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Bukumatula 1/2019

Nachruf auf Mary Boyd Higgins

(13.10.1925 – 8.01.2019)
von
Robert Federhofer:

Anfang dieses Jahres verstarb im Alter von 93 Jahren jene Frau, die seit beinahe 60 Jahren den Wilhelm Reich Infant Trust – die rechtliche Verwaltung des Erbes nach Wilhelm Reich – engagiert führte. Mary Boyd Higgins übernahm diese Tätigkeit 1959 von Reichs älterer Tochter Eva, die sie nach einem Jahr zurücklegte und sich einige Zeit lang niemand anderer dafür anbot.

Die Aufgabe, das Erbe Wilhelm Reichs gemäß seinem letzten Willen zu erhalten, auch zu verteidigen, war zu keiner Zeit einfach und erforderte vor allem in den ersten Jahren einige rechtliche Auseinandersetzungen. Einerseits Rückforderungen von Archivmaterial von Aurora Karner, einer ehemaligen Mitarbeiterin Reichs, der er in der Zeit seiner Inhaftierung persönlich nahestand. Andererseits waren auch die Zensurentscheide aufgrund der FDA-Anschuldigungen gegen Reich aufrecht und es erfolgte nach der ersten Zeitschriften- und Bücherverbrennung noch zu Reichs Lebzeiten (1956), nun auch noch eine zweite in New York, da dort noch Zeitschriften und Bücher in einem Lagerhaus gefunden worden waren.

Der Rechtsanwalt Leonard Kolleeny war über Jahrzehnte der Rechtsberater des WR-Infant-Trusts, fast ausschließlich unentgeltlich, waren doch die finanziellen Mittel chronisch beschränkt. 1960 wurde im ehemaligen Orgon-Energie-Observatorium auf dem Anwesen in Maine das Wilhelm Reich Museum eingerichtet und im selben Jahr mit dem Neudruck der Bücher Reichs durch den New Yorker Verleger Roger Straus (Farrar, Straus, Giroux) begonnen.

Higgings entschiedenes Einstehen für Reichs Erbe über die lange Zeit hinweg ist beeindruckend. Sie kannte Reich nicht persönlich, hat aber dessen Gerichtsprozesse verfolgt und war entsetzt über das Spektakel der staatlich angeordneten Bücherverbrennung. In einem Interview mit Philip Bennett äußerte sie sich 2009 folgendermaßen: „Im Laufe meines Erwachsenwerdens wurde mir sehr und immer drohender bewusst, was mit ungewöhnlich kreativen Menschen passiert und wie diese üblicherweise zerstört werden.“ Diese Empathie des Kreativen mit dem Anderen und eine ordentliche Portion Mut und Hartnäckigkeit ließen diese Leistung über so lange Zeit entstehen.

Mary Boyd Higgins wurde am 13. Oktober 1925 in Indianapolis in eine wohlhabende Familie hineingeboren; sie absolvierte das Vasser College mit einem Abschluss in Dramaturgie. Ab 1947 lebte sie in New York in Kontakt mit der Theater-Szene im Versuch, Schauspielerin zu werden und 1950 ein Jahr in Paris. Ihr Klavierlehrer überreichte ihr Reichs Buch „Die Funktion des Orgasmus“. Eine persönliche Therapie suchte und fand sie 1953-1956 in der Orgone Energy Clinic in NYC bei Dr. Chester Raphael, einem Schüler Reichs. Das Engagement von Higgins als Verwalterin des WR-Infant-Trusts zeigt große, aus der Ferne aber nicht immer gleich erkennbare Leistungen. Dass die gebannten und verbrannten Bücher wieder publiziert werden konnten, ist eine solche.

Auch Übersetzungen ins Englische von ursprünglich deutschen Büchern (z.B. The Invasion of Compulsary Sex-Morality, The Bion Experiments, The Bioelectrical Investigation of Sexuality and Anxiety, Early Writings); Neuerscheinungen (z.B. Zeugnisse einer Freundschaft – Briefwechsel Reich-A.S. Neill, vier Bände Auswahl aus Tagebüchern und Briefen: Passion of Youth, Beyond Psychology, American Odyssey und Where’s the Truth), sowie ein Newsjournal, um Archivinhalte zu veröffentlichen (Orgonomic Functionalism). Ebensolche Leistungen sind die Erhaltung des Wilhelm Reich Museums in Rangeley und die Erstellung eines vollständigen Archivkatalogs.

Anfang dieses Jahres erlitt Mary Boyd Higgins einen Schlaganfall und verstarb einige Tage darauf, begleitet von ihrem Neffen Will Higgins. Diese außergewöhnliche Frau wird fehlen.

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