24 Mai
BUKUMATULA 1/1988
Interview mit Nadine Hauer
Wolfram Ratz
Am 21. April 1987 wurde in ö1 „Radio Diagonal“ der Beitrag „Zur Person Wilhelm Reichs“ gesendet. den Nadine Hauer mitgestaltete. Nadine Hauer ist Journalistin und freie Mitarbeiterin beim ORF. Das nachfolgende Gespräch mit ihr führte Wolfram Ratz.
W: Wie sind Sie eigentlich auf Wilhelm Reich gestoßen?
N: Wie war das? Ja, es war so, daß ich einmal in einer Buchhandlung, eher so im Herumstöbern auf das Buch gestoßen bin von der „Sexuellen Revolution“. Das war Mitte der siebziger Jahre, also nicht im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung. Ich habe dieses Buch gelesen, und es waren zwei Dinge, die mir dabei aufgefallen sind: Erstens, alles, was da geschrieben stand, war für mich so klar, daß ich mir gedacht habe, warum muß man das so schreiben, das ist ohnehin klar. Ich habe so den Eindruck gehabt, daß da jemand Dinge niederschreibt, die für mich selbstverständlich waren, wobei mir aber gleichzeitig klar war, daß es offensichtlich nicht selbstverständlich ist, daß man es so schreibt.
Und das Zweite, das mich sehr fasziniert hat, war, daß in diesem Buch, im Anhang, eine Auseinandersetzung Wilhelm Reichs mit der Sowjetunion war, und zwar eine sehr kritische. Und das hat mich sehr beeindruckt, weil ich den Eindruck gehabt habe, das ist jemand, der mit einer unheimlichen Klarheit Dinge vorweg sieht, die dann so eindeutig gekommen sind und sich entwickelt haben, daß ich mir gedacht habe, also, der ist ein Hellseher, oder was ist da los.
Ich habe den Eindruck gehabt, daß das ein Mensch ist, der unheimlich rasch sieht, spürt, oder wie man das nennen will, wie was läuft, und der auch imstande ist, das gleichzeitig mit einer unheimlichen Klarheit und in einer sehr einfachen Sprache niederzuschreiben, auch wenn es im Augenblick noch so aussieht als „Unsinn, ist nicht wahr“, auch, wenn alles dagegen spricht. Das war eigentlich mein Einstieg. Und alles, was ich später gelesen habe, hat mich darin eigentlich eher bestärkt.
Der spätere Reich war für mich eine Zeitlang ein unheimliches Problem. „Der Krebs“, zum Beispiel, noch nicht; die Psychosomatik war mir eigentlich auch immer sehr einsichtig. Bei den späteren Sachen habe ich eine Weile gebraucht, und dann bin ich selber an dem Punkt gestanden, wo ich mir gesagt habe: Es gibt viele Dinge, die man nicht erklären kann. Ich bin nicht jemand, der sagt, daß etwas falsch ist, nur weil ich es mir nicht vorstellen kann.- Ich war also bereit, das aufzunehmen. Ich nehme gleich vorweg, daß die „Tagung für Lebensenergie“ in Berlin mir eine große Hilfe war; bis dahin bin ich eher „geschwommen“.
Bei manchen Sachen habe ich so gefühlsmäßig den Eindruck gehabt, das könnte schon stimmen, aber gelegentlich war mir dann schon klar, daß Reich psychisch manchmal „umgekippt“ ist, ja, also, ich möchte alle Begriffe mit geistesgestört nicht verwenden, aber ich glaube, er war psychisch oft in Ausnahmesituationen. Und da waren dann die Beschreibungen von manchen Sachen so, daß ich zwar den Eindruck gehabt habe, das, was er sagt, ist nicht falsch, aber die Art, wie er es sagt, hat etwas unheimlich Verbissenes, ja, da hab ich dann manchmal Schwierigkeiten gehabt.-
Es war so, daß ich oft in Volkshochschulen – im Rahmen der Politischen Bildung, zum Beispiel – Reich immer wieder hineingebracht habe. In der ganzen Auseinandersetzung mit der Psychologie war er für mich sehr wichtig. Ja, und dann mein journalistischer Versuch, Reich auch im ORF unterzubringen, mit all den Pleiten, bis – ja, das kenn‘ ma – (lacht).
W: Wie sehr ist Ihrer Erfahrung nach Reich bekannt, etwa auch von Ihren Interviews her?
N: Ich möchte sagen, er ist schlichtweg unbekannt, und zwar sogar bei Leuten, von denen ich weiß, daß sie eigentlich über eine gute Allgemeinbildung verfügen, für die etwa Freud etwas Selbstverständliches ist. Wenn ich Wilhelm Reich erwähnt habe, bin ich durchwegs auf die Reaktion: „Wilhelm Reich? Wer ist das?“ gestoßen.
W: Und in den Medien?
N: Ebenso. Wenn man einem Journalisten erst einmal von Adam bis Eva erklären muß, worum es geht, dann hat er schon genug. Die peinlichsten Abstürze habe ich gehabt, wenn ich in eine Redaktion oder in den Rundfunk gekommen bin und gesagt habe, ich möchte etwas machen über Wilhelm Reich. Bei einer werde ich nie vergessen, wie sie darauf gesagt hat: „Müsste ich den kennen?“, da hab ich gewußt, oh je, verloren (lacht), ich hab’s dann auch nicht gekriegt.
Und wenn ihn jemand gekannt hat, dann bekam er vor allem das Pickerl „Kommunist“. Ich bin weniger konfrontiert worden mit „irr“ oder „geistesgestört“ – also im Medienbereich – sondern mit „Kommunist“. Das war die Hemmung hier, ich glaube, es war primär eine politische – in Klammer eine sexual-politische.- Die Angst – aber das weiß eh‘ niemand – er sei geistesgestört, das würde gerade bei uns niemanden stören, das wäre eher faszinierend. über Ludwig den Zweiten redet ja auch jeder.
W: Was fängt etwa der ORF mit Reich an, jetzt abgesehen von der Sendung. Kennt den jemand dort, oder wollen sie ihn nicht haben?
N: Es ist schon länger her, daß ich Reich das erste Mal im ORF unterbringen wollte, und zwar bei einem Kollegen, den ich gut kenne und der eher sehr aufgeschlossen ist. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß ich zu ihm gesagt habe, es würde mich sehr reizen, etwas über Wilhelm Reich zu machen; ob er das mit mir machen würde. Darauf hat er mir so im Scherz gesagt: „Aber nur knapp vor meiner Pensionierung“ – was ja eine Menge sagt! Ich glaube, daß man bei Reich vor allem befürchtet, daß er – was weiß ich – die Massen mobilisiert. Mein Eindruck ist, daß er vor allem als Kommunist verschrien ist. Ja, und die Angst davor ist noch größer, meiner Meinung nach, als alles, was mit Sexualität zu tun hat, weil in irgendeiner Art tätn’s damit schon fertig werden, darüber redt‘ man schon. Denn wenn man den Bornemann reden läßt, bitte, im ORF, dann kann man über Reich auch reden. Der Bornemann ist ja keine – wie soll ich sagen – Unfigur mehr, ich meine, man liebt ihn nicht, aber man ist schon so weit, daß man ihn reden läßt. Ich halte die Ablehnung von Wilhelm Reich für eine rein politische. In Bezug auf Sexualität würde man ihn zwar nicht lieben und würde sehr vorsichtig mit ihm umgehen, aber man würde sich als modern und aufgeschlossen sehen; es wäre „in“ sozusagen: „Wir setzen uns sogar mit dem Reich auseinander“ .- Über den „späteren“ Reich wissen’s nichts, und daher hängen sie sich da nicht an, weil sonst hätten sie ihn vermutlich schon als den großen Antikommunisten verkauft. Aber so weit sind die, meiner Meinung nach, noch nicht. Ich weiß, das klingt jetzt sehr brutal, aber das ist meine Einschätzung.
W: Reich war einen Bruchteil seines Lebens Kommunist.
N: Ich glaube, daß das, was Reich in seiner kommunistischen Phase gemacht hat, ja nicht weggefallen ist, er hat das nur in eine andere Verkleidung gebracht. Im Grunde hat er, meiner Meinung nach, so grundsätzliche Dinge – ich meine, die Charakteranalyse kommt zwar nicht mehr vor, aber ich glaube nicht, daß er die ad acta gelegt hat, sondern er hat einfach versucht, das weiterzuführen. Also sagen wir so: Man kennt den Reich nicht, und wenn man ihn kennt, dann weiß man, daß er Kommunist war. Das ist mein Eindruck. Aber die Leute, die wissen, daß er sich sehr viel mit Sexualität beschäftigt hat, ich glaube nicht, daß die schon so einen Horror davor haben. Nicht daß ich der Meinung bin, daß die Sexualität wirklich freier geworden ist, nämlich in Echtheit, aber man redet freier darüber. Auch in den Medien ist dieses Thema populär. Vor zwei, drei Jahren sollte ich einen Artikel schreiben, für den „Wiener“. Immerhin wollten sie’s nehmen, aber da war damals ein Chefredakteur, wo’s geheißen hat, na ja, der interessiert sich für Reich. Das ist betont worden, weil der sich interessiert, ja, sonst hätte ich vielleicht auch keine Chance gehabt. Aber das ist mir woanders auch passiert. Ich habe einmal eine Geschichte geschrieben über Moreno, den Urheber des „Psychodrama“. Den kennt man auch nicht, und wenn, dann weiß man, das ist so ein Wilder, der hat die Prostituierten dazu gebracht, daß sie auf die Straße gegangen sind. Aus – kein Thema. Das war ja auch ein Wiener und hat hier gefuhrwerkt. Es war unmöglich, ihn irgendwo unterzubringen.- Ich habe so den Eindruck, alle, die irgendwie politisch revolutionär waren, die werden in Österreich nicht geliebt.
W: Glauben Sie nicht, daß reaktionäre Kräfte „mit Hilfe“ von AIDS das Thema Sexualität nicht wieder zum Verschwinden bringen werden?
N: Mein Eindruck ist, daß das Thema nicht verschwinden wird; es wird bleiben, sozusagen von der anderen Seite her. Man kann über Sexualität anfangen, mehr zu reden, weil’s was Gutes ist und man kann weiter viel über Sexualität reden, um dauernd zu sagen, wie gefährlich und grausam es ist. Also – im Augenblick scheint mir, daß über Sexualität geredet wird, aber eher unter dem Aspekt „aufpassen“, und „um Gottes willen“, und „eigentlich muß man ja nicht“, und so. Vielleicht kommt wieder eine Phase, wo das als Thema verschwindet, aber daß das gleich passiert, glaube ich nicht. Alles, was man da, etwa in Illustrierten, zu lesen bekommt über das Thema Sexualität, ist: „AIDS, eine neue Möglichkeit für die Liebe“, und dann heißt’s: „Sexualität ist ja nicht alles“. Das heißt, es wird jetzt genommen als Argument, daß es nicht sein muß, weil es eh‘ gefährlich ist und dahinter steht: „Na, da sieht man ja, wohin uns das gebracht hat“.
W: Haben Sie den Eindruck, daß oft, je nach Bedarf, nur ein Aspekt der Arbeit Reichs herausgenommen wird und dann ein falsches Bild entsteht?
N: Es gibt wenige, die akzeptieren, das man Reich als Ganzes nehmen muß, ob’s einem Spaß macht oder nicht. Entweder man kennt den einen oder den anderen, oder man liebt den einen und haßt den anderen, oder man haßt den einen und liebt den anderen. In Berlin war das ein bißchen anders, also beim Interview mit Bernd Senf hab ich den Eindruck gehabt, der – gut, das ist aber ein anderer Zugang.
Aber wenn ich mich an Wien erinnere, dann habe ich immer den Eindruck gehabt, man wirft dem Reich vor, daß er schizophren ist; ich finde, die Leute, wie sie mit ihm umgehen, das ist schizophren….(lacht)….er wird so schön „geteilt“.
Dazu fällt mir noch ein anderer Aspekt ein: Die Auseinandersetzung mit Reich im Wissenschaftsbereich, oder besser die Nichtauseinandersetzung; die läuft insofern anders, als da der Kommunist nicht wichtig ist, da ist es der Geistesgestörte. Und da kommt der Wissenschaftsbegriff mit hinein: Wie arbeitet man wissenschaftlich? Man hat etwas, und dann braucht man tausend Beweise, und dann stimmt’s.
Reich war ein Wissenschaftler – und ich stehe dazu, daß das Wissenschaft ist, was er gemacht hat – dem fällt was ein, er hat das Gefühl, es stimmt, dann macht er ein paar Versuche und dann sagt er, die Details können die anderen machen, ich suche mir etwas anderes. Es gibt aber Leute, die sich mit ihm nicht auseinandersetzen wollen, weil sie sagen, das ist so schlampig, das ist ein Blödsinn. Dann sage ich, dann nehmt doch was und widerlegt es. Wenn ihr glaubt, da ist was falsch – ihr müßt es ja nicht verifizieren – dann macht’s Versuche dazu und sagt’s, das ist falsch. Tut aber keiner – bitte warum?
Der Sozialtherapeut, Ernst Federn, hat mir zum Beispiel gesagt, seiner Meinung nach, aus amerikanischer Sicht – Federn wurde in den USA psychoanalytisch ausgebildet – ist Reich absolut ein Wissenschaftler. Und mir ist aufgefallen, daß es da eine unterschiedliche Auffassung des Wissenschaftsbegriffes gibt, ja, und mir ist in Gesprächen aufgefallen, daß Reich zum Beispiel in Italien sehr viel populärer ist.
Die Italiener haben auch eine ganz andere Art mit Wissenschaft umzugehen. Da spielen so intuitive Dinge, die man nicht mit germanisch-nordischer Überrationalität erreichen kann, eine Rolle. Daß der Basaglia dort möglich ist und bei uns nicht, das nimmt nicht wunder. Dort gibt es auch Reich-Institute. Das sind Leute, die rein intuitiv begreifen, „Moment da ist was“.
Ich bin gar nicht der Ansicht, daß man da nicht weiter schauen soll, was ist gut und was ist nicht gut, aber im Wurf stimmt’s. Und das ist von unserer Wissenschaftsauffassung her hier unüblich, das gilt nicht. Ich glaube, daß das ein Problem in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Reich ist. Das ist eine Art von Wissenschaft, in die Reich nicht hineinpaßt.
W: Können Sie über Ihre, zum großen Teil nicht gesendeten Interviews zur Radiosendung etwas, sagen? Was war da Ihre Erfahrung?
N: In Wien oder in Berlin? Also, für mich war der Kontrast ziemlich stark. Wobei ich sagen will, ich möchte nie Österreich und Deutschland vergleichen, aber Wien und Berlin, glaube ich, kann man vergleichen; vom Stellenwert her, von den Voraussetzungen her. In Wien hab ich den Eindruck gehabt, auch von den „Experten“, auch, wenn es denen jetzt weh tut (lacht), daß vor allem, etwa in Bezug auf Therapie schon gesagt wird, wie gearbeitet wird – also mit Körpertherapie – und was da passiert, wie man das macht. Aber wenn es um die Hintergründe geht, dann kriegt das so was – vielleicht ist das wienerisch – es kriegt so etwas allgemein Schönes.- Wilhelm Reich als der Wunderbare, der Großartige, man kriegt direkt weite Gefühle und man hat das Gefühl, jetzt muß man ein Wienerlied zu singen anfangen.- Das verstehe ich zwar, so rein emotional, aber ich hab den Eindruck einer schlampigen Vermittlung gehabt.
W: Was war Ihr Auftrag zu dieser Sendung?
N: Ich hatte die Aufgabe, als Skeptikerin an dieses Thema heranzugehen. Ich bin jemand, der von Reich was gelesen und gehört hat und sich sagt, was soll ich mit dem, und jetzt schau ich, was bei den Gesprächen herauskommt. Also bei den Wiener Interviews hab ich mir gedacht, da steckt sehr viel Enthusiasmus dahinter, sehr viel Überzeugung, sehr viel auch an Identifikation und sehr viel Positives, was gemacht wird, aber in der Vermittlung habe ich eigentlich nicht sehr viel anfangen können damit, jetzt davon abgesehen, daß ich selbst eine ganze Menge davon weiß.
Aber an wirklich Konkretem kam wenig. Das klang so allgemein wie: Ja, es geht darum, daß man sich wohlfühlt, und daß da Spannungen gelöst werden, und daß das in irgendeinem Zusammenhang steht, und dann ist man befreit, und so weiter. Ich glaube, man kann Reich nur vermitteln, indem man sehr konkret sagt, das hat er gemacht, und das hat er wollen, und das kommt dabei raus, oder, das kommt nicht dabei raus. Das sind die Dinge, die ich in Berlin gehört habe.
Außerdem ist mir in Wien aufgefallen, daß hier eigentlich die. Auseinandersetzung mit dem „späten“ Reich nur stattfindet bei Leuten, die so euphorisch, so guruhaft hinten – herrennen, daß aber im Grunde genommen keine sachliche Auseinandersetzung stattfindet. Das, was hier stattfindet ist doch der frühe Reich, ja, jetzt gar nicht einmal negativ gewertet. Den späten Reich überläßt man den neokonservativen Naturschwärmern, was ich für falsch halte.
In Berlin habe ich erlebt, daß man sich damit auseinandersetzt. Mit Reichs Äthertheorien, mit dem Orgonakkumulator aus der Sicht von Medizin, Chemie und Physik. Wo etwa der Mediziner Heiko Lassek über den Reichschen Bluttest berichtete, wo man versucht hat, Reichs Krebstheorie wirklich bis in die Details zu analysieren – was ist dran, was ist nicht dran. Oder Leute, die bioenergetische Phänomäne photographisch sichtbar gemacht haben. Oder Versuche, wie man in der Natur, etwa beim Waldsterben, versucht, mit den Erkenntnissen
Wilhelm Reichs zu schauen, was bedeutet das praktisch. Ja, da stehen aber Leute, die sagen, das funktioniert, und das funktioniert nicht. Das war wirklich beeindruckend, und dann frage ich mich, warum geht das da hier bei uns nicht? Interessiert es niemanden, kennt sich keiner aus? Warum bleiben wir stehen, wo ich glaube, daß man den Reich schon abnützt, weil in dem Bereich, wo wir jetzt bei Reich sind, da gibt es schon sehr viele Weiterentwicklungen, ja, während ich glaube, daß, das, wo Reich wirklich immer noch einzigartig ist, eben alles andere ist, was er weiterentwickelt hat. Ich versteh das nicht, können Sie mir helfen?
W: Heiko Lassek, der etwa mit dem Nachvollzug der Bionexperimente die diesbezüglich wohl aufwendigste Forschung betrieb, meint, daß – neben dem finanziellen Aufwand – mit dem Fortschreiten des Versuchablaufs stets neue Fragen auftauchen, die ein immer spezielleres Fachwissen aus verschiedensten Gebieten erfordern.- In Wien hat es 1982 nach den Wilhelm Reich Tagen der AIKE Ansätze zur Bildung von Arbeitsgruppen gegeben, die aber alle entweder dort steckengeblieben, oder wieder im Sand verlaufen sind.
N: Es dürfte offensichtlich schon eine unheimliche Erleichterung sein, daß es endlich in Österreich vereinzelt Leute gibt, die sich mit Körpertherapie befassen.- Ja, und in den nächsten zwanzig Jahren kommt man vielleicht drauf, daß es da noch etwas gibt. Für Bernd Senf etwa, für den ist es völlig klar, bitte, daß man bei Wilhelm Reich einmal vorne beginnt und nicht bei Eva Reich stehenbleibt, sondern daß man schaut, was macht etwa die Physik damit. Ein anderer Referent sagte zu mir, die Physiker sind, wenn sie sich mit Reich auseinandersetzen, total verwirrt. Da gibt es den zweiten Satz der Wärmelehre oder so, ich kenne mich da nicht so genau aus, da soll es ganz hitzige Debatten geben. Da ist einer dort gestanden und hat gesagt – er ist also Professor an der … weiß ich wo -, daß etwa sein vorgesetzter Professor, ebenfalls Physiker, im Gespräch zu ihm meint: „Sie haben eh‘ recht mit dem Reich, aber ich kann es mir nicht leisten, daß ich das laut sag'“.
Ich habe den Eindruck, daß die Wiener den Reich auch wieder teilen. In den Gesprächen, die ich geführt hab mit den verschiedensten Leuten vom Reich Institut, da hat bitte keiner etwa vom „politischen“ Reich geredet. Ja, also hier erfolgt eine Reduktion, von der ich sage, daß sie Reich nicht gerecht wird; das stört mich. Ich finde, daß die Reich-Rezeption hier sehr schwach ist, und wenn, dann unheimlich punktuell, also auf Körpertherapie bezogen. Das sage ich gleich: Ich würde mir da vom Reich Institut erwarten, daß da ein bisserl mehr passiert.
W: …auch in politischer Hinsicht?
N: Man muß es ja nicht gut finden, aber man kann sich Reich nicht aufs Banner heften und sagen, wir nehmen uns dieses Stückchen, und was früher war interessiert uns nicht, uns interessiert auch nicht sein Leben, etc.- Im Grunde genommen müßte es Verbindungen geben zur „Grünen Bewegung“. Ich glaube, man sollte Kontakte versuchen und sie sehr vorsichtig beobachten.
Bei Reich gibt es eine Gefahr. Er ist so ein – ich kenne einen anderen aus der Religionsphilosophie, das ist Martin Buber – der geht mit so einem Bauchladen spazieren und jeder sucht sich sein Stückel und nimmt’s fürs Ganze und dann kommt nichts heraus dabei.
W: Welche Funktion könnte das Reich Institut in Wien, Ihrer Meinung nach, übernehmen?
N: Ich glaube, daß man zum Beispiel in der Erwachsenenbildung etwas tun könnte. Ich glaube, daß es diese Möglichkeit gäbe, und zwar in verschiedenen Bereichen, etwa in Volkshochschulen. Mit manchen Themen würde ich mich sogar trauen, in den katholischen Bereich zu gehen, in den aufgeschlossenen, da gibt es doch sehr schöne Sachen, so, was Kinder, Mutterschaft, etc. betrifft.
Ich glaube, es gehört auch zur Wiener Mentalität sich pausenlos von Feinden umgeben zu sehen. Ich glaube, daß Leute, die sich für Reich interessieren, nicht von Feinden umgeben sind, sondern von Leuten, von denen sie nicht geliebt werden. Ja, nur glaube ich, daß man das aushalten muß. Da besteht so die Tendenz: „Es mag uns eh“ keiner und folglich verkriechen wir uns noch mehr in uns und dann können wir uns wenigstens beschweren, daß uns keiner mag“. Also ich glaube, daß das gerade Reichianer nicht dürfen (lacht).
W: …also ein kämpferischer Aspekt?
N: Ja, Reich ist für mich ein Beispiel, der halt, auch wenn er zum Schluß schon große Schwierigkeiten gehabt hat, immer ein Kämpfer war. Ich glaube, das war eine ganz wesentliche Seite von ihm, daß er im Grunde gesagt hat, ja, wenn ich eine Idee für richtig halte, dann setze ich mich auch dafür ein. Daß bei dem Gerichtsverfahren Reichs Vorgangsweise schon etwas obskur war, das ist eine andere Sache, aber er hat sich von seiner Arbeit nicht abhalten lassen, auch wenn alle Leute gesagt haben, das ist ein Unsinn. Er war ein Mensch, der hat gelebt. Da hat Eva Reich sicher recht, er war immer sehr lebendig, und das heißt eben auch, daß man Niederlagen hinzunehmen hat.
W: In der Sendung wurde erwähnt, daß Reich über seine Kindheit zum Teil Falsches erzählte
N: Mir hat einmal Eva Reich erzählt, er hätte von seiner Jugend nur geschwärmt, er hätte eine so phantastische Jugend gehabt und alles war Wonne und Waschtrog. Das kann einfach nicht stimmen. Federn hat mir zum Beispiel gesagt, er weiß – ich meine sehr vieles weiß man ja nicht, weil Analysen ja nicht so offen zugänglich sind, aber „man“ wußte damals, daß da was nicht stimmen konnte. Zum Beispiel hat mir Eva Reich erzählt, die Tatsache, daß seine Mutter Selbstmord begangen hat, hat sie nicht von ihm erfahren, darüber hat er mit ihr nicht gesprochen; ich meine, das ist doch auffällig, immerhin waren sie ja auch sehr gut dann. Auch seine Frau Ilse 011endorf schreibt, daß er im Grunde genommen immer sehr von seiner Mutter geschwärmt hat, aber tatsächlich kommt nicht viel dabei heraus.
In ihrer Biographie kommt am Anfang das Kapitel über Reichs Kindheit und Jugend vor. Darüber weiß man nicht viel, und er selber hat auch nicht darüber geredet. Ich meine, das ist auffällig. Da ist mir dann die Alice Miller eingefallen»- Wenn man dann ein bißchen geschildert bekommt, wie der Vater war, dann kann das kein sehr großartiges Familienleben gewesen sein. Eva Reich hat gesagt, er hat so gut durchgehalten, weil er sich ein so phantastisches Fundament in seiner Jugend erworben hatte, aus dem hat er seine Kräfte geschöpft. Das ist eine Fehlinterpretation meiner Meinung nach. Aber, ich gebe zu, das ist in mir so der Hobbypsychologe, der sich da mit ihm auseinandersetzt.-
W: Am Schluß der Sendung, in dem Interview mit dem Vorsitzenden der Psychoanalytischen Gesellschaft, Harald Leupold-Löwenthal klang es, als ob auch Reichs psychoanalytische Arbeit nicht erstzunehmen wäre.
N: Also mir hat der Wiesenthal seinerzeit-
W: Löwenthal
N: der Leupold-Löwenthal…was hab ich jetzt gesagt…?
W: Wiesenthal
N: Um Gottes willen, also darüber muß ich dann nachdenken (lacht), das ist aber sehr schlimm, na so was, das muß ich jetzt wegschieben, also mich irritiert’s, na ja, gut Also: Der Leupold-Löwenthal hat mir damals aus seinen Notizen heraus gesagt – das hat er in dem Rundfunkinterview mit Klein nicht mehr gehabt – er hat gesagt, und das war ein positiver Aspekt für mich, er hält Reich für einen Charismatiker, ja, also er ist nicht nicht ernst zu nehmen, sondern daß er jemand war, der aufgrund seiner unglaublich starken Ausstrahlung auch tatsächlich Wirkungen in Heilungsprozessen erzielt hat. Bei Leupold-Löwenthal hatte ich nicht den Eindruck, daß er das nur negativ gemeint hat. Das ist nur in diesem Interview nicht herausgekommen, das war halt unheimlich sachlich und rational geführt. Ich mag das nicht so; ich meine, man sollte immer mischen, weil manchmal, wenn man auch unheimlich kluge Leute ein bißchen emotional anredet, dann kommt viel mehr dabei heraus.