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Bukumatula 1/2012

Der Grenzgänger

Gespräch mit Heiko Lassek über die Entstehung und Produktion des Filmes
„The Boundary Man“ anfangs Dezember 2012.
Thomas Harms:

Thomas Harms: Heiko, die Dreharbeiten zum Film „The Boundary Man (AT)“ sind beendet. Was bedeutet es für dich, dass der Film jetzt Realität geworden ist?

Heiko Lassek: Das ist ein ganz großer Traum, der hier für mich wahr wird. Dazu gehört gesagt, dass ich 2002 am Psychologischen Institut in Wien einen Vortrag gehalten habe und eine mir unbekannte Person mich angesprochen hat, ob es eine Möglichkeit gibt, mit mir über die Inhalte des Vortrags zu sprechen.

Also habe ich ihn noch am selben Abend eingeladen, sich nach dem Vortrag in einem Restaurant mit mir, Freunden und Bekannten vom Wiener Reich Institut zu treffen. Er ist jedoch an diesem Abend dort nicht aufgetaucht. Ein zweites Mal sah ich ihn vier Wochen später in einer Fortbildungsgruppe, die ich damals in Wien angeboten habe.

Als ich ihm dort begegnete, hatte ich den seltsamen Eindruck, dass es sich bei ihm – von der Erscheinung her – um einen rumänischen Tabakwarenhändler handeln würde (lacht). Er blieb dann in der Gruppe als Teilnehmer und erzählte mir, dass er etwas mit „Filmen machen würde“. Er reagierte in dem Seminar so überraschend, so durchlässig, wie ich das eigentlich bei keinem männlichen Teilnehmer in einer neuen Gruppe erlebt hatte.

Und es hat dann sehr kurze Zeit gedauert, eigentlich wenige Monate, dass wir intensive Gespräche begonnen haben und Freunde wurden; gemeinsam auf Urlaub gefahren sind – später auch mit unseren Lebensgefährtinnen -, also eine sehr persönliche Freundschaft aufbauten und ich auch mehr und mehr seine Arbeit kennen gelernt habe. Er war damals und ist bis heute ein erfolgreicher Filmproduzent in Österreich.

Die Idee eines Reich-Films kam auf einer ganz privaten Ebene, sozusagen aus dem NICHTS.- Es war früh morgens in einer – ich würde sagen `abgestiegenen´ Kneipe im Arbeiterviertel Simmering, wo Antonin Svoboda auf einmal sagte: „Ich hätte große Lust über all diese Themen einen Film zu drehen.“- Ich habe das damals gar nicht so ernst genommen, habe aber dann seine sehr seriöse Arbeit als Filmproduzent mitverfolgen können.

Einige Jahre später gab es für uns die Möglichkeit, über EU-Fördermittel aus dem `Media Programm´ in die USA zu reisen, um insgesamt zwei Mal alte Lehrer und Freunde, die Familie Reich und ehemalige Mitarbeiter Wilhelm Reichs zu besuchen. Ich war sehr beeindruckt über das Detailwissen, das sich Antonin mittlerweile durch unendlich viele Gespräche in gemeinsamen Urlauben sowie Aufenthalten in Wien und Berlin als Basis angeeignet hatte.

T: Geschah dies schon mit dem Ziel, dieses Filmprojekt in Angriff zu nehmen, oder war das damals noch nicht der Plan?

H: Der Antrag beim Media-Entwicklungsprogramm lautete ganz konkret auf Entwicklung eines Spiel- und Dokumentarfilms. Das war zu meiner großen Überraschung schon alles organisatorisch geklärt worden, z.B. waren Anträge bei der Brüsseler Kommission für einen Dokumentarfilm bereits in die Wege geleitet worden.

Durch den glücklichen Umstand, dass die Firma Coop99 schon sehr erfolgreiche Filme produziert hatte und dadurch in der Lage war, die erhaltenen Fördermittel komplett an die EU-Kommission zurückzuzahlen, bestand überhaupt erst die Chance, ein solches Außenseiterthema einzubringen.

Tatsächlich bekamen wir nur eine minimale Förderung. Es war gerade genug, um die Kosten für Flüge, Mietautos, Hotels und Essen abzudecken. Aber mit dieser Starthilfe hatten wir in dieser Zeit – ich spreche von den Jahren zwischen 2003 und 2007 – die einmalige Gelegenheit, die Familie Reich – Eva Reich, Renata Reich, Peter Reich, Ilse Ollendorf-Reich und auch andere noch lebende Schüler Reichs zu besuchen und sie zu interviewen.

T: Der bekannte Schauspieler Klaus-Maria Brandauer spielt in dem Film die Hauptrolle des „späten“ Reich. Er sagt ja von sich, dass dieser Film für ihn etwas ganz Besonderes sei. Er zeige einen bisher unbekannten Reich, einen Reich, den man nicht „googeln“ kann. Was kann man darunter verstehen?

H: Das ist eine ganz interessante und brillante Aussage von Klaus-Maria Brandauer. Tatsächlich geht es im Zentrum des Films um die letzten zehn Jahre Wilhelm Reichs. Es geht um Reich als Forscher, aber auch um den Verfolgten und Gejagten, einem genialen und getriebenen Denker und Experimentator.

Um einen, der eben ganz verschiedene Ebenen miteinander verband: Von der Niedrigstrahlung bei atomaren Experimenten über biologische Zerfallsprozesse bei schwersten Erkrankungen wie Krebs, den Einfluss der Atmosphäre auf den menschlichen Organismus und seinen Selbstregulationsprozessen, Möglichkeiten der Wetterbeeinflussung bis hin zu Flugobjekten unbekannter Identifikation.

Also Gebiete, die scheinbar von außen her thematisch überhaupt nicht miteinander in Beziehung zu bringen sind, sondern nur durch den roten Faden in Reichs Forschungswerk – seiner Erforschung einer grundlegenden Energie des Lebendigen – verstehbar werden. Einer Lebensenergie, die nicht nur biologisch, organismisch-körperlich wirkt, sondern eben auch atmosphärische, meteorologische und sogar kosmische Dimensionen mit beinhaltet.

T: Tatsächlich spricht Brandauer in einem seiner Interviews, dass Reich die Person sei, die die Kraft erforscht hätte, die den Menschen mit dem Kosmos verbindet.

H: Klaus-Maria Brandauer sagte es so klar, dass er mich an etwas erinnerte: An meine Sehnsucht, die ich früher gehabt habe und dann vergessen habe. Er hat mich damit an etwas ganz Tiefes in mir wieder erinnert.

T: Du meinst die Verbindung mit dem Kosmischen. Reich spricht ja von einer “kosmischen“ Sehnsucht.

H: Ja, etwas, das uns mit der umgebenden Welt verbindet, aber eben nicht nur der für uns sinnlich wahrnehmbaren, sondern eines viel weiter gehenden Prinzips einer kosmischen Energie, von der wir vielleicht ein Teil sind, ein kleiner Wassertropfen in einem Ozean.

T: Brandauer sowie auch alle anderen Schauspieler des Teams sind mit Hingabe an das Projekt herangegangen. Die Entstehung des Films scheint eine eigene Faszination entwickelt zu haben. Kannst du etwas dazu sagen, wie Brandauer sich persönlich auf die Person des Wilhelm Reich vorbereitet hat?

H: Er hat sehr früh, schon vor Jahren in einem Interview erwähnt, dass ein junger Regisseur namens Antonin Svoboda ihn mit einem Drehbuch kontaktiert habe und er von diesem Drehbuch ganz fasziniert war, weil er der Hauptperson nah zu sein glaubte und auch mit dem Namen Wilhelm Reich einiges verbunden hat. Er hat dann das aktuelle Drehbuch gelesen, sich auch in das Spätwerk Reichs eingelesen und war höchst erstaunt, um nicht zu sagen schockiert – das hat er mir persönlich berichtet -, dass Freunde von ihm immer wieder gesagt haben: ja aber da ist doch der Reich verrückt geworden.

Und wenn er aber bei seinen eigenen Freunden nachfragte, wie sie zu dieser Ansicht kämen, konnte es ihm niemand beantworten. Je mehr er nachfragte – also mit dem inzwischen erworbenen Wissen über das Drehbuch und durch seine eignen Recherchen -, umso mehr merkte er, dass selbst Freunde, die er für sehr intelligent und gebildet gehalten hatte, sich mit diesen Inhalten und Themen überhaupt nicht beschäftigt hatten. Also gar nicht wussten, worauf ihre Meinung eigentlich beruhte.

Und das hat ihn fasziniert, dass da etwas ist, was man eben auch so schön ausgedrückt, nicht „googeln“ kann, was auch nicht zum Allgemeinwissen gehört. Und dass da ein ganz gigantisches Spätwerk eines genialen Forschers vorliegt. Von einem Menschen, den man auch als „verrückt“ bezeichnen kann, wie man ja viele Menschen immer wieder als verrückt bezeichnet hat, die über Grenzen gegangen sind. Darum heißt der Film im Arbeitstitel ja auch „The Boundary Man“.

T: Und das scheint auch jener Teil zu sein, der Brandauer faszinierte: das Widerspruchsvolle und Unverstandene in dieser Figur Reich. Jener Aspekt der Persönlichkeit, in dem das Opponierende zum Vorschein kommt.

H: Ja, Reich hat sicherlich die seltene Auszeichnung eines Wissenschaftlers, Arztes, Psychoanalytikers sowie biologischen und physikalischen Forschers, dessen Bücher gleich zweimal verbrannt wurden. Einmal im Nationalsozialismus und dann, 1957, in den USA unter Vernichtung aller Forschungsanlagen, Zerstörung von Laborinstrumenten und letztlich auch unter Vernichtung seiner physischen Existenz. Er wurde wegen nichts anderem als Missachtung des Gerichts, nur wegen Missachtung, zu zwei Jahren Haft verurteilt. Und zwei Wochen vor seiner Entlassung ist er – unter nicht obduzierten Umständen – im Gefängnis plötzlich verstorben.

T: Wie kam es letztlich zum endgültigen Titel des Films? Wer hat ihn entwickelt?

H: Die Idee kam ganz und gar von Antonin Svoboda. „The Boundary Man“ war der letzte einer Reihe von Titeln, die diskutiert wurden. Zuerst lief das Projekt unter dem Titel „Creation“. Das war jenes Buch, an dem Reich eineinhalb Jahre im Gefängnis gearbeitet hatte. Ein Werk über Antigravitation, von dem nicht eine Seite nach seinem Tod gefunden wurde. Ein anderer Titel, der in Erwägung gezogen wurde, war in Erinnerung an eine Hymne von Kate Bush, „Man with the Child in his Eyes“, ausgesucht worden. Erst ganz zum Schluss wurde es dann „The Boundary Man“.

T: Reich hat das herrschende Paradigma auf vielfältigen Ebenen durchdrungen. An welchen Stellen des Filmes finden wir das Getriebene in der Figur des Wilhelm Reich, von der du am Anfang sprachst?

H: Es ist die Suche nach der Energie der Triebe, es ist auch die Suche nach dem Beginn des Lebens. Das ist der rote Faden der sich durch sein ganzes Leben und durch seine Forschung zieht. Immer wieder hat er betont, auch in zahlreichen Interviews bis kurz vor seinem Tode, er habe gar nicht geahnt wohin ihn das alles führen würde, und wenn er es gewusst hätte, wäre er gar nicht weitergegangen. Aber er ist seinen Weg weitergegangen. Alleine und unbeirrbar. Dieser Punkt macht den „Grenzgänger“ so sehr aus.

Was vielleicht Klaus Maria Brandauer so fasziniert hat – darüber haben wir gleich am Anfang unserer Freundschaft sehr viel gesprochen -, ist dieser gigantische Gegensatz im Verhalten von Galileo Galilei zu Wilhelm Reich. Das steht auch im Mittelpunkt des Films, worauf ich auch immer bestanden habe. Galilei hat sich gegenüber der Inquisition verleugnet, hat aber z.B. in der Brecht’schen Fassung von „Das Leben des Galilei“, die Klaus Maria Brandauer auch sehr viel bedeutet, eben Schüler unterrichten können. Und das ganze Stück endet dann darin, dass er zu seinen Schülern sagt: „Macht eure Notizen“. Das heißt, er hat geleugnet! Aber die Wahrheit konnte über seine Schüler weiterleben. Und er selbst konnte weiterleben – unter Hausarrest.

Reich hat aber jeden Ausweg abgelehnt. Auswege wurden ihm durch Mitarbeiter, durch Bewunderer, selbst durch den ersten Richter, der dann später diese Position aufgegeben hat, weil seine Frau gestorben war, angeboten. All das hat er aber abgelehnt. So hätte er z.B. freigesprochen werden können, hätte keinerlei Verurteilung erfahren, wenn er sich nur für seine letzten zwei Lebensjahre für „paranoid“ hätte diagnostizieren lassen.

Reich ist einen, wie ich meine, schwer nachvollziehbaren, aber in großen Teilen auch genialen Weg gegangen, indem er seine Forschung, seine Schriften durch eine Treuhänderstiftung im Rahmen der amerikanischen Gesetzgebung hat sichern lassen. Dass erst 50 Jahre nach seinem Tod diese Archive, als Bestandteil der Harvard Medical Library, geöffnet werden. Das ist im Jahr 2007 erfolgt. Das Material ist bis heute nicht vollständig gesichtet, und man weiß auch bis heute nicht, was darin alles verborgen ist. Aber viele Aspekte von Reichs Werk, die bisher als phantastisch erklärt wurden, haben sich als grundlegend wahr erwiesen, andere haben einer Korrektur bedurft.

T: Es ist das erste Mal, dass ein Film über die Person und über das Werk Reichs als Spielfilm in die Kinos kommt. Welche Wirkung wird der Film haben, nachdem es gerade in den letzten 10 – 15 Jahren sehr ruhig um das Werk Wilhelm Reichs geworden ist?

H: Ich denke es ist ein ganz weit gespannter, äußerst authentischer, ja fast mit rigider Perfektion gedrehter Film, der die Atmosphäre der 50er Jahre einfängt – der McCarthy-Ära mit ihrer Wegerklärung von Bedrohungen, die damals real waren, wie z.B. der Koreakrieg. Und es gab die Verkündung von Atomenergie als reiner, friedvoller Energie, obwohl alles so nicht stimmte. Hiroshima und Nagasaki waren verdrängt worden.

Gleichzeitig liefen Experimente mit oberirdischen Atomexplosionen und die Erforschung der Wirkung der Atomenergie an Tausenden von Armeeangehörigen in den Wüsten von Arizona. Das alles wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. Erst 30 Jahre später gab es massive Klagen wegen schwerster Erkrankungen wie Leukämien, Hodgkin-Lymphomen, die in einem sehr klaren Zusammenhang mit der Exposition der anwesenden Menschen bei den Atombombenversuchen standen.

Ich denke, dass hier eine ganze Ära, eine Politik der Desinformation neu thematisiert wird. Strukturen, die damals wie heute in den USA wirkten und wirken. Hier geht es um das weltweite Operieren mit Falschinformationen, mit Verwirrungstaktiken, mit unklaren, widersprüchlichen, bewusstseinslöschenden Aussagen, die einfach stehenbleiben.
Ich meine, dass sich ein machtvolles System gegen Informationen und Experimente mit sehr klaren Aussagen gewehrt hat. Dass es ein solches Wissen um eine Lebensenergie oder um Selbstregulationsprozesse nicht geben darf. Oder im Interesse einer bestimmten politischen und auch industriellen Ebene nicht auf die Bühne treten sollte.

T: Ich stelle es mir schwierig vor, sich als Schauspieler in die Komplexität der Materie einzufinden. Insbesondere in die wissenschaftliche Welt Wilhelm Reichs. Wie wurde das konkret von Brandauer und den anderen Schauspielern angegangen?

H: Das war ganz beeindruckend und wunderschön, ich möchte fast sagen: traumhaft. Es war Antonin ein großes Anliegen, dass alle Schauspieler möglichst viel an Hintergrundinformationen zu Reich bekommen. Und Klaus Maria Brandauer hat die zentralen Schauspieler zu sich nach Altaussee eingeladen. Einem für Brandauer bedeutenden Ort, wo er seit über 30 Jahren lebt. Übrigens nur zwei Straßen entfernt von dem Haus, wo er seine Kindheit verbrachte.

Brandauer war ein perfekter Gastgeber. Von morgens bis abends gab es Unterricht, zu dem ich eigens eingeflogen war. Ob nun Therapiedemonstrationen, ob Reichs Herangehensweisen, ob Fragen, wie Eva Reich wirklich war, wie sie gesprochen hat, usw. Obwohl das erst einmal wenig mit dem originären Skript zu tun hatte, half es den Schauspielern, wie z.B. Julia Jentsch, die Eva Reich spielt, den Habitus der Figuren zu erfassen. Wir schauten uns gemeinsam Video-Vorträge von Eva Reich an. Ich zeigte, wie sie die Schmetterlingsmassage praktizierte, obwohl das alles im Film nicht vorkommt.

Oder zum Beispiel Jeanette Hain, die Ilse Ollendorff-Reich spielt, erkundigte sich, wie das Verhältnis von Ilse nach der Diagnose ihres Gebärmutterhalskrebses zu Reich war. Wie war es, als er sie fortgeschickt hat? Das ging bis dahin, wie die Abendatmosphäre bei den Reichs war, welches Essen er am meisten schätzte. D.h. es ging um Hintergrundstimmungen, die gar nichts mit den konkreten Szenen und dem Text zu tun hatten.

Der ganze Tag sollte für die Schauspieler von morgens bis nachts um 3:00 Uhr – wirklich: von 8:00-3:00 Uhr morgens am nächsten Tag! – erfüllt sein mit Hintergrunddiskussionen. Auch mit vielen wissenschaftlichen Gesprächen. Da ging es um die Reichschen Bionforschungen, die Orgonakkumulatoren bis hin zu den Strahlungsphänomen. Wir haben demonstriert, wir haben geatmet, wir haben Berührungen erforscht. Wir haben eine Unmenge an Materialien und ganz persönliche Informationen über die Familie Reich ausgetauscht. Es ging einzig darum, in einer ganz ernsthaften Atmosphäre das Gesamtgewebe so deutlich wie möglich herauszuarbeiten.

T: Es klingt so, als sei ein Feld entstanden, das die Schauspieler Stück für Stück in sich aufgesogen haben, sozusagen als Voraussetzung, um ihre Rollen ganz zu erfassen.

H: Myriaden von Informationen, die der Erfühlung der Rolle in ihrer historischen und auch persönlichen Dimension dienten. Es bestand der Wunsch, alles so perfekt wie überhaupt möglich zu machen. Vom Bild hinter Reichs originärem Schreibtisch in Orgonon, der Statue auf seinem Schreibtisch, der Jacke, die Reich am liebsten getragen hat bis hin zu seinem Lieblingsgericht und seiner Pianomusik am Abend. Whiskyflaschen und Zigarettenschachteln aus den 50er Jahren wurden besorgt. Auch das Auto, das per Schiff aus den USA kam, hatte exakt die gleiche Farbe und war das gleiche Modell, wie jener Wagen, den Reich gefahren hat. Alles wurde mit äußerster Präzision für das Gesamte rekonstruiert, um die entsprechende Hintergrundstimmung zu erzeugen.

T: Aber es ist trotzdem mehr als ein Dokumentarfilm?

H: Es ist ganz klar ein Spielfilm und dazu gehören – ich sage nicht zwei, sondern eineinhalb Modifikationen. Erstens eine sicherlich eingeführte Liebesgeschichte, die eben wirklich dramaturgisch begründet ist und eine nicht unwahrscheinliche, sogar vielleicht eher wahrscheinliche Vermutung über die wahre Rolle von Reichs letzter Lebensgefährtin und Geliebten, Aurora Karrer. Der Frau, die er nach seinem Gefängnisaufenthalt auch heiraten wollte.

T: Diese Ebene ist im Film enthalten und wurde gespielt?

H: Ich sage sehr bewusst, wir haben eineinhalb fiktive Ebenen drin’, aufgrund der Dramaturgie, die nötig ist. Die zweite Ebene ist die, dass Aurora Karrer eventuell eine Agentin der FDA oder einer anderen Regierungsbehörde war, die sich in Reichs Vertrauen in seiner zerrissendsten und verletzlichsten Phase eingeschlichen hat. Als Vertraute, um ihn zu manipulieren.

T: Ist diese Ebene fiktiv oder gibt es eine empirische Basis für die Person der Aurora Karrer?

H: Es gibt zahlreiche Indizien aber keine Beweise, dass hier Mechanismen gegriffen haben, um jemanden im Interesse von Behörden zu manipulieren. Aurora Karrer blieb trotz aller Recherchen seit 1957 bis heute unauffindbar. All ihr Wissen, Dokumente, Mikrofilme, etc. waren in keiner Art und Weise detektierbar, oder durch irgendeine Hinterlassenschaft eruierbar.

T: Kannst du etwas darüber erzählen, wie der Film endet?

H: Ich möchte jetzt nicht über das Ende des Films sprechen. Das soll eine schöne Überraschung bleiben.
Ich möchte aber über ein Ende sprechen, das filmisch nicht verwirklicht wurde, aber vor vier, fünf Jahren noch im Entwurf stand. In der Schlussszene des Films, die ich sehr mochte, tritt ein Agent der Food and Drug Administration auf, der bezeichnenderweise von uns auch noch Klein genannt wurde.

Dieser Herr Klein findet im Laufe seiner Recherchen immer mehr heraus, dass doch was dran ist an den von Reich entwickelten Instrumenten, z.B. am Orgonakkumulator. Er selbst erlebt an Leuten aus der Bevölkerung der nächstgelegenen Stadt und auch an Familienangehörigen, wie sie durch die Geräte Heilung erfahren. Und trotzdem ist er auf der Seite der FDA und bleibt seinem Auftraggeber treu, obwohl er ein zerrissenes, schlechtes Gewissen hat.

Viele Jahre nach Reichs Tod geht er 1968 in New York in einen Zeitungsladen. Und in diesem Zeitungsladen liest er auf den Titelseiten von Massenprotesten, die in Chicago, London, Berlin, Frankfurt stattfinden. Von einer Studentenrevolution, von der er noch nie etwas gehört hat und die sich auf Wilhelm Reich beruft.

Er steht staunend davor und kauft ganz viele Zeitungen. Dann tritt er auf die Straße und platzt in eine Demonstration von Jugendlichen hinein – und überall sind die Parolen Wilhelm Reichs auf Plakaten zu sehen. Fassungslos, beeindruckt, verwirrt aber auch fast lächelnd beobachtet er die Szene.

Das war der Abschluss des ursprünglichen Skripts „Creation“, wie wir es genannt haben und hätte mit dem Satz „It can be done“ geendet – mit dem gleichen Satz, den Reich auch auf Plakaten in seinem Labor hängen hatte. Wir können es tun, also: es kann geschafft werden.

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