenstaatlichen Handel zu bringen, derart unvereinbar war, vertrat Reich sich bei der nächsten Vorverhandlung im November 1955 selbst. Er beantragte hier die Einrichtung eines Ausschusses, der den Fall auf einer nicht juristischen Basis untersuchen sollte. Die ihn auszeichnende Naivität ließ ihn glauben, dass in ruhiger Atmosphäre Fachleute der Orgonomie mit klassisch orientierten Wissenschaftlern zusammen sitzen und die FDA letztlich aufgeklärt werden könnte.

Trotz der Niederlage bei dieser Verhandlung – keiner seiner Anträge wurde angenommen und Reich außerdem veranlasst, der FDA Einsicht in relevante Akten zu gewähren – war es Reich möglich, im Herbst 1955 seine wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen, indem er sich z.B. intensiv dem DOR-Buster widmete. Er hielt auch ein Seminar zu diesem Thema und zeigte auf, wie sich DOR als dunkle Färbung am Körper oder im Gesicht eines Menschen zeigt. Er unterschied hierbei zwischen der DOR- und der ORANUR Krankheit, die er als eine Reaktion auf den experimentellen Gebrauch von Radium in der Atmosphäre, die mit Orgonenergie hoch geladen war, verstand.

Die DOR Krankheit stammt hingegen von einer Vielzahl von Reizungen oder Umweltgiften, welche die Orgonenergie in eine todbringende Kraft verwandelt. DOR weckt latente und spezifische emotionale Verwundbarkeiten im Menschen und wird durch Panzerung aufgebaut. Reich zog Parallelen zu den von Umweltgiften angegriffenen Wüstenlandschaften und der emotionalen Wüste im Menschen. Der Sommer 1955 schien von besonderer Einsamkeit und Enttäuschung gekennzeichnet gewesen zu sein. Ilse Ollendorf schreibt über diese Zeit, dass Reich erneut Herzbeschwerden hatte und „ernstlich anfing, eine Stelle für sein Grab oder Mausoleum auf Orgonon vorzubereiten … und an einer bestimmten Stelle ein Grab von Tom Ross ausheben ließ.“ S. 533

Tröstlich war die Begegnung mit der damals 31-jährigen Aurora Karrer, zu welcher sich alsbald eine intensive Beziehung entwickelte. Er überlegte sogar – wider seiner festverankerten Überzeugung im Hinblick auf die Ehe, Auroras Wunsch nachzukommen und sie zu heiraten, nicht jedoch ohne zuvor einen Ehevertrag aufzusetzen. Reich verfügte in all der Zeit über, wie Sharaf es ausdrückt – verschiedene „Selbste“, die nebeneinander bis zum Schluss existierten. So bewahrte er sich bis zuletzt ein „nüchternes Streben nach Wahrheit“ und konnte sich immer wieder neben seine heftigsten Wut-Reaktionen stellen.

Der Prozess

Die Hauptverhandlung war für den 1. Dezember 1955 angesetzt und wurde von Richter Sweeney anstelle von Clifford, dessen Frau erkrankt war, geführt. Da das Schreiben nur vom Gerichtssekretär unterschrieben war, erschien Reich nicht, worauf er und Silvert in Handschellen abgeführt und ins Gefängnis gebracht wurden. Am 3. Mai 1956 fand dann schließlich die Verhandlung statt. Reich vertrat sich, Silvert und die Stiftung selbst. Er plädierte nach einer langen Rede, in welcher er darlegte, dass er die Verfügung verletzen musste, da sie verfassungswidrig sei – auf unschuldig.

Für Richter Sweeney kam die Aussage einem Schuldeingeständnis gleich, und er sah als einzigen Ausweg für Reich ein psychiatrisches Gutachten, wonach Reich geistig krank sei. In seinem Schlussplädoyer an die Geschworenen legte Reich in rührender eise dar, wie sehr er den Eindruck habe, dass alles, was er tue, falsch sei, dass er sich diesem Prozess aber dennoch ausgesetzt habe, weil es „seine Methode sei, das, womit er sich beschäftigte, aus erster Hand zu erfahren.“ Sharaf schreibt, dass über all dem „eine Atmosphäre von Golgatha lag, in der Reich während des ganzen Alptraums allein war“, vor allem in seinem Ansinnen, „die verschwörerische `Mißachtung des Lebens durch die emotionale Pest´ auf die Anklagebank zu bringen“.

Sharaf schließt in den letzten Absätzen seinen Prozessbericht: „Was immer jetzt sein wird, er wird im Grunde allein sein. Wenn er stirbt, wird er allein sterben. … Und falls er es schafft, irgendwie, irgendwo mit der Ausarbeitung der Gesetzmäßigkeiten der Orgonenergie und des tödlichen Orgon weiterzumachen, mit seiner unendlichen Güte, Tiefe und Harmonie, wird er auch dabei allein sein, geduldig wartend, daß Strukturen heranwachsen, die sich ihm bei dieser hochfliegenden, aber realistischen, alles in Frage stellenden, aber disziplinierten Suche an die Seite stellen könnten.“ S. 545-547

Das schließlich am 25. Mai 1956 getroffene Urteil sah zwei Jahre Gefängnis für Reich und ein Jahr für Silvert und eine Geldstrafte von 10.000 Dollar für die Stiftung vor. Dies war ein unangemessen hartes Urteil für Reich. Zuletzt wurde Reichs Stellungnahme vorgelesen, in der er nochmals betonte, „dass die Wahrheit und die Quellen des neuen Wissens auf meiner Seite sind.“ S. 549

Zerstörung der Orgonakkumulatoren und Verbrennung der Veröffentlichungen 1956/57

Auch das Berufungsgericht bestätigte das Urteil, und Reich setzte seine ganzen Hoffnungen auf den Obersten Gerichtshof. Schon während der Berufungszeit begann die Vernichtung der Akkumulatoren und der Literatur. Am 5. Juni 1956 trafen zwei Beamte der FDA in Begleitung eines Bundespolizisten in Orgonon ein. Eine besondere Grausamkeit stellte der Umstand dar, dass die Zerstörung der Akkus durch die Beschuldigten zu geschehen hatte, was schließlich – anders als im Film – nicht durch Reich selbst, sondern durch Bill Moise und Tom Ross durchgeführt wurde.

In Peter Reichs Buch findet sich eine herzzerreißende Beschreibung dieser Szene. Am 26. Juni 1956 fand sodann die erste Bücherverbrennung statt. 251 Exemplare wurden laut FDA an diesem Tag verbrannt. Reich äußerte sich fassungslos darüber, dass neuerlich eine Bücherverbrennung seiner Werke – nach der im Nazi-Deutschland – stattfand. Eine Initiative einer empörten Bürgerrechtsgruppe wurde totgeschwiegen, ebenso wie diesbezügliche Reaktionen in England. Die Zerstörung von Akkumulatoren, diesmal von 50 Stück, die Silvert aus New York zurückbringen musste, sowie eine weitere Bücherverbrennung – 6!!!Tonnen Literatur im Wert von 15.000 Dollar – fanden bis Ende August statt.

Im November 1956 verließ Reich Orgonon. Er sollte es nicht mehr sehen. In Erahnung, dass er den Gefängnisaufenthalt nicht überleben würde, verfasste Reich im Winter 1956/57 seinen Letzten Willen. In dieser Zeit fand auch das letzte Treffen mit den orgonomischen Ärzten statt. Es entsprang Reichs Wunsch, geordnete Verhältnisse zu hinterlassen, und er widmete sich therapeutischen Fragen wie auch persönlichen Anliegen der Ärzte. Er strahlte – so Baker – eine Ruhe aus, wiewohl er vermittelte, dass „dies das Ende sei“.

Reich bat Baker die Verantwortung für die Orgonomie zu übernehmen, was dieser zusagte. Was die Testamentsvollstreckung betraf, hinterließ Reich große Unklarheit. Es wurde nie ein Testament, das vor seiner Inhaftierung verfasst wurde, gefunden. Im Gefängnis äußerte Reich seiner Tochter Eva gegenüber sein Misstrauen, was die Treuhänderschaft betraf und war geneigt Aurora Karrer als Treuhänderin einzusetzen. Dies und Evas depressive Stimmung nach dem Tod ihres Vaters, ließ sie zustimmen, dass Mary Higgins, eine ehemalige und vermögende Patientin Dr. Raphaels die Treuhänderschaft 1959 zugesprochen wurde.

Nachdem auch der Oberste Gerichtshof gegen eine Wiederaufnahme des Verfahrens entschied und auch der Antrag auf Haftverschonung zurückgewiesen wurde, wurden Reich und Silvert am 12. März 1957 ins Gefängnis nach Danbury, Connecticut, gefahren. Jener Hilfsmarshal, der den Transport begleitete, berichtete: „Hinten im Auto saßen Reich und Silvert in Handschellen und unterhielten sich über die Wetterbedingungen und beobachteten den Zustand der Vegetation, durch die sie fuhren.“ S. 565

Reich hatte in Danbury eine erste psychiatrische Untersuchung durch Richard C. Hubbard, der ein großer Bewunderer Reichs war. Hubbard diagnostizierte Paranoia, die sich sowohl in Größenals auch in Verfolgungswahn äußerte, wobei er aber einräumte, dass „der größere Teil der Persönlichkeit Reichs relativ intakt sei.“ Er schließt mit der Beurteilung, dass „der Patient geisteskrank sei“ und deshalb nicht als kriminell zu verurteilen ist. Aufgrund dieses Gutachtens wurde Reich in die Bundesstrafanstalt in Lewisburg verlegt, weil es dort bessere Behandlungsmöglichkeiten gab.

Die nochmals vorgenommene psychiatrische Untersuchung hatte zum Ergebnis, dass es keine konkreten Belege dafür gibt, dass Reich als unzurechnungsfähig einzustufen sei und dass seine Persönlichkeit im Großen und Ganzen intakt sei, wenn auch von einer Möglichkeit, psychotisch zu werden, auszugehen sei. Sharaf interpretiert dieses Ergebnis als ein Gefälligkeitsgutachten für die FDA, da im anderen Fall der Prozess neu aufzurollen gewesen wäre.

Laut Gefängnisbericht war Reich ein Insasse, der die Regeln stets einhielt und keinerlei außerordentliche Wünsche hegte – sieht man von Bedürfnissen wegen seiner Hautkrankheit ab. Er arbeitete in der Gefängnisbibliothek, was ihm sehr entgegen kam. Intensiven Kontakt hatte er zum Gefängniskaplan, Frederick Silber, mit dem er über Orgonenergie, Sexualtheorie, vor allem aber über die menschliche Natur sprach. Emotional war Reich aber vor allem mit Aurora Karrer beschäftigt. Silber spricht von einer „Abhängigkeit von der jungen Frau. Wenn er von ihr redete, sprühte er geradezu vor Lebendigkeit.“ S. 573

In Briefen an seinen Sohn Peter schreibt Reich über die Notwendigkeit von „…Häfen für das Leben, Kirchen für das Leben, heilige Zufluchtsorte für das Leben“ und erwähnte auch, dass er viel weine, und dass auch Peter sein Weinen nicht zurückhalten solle, „da Weinen der beste `Weichmacher´ sei.“ S. 578

Das Manuskript für ein Buch mit dem Titel „Creation“, an dem Reich während seines Gefängnisaufenthaltes geschrieben haben soll, wurde nie gefunden. Er reichte ein Gnadengesuch an Präsident Eisenhower ein und als dies ohne Reaktion blieb, verfasste er ein Dokument mit dem Titel „Meine ungesetzliche Gefängnishaft“, das er an den Bewährungsausschuss schrieb. Es finden sich darin sowohl rationale als auch irrationale Passagen, in denen Reich beispielsweise von seinem Vertrauen in „meine Freunde in der US-Regierung“ spricht.

Reich betonte auch, dass er nicht – zweimal unterstrichen – vorhabe, „die Organisationen, die die Akkumulatoren vertrieben hatten, wieder aufzubauen.“ Seine ungebrochene „Hingabe an die Wahrheit“ bekundete er allerdings, indem er klarstellte, dass er weiterhin im Hinblick auf die Orgonenergie forschen und lehren wolle. Seinen 60. Geburtstag erlebte Reich allein im Gefängnis. Er war voller Zuversicht, dass seine frühzeitige Entlassung, nachdem er ein Drittel seiner Haft verbüßt hatte, am 10. Novem- ber 1957 bevorstünde. Er bat seinem Sohn Peter ein gutes Hotel – ohne Chlorwasser – zu finden.

Am 22. Oktober 1957 fühlte sich Reich krank, wollte es aber aus Angst, dass dies den Bewährungstermin verschieben könnte, nicht dem Gefängnispersonal mitteilen. Am 3. November 1957 um 7 Uhr morgens wurde Wilhelm Reich tot in seiner Zelle aufgefunden. Es wurde ein plötzlicher Herztod in Verbindung mit Arteriosklerose und Sklerose der Koronargefäße diagnostiziert. Myron Sharafs Reich-Biographie endet mit dem Satz: „Er starb an gebrochenem Herzen.“

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Literatur:
Myron Sharaf, „Der heilige Zorn des Lebendigen“; Simon+Leutner Verlag, Berlin 1994
Ilse Ollendorf-Reich, „Wilhelm Reich“; Kindler Vlg., München 1975
Peter Reich, „Der Traumvater“, Bertelsmann Verlag,München 1973

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