25 Dez
Bukumatula 1/2002
Der österreichische Holzweg
Alfred Zopf:
Mag sein, dass es mir als hauptberuflicher Sozialpädagoge leicht fällt, die Entwicklungen in der Psychotherapieszene distanziert kritisch zu beleuchten, ich stecke nicht im Existenzkampf der hauptberuflichen PsychotherapeutInnen. Ich denke, es sind hier Entwicklungen im Gange, die das Grundgerüst einer emanzipatorischen Psychotherapie – egal welcher Ansatz vertreten wird – schwer erschüttern. Ich möchte mich aus meinem eigenen, subjektiven Erleben diesem Thema nähern, ohne den Anspruch auf Objektivität zu erheben.
Das Rad der Zeit zurückgedreht auf 1986:
Ich war damals Studienrichtungsvertreter für Pädagogik (linke alternative Basisliste).- Der BÖP (Berufsverband der österreichischen PsychologInnen) versuchte gerade das Psychologengesetz durchzusetzen, das verkürzt dargestellt vorsah, jegliches Bewirken von Verhaltensänderung im psychosozialen Bereich beruflich für die PsychologInnen zu beanspruchen. Wir von der Pädagogik, aber auch die KollegInnen der Psychologie, lehnten diese Vereinnahmung durch den BÖP ab und organisierten gesamtösterreichische Treffen, um wirksam dieses Gesetz zu verhindern.
Dem BÖP ging es ja nicht um den Berufsschutz, sondern darum, im Psychomarkt eine dominierende Position zu erhalten, ähnlich wie die rigide Ärztekammer, die ja auch starke Macht nach außen mit dem „hohen Preis“ des Drucks nach innen jahrzehntelang „erfolgreich praktiziert“.
In der Gesetzesbegutachtung holte sich der BÖP von allen Seiten eine gewaltige Abfuhr. Letztlich gab die gesetzliche Regelung dem BÖP die Macht in die Hand zu bestimmen, wer GesundheitspsychologIn werden darf und wer nicht.
Auf das Drängen des BÖP reagierte der Dachverband für Psychotherapie mit der Absicht, ein für PsychotherapeutInnen ähnlich „günstiges“ Gesetz einzubringen. Es gab wilde Konflikte, Univ. Prof. Strotzka (ein Vertreter des Ansatzes, Psychotherapie gesetzlich bei den Ärzten zu belassen) und mit ihm die Wiener Psychoanalytische Vereinigung stiegen aus. Alfred Pritz war damals schon die treibende Kraft für das Psychotherapiegesetz.
Wir von der Studienrichtungsvertretung setzten uns mit ihm auseinander. Mir fiel dabei auf, dass für ihn die benachteiligte Bezahlung als Psychologe und Psychotherapeut gegenüber den Ärzten in der Wiener Gebietskrankenkasse ausschlaggebend war, warum er so in Richtung Psychotherapiegesetz drängte.
Das Rangeln um Anerkennung und Nichtanerkennung bestimmte von Anfang an bis heute die Dynamik im Psychotherapiebereich. Das Psychotherapiegesetz schlug 1990 wie eine Bombe ein. Die ganzseitige „Warnung“ der Ärztekammer in fast allen Tageszeitungen sprachen eine deutliche Sprache.
1990/91 überlegte ich ernsthaft aus meinem Hauptberuf als Sozialpädagoge auszusteigen, doch meine inneren Zweifel über die Abhängigkeit den Markt-Mechanismen gegenüber siegten; außerdem liebte ich meinen Beruf, die Arbeit mit den therapieresistenten schwer traumatisierten MA11-Jugendlichen (ungefähr 90 % der Therapien zum sexuellen Missbrauch scheitern kläglich), machte mir zu viel Freude, um ihn aufzugeben. Für mich war bald klar, Psychotherapie nur nebenberuflich ausüben zu wollen.
Diese Anfangszeit war trotz allem aus meiner Sicht und Empfindung vom Geiste einer emanzipatorischen Psychotherapie geprägt.
Wenige Jahre später, im Hin und Her des Ringens um den Gesamtvertrag, schieden sich die Geister. Alfred Pritz, Präsident des österreichischen Berufsverbands für Psychotherapie (ÖBVP) und Co-Tak-tiererInnen glaubten über Beziehungsarbeit hier einen guten Vertrag auszuhandeln. Leider wurde aus meiner Sicht übersehen, dass Alfred Pritz als kleiner karenzierter Gebietskrankenkassenangestellter im Spiel der Mächtigen unbewusst nur ein schlechter Verhandler sein kann, vor allem wenn man weiß, dass hierarchisch stark geprägte Institutionen meist mit dem Eltern-Kind-Muster arbeiten. D.h., vom „Kind“ Pritz lässt man sich keine Bedingungen diktieren.
Da nützt ihm auch der Weltpräsidenttitel nichts. Auch wenn man an den Putsch der Vizepräsidentin des ÖBVP zurückdenkt läuft es einem kalt über den Rücken runter. Als logische Konsequenz dieser „Spiele“ entstand die demokratische Offensive (AQUA) rund um Dr. Stemberger, die meine Sympathien hat, aus meiner Sicht als letzte Bastion einer emanzipatorischen Psychotherapie.
Februar 2001:
Das Präsidium des ÖBVP lädt alle Mitglieder des WLP (Wr. Landesverband für Psychotherapie) ein, um offene Fragen zu diskutieren. Erschienen sind neben dem dezimierten WLP Vorstand noch ca. 10 Personen.
Die Präsidentin und die Vizepräsidentin wirken sehr kompetent und klar. Für mich sehr verwunderlich: Mitglieder des WLP-Vorstands führen sich auf wie „ungezogene kleine Kinder“, einer schreit: „Das ist eine Lüge“, ohne darauf später einzugehen, die Ex-Obfrau des WLP agiert extrem untergriffig: „Na, nutzt doch eure guten Beziehungen für den Gesamtvertrag“, etc. Für mich war der WLP-Vorstand einfach widerlich. Ich trug mich damals mit dem Gedanken, aus dem ÖBVP auszutreten, diesen Schwachsinn der letzten Jahre zu beenden. Jedoch beeindruckten mich diese beiden Frauen derart, dass ich jetzt noch dabei bin, um diesem Funken Hoffnung, neben der demokratischen Offensive, eine Chance zu geben.
Frühjahr 2001, WLP-Landesversammlung:
Schwer verdaulich – fast 2/3 der Anwesenden (ca. 150) sind Anhänger der Vereinslösung mit der Wiener Gebietskrankenkasse, der Gesamtvertrag ist ihnen wurscht, sämtliche Versuche diesen „Holzweg“ zu verlassen werden mit satten Mehrheiten niedergestimmt. Ich leide mit dem schwachen Drittel, das aus meinem Gespür jene repräsentiert, die den Grundbegriff der Emanzipation für die Psychotherapie ernst nehmen und genau wissen, dass die Rahmenbedingungen der Psychotherapie auch auf die Beziehungsgestaltung starken Einfluss haben und somit die Qualität der Psychotherapie mindern oder stärken.
Der „Gipfel“ war für mich die Aussage eines hochgeschätzten Psychotherapeuten, der den Konflikt als einen zwischen Fundis und Realos deutete, ohne zu kapieren, dass die Realos in Wirklichkeit die Irrealos sind, denn es müssten eigentlich jedem die Konsequenzen der Vereinslösung klar sein: Psychotherapie degradiert sich selbst zum zusätzlichen Symptombehandlungsinstrument des österreichischen Gesundheitswesens neben schulmedizinischen Medikamenten etc. Die Alternative „Psychotherapie“ als ein möglicher gesamtheitlicher Ansatz ist somit in der Versenkung verschwunden. Die Krankenkassen können Psychotherapie nach Belieben für ihre Zwecke als Steuerungsinstrument einsetzen oder auch nicht. Psychotherapie hat somit keinen wesentlichen Einfluss mehr im Gesundheitssystem.
Sprung ins Jahr 2002:
Symptomatisch für die „Neue Psychotherapie“ ist die Aussage eines Systemischen Psychotherapeuten und Organisationsberaters in einem Standard-Leserbrief vom 16. März 02 als Antwort auf den Psychoanalytiker Walter Hoffmann vom 26. 2. 02. Ich zitiere:
„In meiner Praxis als Systemischer Psychotherapeut liegt der langjährige Durchschnitt der Klienten bei zehn bis 15 Stunden (manche Klienten schließen etwas früher, manche etwas später die Therapie ab).“
„Tolle Leistung!“, ich brauche ca. 10 Stunden, um mit dem vegeto-therapeutischen Ansatz in die Charakterstruktur des Klienten vertieft angedockt zu haben. Zu diesem Thema interessiert mich auch die Meinung von „Bukumatula“-Lesern.
Letztendlich sind für mich Rückzugsorte wie das Wilhelm Reich Institut von eminenter Wichtigkeit, um nicht völlig zu verzweifeln. Das Nicht-Anstreben von Anerkennung des WRI im Psychotherapiebereich ist für mich die richtige Positionierung, damit der Begriff Emanzipation weiter lebt, auch wenn er immer neu definiert werden muss.