19 Aug
Bukumatula 1/2014
von
Renate Wieser:
Was „strömt“ denn da beim Theaterspielen? Ja genau: das in der Reich´schen Arbeit wohl bekannte „vegetative Strömen“ ist gemeint! Es tritt auf, wenn wir uns voll dem Leben hingeben – wenn wir aus unserem liebenden und kooperativen Wesenskern heraus mit der Welt in Beziehung treten. Wenn unser mitgebrachtes schöpferisches Potential frei fließen darf, wir eins mit uns selbst, authentisch das ausdrücken, was wir wirklich wollen – in all den von uns gewählten Rollen auf der Bühne des Lebens.
Das streben wir in jeder Form der Reich´schen Therapie an. Wie kommt jetzt das Theater ins Spiel?
Al Baumann, einer der wichtigsten Lehrtherapeuten der österreichischen Reich-Community, entwickelte „Streaming Theater“ Anfang der 50er Jahre. Er war selbst Künstler – er unterrichtete damals Klavier an der Columbia University – und hatte gerade seine Reich´sche Analyse bei Simeon Tropp abgeschlossen.
Seine damalige Frau Judy tanzte in der Martha Graham Company. Al experimentierte damit, das, was er an Entwicklung seines eigenen authentischen, künstlerischen Ausdrucks durch die Reich´sche Therapie gewonnen hatte, auf den Ausdruckstanz umzulegen. Er entwickelte daraus ein Programm für die Martha Graham Company- „Streaming Theater“ war in den Grundzügen geboren.
Im Kern ist es Reich´sche Therapie in Aktion: Wir gehen achtsam mit unserer Aufmerksamkeit nach Innen, zu unseren Gefühlen und körperlichen Empfindungen, heben energetische Blockaden ins Licht des Be- wusstseins und befreien sie durch den Ausdruck unseres Körpers und unserer Stimme. Im „Streaming Theater“ kommen wir dorthin über das Spielen.
Al entwickelte es später in Projekten weiter, die sich mit Resozialisierung („Talk back“-Theater) und Kindererziehung (im Rahmen von Synanon) beschäftigten. In den 80er Jahren brachte unser Lehrer Michael Smith seinen Lehrer Al mit nach Europa, und in den großen Sommerwork- shops in Aix-en-Provence kamen wir in den Genuss der Früchte seiner Arbeit. An seiner Seite unterrichtete uns Emily Derr, ehemals Opern- sängerin. Sie arbeitete bis zu Al´s Tod 1998 eng mit ihm zusammen.
„Streaming Theater“ wurde später hauptsächlich von Miriam Kaufmann und Loil Neidhöfer aufgegriffen und weiter entwickelt. In den 90er Jahren arbeitete eine Gruppe österreichischer TherapeutInnen noch lange Zeit eng mit Loil zusammen. Danach verschwand „Streaming Theater“ in Österreich lange von der Bildfläche. Angeregt durch meine wieder erwachte Spiellust, die in einer intensiven Schauspiel- und Theaterpä- dagogik-Ausbildung gipfelte, freue ich mich, diese wundervolle Arbeit wieder vor den Vorhang zu holen. Besonders freut es mich, Emily Derr für ein „Streaming Theater“-Projekt gewonnen zu haben.
Was erwartet die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in unseren Work- shops?
Al´s Ansatz fokussiert stark auf „pivot points“, Dreh-und Angelpunkte im Körper, in denen strategisch wichtige Blockierungen gebunkert sind. Diese zu befreien ist ein Kernstück der Arbeit. Wir verwenden darüber hinaus viele Übungen, die aus der Schauspielausbildung, dem Clowning und dem Improvisationstheater bekannt sind. Das Besondere daran ist unser Fokus: Wir bringen UNS SELBST auf die Bühne und stellen UNS SELBST und unserer Befreiung all die Übungserfahrungen zur Verfügung, die in anderen Kontexten einer Rolle in einem Stück gewidmet sind.
Die Bearbeitung von vorgegebenem Text und seine Performance steht daher nicht im Mittelpunkt unserer Arbeit. Studierende und Praktizierende von Schauspiel, Gesang und Musik unterstützt „Streaming Theater“ das in sich zu finden, was den persönlichen Ausdruck ausmacht. Nur Emotionen und Befindlichkeiten, die wir selbst in uns finden und denen wir authentischen Ausdruck verleihen können, finden das Herz des Publikums. Wenn ich etwas davon bei mir selbst in den Schatten des Unbewussten stelle, kann ich aus diesem Repertoire nicht frei wählen – bestenfalls imitieren.
Dasselbe gilt für Menschen, die ihr authentisches „Standing“ in ihren Lebensrollen verbessern möchten. Wie ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Kommunikationstrainerin und als Coach weiß, hängt beruf- liche Erfüllung und damit verknüpfter Erfolg oft mit diesem „Standing“ in der Rolle zusammen – das gilt für alle, die mit Menschen arbeiten. Für PsychotherapeutInnen und Sozial- und LebensberaterInnen ist Selbsterfahrung ein integraler Bestandteil der Ausbidung.
„Streaming Theater“ ist eine freud- und lustvolle Möglichkeit einen Teil davon zu absolvie- ren. Darüber hinaus ist „Streaming Theater“ für alle Menschen geeignet, die Schritte zur Selbstbefreiung mit der Lust am Spielen verknüpfen möchten – oder solche, die das Spiel wieder entdecken wollen, weil sie gelernt haben, sich in ihrem Leben viel zu wenig davon zu gestatten.
Obwohl wir mit therapeutischen Mitteln arbeiten, ist „Streaming Theater“ kein Ersatz für Psychotherapie im Krankheitsfall. Alle unsere TeilnehmerInnen übernehmen für ihre Erfahrungen selbst die volle Verantwortung.
__________________________________________________________________________
Renate Wieser (Jg.1952) lebt und arbeitet in Wien Mitglied des WRI seit 1983; Psychotherapeutin, systemischer Coach und Organisationsberaterin Ausbildung in Schauspiel und Theaterpädagogik.
Emily Derr (Jg. 1938) lebt in Santa Fe (N.M.), hält Workshops in USA, Brasilien und Europa ursprünglich Opernsängerin (N.Y. City Opera). Seit ihrer Verbindung mit Al Baumann (1982), langjährige Zusammenarbeit mit ihm bis zu seinem Tod 1998; Reich´sche Körpertherapeutin und Ausbildnerin für `Core Synchroni- city´ (Cranio Sacral Therapie mit Elementen von Polarity).