19 Aug
Bukumatula 1/13
Interview mit Antonin Svoboda Regisseur und Produzent des Spielfilms
„Der Fall Wilhelm Reich“
Beatrix Teichmann-Wirth:
Beatrix: Wie viele Interviews hast Du denn in letzter Zeit schon gegeben?
Antonin: Viele. Für Rundfunk, Zeitungen, Internet, etc; alle wollen etwas anderes wissen.
B: Du hast Dich viel mit Wilhelm Reich beschäftigt. Nach Deinem Dokumentarfilm „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“ hast Du jetzt den Spielfilm „Der Fall Wilhelm Reich“ herausgebracht. Was hat Dich zu diesen Aktivitäten angeregt?
A: Heiko Lassek. Im Anschluss an seinen Vortrag über „Chi und Orgon“ im Neuen Institutsgebäude der Universität Wien im Herbst 2002, haben wir uns in einem Gasthaus persönlich kennengelernt. Orgonenergie nach Reich und Chi im Daoismus haben mich vom Thema her interessiert, und ich habe mein Wissen dann über Jahre hinweg vertieft, auch über Selbsterfahrung in Heikos Aus- bzw. Fortbildungsgruppen.
An einen Film habe ich damals überhaupt nicht gedacht. Über unsere Freundschaft, die sich über die Jahre entwickelt hat, haben wir uns über die Person Reich und über sein Schicksal immer wieder Gedanken gemacht, sozusagen darüber zu `spinnen´ begonnen. Ich hatte den Eindruck, dass Reich eine sehr exemplarische Persönlichkeit der damaligen Zeit war. Ein Mensch, der nach dem Zweiten Weltkrieg – in einer Zeit gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Weichenstellungen – zu Problemen Ruf- und Fragezeichen gesetzt hat, mit denen wir uns heute noch herumschlagen, bzw. erst jetzt die Rechnung präsentiert bekommen.
Er hat sehr früh begonnen auf Umweltbelastungen hinzuweisen. Was ist der Preis, den wir dafür zahlen, wenn man sich für Atomspaltung interessiert und daraus Gewinn zieht. Was ist der Preis, wenn man eine Gesellschaft, auch wenn sie scheinbar demokratisch ist, mit allen möglichen Manipulationsmechanismen unterwandert. Was ist der Preis, wenn man die Pharmaindustrie diktieren lässt, was heilsam ist. Deshalb fand ich es interessant, das heute nochmals zu thematisieren.
B: Ich habe den Film zwei Mal gesehen. Das zweite Mal mit amerikanischen Freunden, die von Reich überhaupt nichts wussten. Die haben gemeint, dass es in den USA ja nach wie vor so ist und waren ganz hellhörig, als ich sagte, dass ich früher Kommunistin war; es ist offenbar in den USA sogar heikel zu sagen, dass man Sozialist ist, das kommt dort einem Schimpfwort gleich.- Warum hast Du gerade diesen Lebensabschnitt aus Reichs Leben gewählt und nicht seine Wiener oder Berliner Zeit?
A: Es wäre natürlich naheliegend gewesen, Reichs Wiener Zeit, sozusagen vor Ort, zu drehen. Man hat alles zur Verfügung. Die Häuser stehen noch, man könnte relativ schnell in diese Zeit abtauchen. Aber dann wäre der Hauptdarsteller nicht Klaus Maria Brandauer gewesen – einen Dreißigjährigen nimmt man ihm nicht mehr ab. In langen Diskussionen mit Heiko kamen wir überein, dass das nicht die Zeit des großen Raunens, des großen Missverstehens, des großen Stigmatisierens war.
Dies wird in gewisser Weise nach dem Zweiten Weltkrieg, in seinen amerikanischen Jahren viel deutlicher, wo ihm kaum jemand mehr folgen konnte oder wollte, wo viele ihn leichtfertig als verrückt bezeichneten, paranoid, größenwahnsinnig, ohne zu wissen, was eigentlich wirklich los war. Dieses Phänomen finde ich in gewisser Weise lebensbedrohlich: Dass wir uns angelernt haben, unsere Beschränktheit aggressiv mit Vorurteilen und Verurteilungen zu schützen, anstatt zu sagen, hoppla, ich weiß vielleicht doch nicht alles, es gibt mehr als ich mir vorstellen kann.
B: In Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich in Myron Sharafs Reich- Biografie den Prozessbericht nachgelesen. Darin schreibt er auch über Reichs `Anhänger´: „Wir wussten wenigstens von unserer eigenen Kleinheit und Schäbigkeit, unseren Widerständen, unseren Ängsten, unserer Besserwisserei, unserer Trägheit oder Gleichgültigkeit oder unserem Sich-Verkriechen, was immer es im einzelnen Fall gewesen sein mag.“ Eigentlich ist Reich genau das widerfahren, was er im „Christusmord“ beschreibt.
Dass er etwas berührt hat, was extreme Ängste unbewusster Art ausgelöst hat und dann wirklich „tödlich“ darauf reagiert wurde. Er wurde als paranoid, größenwahnsinnig abgetan, in’s schizophrene Eck gestellt. Wie Sharaf Wilhelm Reich beschreibt – und das ist auch im Film für mich so herübergekommen, ist er ein durchgängig rationaler Mensch gewesen, selbst in dieser Phase der extremen Belastungen. Im Gegensatz dazu schreibt David Boadella in seiner Reich-Biografie, dass er zum Schluss wirklich in den paranoiden Wahn abgeglitten und nicht mehr Herr seiner Sinne war.
A: Gut, aber Boadella hört ja auch vor dem „späten“ Reich auf; er schreibt nichts mehr über Cloudbusting, etc.
B: Im Kapitel „Das letzte Jahr“ schreibt Boadella, dass Reich eine Zeit lang die Belastungen durchgehalten hat, jedoch am Schluss wie von einem Krebs aufgefressen worden ist, und er spricht in diesem Zusammenhang von paranoidem Wahn. Gab es Hinweise von Zeitzeugen zu einer Erkrankung in diesem Sinne?
A: Das ist nicht mehr feststellbar. Was man weiß, seit mit dem `Act of Freedom´ in den späten 70er Jahren in die Akten der FDA Einsicht genommen werden konnte, ist, dass die Verfolgung Reichs über eine Million Dollar gekostet hat – für einen Gegenwert einer Strafe von etwa 12.000.- Dollar, da meine ich, dass das ein schlechtes Geschäft für die FDA war. Über neun, zehn Jahre hinweg wurde Reich beschattet und bespitzelt. Da kann man nicht von Paranoia reden. Das hätte Boadella auch wissen können, wenn er es wollen hätte.
Aber wir wollen anscheinend immer nur das wissen, was unserem eigenen Weltbild gut tut. Mein Vorteil ist, dass ich kein `Reichianer´ bin. Ich schaue mir das Ganze weltzusammenhängend an. Und Reich ist ja nur einer von vielen, die mundtot gemacht wurden. Sobald es um das Naschen vom Baum der Erkenntnis geht, wird das sehr schnell und radikal instrumentalisiert, mystifiziert und abgetötet. Wenn es um Macht geht, muss sie in den Händen sein, die die Kapital- und Waffenvorherrschaft haben; dort kann und darf es elaboriert werden, aber es darf sicherlich nicht frei zirkulieren.
Wie gesagt, ich bin kein Reichianer, ich bin kein Körpertherapeut, ich muss mich da nirgendwo einfinden, ich bin frei in meiner Betrachtungsweise.- „Der Fall Wilhelm Reich“ ist deshalb kein realistischer Film, weil es mir nicht um einen Personenkult oder um eine Wiedergutmachung geht, sondern um meine eigene Vision und mein Gefühl, das ich habe, wenn ich mich mit Reich beschäftige. Ich möchte in meinem Film seinen Traum durchschillern lassen, und dieser Traum soll das Publikum erreichen. Es sollte nicht ein verstörter, exaltierter und jähzorniger alter Mann gezeigt werden. Natürlich kann man ihn auch so darstellen, aber nur dann, wenn man wirklich seine ganzen sechzig Lebensjahre zeigt; dann ist das nachvollziehbar.
Wenn ich nur einen Ausschnitt zeige und man nicht weiß, dass er die letzten zwanzig Jahre seines Lebens über den ganzen Globus verfolgt und in Grund und Boden geschrieben wurde, dann bleibt halt ein `Verrückter´ über. Das war nicht meine Absicht. Ich musste das dosieren und habe dazu mit Brandauer ausgiebig Überlegungen angestellt: Was wollen wir und was wollen wir nicht zeigen? Dementsprechend habe ich eine subjektive Wahl getroffen.
B: Was meinst Du mit `Deiner Vision´? Womit wolltest Du das Publikum erreichen – es ist ja Deine eigene Begeisterung.
A: Na ja, meine Vision – damit meine ich natürlich, was ich als Reichs Vision erkenne. Ich wollte einen Ist-Zustand der damaligen Zeit zeigen. Da geht es um die Faktoren, die rundherum wirksam waren und nicht um eine Retrospektive oder eine obergescheite Draufsicht von heute auf damals. Ich wollte zeigen, wie das alles in Nonsens, Uninformiertheit etc. eingebettet war und wie wenig reicht, dass man verurteilt wird. Das eine ist also der zeithistorische Moment, und das andere hat mit meinen persönlichen Erfahrungen zu tun, die ich in der Ausbildungsgruppe und in Einzelsitzungen erlebt habe – und das hat sehr viel mit Liebe zu tun.
Wenn sich Menschen ihrer Fähigkeiten wieder bewusst werden, bzw. in Zustände kommen, wo sie sich auch wieder selber spüren können und nicht nur Opfer ihrer Umwelt sind, beginnt sich etwas zu bewegen. Das kann man auch in der politischen Haltung und in der therapeutischen Haltung Reichs sehen und erleben. Mit der Überwindung der Psychoanalyse und der Hinwendung zur energetischen Arbeit, die er in der Therapie mehr und mehr forciert hat, geht es darum, den Intellekt, das gesellschaftlich Geprägte zu überwinden, um wieder auf das Existenzielle im Menschsein in einer universellen und energetischen Form zu kommen.
Das kann dann jedem nur gut tun, nämlich so wie er es selber braucht, also die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Langsam scheint das auch bei unseren Krankenkassen anzukommen. Das ist eine Vision und eine Wahrheit, die Reich sehr kämpferisch verteidigt bzw. gefordert hat. Ich wollte sichtbar machen, dass er eigentlich ein Menschenfreund, ein Menschenliebhaber war – im Sinne von Mensch-Sein, nicht auf einer psychischen Ebene, sondern auf einer phänomenalen Ebene.
B: Ich finde, das kommt wunderbar heraus. Es ist sehr viel Zärtlichkeit spürbar, eine unermessliche Zärtlichkeit. Zum Beispiel, wie er mit dem jungen Mann therapeutisch arbeitet, oder auch in Bezugnahme zu seinem Sohn und zu seiner Tochter. Was mich zusätzlich sehr stark berührt hat: Für mich ist der Film ein radikaler Aufruf, in dem Sinne, wie er beispielsweise zu seiner Tochter sagt: „Wir können uns nicht darum kümmern, was die anderen Leute sagen.“
Also irgendwie die Entschiedenheit zu: „Worum geht es eigentlich in meinem Leben?“ Ich habe den Film sehr inspirierend gefunden; auch um aus dieser Kleingeistigkeit herauszutreten, in der wir so gefangen sind, vor allem in letzter Zeit durch die Sorgen um unsere Existenz und dass da einer dran bleibt bis zum Schluss.- Heiko Lassek hat ja wohl viel mit Dir an den Dialogen gearbeitet….
A: Nein. Wir haben lange über Szenen usw. gesprochen. Aber Heiko war drei, vier Jahre vor Drehbeginn das letzte Mal involviert. Die Dialoge habe ich mit Brandauer bearbeitet und das Drehbuch von 110 Seiten auf 70 Seiten reduziert. Wir haben lange an den Dialogen gefeilt, weil Brandauer eher sein Umfeld sprechen lassen wollte, als dass er ständig selber propagiert, um was es ihm, also Reich, geht; das ist immer die schwächste Position, wenn man alles selber erklären muss.
Daher ist sehr viel verändert worden. Es gab zwei, drei Stellen, wo ich Heiko gebeten habe, z.B. zum Thema Krebs, von seiner Erfahrung und seiner Arbeitsweise her, Ratschläge zu geben. Die Dialoge mussten extrem zugefeilt werden, damit sie auch dramaturgisch zwischen den Figuren funktionieren. Mit Heiko habe ich vierzehn, fünfzehn Drehbuchfassungen entworfen, die mit dem jetzigen Film gar nichts mehr zu tun haben.
Aufgrund der Budgetvorgaben mussten wir den Aufwand möglichst schlank halten. Uns war klar, dass wir nicht so viele Schauplätze nachbauen können und haben Prioritäten setzen müssen. See und Wüste waren zwei Prämissen. In Österreich haben wir im Waldviertel, am Ottensteiner Stausee, gedreht. Die Wüstenszenen, die Amerika suggerieren, wurden in Spanien gedreht.
B: Was Authentizität versus filmdramaturgische Aufbereitung betrifft: Es wird ja angedeutet, dass es ein Verhältnis zwischen Reich und Aurora Karrer gegeben hat – und dann wird Aurora als Agentin dargestellt. Diese Annahme habe ich in der Literatur nirgendwo gefunden.
A: Ich glaube schon, dass es dazu Annahmen gibt. Peter Reich hat sie lange gesucht und 1998 in einem Irrenhaus aufgestöbert. Und dann soll er noch Unterlagen am Dachboden ihrer Mutter entdeckt haben. Es ist sehr fraglich, ob sie das gestohlen oder aus Eigeninteresse gesammelt hat. Man weiß aber, dass Akten weggekommen sind, man weiß, dass der Orgonmotor gestohlen wurde.
Aurora steht letztlich und exemplarisch auch nur für all diese Momente, weil man in einem Film nicht die Möglichkeit hat, so viele Figuren unterzubringen. Reich hat ihr halt vertraut, so wie er seinen Mitarbeitern immer vertraut hat oder vertrauen wollte und damit oftmals schlechte Erfahrungen gemacht hat. Bis zum Schluss. In einer früheren Sequenz, die nicht mehr im Film vorkommt, gab es eine Szene, in der Reich im Zuge der Gerichtsverhandlung, als die Geschworenen sich beraten haben, seine Mitarbeiter herbeiholt, um mit ihnen seinen Nachlass zu besprechen.
Zu dem einem sagte er: „Du bist mir zu fahrig und kannst die Körpertherapie nicht weiterführen, du übernimmst aber die administrativen Angelegenheiten“, zu einem anderen meinte er: „Du kannst die Körpertherapie von mir autorisiert weiterführen.“ Er schien schon das Gefühl gehabt zu haben, dass seine Arbeit dadurch weiterleben kann und hat sich letztlich dann auch so anvertraut.
B: Was ich nicht ganz verstanden habe: Der Gerichtspsychiater sucht Hamilton, den Erst-Richter, am Golfplatz auf, der im weiteren Verfahren nicht mehr Richter war. Einerseits steht im Raum, dass er abberufen, in Frühpension geschickt wurde, aber seinerseits sagt er, dass seine Frau todkrank gewesen sei.
A: Das ist ein Moment, um in gewisser Weise auch Ambivalenz zuzulassen, um das Ganze nicht zu eindimensional zu erzählen. Jetzt bin ich in Frühpension geschickt worden, obwohl ich diesen Fall behandle, warum passiert das? Und da gibt es einen möglichen Grund – aber es gibt eben auch andere Gründe.
Und welchen Gründen folgt man dann? Man ist ja selten mit einer Klarheit von Ursache und Wirkung konfrontiert. Und wenn er meint, das ist halt Schicksal, dann stellt sich die Frage, ob Schicksal vielleicht auch unsere Bestimmung ist. Darum dreht sich für mich vieles, was auch letztlich Wilhelm Reich betrifft.
B: Und es bleibt damit auch in dieser Spannung und geht nicht in die Eindimensionalität hinein, so dass es nicht nur Propaganda ist.
A: Ich meine, dass es ohnehin ein Propaganda-Film ist. Trotzdem gibt es aber immer noch ein Netz an Möglichkeiten, sich objektiver diesem Thema zu nähern. Deshalb steht im Nachspann des Films, dass keine Autopsie gemacht wurde. Tatsächlich wurde Reich aber obduziert, und laut FBI-Akten wurde sehr wohl Gift – Formaldehyd – in seinem Magen gefunden, was dann eher auf eine Vergiftung hinweist.
B: Das ist aus den FBI-Akten kundig geworden. Ich habe in der Reich- Biografie von Bernd Laska nachgelesen: Reich wurde obduziert, es konnte aber kein Gift nachgewiesen werden.
A: Wann ist dieses Buch erschienen? B: 1981….
A: Den `Freedom of Information-Act´ gibt es seit etwa 1978; damals wurde sukzessive mit der Veröffentlichung begonnen. Da hatte Laska offenbar noch nicht diese Informationen. Der Forderung von Reichs Familie nach Obduktion wurde vorerst nicht stattgegeben, und dass man damit leben muss ist für mich viel unheimlicher, als dass er vergiftet worden wäre.
Das ist etwas, mit dem wir ständig konfrontiert sind. Aus unerfindlichen Gründen passieren Dinge, und wir bekommen darüber keine Aufklärung. Ich finde diese Ohnmacht bedrückender als schuldig- nichtschuldig, als die „Klarheit“ über Gut oder Böse. Die Ohnmacht ist das eigentliche Übel.
B: Ich habe noch ein paar Fragen zum Film: Haben die Schauspieler, insbesondere Brandauer, Reich-Sitzungen zur Vorbereitung gehabt?
A: Nein. Aber ich war einmal mit Heiko bei Brandauer in Altaussee. Mit dabei waren auch Jeanette Hain, Julia Jentsch und Jamie Sives, der Hamilton spielt. Wir haben zwei Tage lang über Reich geredet, wir haben uns das Filminterview mit Myron Sharaf angesehen, in dem er über seine Beziehung zu Reich spricht, wir haben eine Behandlung zur Demonstration an einer Regieassistentin gesehen und haben Bücher aufgelegt. Und wir haben von Heiko viel Hintergrundrauschen über Reichs Arbeit gehört. Ich wollte einfach diesen Kosmos den Schauspielern öffnen und für sie greifbar machen.
B: Weiß man etwas über Besucherzahlen?
A: Da bin ich zufrieden. Vier Wochen nach Spielbeginn haben den Film etwa neunzehntausend Personen gesehen. Das ist knapp ein bisschen weniger als der neue Ulrich Seidl-Film „Paradies Hoffnung“. Da muss man sich nicht verstecken. Es ist ja auch ein „Art-House-Film“ mit einem Special-Interest-Thema. Mit den guten Zahlen haben wir auch einen deutschen Verleiher neugierig gemacht, der den Film Anfang September in Deutschland starten wird.
B: In welchen weiteren Ländern wird der Film zu sehen sein?
A: In der Schweiz und im Sommer auf einem Festival in San Francisco, mehr weiß ich noch nicht.
B: Die Schauspieler, auch die österreichischen und deutschen, sprechen Englisch. Haben die sich selbst synchronisiert?
A: Die deutschsprachigen SchauspielerInnen haben sich selbst synchronisiert, und für die anderen haben wir professionelle Sprecher und Sprecherinnen eingesetzt.
B: Und wie viel hat der Film gekostet?
A: Knapp über drei Millionen Euro. Das ist für so einen Film, einen historischen Film, mit so vielen Schauspielern und der auch noch in Amerika spielt, nicht viel. Man muss ja Bauten errichten, Häuser und Grundstücke anmieten und Ersatzstücke von weiß Gott woher bringen, zum Beispiel die Autos aus USA. Wir mussten uns am knapp bemessenen Budget orientieren; was ist möglich auch mit Bedacht, damit es nicht merkbar `dünn und billig´ erscheint.
Man mag den Film mögen oder nicht, aber die Reaktionen zeigen, dass er vom Setting und von der Atmosphäre her sehr dicht ist. Niemand zweifelt daran, dass die Handlung im Amerika der fünfziger Jahre spielt. Das ist schon sehr schön, denn dazu gab es dem Projekt gegenüber am Anfang doch einiges an Skepsis.
B: Ihr habt Euch doch sehr vertieft in Reich und all dem, was er in die Welt gebracht hat. Auf welche Art haben die Filmarbeiten die Schauspieler geprägt? Hat es da einen bestimmten `Geist´ gegeben?
A: Ein Filmdreh ist einfach harte Arbeit. Das Projekt ist unter einem extrem guten Stern gestanden. Wir hatten zum Beispiel großes Glück mit dem Wetter. Anfang Oktober haben wir im Waldviertel gedreht und haben dort noch Sommer vorgefunden. Das geht in Wahrheit gar nicht, dass man zu dieser Jahreszeit am Ottensteiner Stausee solches Wetter hat und dass Julia Jentsch dann noch schwimmen gehen kann. In der Früh haben wir die Herbstnebel aufgenommen, und zu Mittag haben wir im Sonnenschein gedreht.
Erstaunlich war, dass auch die englischsprachigen Kollegen, wie z.B. David Rasche, der in Amerika doch immer wieder in großen Hollywoodproduktionen mitspielt, sehr angetan waren und sich gefreut haben bei diesem Filmprojekt mit zu machen. Und es ist ja auch etwas Spezielles, wenn man das Gefühl hat, dass es da einiges an Dankbarkeit auf dem Set gibt. Insofern war schon bei allen spürbar, dass es hier nicht bloß um eine Geschichte geht, sondern dass etwas Besonderes im Raum steht.
B: Welche Rolle hat Heiko Lassek in diesem Projekt gespielt?
A: Heiko war von Beginn an ein ganz wichtiger Begleiter des Projekts. Wir haben über viele Jahre hinweg gemeinsam recherchiert. Wir waren zwei Mal gemeinsam in den USA, und er hat mir den Zugang zu Peter Reich, Eva Reich und anderen ermöglicht. Mit Mary Higgins und Kevin Hinchey hatten wir auch Frustrationserlebnisse. Ich würde Heiko als wissenschaftlichen Berater oder auch als `Head of Research´ bezeichnen.
Und natürlich war er auch derjenige, der mir gewissermaßen die Rechte, die Autorisierung, Reich als Film zu erzählen, gegeben hat, die er wiederum von Eva Reich erhalten hat. Das war eine ganz wichtige Autorisierung. Ob wir für den Film in den USA einen Verleih finden werden, ist sowieso noch eine große Frage. Zumindest ist das Match klar zwischen dem `Trust Fund´ und Eva Reich und Heiko. Amerika ist Amerika, Europa ist Heikos Angelegenheit.
B: Gibt es noch eine Frage, die Du gerne gestellt bekommen hättest?
A: Nein. Erstaunlich finde ich aber schon, dass sich nichts verändert hat, wenn man sich die Rezeption in den Medien ansieht. Wenn man sich auf etwas einlässt, in gewisser Weise offen ist, dann kann einen der Film berühren und dann wird er auch zu einem Erlebnis. Wenn man nur mit dem Kopf dabei ist und aus dem westlich-weltlichen Schuh-Karton noch nie hinausgedacht hat, dann bleibt alles so wie vor fünfzig Jahren.
Dann ist der Reich-Kosmos eine Spinnerei, dann ist alles Propaganda, etc. Ich habe nicht erwartet, dass es doch eine Anzahl von Leuten gibt, die von ihren Vorurteilen so geprägt und schnell verurteilen und keine Fragestellung, keine Selbst-Infragestellung zulassen. Das finde ich erstaunlich.
B: Das war ja auch in diesem ZEIT-Artikel zu lesen. Der Autor hatte z.B. auch Gelegenheit, den Reichschen Therapieansatz bei Tina Lindemann persönlich kennenzulernen und schien auch durchaus beeindruckt. Und dann liest man da von „Orgasmusguru“, etc. Ich habe einen Leserbrief an die Redaktion geschickt mit der Retourantwort, dass für die Österreich- Beilage keine Leserbriefe veröffentlicht werden. Ich bin richtig erschrocken, wie da zugeschlagen wird.
A: Ich glaube, es ist schwierig, einen Journalisten damit zu konfrontieren. Auf privater Ebene öffnet sich vielleicht ein kleines Fenster, aber gleichzeitig spürt er auch, wie schwer es ist da durchzugehen. Da besteht die Gefahr, dass es zu einem Boomerang-Effekt kommt. Der Chefredakteur soll das Ganze noch einmal verschärft haben. Der wollte kantigere, polarisierende, provozierende Dinge drinnen stehen haben. Aber so funktioniert halt das Zeitungsgeschäft.
B: Hast Du auch andere Erfahrungen gemacht?
A: Ja, von Menschen, die sich nicht bemüßigt gefühlt haben, intellektuell darüber zu sprechen, Menschen die den Film angesehen haben und ihn einfach als Erlebnis und als Erfahrung mitgenommen haben. Das war sehr positiv.
B: In der Presse überwog die Tendenz eher zur kritischen, teilweise abwertenden Distanz….
A: Nicht nur. Es war z.B auch zu lesen: „Ein Filmdenkmal, ganz aus Film“. Es gibt durchaus auch sehr positive Kritiken. Aber ehrlich gesagt ist mir das bei diesem Thema auch nicht so wichtig. Ich habe ihn nicht als Autorenfilm angelegt, ich habe mich nicht mit meiner Autoren- Kunsthandschrift in den Vordergrund stellen wollen. Der Film ist kein Aufreger, eher eine Provokation durch seine Langsamkeit und Stille.
B: Ich finde den Film sehr `innerlich´, also mit einer Bewegung eher nach Innen. Es gibt für mich eine einzige Szene, und zwar die, in der Reich die Orgonakkumulatoren zerstören musste, in der wirklich ein heftiger Ausdruck zu spüren ist. Ich finde die Bewegung der Verdichtung nach innen sehr schön.
Das ist auch im energetischen Sinn stark spürbar, und damit steht dieser Film für mich auch sehr konsequent für das Werk Wilhelm Reichs. Es geht ja nicht darum, dass die Leute außer sich geraten, sondern dass sie zu sich kommen und die Intensität des Erlebens stärker spürbar wird. Ich finde, dass das sehr schön herauskommt. Danke Antonin, eine sehr beglückende Erfahrung für mich!