21 Aug
Bukumatula 2/2021
von
Stefanie Estermann-Lagally:
Im Oktober 1997 (Dr. Lowen war damals 87) geriet ich während meines Management- und Sprachstudiums an der Pace University, NY, aufgrund des faszinierenden kulturellen Überangebots in Manhattan in eine kleine Geldnot und machte mich auf die Suche nach einem Job. Mein damaliger Freund Felipe De Campus D’Utra Vaz, der inzwischen selbst Therapeut ist, riet mir: „My teacher Dr. Lowen is looking for a cleaning woman….“, und schon hatte ich seine Adresse, Telefonnummer und kurz darauf einen Termin.
Ich wusste, dass mein Freund bei ihm Bioenergetik studierte, wusste über Freud und Reich Bescheid, hatte aber keinen blassen Schimmer von Körperpsychotherapie, und schon gar nicht war mir klar, dass Dr. Lowen direkt von Wilhelm Reich gelernt hatte, um anschließend seine eigene therapeutische Richtung, die Bioenergetische Analyse, zu entwickeln.
Das Vorstellungsgespräch verlief offen, unkompliziert und freundlich und so bekam ich die Stelle, sein Büro und den Therapieraum im IBA (Institute for Bioenergetic Analysis) zu putzen. Ich tat dies meist außerhalb seiner Praxiszeiten, sodass ich in Ruhe die Bücher bewundern konnte, die im Regal zu finden waren: Joy, Love and orgasm, Fear of life, Narcissism – denial of the true self, The Language of the body….. neugierig fing ich an zu schmökern.
Einmal erwischte er mich beim Lesen, wo ich doch hätte putzen sollen – ich erschrak und er lachte sich kaputt über meine „body reaction“, signierte das Buch und erlaubte mir von jedem Titel eine deutsche und eine englische Kopie mit nach Hause zu nehmen, die ich natürlich heute noch alle in Ehren halte. Berührt von seiner Großzügigkeit und seinem Humor traute ich mich, ihm Fragen zu stellen, wenn er in der Praxis war und so kamen wir ins Gespräch. Er bemerkte meinen Wunsch nach Weiterentwicklung und schickte mich zu einem berühmten „shrink“ in Manhattan, zu Dr. Len Hochman (1934-2009), der mir anhand von Provokationstherapie wie man auf österreichisch so schön sagt „die Wadln viri richtete“.
Eines Tages erkrankte Lowens Sekretärin für längere Zeit und er bat mich einzuspringen. Als bereits fertig ausgebildete Europa-Sekretärin fiel mir dies leicht und so durfte ich bald seine Seminare organisieren, ihn zu diesen auch begleiten, seinen Terminkalender führen und in seinem Büro die Anrufe vieler verzweifelter Menschen auf der Suche nach Wohlbefinden entgegennehmen. Neben meinem Schreibtisch saß auf einer Stange ein Papagei, der den ganzen Tag und wohl über Jahre die lauteren Sätze der PatientInnen mit anhörte.
Da sich gewisse Aussagen doch wiederholten und Dr. Lowen seine Klienten oft bat, ihre Wut zum Ausdruck zu bringen, indem sie auf ein Kissen schlagen und dabei rufen sollten „I hate you!“ und „Leave me alone!“, waren diese beiden Rufe diejenigen, die der Papagei am besten von sich geben konnte. Es war manchmal nicht leicht, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, da ich so viel lachen musste, wenn der Papagei neben mir schrie: „I hate you! I hate you! Leave me aloooooone!!!!“ und dabei seinen Kopf ruckartig vor und zurück bewegte.
Einmal war ein Patient bereits am Gehen und Dr. Lowen begleitete ihn noch zur Tür. Der Mann drehte sich dort noch einmal um und flüsterte mit einem schuldbewussten und leicht verzweifelten Ausdruck: „You know, my new girlfriend and me…. ehem…. we do crazy stuff…. I mean we really explore each other’s bodies!?!?” Dr. Lowen riss seine Arme in die Luft, breitete sie aus als wolle er gen Himmel beten, ließ den Kopf nach hinten fallen und rief: „But that’s wonderful!! Just keep going!!“ Der Patient kam nie wieder.
Dr. Lowen hatte ein unglaubliches Einfühlungsvermögen – allein was er in den Augen der PatientInnen sehen und lesen konnte, faszinierte mich. Ich wünsche mir eines Tages als Körpertherapeutin, die ich inzwischen geworden bin, so viel WAHRzunehmen wie er es tat.
Ich durfte Dr. Lowen bis zum Ende meines Visums im April 1998 assistieren und denke nach wie vor mit wohliger, warmer Freude an diesen humorvollen, interessierten, neugierigen, herzensoffenen, freundlichen und großzügigen Mann.
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Kontakt: Stefanie Estermann-Lagally, M.A.; www.neueschritte.at