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Bukumatula 1/1992

Die Wahrheit der Mühl-Kommune war Verachtung

Wilhelm Reich (wieder einmal) missverstanden und missbraucht
Christian Bartuska:

Kommentar zu Peter Stoeckls Beitrag in BUKUMATULA 6/91 Das scheitern einer Utopie von Christian Bartuska.

Sicherlich ist es interessant, sich mit Utopien theoretisch auseinanderzusetzen, darüber zu diskutieren und zu phantasieren; es ist eine ungeheure Herausforderung, Utopien in die Wirklichkeit umzusetzen, aber ein Wert an sich ist es für mich nicht. Wertvoll ist es, wenn die Utopie mit der Verwirklichung übereinstimmt und das ganze von Liebe getragen, von den Beteiligten auch erwünscht ist; ganz anders war das bei Otto Mühl und seiner Gruppe (Kommune).

Ich lese Peter Stoeckls Artikel über „Utopie und soziale Rebellion“ und fühle mich angesprochen. Natürlich bin ich unzufrieden mit den herrschenden Verhältnissen. Aber plötzlich dreht sich mir vor Ärger der Magen um: Der Friedrichshof, die Kommune, gelebte Utopie, als unser aller (Reichianer, Psychotherapeuten, etc.) Wunschtraum? Nein!! Die Auseinandersetzung mit der AA° usw. lohnt schon, aber aus anderen Gründen als Stoeckl meint. Die Mühl-Kommune war das Ergebnis eines künstlerischen Experiments, in dem der Aktionist Mühl Menschen für seine machtgierigen, lüsternen, zerstörerischen Aktionen mißbrauchte. Mühl selbst schreibt in der Zeitung „Neues Forum“ (leider habe ich das genaue Erscheinungsdatum vergessen, 1967 oder 1968) über seine künstlerischen Aktivitäten und Zukunftsabsichten. Daraus sind mir zwei Sätze in Erinnerung geblieben:

  1. Als nächstes Material für meine Aktionen werde ich Menschen verwenden, das heißt, eine Gruppe gründen und mit ihr meine Aktionen durchführen.
  2. Ich bin der neue Hitler. Das allein kennzeichnet den Machtmißbrauch, der in der Mühl-Kommune auch für mich persönlich spürbar war. Das ‚Anschießen(Anagitieren) mittels psychoanalytischer Kunstgriffe, einschließlich der Charakteranalyse, diente immer nur zur Festigung von Mühls Macht. Panzerungen wurden gegen den Willen der Menschen gebrochen und diese Verletzungen durch Idealisierung der Führerfigur und der Ideologie (der böse Außen- und Innenfeind: der Kleinfamilienmensch) kaschiert.

Von Mühls Sicht her scheint die Aktion vorerst gelungen. Die Sehnsüchte und die verborgenen Ängste der Menschen, der tiefe Wunsch nach frei gelebtem Energiefluß und Sexualität hat er mißbraucht – und mit schönen Worten Illusionen erzeugt. Unter Mißachtung aller persönlichen und intimen Grenzen – sowohl bei den Teilnehmern an seinen Selbstdarstellungen in der Kommune, als auch bei Außenstehenden und Besuchern („über die Agitation in die Öffentlichkeit“) – errichtete er ein hierarchisch-despotisches Gebilde.

Die Wahrheit der Kommune war Verachtung, „Negos“, Gruppendruck, Idealisierung von Promiskuität und sexueller Verfügbarkeit, Zuckerbrot und Peitsche für die total abhängigen Mitglieder. Das Ausleben von Haß einer ganzen Gruppe auf einen Menschen gerichtet, abwechselnd mit Anfeuern, ist Gehirnwäsche. So wundert es nicht, wenn einzelne ihre Erlebnisse idealisieren und ihre sekundären Triebe (nach Wilhelm Reich) mit Freiheit verwechseln. Ich war zweimal persönlich in der Kommune: einmal in der Praterstraße 1974 und 1975 am Friedrichshof. Ich fand Mühl aufdringlich, provokant und fordernd und gleichzeitig verlockend („Kinderverzahrer“). Du kannst alles haben, wonach du dich sehnst (sexuell), aber du mußt dich dafür aufgeben.

Der Australier, Peter Eedy, ein Reichianischer Körper-Psychotherapeut schildert in einem Interview 1975 seine Erfahrungen am Friedrichshof sehr deutlich und detailliert (erschienen in: „Die Falle, AA – Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, Parallelverlag, Berlin 1977)1). Gemeinsam mit Wolfgang Karner besuchte er 1975 – auch durch die AAO-Literatur neugierig gemacht – den Friedrichshof.

Er erzählt u.a. von der Angstlichkeit eines Kindes, die von Distanzlosigkeit überdeckt war, von menschenverachtendem Verhalten und Demütigungen (Abrasieren der Kopfhaare ist eine Zerstörung der Individualität zur besseren Beherrschbarkeit), von destruktiven Vorgängen in den Selbstdarstellungen und Aktionsanalysen (Gruppendruck und Haß) und vom Eindruck der Hoffnungslosigkeit, eine wirklich andauernde Veränderung erreichen zu können. Eedy wörtlich: „Sie haben Wilhelm Reich in jeder erdenklichen Weise verdreht, und das macht mich wütend“.

Den Berichten von Teilnehmern zufolge war die AAO für viele kein Traum, sondern ein Alptraum, aus dem es (fast) kein Entrinnen gab. (zit. aus: „Die Falle“, s.o.)

Zum Machtmißbrauch kommt der schwere Mißbrauch von Sexualität hinzu – unter Zuhilfenahme des Wissens aus der Lektüre der Charakteranalyse, um die geheimen, unterdrückten Sehnsüchte der Menschen nach Freiheit und Liebe besser für die Ziele der Organisation benutzen zu können.

Otto Mühl hat Wilhelm Reich grundsätzlich mißverstanden. Wenn Reich von ‚freier Sexualität‘ spricht, dann meint er damit das freie Zulassen von sexueller Lebensenergie, das natürliche, ungebremste Zulassen der lustvollen Strömungen und nicht , wie es Otto Mühl tut, das Ausagieren der negativen Aspekte der zweiten Schicht, der verdrängten, destruktiven Wirkungen seiner Blockierungen, das Ausagieren von Gier, Macht und Lüsternheit. Wenn Reich von freier Sexualität spricht, ist natürlich der freie Fluß von Libido (i.e. Lebensenergie) gemeint und nicht der Mangel an Achtung vor Grenzen, sowohl der gesunden, als auch der neurotischen Grenzen der Mitmenschen, insbesondere bei Jugendlichen und Kindern.

Die Auflösung von individuellen und gesellschaftlichen Mustern der Zwangsmoral ist nicht durch Gruppendruck und Verführung erreichbar, sondern verlangt mühevolle, langsame und demütige Kleinarbeit und die Bereitschaft, der eigenen Wahrheit von Schmerz, Lüge und Angst wirklich ins Auge zu sehen. Dagegen scheint bei Mühl Verführung, d.h. Vortäuschen der Erfüllung geheimer Wünsche und Sehnsüchte, eine zentrale Rolle gespielt zu haben; die Literatur der AAO war dabei ein wichtiges Instrument. Sie erzeugte das schöne Bild der Utopie:

Bei jeder Verführung gibt es einen Köder, etwas das wirklich gut ist, z.B. Ideen, Gemeinschaft, wirtschaftlicher Erfolg, etc., aber der Köder bringt einen nur an den Haken der Abhängigkeit. Psychotherapie-Klienten, die am Friedrichshof waren, zeigen in der Therapie Elemente tiefer Verwirrung ihrer Wertsysteme (nicht Veränderung), Zerstörung von Ich-Grenzen (nicht Lösung von zu engen Ich-Grenzen) und heftiges Ausagieren des „Lower Self“ (Pierrakos), mit entsprechender therapeutischer Unzugänglichkeit.

Natürlich ist es leicht in einer solchen Gruppenstruktur mit Hilfe ekstatischer Zustände (die leicht induzierbar sind) subtile Manipulation auszuüben und seine persönlichen (Ego-)Ziele zu verwirklichen (je mehr, desto besser, je jünger, desto knackiger, je antimoralischer, desto freier). Das ist nicht wirkliche Liebe, nicht wirkliches Leben, nicht wirkliche Freiheit, sondern Mißbrauch und Illusion. Es erscheint keineswegs eines Mißgeschicks oder einer inneren Revolution zufolge dazu gekommen zu sein, daß Mühl (nicht nur) Minderjährige mißbraucht hat, aber vielleicht hat die Revolution ermöglicht, daß er deswegen verurteilt wurde.

Aus dem Gesagten ist klar, daß es in der AAO nicht um Therapie gegangen ist – es gab ja auch keine Therapeuten, die ausgebildet waren bzw. diesen Namen verdienten. Auch hat nicht die Gruppendynamik die Kommune zerstört, sondern die innere Zerstörungssucht („Lower Self“) hat sich schlußendlich (auch durch die äußerliche

Isolation) durchgesetzt. Nicht die völlige Einheit von Therapie und Leben, sondern das Verwischen und Zerstören von Grenzen und das Verschleiern von Macht (= Verführung) macht wehrlos gegen Mißbrauch.

Einer solchen Utopie nachzuweinen, ohne ihre grundsätzlichen Mißverständnisse und Fehlansätze aufzuzeigen, bedeutet für mich entweder ein Verharren in einer illusionären Welt oder einen bewußten Mißbrauch und eine schwere Schädigung des Werkes von Wilhelm Reich und seiner Schüler sowie aller im Sinne Reichs arbeitenden Therapeuten. Vielmehr ins Detail zu gehen und Destruktivität und Mißbrauch nachzuzeichnen, auch anhand der Literaturbeispiele, die Peter Stoeckl anführt, aber vielmehr noch im Gesamtwerk der AA0 – dazu fehlt mir die Lust. Ich arbeite lieber am Aufbau einer realen Welt, an den kleinen aber haltbaren Schritten der Veränderung, die uns immer wieder das Große in uns erkennen lassen.

Wilhelm Reich hätte sicher die Arbeitsweise Mühls und die Vorkommnisse in der Kommune als Ausdruck der emotionalen Pest verstanden, wie er sie ausführlich beschreibt. Wenn Peter Stoeckl auch noch die ehemalige DDR mit ins Spiel bringt, möchte ich nur bitten, sich von Betroffenen erzählen zu lassen, wie es in den dortigen „vorbildlichen“ sozialen Einrichtungen wirklich zuging. (Anmerkung nur nebenbei: auch Hitler vertrat eine Utopie – und ihm verdanken wir die Autobahnen.)

Wilhelm Reich und viele andere Psychotherapeuten
hatten bzw. haben Wesentliches beizutragen zu einer gesellschaftlichen Entwicklung in Richtung Liebe und Freiheit. Es ist völlig klar, daß ich als Therapeut nicht die gesellschaftliche Macht übernehmen darf (und kann), genauso wie ich nicht die Macht über den Lebensweg eines Klienten habe (und haben will). Wir verändern die Gesellschaft schon mit einem einzigen Moment von echter Liebe und echtem Kontakt, der durch die Therapie möglich wird.

Dieser Mensch geht verändert hinaus und ist in allen Beziehungen ein klein wenig anders. Gleichzeitig haben wir natürlich die Aufgabe, unsere Erkenntnisse und Erfahrungen an der Arbeit zu veröffentlichen und Menschen, die danach leben wollen, zu unterstützen (Natürliche Geburt, etc.). Ich hoffe, ich habe meine Wut hier verwendet, um mich abzugrenzen, Stellung zu beziehen gegen den Mißbrauch der Macht des Schreibers.

Ich bin Wilhelm Reich und seinen Kollegen zutiefst dankbar für deren Arbeit und möchte mich deutlich abgrenzen vom Mißbrauch dieser Ideen, wie das (nicht nur) in der AA0 passiert ist. Reich sagt: Liebe, Arbeit und Wissen sollen dein Leben leiten (an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen).

ANHANG:

Das Interview mit PeterEedy erschien erstmals in „Energy & Character“, Vol VIII, Nr. 1; Abbotsbury Press; Hsg.: David Boadella. (Wolfgang Karner, der das Gespräch mit Peter Eedy führte ist praktizierender Körper-Psychotherapeut in Wien.)

Literatur über Macht und Mißbrauch siehe auch:
David Boadella: „Violence in Therapy“, in Energy & Character, Vol. 11, Nr. 1, bzw. Werke von Wilhelm Reich wie: „Der Krebs“, „Der Christusmord“, Massenpsychologie des Faschismus“, etc.

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