30 Mai
Bukumatula 2/1992
Biodynamik. Körperpsychotherapie zur Heilung und Selbstfindung.
Werner Eberwein, 190 Seiten, Transfom-Verlag 1990,
Beatrix Teichmann-Wirth:
So werden die spezifischen Theorien und Konzepte der Biodynamik (vegetativer Zyklus, Psychoperistaltik, die Theorie der Eingeweide- und Gewebepanzerung) nicht ausgeführt wie auch die strukturierten Formen biodynamischer Arbeit (Primärimpuls-Training, Biodrama, Stethoskopmassage) nicht näher beschrieben werden, was, betrachtet man den Titel des Buches, enttäuschend ist. Vor allem scheint es mir jedoch der biodynamischen Psychotherapie in ihrem Ringen um die Anerkennung ihrer Wissenschaftlichkeit nicht eben zuträglich zu sein. Kritiker mögen in dem Buch eine neuerliche Bestätigung finden, daß die biodynamische Psychotherapie weder „Fisch noch Fleisch“ ist.
Das Buch basiert auf dem Grundgedanken, daß „die Biodynamik mehr ein Stil als eine Methode, mehr eine Haltung als eine Technik, mehr eine Atmosphäre als eine Strategie, mehr eine Einstellung zum Menschen als eine geschlossene psychologische Theorie ist.“ (S. 9). Und dieser Stil ist zuallererst von der Person des Therapeuten, seinem kognitiven Hintergrund und seinen Erfahrungen geprägt.
Bei Werner Eberwein machen die vielen Hinweise auf Zen und Taoismus den Einfluß östlicher Denktraditionen auf seine therapeutische Grundhaltung deutlich. Die biodynamische Psychotherapie wird wesentlich als „nicht-direktiv“, „gewährend“, „erlaubend“, „sanft“ charakterisiert und entspricht – folgt man der Yin-Yang Polarität – eher einem Yin-Stil.
Ein biodynamischer Psychotherapeut „ermutigt loszulassen, in sich selbst hineinzuhorchen, sich zu öffnen und den von innen kommenden Impulsen zu folgen.“ (S. 31). Auch wenn damit bisweilen aufsteigende Energie und emotionale Katharsis geweckt wird, so geschieht dies vornehmlich nicht wie in der Bioenergetik durch, „Aufladung“ und Provokation zum emotionalen Ausdruck oder wie in der Gestalttherapie durch Konfrontation und damit Zuspitzung eines Konfliktes.
Die in dem oben erwähnten Sinne verstandene gewährende Grundhaltung als ein Charakteristikum der biodynamischen Psychotherapie herauszustreichen, erscheint mir insofern überholt, als auch ein bioenergetischer Psychotherapeut situationsadäquat sanft und einfühlsam agiert, von Intuitiver Körperarbeit in der Tradition Michael Smiths (vgl. Rezension in BUKUMATULA 5/91) bzw. Will Davis‘ Arbeit mit dem Instroke (vgl. BUKUMATULA 2/88) gar nicht zu sprechen.
Auch wenn in der Grundlegung der einzelnen körpertherapeutischen therapie“. Es wir die Bedeutung der meditativen Haltung unterstrichen, der Übungen, Vorschläge, Einladungen etc. entspringen sollen.- Ist diese nicht in der Person des Therapeuten verankert, so lassen sie den Klienten kalt und bleiben somit unwirksam.
Die therapeutische Präsenz, das Da-Sein des Therapeuten in dem Sinn, daß dieser sich seiner eigenen Impulse, vor allem auch seiner Schatten-Seiten gewahr ist, bildet das wesentliche Agens des therapeutischen Prozesses. Sie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen mitgehend-akzeptierendem Gewähren, formgebendem Strukturieren und anstoßenden Erlebnis-Experimenten (Konfrontation).
Das Gewähren ermöglicht, daß Antworten aus dem Unbewußten auftauchen und sich ein Tiefenprozeß entfalten kann. „Der Therapeut fordert den Klienten nicht auf etwas zu tun, sondern er lädt ihn ein, etwas geschehen zu lassen.“
Der gewährenden Haltung wird ein strukturierendes Element gegenübergestellt, welches ermöglicht, daß freigewordene Energie nicht wieder in die Regression führt. Der Therapeut lenkt den Prozeß durch Vorgaben und durch das Setzen von Grenzen (Setting, Fokussieren eines Themas, Rituale). In diesem Zusammenhang wird auch auf die Bedeutung von Containment und Detachement und den inneren Beobachter (Zeugen) auf Identifikation und Des-Identifikation eingegangen.
Der Therapeut muß sich aber auch in bestimmten Phasen als Gegenüber anbieten (Konfrontation), sonst bleiben die Schattenseiten des Klienten unberührt, der Prozeß somit oberflächlich. Hier kann der Einsatz von konfrontativen Methoden (Encounter-Arbeit, Atemförderung, bioenergetische Übungen, etc.) hilfreich sein.
Das Kapitel schließt mit einer Reihe von „therapeutischen Leitlinien und Gegensätzen“ wie beispielsweise „Weniger ist mehr! – Erlaube die Fülle!“, welchen sicher eine gewisse Anstoß-Funktion zukommt.
Die nachfolgend beschriebenen Beispiel-Sitzungen sind spannend zu lesen, da es Eberwein gelingt, das Atmosphärische therapeutischer Sitzungen durchschimmern zu lassen (was sicher schwierig ist). Die Kommentare machen deutlich, daß die Intuition (sehr wohl) auf einem theoretischen Fundament ruht. Nicht zuletzt werden an dieser Stelle auch spezifische biodynamische Techniken (Massage, biodramatische Inszenierung) ausgeführt.
Ich hätte es als bereichernder erlebt, wäre dieser Teil (die praxisnahe Beschreibung von spezifischen Interventionsformen und ihre Begründung) umfangreicher ausgefallen – auf Kosten sehr allgemein gehaltener Ausführungen (insbesondere im Kapitel „Offene Weite. Die Transformation der Identität“). Wenn Eberwein in diesem Abschnitt die Genese neurotischen Leidens beschreibt, so ist dies von den Vätern der (körperorientierten) Psychotherapie bereits in differenzierterer Weise geschehen. Und bei der Darstellung des Zusammenhanges von „Individueller Transformation und sozialer Umgestaltung“ läßt sich Eberwein sogar zu Allgemeinplätzen hinreißen. Ein Beispiel: „Unsere Gesellschaftsstruktur ist auf ein hohes Maß an Destruktivität aufgebaut, und sie reproduziert sich durch viel Gewalttätigkeit in jedem einzelnen. Die bürgerliche Marktwirtschaft ist die Welt der Masken und Ellbogen, in der der Härteste nach oben kommt. Ohne Neurosen könnte diese Gesellschaftsform nicht überleben.“ (Seite 137).
Die Dürftigkeit der Aussage schmerzt – hat doch Wilhelm Reich sich umfassendst der genauen Analyse des komplexen Wechselspiels zwischen Individuum und Gesellschaft gewidmet (vgl. „Die Sexuelle Zwangsmoral“, „Massenpsychologie des Faschismus“; nicht zuletzt sein „Christusmord“).
Eberweins Buch pendelt zwischen der Darstellung eigener Theorie aus therapeutischer Praxis und Anleihen aus anderen theoretischen Konzepten (vornehmlich von Wilhelm Reich), welche meist als solche nicht deklariert werden.
Dennoch erhielt ich einige Impulse durch das Buch. Vor allem die Betonung der Polaritäten (Gewähren und Eingreifen, Konfrontation und Begleiten, Aktivität und Passivität) brachte Bewegung in meine therapeutische Haltung.
In diesem Sinne ist es in erster Linie Personen zu empfehlen, welche bereits körpertherapeutisch praktizieren. Ihnen kann es Anstöße geben, sich auf ein (in ihrer Person bereits verankertes) weiteres Handlungsspektrum zu besinnen.