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Bukumatula

Intuitive Körperarbeit – Essays & Lectures

Buchbesprechung
198 Seiten, Endless Sky Publications, Hamburg-Santa Fe, 1990
Beatrix Teichmann-Wirth:

„Wilhelm Reich, Elsworth Baker und Al Bauman gingen durch New York und unterhielten sich lebhaft über eine Frau, die sie kurz zuvor getroffen hatten. Wilhelm Reich gab dabei seiner Bewunderung und Begeisterung für diese Frau Ausdruck. Darauf Baker, der als rigider Kliniker galt: „Aber Reich, die Frau ist doch völlig hysterisch!“ Darauf Reich: „Stimmt Baker. Aber hast du nicht diese wundervolle Stimme gehört?“ (Persönliche Mitteilung von Al Bauman, zit. in Neidhöfer, S 38).

Liest man Neidhöfers Buch „von außen“ beurteilend, kritisch, so wird man wohl alsbald enttäuscht sein. Es mangelt nämlich an blendenden Konzepten und Richtlinien. Auch die oftmals so übliche Zuordnung von Techniken und Strategien zu den verschiedenen Charaktertypen fehlt – und wie ich nach dem Lesen festgestellt habe, auch wohltuenderweise.

„Dieses Buch ist mein Abschied von jeder Form konventioneller und unkonventioneller Psychotherapie, einschließlich der sogenannten humanistischen Verfahren“ (S 4). Wer das Buch bei oben zitiertem Satz nicht bereits weglegt, kommt mit dem Wesen von Skan in Berührung. Skan (aus dem Indianischen: „das, was sich bewegt“) ist jene Art von Reichscher Körperarbeit, welche in der Tradition Michael Smiths in Europa Verbreitung gefunden hat.- Dieses Buch hat jedenfalls in mir einiges an Bewegtheit ausgelöst.

Der Aufbau des Buches macht das Anliegen des Autors deutlich. Zu vermitteln, daß „es in der Körperarbeit in erster Linie nicht um Techniken (geht), sondern um Beziehung“ (S 130). In diesem Sinne beginnt das Buch auch mit der Beschreibung einer für Loil Neidhöfer wesentlichen Beziehung – die zu Michael Smith.

Seine Schilderung der ersten Begegnung mit Michael, das Erleben dieser „paar Sekunden beiläufiger Glückseligkeit“ weckte in mir Erinnerungen an Michael; sein Verlust wurde mir einmal mehr schmerzlich bewußt.

Der inhaltliche Teil des Buches beginnt nicht mit der Beschreibung von Körper- und Charakterpanzerung, sondern setzt an der Basis, dem Kontakt mit dem „inneren Kern“ an. Das „Strömen“ – das Leben im Kontakt mit der von Reich beschriebenen innersten (biologischen) Schicht, stellt Loil zufolge die Grundlage für jede Intervention dar, es läßt die Lücken in der Panzerung des Klienten aufspüren und vermittelt ein wahrhaftiges Vertrauen, daß „hinter all den gefährlichen, grotesken, vernunftlosen Phantasien und Impulsen ein Stück einfacher, selbstverständlicher anständiger Natur (zu finden ist)“. (Reich 1977, S 133)

Diese Haltung fördert einen Prozeß, in dessen Folge die Identifikation mit dem Strömen die Identifikation mit der Panzerung ablöst. „Aus dem Strömen leben ist gleichbedeutend mit der Lebensweise und Haltung, die auf natürliche Weise der inneren Schicht entspringt und nicht aus der Panzerung motiviert wird. Strömen heißt, sich vom Leben bewegen lassen, statt in seinem selbst- oder fremdgebastelten konzeptionellen Regelwerk allmählich zu erstarren.“ (S48)

Der therapeutische Ansatz findet also wesentlich von innen nach außen statt, der/die Therapeutln trägt die Panzerschichten ab, sondern „der Klient wird angeleitet und ermutigt, seine innere Kraft für den Entpanzerungsprozeß einzusetzen und die Verantwortung für diesen im wörtlichen Sinne – erschütternden Prozeß zu übernehmen.“ (S 54)

Loil Neidhöfers ausführliche Beschreibung dieses oft kritisierten Ideals weckte Zuversicht und Mut in mir: Daß der therapeutische Prozeß nicht dort endet, wo die Konflikte im wesentlichen geklärt sind und größere Bewußtheit über die eigenen Beschränkungen erreicht ist, sondern dort „wo eine dynamische Lebendigkeit zum zentralen Wert und zur Seinsweise in der Welt geworden ist“. (Kelemann, zit. n. Neidhöfer, S 35)

Erst jetzt folgt das Kapitel „Panzerung“, welches eher der Entpanzerung und den dafür nötigen Bedingungen gewidmet ist. Deutlich wird die Frage gestellt – und sie ist wohl für jede therapeutische Intervention erneut zu stellen -kommt ein Impuls aus der Panzerung oder aus dem Kern?

Dies setzt selbstverständlich voraus, daß der Prozeß der Entpanzerung beim Therapeuten wesentlich stattgefunden hat. Erst dann kann er/sie „sich bewegen lassen, von den Eindrücken, die man erhält“.

Während im ersten Teil des Buches Grundlagen ausgeführt werden, widmet sich der zweite Teil den Grundprinzipien von Körperarbeit und dem „Handwerklichen“. „Die entscheidende Fähigkeit, das worauf es ankommt in der Körperarbeit, ist die Fähigkeit, im eigenen Körper nach zu empfinden, was im Körper des anderen vor sich geht“. (S 115)

Diese Fähigkeit, in einen ungestörten energetischen Kontakt zu treten – von Reich „vegetative Identifikation“ oder „Organempfindung“ genannt – gilt als „das entscheidende Werkzeug, die entscheidende Qualifikation, die notwendige Voraussetzung für gute Arbeit“. (S 119)

Aus dieser (lernbaren!) Fähigkeit entspringen „technische“ Interventionen, auch wenn diese bisweilen ungewöhnlich und bizarr anmuten. Die Techniken finden im Kapitel „Einige Bemerkungen zum Handwerklichen“ eingehend Erläuterung. Es wird auf die Notwendigkeit der Grundposition Reichscher Körperarbeit (der Klient liegt unbekleidet mit hochgestellten Knien auf der Matte) hingewiesen, welche energetische Blockaden und die Pulsation (auf welche spezifische Art und Weise ist dieser Mensch lebendig?) rasch deutlich machen läßt; ebenso auf die therapeutische Haltung.

Weiters werden Übungen vorgestellt, welche die Pulsation fördern (Anregung der Atmung durch verbale Anweisungen, Massage, u.a.)

Das Buch, welches neben Essays eine Sammlung von Lectures beinhaltet (die Gespräche mit AusbildungsteilnehmerInnenn tragen wesentlich zur Lebendigkeit bei) schließt mit dem Kapitel: „Körperarbeit, Sexualität und Spiritualität“.

Loil Neidhöfers Buch ist die erste abgerundete Darstellung von Skan-Körperarbeit. Es findet sich vieles wieder, was Michael Smith auch uns in seinen Workshops weitergab. Es ist also auch ein Lehrbuch, welches sich jedoch dadurch auszeichnet und von anderen abhebt, daß der Autor „objektive“ Gegebenheiten derart mit seiner Person zu durchdringen vermag, daß es Bewegung und Berührtheit in mir entstehen hat lassen. Vor allem beinhaltet dieses Buch jedoch einen Apell: den Apell sich radikal und verantwortlich „in jedem Augenblick für das Strömen und gegen die Panzerung zu entscheiden“, für eine „discipline of pleasure“ (Al Bauman).

Beatrix Teichmann-Wirth

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