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Bukumatula 5/1997

Wilhelm Reich und die Philosophie, Teil 2

Fortsetzung von Bukumatula 4/97
Szenen aus dem Buch der „Traumvater“ von Peter Reich, zusammengestellt von
Eberhard Krumm:

Abstract

„Wilhelm Reich und die Philosophie“

Teil 1: Klärung des Verhältnisses von Reich zur Philosophie seiner Zeit, Anwendung seiner in „Äther, Gott und Teufel“ geübten Wissenschaftskritik auf die Philosophiegeschichte von den Vorsokratikern bis Kant.

Teil 2: Die Krise der Philosophie von Hegel bis Heidegger, die Anknüpfungspunkte von Dialektik, Lebens- und Existenzphilosophie an Reichs erkenntnistheoretischen Begriff der orgonomischen Denktechnik als Ausgangspunkt einer Revolution der Philosophie.

Biographische Notiz zum Autor:

Eberhard Krumm M.A., *7.3.1959, studierte Philosophie, Geschichte und klassische Philologie an den Universitäten Mainz und Köln. Nach Tätigkeit in der Erwachsenenbildung und als wissenschaftlicher Referent im bundesdeutschen Ministerium der Finanzen ist er seit 1990 Gymnasialprofessor an der HEBO-Privatschule Bonn.

Ausgehend von seiner Ausbildung zum Beratungslehrer 1992/93 bei der Psychoanalytikerin Annette von Mühlendahl, Köln und insbesondere seiner eigenen Vegetotherapie bei dem Reichianischen Körpertherapeuten Rudolf Wondrejc, Wien 1994/95, beschäftigt sich der Autor mit den pädagogischen und philosophischen Dimensionen des Lebenswerks von Wilhelm Reich. In verschiedenen deutschen Fachzeitschriften veröffentlichte Eberhard Krumm bislang Beiträge zur Suizidprävention und Suchtprophylaxe in Schulen und in der Festschrift für Leo Haupts „Streiflichter Neuerer Geschichte“ (Köln, 1992) den Aufsatz: „Hitler, Saddam Hussein und die List der Vernunft“.

Wilhelm Reich und die Philosophie

(Vanessa Kuttig gewidmet) – Teil 2

Reichs orgonomische Denktechnik

Die 173 Seiten von Wilhelm Reichs „Äther, Gott und Teufel“ sind in sechs Kapitel unterteilt, wobei die beiden umfangreichsten, nämlich Kapitel drei (S.54-79) und vier (S.80-127) auch den Kern des Buches bilden. Im Kapitel drei, „Die Organempfindung als Werkzeug der Naturforschung“, stellt Reich seine „orgonomische Denktechnik“ als Grundlage einer neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode vor. Im vierten Kapitel mit dem Titel: „Animismus, Mystizismus und Mechanismus“ beleuchtet Reich die wissenschaftsgeschichtlichen Hintergründe, die die naturwissenschaftliche Weltsicht des 20. Jahrhunderts geprägt und die Ausarbeitung der orgonomischen Denktechnik bis dahin verunmöglicht haben. Reich orientiert sich, was die wissenschaftshistorischen Aspekte seiner Darstellung betrifft, an dem umfangreichen Werk des Philosophen Friedrich Albert Lange (1828-1875) mit dem Titel „Geschichte des Materialismus“.

Ausgehend von Langes Ausführungen über die vorsokratische Philosophie, selbst noch seiner Deutung des Sokrates und des Aristoteles, schreibt Reich der Philosophie im Altertum „die Rolle der heutigen Naturwissenschaft“ (ÄGuT S.81) zu. Die Naturwissenschaft der Vorsokratiker war, so Reich, geprägt von einer „animistischen“ Auffassung der Natur als des belebten Lebens (ÄGuT S.91). Belebtes Leben ist emotionelles Leben und kann von diesem, so Reich weiter, nicht getrennt werden, es sei denn durch Mystizismus und Mechanismus. Reich zeigt dann in dem in Rede stehenden vierten Kapitel, wie diese Trennung in der Entwicklung der Physik stattfand und wie die Relativitätstheorie und die Atomforschung die Physik des 20. Jahrhunderts prägen.

Ich habe im ersten Teil dieses Aufsatzes gezeigt, dass diese Kategorisierung hinsichtlich der Physik und der Naturwissenschaften generell, wie Reich sie vorgenommen hat, auch auf die Geschichte der Philosophie angewandt werden kann. Was für die Physik der „Mechanist“ Newton und der „Mystiker“ Einstein sind (nicht umsonst bilden gerade diese beiden, auch im Persönlichen so gegensätzlichen, Prototypen der beiden physikalischen Richtungen auch die Vorlage in Dürrenmatts Drama „Die Physiker“, in dem als dritter der Physiker Möbius durchaus Reich´sche Züge trägt), sind für die Philosophie nach meiner Darstellung Descartes und Platon. Die Verbindung von Mechanistik und Mystik erreicht, so habe ich ausgeführt, ihre Klimax in der Philosophiegeschichte, in der Philosophie und, und dieses und ist mir sehr wichtig, in der Person Immanuel Kants.

Interessanterweise macht nun der Nicht-Philosoph, ja Anti-Philosoph und Naturwissenschaftler Reich, im Banne des Neukantianers Lange, das Denken gerade dieses Immanuel Kant zum Ausgangspunkt seiner orgonomischen Denkmethode. Reich bezieht sich auf Kants Behauptung in dessen „Kritik der Reinen Vernunft“, dass die eigentliche Natur der Dinge uns völlig unzugänglich sei, woraus Kant das „Ding an sich“ hinter den Dingen, wie sie uns erscheinen, postulierte und damit im Grunde zur „mystischen“ platonischen Idee zurückkehrte, nur dass Kants „Ding an sich“ wesentlich blasser und abstrakter da steht als Platons „Idee des Guten“, die vom Feuer seiner eigenen glühenden Sehnsucht nach dem guten Leben erleuchtet und erwärmt war. Reich folgert aus der Kant´schen Erkenntniskritik: „Wenn es gelänge, die Funktion der Wahrnehmung und der Empfindung selbst energetisch (orgonotisch) zu fassen, das heißt ihr eigentliches Wesen zu erforschen, so wäre ein Zugang zum `Ding an sich´ geschaffen.“ (ÄGuT S.64).

Reich überträgt dann Kants „Ding an sich“ auf Sigmund Freuds Begriff des Unbewussten, aus dem alles Leben sich speist. Das Unbewusste sind Emotionen; bewusst werden sie durch die Analyse, die aber von den Empfindungen nicht zu trennen ist. Das hat Sigmund Freud glasklar gesehen, deshalb widmete Freud den Empfindungsvorgängen vor und während der Psychoanalyse, nämlich Verdrängung, Widerstand, Angst, Trauer, Übertragung und Gegenübertragung, so besondere Aufmerksamkeit.

Die Frage, welche Rolle diese Phänomene in der Psychoanalyse spielen, stellt sich Kant hinsichtlich seiner Erkenntnistheorie: ob es überhaupt eine „objektive“ Erkenntnis gibt, oder inwieweit unser „Erkenntnisapparat“ mit seinen subjektiven Ausprägungen nicht alle Erkenntnis subjektiv verfärbt und, auf die Spitze gebracht, die Erkenntnis überhaupt damit erst schafft.

Mit anderen Worten: ist Erkenntnis die Angleichung des subjektiven Intellekts an die objektive Realität, oder schafft sich der Intellekt aufgrund seiner Wahrnehmung, wie ihm die Dinge erscheinen, überhaupt erst die Realität? Auf dieses Grundproblem der Erkenntnistheorie seit Aristoteles findet Reich nun eine erstaunliche Antwort, die Antwort seiner „orgonomischen Denktechnik“.

Grundlage dieser Denktechnik ist für Reich die Befreiung der Lebensenergie aus dem Charakterpanzer, den wir unter den Sozialisationsbedingungen unserer mechanistisch-mystischen Zivilisation zum Schutz des Überlebens unseres inneren personalen Kerns schon in frühester Kindheit anlegen. Durch den Panzer wird unser Denken unbeweglich und starr. Durch den Charakterpanzer hindurch erkennen wir wie ein Spiegel mit zerstörtem Belag. Ein klarer Spiegel und ein zersprungener funktionieren verschieden: „Der erste Spiegel gibt die Dinge anders wieder als der zweite.

Die Spiegelung, also die `Empfindung´ ist in beiden Fällen `subjektiv´ oder `willkürlich´. Die Bilder von den Gegenständen sind in beiden Spiegeln irreal. Dennoch kann nicht daran gezweifelt werden, dass der glatte Spiegel die Gegenstände so wiedergibt, wie sie sind, während der unebene sie verzerrt.“ (ÄGuT S.56). In einem anderen Beispiel vergleicht Reich die gepanzerte und die ungepanzerte menschliche Erkenntnis mit einer Schlange: „Eine gesunde Schlange bewegt sich und handelt nach den Gesetzen des kosmischen Orgons. Eine mit einem Strick angebundene Schlange handelt, empfindet und reagiert auf Grund der Behinderung ihrer Bewegung durch den Strick.“ (ÄGuT S.61). Beide Schlangen schlängeln sich, erstere jedoch elegant, wendig und anmutig auf ihrem Weg, denn sie kommt ja sicher vom Fleck, die andere zappelt verängstigt und giftspritzend auf der Stelle.

An diesen beiden Beispielen, an denen Reich deutlich machen will, dass die Befreiung der Lebensenergie durch seine Orgontherapie Grundlage aller klaren Erkenntnis sein müsse, zeigt sich aber ungewollt, wie Beispiele hinken können, selbst das so schöne Beispiel von der Schlange, die nach dem Buch Genesis die erste Menschin, Eva, zur Erkenntnis überhaupt erst verführte.

Denn es ist möglich, die gefesselte Schlange von ihrem Strick loszubinden und in die Freiheit zu entlassen. Ein zersprungener Spiegel hingegen kann nicht wieder so zusammengekittet werden, dass man die Risse nicht mehr sieht. Dies konveniert mit einem anderen Bild, das Reich in Hinsicht auf den Erfolg von Psychotherapie öfters verwendet: ein einmal krumm gewachsener Baum kann niemals, wie immer man ihn auch gärtnerisch umhegt, wieder ganz gerade werden.

Aber der krumme Mensch, der seine Verwachsungen erkennt und seine lebendigen Triebe, die daran waren zu verdorren, wieder zu neuer Blüte bringt, was Reichs Orgontherapie ja beabsichtigt, muss sein Krumm-Sein und die Geschichte seiner Verkrümmung nicht mehr verleugnen und verzerren; er nimmt die Verzerrungen als solche wahr, er sieht der Wahrheit seines Spiegels ins Auge ohne die Sprünge zu übersehen und zu übertünchen.

Und auch die Schlange wird Narben von ihrer Bindung an den Strick behalten haben, die trotz Befreiung und Häutung nie verschwinden werden. Die Frage, die daran anschließt, ist: gibt es dann überhaupt eine völlig ungetrübte, ungepanzerte Erkenntnis, selbst bei denen, die Dank einer Therapie nach Wilhelm Reich wieder gelernt haben, frei zu empfinden und klar zu sehen?

Ich setze diese kurze Bemerkung an Stelle einer ausführlichen Analyse der gepanzerten und ungepanzerten Denkmethode, die Reich im dritten Kapitel von „Äther, Gott und Teufel“ beschreibt. Die oben skizzierten Bilder beschreiben bereits deutlich, worauf es einer orgonomisch orientierten Philosophie ankommen müsste, die das Wesen des Lebendigen, das „Ding an sich“ des belebten Lebens zu erkennen und zu begreifen sich anschickt: auf die Freiheit und Anmut der Bewegung und die klare Sicht des Weges.

Der gepanzerten Philosophie geht es jedoch in aller Regel nicht um Bewegung, sondern um Stand-punkte und Definitionen, das heißt: Be-grenz-ungen, innerhalb derer man sich sicher fühlt im Chaos des Lebens, aber auch erstarrt und nicht mehr das Ganze sieht, sondern nur noch Teile und damit verzerrt. Die Naturwissenschaften, die Medizin sowie jene Philosophie, die für sich den Anspruch erhebt, „streng wissenschaftlich“ vorzugehen, operieren in unserer Zeit nach der Methode der Detailanalyse, die auch ihren Ort in der Erforschung des Lebens hat, aber nicht alles ist. Mediziner sezieren Menschen und Ratten, Biologen betrachten Blütenblätter unter dem Mikroskop, Philosophen beschäftigen sich mit Sprachanalysen und logischen Definitionen.

Sie gleichen, so Reich (ÄGuT S.120), Menschen, die einen fahrenden Eisenbahnzug im Detail analysieren, jeden Hebel, jeden Kolben, das Holz, Glas und Metall jeden Waggons genau untersuchen und Tabellen über die statistische Verteilung dieser Materialien aufstellen, die Gesamtheit der Bewegung des Zuges jedoch damit noch in keiner Weise erfassen. Diese Bewegung selbst ist unteilbar, kann nicht in einzelne Momente zerlegt werden oder sie ist nicht mehr die Bewegung, die sie ist.

Dies deutlich und klar dargelegt zu haben, ist das Verdienst des von Reich sehr geschätzten – in seiner Studienzeit bezeichnete Reich sich als leidenschaftlicher Bergsonianer – Philosophen Henri Bergson (1859-1941). In seinen Vorträgen an der Universität Oxford im Mai 1911 mit dem Titel „Die Wahrnehmung der Veränderung“ (abgedruckt in: „Denken und Schöpferisches Werden“, Hamburg 1993, S.149 ff und insbesondere S.162 ff) zeigt Bergson anhand der Bewegung einer Hand von Punkt A nach Punkt B, wie ich zwar analytisch diese Bewegung in einzelne Zentimeter und Millimeter zerlegen oder die Hand an einem bestimmten Punkt anhalten kann, die Bewegung eben damit aber nicht mehr die ganzheitliche Bewegung ist, die wir mit unserem Auge wahrnehmen.

Trennung und Zergliederung ohne Blick auf das in steter Veränderung befindliche Ganze sind nach Reich die typischen Merkmale von Mystizismus und Mechanismus, die sich ergänzen „zu einem scharf aufgesplitterten Bild vom Leben, mit einem Körper bestehend aus chemischen Stoffen hier, und einem Geist oder einer Seele, merkwürdig und unerforschbar, unerreichbar wie Gott selbst, dort.“ (ÄGuT S.122, Hervorhebung von Reich). Er fährt fort: „Der ungepanzerte Organismus dagegen erlebt sich selbst vor allem als einheitlich bewegt.

Seine Organempfindungen sagen ihm, dass das Wesentliche am Lebendigen nicht das Stoffliche ist. Ein Leichnam sieht im Grunde – stofflich gesehen – nicht anders aus als ein lebendiger Körper. Auch die chemischen Zusammensetzungen sind knapp nach dem Tode, ehe die Purifikation einsetzt, dieselben, wie am Lebenden. Der Unterschied liegt in der Abwesenheit des Bewegten. Daher ist der Leichnam für das Lebensempfinden fremd, ja grauenhaft. DAS SPONTAN BEWEGTE IST ALSO DAS LEBENDIGE.

Wir begreifen nun die Hoffnungslosigkeit allen mechanistisch- mystischen Denkens. Es prallt immerzu auf den Panzer des eigenen Organismus auf, ohne ihn je durchdringen zu können.
Das ungepanzerte Lebendige wird dagegen in seinen eigenen Bewegungen den Ausdruck der Bewegungen des Lebendigen überhaupt finden, ablesen und begreifen. Ihr ist das Bewegte das Wesentliche; die Struktur ist zwar wichtig, aber nicht wesentlich. Die Biologie des ungepanzerten Organismus muss daher grundverschieden sein von der Biologie des gepanzerten.“ (ÄGuT S.122 f, Hervorhebung v. Reich).

Auch eine Philosophie des ungepanzerten Organismus muss grundverschieden sein von der eines gepanzerten. Indem ich Reichs, für Biologie und die Physik in „Äther, Gott und Teufel“ bestimmten Ausführungen auf die Philosophie übertrage, gewinne ich für ein philosophisches Forschen, das sich an der orgonomischen Denktechnik orientiert, folgende drei Kriterien:

  1. Einer orgonomisch orientierten Philosophie ist das spontan Bewegte, die lebendige Bewegung des Geistes, der nicht gleichzusetzen ist mit dem Denken, sondern Körperempfindungen und Emotionen gleichermaßen in sich enthält, das Wesentliche. Die wechselseitige Einheit von Körper, Seele und Geist ist einer solchen Philosophie zugleich Subjekt als auch Objekt der Erkenntnis.
  2. Eine orgonomisch orientierte Philosophie bemüht sich um Integration der Einzelphänomene der Erkenntnis in eine allumfassende seelisch-körperlich-geistige Bewegung und lehnt scharfe Dichotomien als Symptome mechanistischen oder mystifizierenden Denkens ab. Definitionen und Strukturen gelten ihr als nützliches Vehikel, d.h. Fahrzeug auf dem Denkweg, nicht als sicherer Standort.
  3. Eine orgonomisch orientierte Philosophie kann nicht getrennt werden von der Existenz und Charakterstruktur des Philosophen, der sie entwirft. Wer im Sinne der orgonomischen Denktechnik Reichs denkt, muss sich die Frage nach der „orgonomischen Potenz und Sensibilität des Beobachters“, der Reich in „Äther, Gott und Teufel“ die Schlussüberlegungen (S.167 ff) widmet, gefallen lassen. Der Grad der Panzerung eines Philosophen bestimmt den orgonomischen Wert seiner Erkenntnis.

Rückblick: von Platon bis Kant. Welche Philosophie hält den Kriterien orgonomischer Philosophie Stand?

Ich denke, die hier von mir entwickelten Kriterien lassen eine Kritik, das heißt Entscheidung, was an 2700 Jahren abendländischer Philosophiegeschichte im Dienst des Lebens brauchbar ist und was nicht, zu. Reichianischer Körpertherapeut zu sein muss nicht heißen, alle Philosophie über Bord zu werfen. Es ist zum Beispiel leicht einsehbar, dass die vorsokratische Philosophie, wie auch von Reich selbst bekundet, den ersten beiden Kriterien voll und ganz Stand hält.

Über das 3. Kriterium, das Leben der Philosophen und ihre Sensibilität, wissen wir zu wenig. Es ist spannend, im Licht dieser Kriterien die Philosophie Platons unter die Lupe zu nehmen, von dem wir gesehen haben, dass er mit seiner Ideenlehre die Dichotomie und die Mystifikation in die Philosophiegeschichte eingeführt hat. Es ist spannend zu verfolgen, wie Plato im Verlaufe seines 80 Jahre währenden Daseins in seinem Denken immer starrer wird.

In seinen frühen Werken beschäftigt sich Platon, von der Sehnsucht nach Erkenntnis, also einer Emotion, getrieben, mit den Fragen, die die Menschen bewegen, wie: „Was ist Tapferkeit?“, „Wie funktioniert Erkenntnis?“, „Was ist Liebe?“, „Was geschieht mit der Seele nach dem Tode?“. Er diskutiert diese Fragen in Form lebendiger Dialoge, die meist in einer Aporie enden, in der diese Fragen unentschieden und weiter fragwürdig im doppelten Sinn des Wortes bleiben.

Selbst noch im Zusammenhang mit der Darstellung seiner Ideenlehre im „Staat“, im berühmten Höhlengleichnis (Politeia 514 a ff), beschreibt Platon die Menschen als auf einem Weg befindlich, das Leben als Bewegung aus einer dunklen Höhle ins Licht der Erkenntnis und zurück, um anderen, die noch in der Höhle sind, den Weg zu weisen. Platon endet in seinem Alterswerk mit dem bezeichnenden Titel „Gesetze“ beim starren Dogma.

In seinen frühen und mittleren Werken aber spürt der sensible Leser den lebendigen Puls des Lebens und Denkens dieses Mannes. Man spürt ihn auch, warm und kräftig, bei seinem späteren Interpreten, dem Neuplatoniker Plotin, dessen Körperfeindlichkeit in ekelerregenden Schilderungen überliefert ist – was die Vernachlässigung und Verachtung seines eigenen Körpers betrifft -, der aber wie kein anderer das Glück der Ekstase in der Bewegung zum göttlichen Urgrund des Lebens mit leidenschaftlichen Worten beschreibt und dieses ekstatische Er-leb-nis zum Ziel seines Philosophierens macht.

Ganz anders Descartes, obwohl dessen Denken mit dem lebendigen Zweifel beginnt. Er führt mit seiner Abspaltung des Lebens vom Denken, besser gesagt: mit der Umkehrung des Abhängigkeitsverhältnisses – „Ich denke, also bin ich!“ statt: „Ich lebe, also kann ich denken!“ – sehr schnell in die Verleugnung der Wichtigkeit der emotionalen Lebensfunktionen und damit in die geistige Erstarrung vermeintlich unbezweifelbarer Sicherheiten. Mich verwundert sehr, dass Reich das ganz offensichtlich Starre und Lebensfeindliche der Philosophie Kants nicht gesehen hat.

Denn das Wesentliche der Kantischen Philosophie ist keinesfalls das spontan Bewegte, sondern die Grenze des Wissens, die Definition, der sichere Stand-ort des Denkens und des Denkers. Er vertrat einen weit schärferen Dualismus als Platon. Da sein Leben und seine Lebensweise recht gut überliefert sind, finde ich es erstaunlich, dass Freud oder Reich die Biographie Kants nicht zur Beschreibung des neurotischen Zwangscharakters hinzugezogen haben. Kant hat sich in seinem 80 Jahre langen Leben keine sieben Kilometer aus seiner Heimatstadt Königsberg hinausbewegt, Gefühle und spontane Reaktionen scheinen ihm unheimlich gewesen zu sein; von Liebe und Leidenschaft erfährt man aus den Biographien, in denen breit von Kants Lieblingsspeisen und seiner sprichwörtlichen Pünktlichkeit erzählt wird, rein gar nichts.

Aus der Darstellung, wie Kant sich pünktlich um 22 Uhr – er geriet in Panik, wenn es später wurde – allabendlich in seine Decke wie in einen Kokon auf eine ganz bestimmte Art einhüllte und dass er streng verbot, sein Schlafzimmer zu lüften, gewinne ich den Eindruck, dass er eines zusätzlichen Panzers bedurfte, um sich dem Schlaf hingeben zu können.
Es ist Kant, dem wir die hohe Wertschätzung der Pflicht als Grundlage der Moral verdanken. In der gesamten antiken und mittelalterlichen Ethik wird die Frage: „Warum sollen wir überhaupt moralisch handeln?“ damit beantwortet: „Um glücklich zu werden“.

Glück galt den Philosophen vor Kant als das Ziel unseres Lebens, wenn sie darunter auch jeweils Anderes verstanden. Für Platon bestand das Glück in der vollkommenen Erkenntnis der Ideen. Aus der Erkenntnis der Idee des Guten folgte für Platon selbstverständlich, dass der, der das Gute erkannt hat, es auch tut. Wer unethisch handelt, hat nach Platon das Gute lediglich mangelhaft erkannt. Für Aristoteles bestand das Glück im Handeln gemäß der Vernunft. Da ich mich im Handeln selbst verwirkliche und mich so gut als möglich verwirklichen will, strebe ich, laut Aristoteles, auch danach, so gut als möglich für mich und die Gemeinschaft zu handeln.

Für Epikur bestand das Glück in der Lust, die ich nur im Zustand innerer Gelassenheit vollständig zu genießen vermag. Diese Gelassenheit erwerbe ich mir nur, wenn ich keine Angst davor haben muss, dass unmoralische Handlungen ans Licht des Tages gelangen oder ich von Gier getrieben und durch Gewissensbisse gepeinigt meine Seelenruhe verliere. Selbst die Stoiker hatten das Glück im Visier, wenn sie danach strebten, sich gegen Schmerz unempfindlich zu machen und daraus folgerten, das Gute müsse getan werden, um Schmerzen zu lindern und so gemäß der Natur des Menschen, die nach Schmerzfreiheit verlangt, zu leben.

Das Glück des Christen liegt in der ewigen Seligkeit bei Gott, die dem verheißen ist, der an Jesus Christus glaubt und aus christlicher Nächstenliebe Gutes tut. Für die Aufklärungsphilosophen bestand Glück im Ausgleich zwischen egoistischer Anspruchsbefriedigung und den Erfordernissen gesellschaftlichen Zusammenlebens, die soziales Handeln nötig machen. Der „Alles-zermalmer“ Kant fegt all diese Überlegungen beiseite. Er fordert in seinem „kategorischen Imperativ“, der Mensch müsse allein aus Pflicht gut handeln und geht so weit zu sagen, eine Handlung sei moralisch ohne jeden Wert, wenn sie mich gleichzeitig glücklich macht und meinen Neigungen entspringt.

Damit begründet Kant, wider alle Vernunft, wider alle Lebenserfahrung, die moralistische Regulierung. Sie schafft, so Reich in „Die Funktion des Orgasmus“ (3. Auflage, Kap.VI,5 der deutschen Ausgabe, Köln 1969, S.159 ff) „einen scharfen, unauflösbaren Widerspruch, den der Natur contra Moral“, dem Reich das Prinzip der natürlichen Selbstregulierung des ungepanzerten, aus seinem natürlichen, genitalen Selbstbewusstsein heraus handelnden Menschen entgegensetzt. Seltsamerweise sah er nicht, dass Kant der Urheber dieses Widerspruchs ist, den er so vehement in diesem Abschnitt bekämpft. Die moralischen Probleme, die Kant in seiner Philosophie erzeugt, stellen sich einem orgonomisch ungepanzerten Denker nicht.

Die Krise der Philosophie nach Kant

Da Kants Philosophie in meinen Augen den Höhepunkt der Verbindung mystizistischer und mechanistischer Traditionen in der Philosophie darstellt, führt uns Kant in eine Krise; im ursprünglichen griechischen Wortsinn bedeutet der Begriff „Krise“ Entscheidung oder Wahl. Der Höhepunkt wird entweder zum Wendepunkt, von dem aus es wieder hinab geht, oder der Höhepunkt muss als Endpunkt zum Hochplateau ausgebaut werden. Es liegt an jedem selbst, die Wahl in dieser Krise zu treffen, auf dem Höhepunkt zu bleiben oder wieder hinabzusteigen.

Auf den Punkt gebracht besteht der Kantische Höhepunkt in der völligen Ablösung der Ratio vom Leben, der Moral von der Natur, des Denkens vom Empfinden, des Handelns von der Emotion. Es bleibt dem Philosophen die Wahl, sich im Elfenbeinturm seines vom Körper getrennten Hirns einzubetonieren und unter dem Etikett der strengen Wissenschaft seine Schizophrenie zu bemänteln, oder wieder hinabzusteigen in den Dschungel der Körperempfindungen, um sich dort mit der Machete der Vernunft durchs Dickicht des Unterholzes des Irrationalen einen „Holzweg“ zu schlagen.

Wie ich zu Beginn des ersten Essays ausgeführt habe, zogen es Husserl, Wittgenstein, der Wiener Kreis, und wie sich die Pragmatiker und kritischen Rationalisten sonst nennen mögen – sie mögen mir vergeben, dass ich sie pauschal in einen Topf ohne Sauce werfe – vor, auf dem von Kant erstiegenen Höhepunkt zu bleiben und diesen, streng wissenschaftlich natürlich, zu verbreitern. Es ist ihnen gelungen, im Verein mit Naturwissenschaft und Technik, von diesem Gipfel aus das akademische Leben in den letzten zweihundert Jahren zu beherrschen.

Man schaue sich die Philosophie, man schaue sich die Biographien dieser wissenschaftlichen Philosophen im Spiegel der orgonomischen Denktechnik und der Kriterien, wie ich sie in Bezug auf die Philosophie formuliert habe, an; es wundert einen dann nicht mehr, wenn Reich damit nichts zu schaffen haben wollte. Die Anmut und Schönheit der Denkbewegungen Kants oder Wittgensteins ähneln doch allzu sehr denen der an den Pflock gebundenen Schlange. Den Pflock bildet hier das abstrakte Denken; er hindert mich zwar an der emotionalen Bewegung, zum Beispiel der Rührung oder des Enthusiasmus, schützt mich aber auch vor den Gefahren der „freien Wildbahn“.

Die Bilder der Welt, die diese Denker spiegeln, wirken seltsam beschlagen und farblos, doch zeigt mir der beschlagene oder zersprungene Spiegel auch keine grässliche Fratze, wenn ich hineinschaue. Die klare Selbsterkenntnis bleibt mir erspart. Dies begründet hinlänglich die Attraktivität der rein wissenschaftlichen Philosophie für gepanzerte Philosophen. Charlotte von Schiller schrieb über Kant: „Er wäre einer der größten Denker gewesen, wenn er Liebe hätte empfinden können.“ Dieses „Wenn“ enthüllt die ganze Tragik des Panzers, der das Denken völlig pervertiert; solches Denken ohne Liebe ist für die orgonomische Denktechnik ohne jeden Wert.

Aber nicht alle Philosophen blieben auf dem Höhepunkt der Kantischen Transzendentalphilosophie. Sie wandten sich ab, stiegen wieder hinab ins Reich des Körperlichen, wollten wieder saftigen Boden unter den Füßen gewinnen, den Körper für die Philosophie zurück gewinnen. Der Vordenker und Anführer dieser Philosophen macht auf den ersten Blick den Eindruck, er sei alles andere als ein Wanderer ins Tal der Emotionen, sondern eher geneigt, völlig abzuheben, selbst vom Gipfel Kants, um mittels der „spekulativen Dialektik“ den Himmel selbst zu erobern. Der Grenzgänger, von dem ich spreche und dank dem die Philosophie in der Krise der Kritik blieb, ist der Vorgänger von Karl Marx (1818-1883) und Friedrich Engels (1820-1895), Ludwig Feuerbach (1804-1872) und Friedrich Nietzsche (1844-1900), Sören Kierkegaard (1813-1855) und Jean Paul Sartre (1905-1980), Henri Bergson und Martin Heidegger.

Mit diesen Namen verbinden sich „Strömungen“ der neueren Philosophie, die unter dem Etikett „dialektischer Materialismus“, „Lebensphilosophie“ und „Existenzphilosophie“ firmieren. Dem dialektischen Materialismus von Marx und Engels fühlte sich Reich bis weit in die 1930-er Jahre weltanschaulich verbunden, von Bergson und Nietzsche spricht er in seinen Schriften öfters mit Wärme und Zuneigung. Alle genannten Philosophen im Licht der orgonomischen Denktechnik darzustellen, dazu will ich mich im Rahmen dieses Essays jedoch nicht entschließen.

Die spekulative Dialektik in Entsprechung zur orgonomischen Denktechnik

Breiteren Raum stattdessen will ich dem Philosophen und seiner Denkmethode, die der Quell aller vorgenannten „Strömungen“ ist, einräumen. Der Philosoph, der das philosophische Forschen wieder als lebendige Bewegung in Gang brachte und dem dieses spontan Bewegte das Wesentliche ist, der den Widerspruch zur Grundlage seiner Logik, von der doch in der „strengen Wissenschaft“ absolute Widerspruchsfreiheit gefordert wird, machte, dem der Geist Alles und daher mehr als das Denken war, ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er war, wie schon zu Beginn von Teil I dieses Essays ausgeführt, ein Universalgelehrter wie Reich auch.

Dieser erwähnt den Namen Hegels in seinen Büchern jedoch nur an einer Stelle, nämlich im „Christusmord“ (dt. Neuausgabe, 2001-Verlag, Frankfurt/Main 1997, S.18), und dies summarisch unter anderen Denkern: „Locke und Hume und Kant und Hegel und Marx und Spencer und Spengler und Freud, sie alle waren unbestritten große Denker, aber irgendwie hinterließ ihr philosophisches Forschen eine Leere in der Welt, und die Masse der Menschen blieb durch sie unberührt.“ Reich begründet dieses reichlich pauschale Urteil auf den folgenden Seiten damit, dass alle diese Philosophen sich im Wesentlichen geirrt hätten.

Die Quintessenz von Reichs „Christusmord“ besteht aber unter anderem darin, dass die große Masse der Menschen unbeweglich und bequem ist und sich innerlich weder von den großen Philosophen, noch den großen Propheten, ja vom Erlöser Jesus Christus selbst nicht berühren lässt. Die Menschen sehnen sich zwar nach der Lust der freien Bewegung, nicht aber nach der Bürde der Verantwortung. Sie wollen zwar vom Pflock erlöst werden, aber nicht vom Fleck kommen, wenn der Weg vom Fleck weg ein Kreuzweg ist.

Hegel hingegen war von nichts so sehr beseelt wie von der Idee der Freiheit, deren Verwirklichung für ihn den Gang der Geschichte ausmacht. Es gibt Lexika, in denen findet man die Behauptung, Hegel behaupte die Identität von Sein und Denken. Das tut er mitnichten. In seinem grundlegenden Werk „Phänomenologie des Geistes“ behauptet er die Einheit von Sein und Geist. Phänomenologie ist für ihn die Wissenschaft, die Wissen schafft von den Erscheinungsformen (=griech.: Phänomena) des Geistes.

Da nach Hegels Grundaxiom der reine Geist dasselbe ist wie das reine Nichts, geht es ihm um die Bewegung zwischen beiden Polen, nämlich das Werden und Vergehen. In sehr ähnlichen Wendungen wie Reich in der zitierten Stelle in „Äther, Gott und Teufel“ (S.122 f) beschreibt auch Hegel, dass das Wesentliche am Lebendigen nicht das Stoffliche ist, nicht der Leichnam, den man sezieren und analysieren kann. Nach Hegel (PdG, Suhrkamp-Werksausgabe, Frankfurt/Main 1970, Bd.3, S.13) ist nicht das durch wissenschaftliche Analyse gewonnene „Resultat das wirkliche Ganze, sondern es zusammen mit seinem Werden“ (Hervorhebungen von Hegel). Das wissenschaftliche Resultat ist nur „der Leichnam, der die Tendenz hinter sich gelassen“.

Wirklich ist nur das, was wirkt und das Bewirkte kann von der lebendigen Kraft, die es bewirkt hat, nicht abgetrennt werden. In diesem Grundaxiom wurzelt, was Hegel und Reich zutiefst verbindet. Nach Hegel erscheint der lebendige Geist in drei Formen: als subjektiver, als objektiver und als absoluter Geist. Der subjektive Geist, auf den ich mich hier beschränke, ist jedes einzelne Individuum, in dem der Geist frei wirkt als Gefühl, Verstand und Vernunft. Das Gefühl, die Empfindung, ist für Hegel die Position, von dem die Bewegung des subjektiven Geistes ausgeht; der Ausgangspunkt wird zum springenden Punkt, dem Ur-sprung des Denkens.

Dies ist meines Erachtens die Jahrtausendleistung Hegels: das Gefühl und die Körperempfindung als integratives Moment für die Philosophie wieder zurückgewonnen zu haben. Eben diese Leistung wird von vielen seiner Anhänger flugs übersehen, die von hier aus schnell weg sich aufschwingen wollen in die Höhen des objektiven oder des absoluten Geistes. Diese „herzlosen“ Hegelianer müssen enorme Verdrängungsenergien aufbringen, um nicht bemerken zu müssen, wie ihnen die Emotion, die Heraus-bewegung, in der Hegelschen Dialektik nicht nur permanent auf den Fersen bleibt, sondern wie der Igel dem Hasen im Märchen auch permanent schon voraus ist.

Denn im objektiven Geist finden wir das Gefühl wieder in der „sittlichen Intimität“, wie Hegel das nennt, des Familienlebens, im absoluten Geist im emotionalen Ausdruck der Kunst. Herz und Kopf nicht mehr getrennt, sondern eins. Diese Lehre macht den revolutionären Elan der Hegelschen Philosophie aus. Er bleibt jedoch weit davon entfernt, einer neuen“Logik des Herzens“ das Wort zu reden wie Pascal oder gar zum Vorreiter einer romantischen New-Age-Bewegung zu werden. Denn, so Hegel weiter: zwar gehören Kopf und Herz und Bauch zusammen, doch ist der Kopf der Tod des Herzens, der Verstand der Tod des Gefühls.

Das Denken mordet, indem es analysiert (griech.: analyein = auflösen). So wie am lebendigen Baum die Blüte der Tod der Knospe ist und die Frucht der Tod der Blüte und beides nicht gleichzeitig sein kann, so vernichtet der Verstand die Unmittelbarkeit des Gefühls. Ein Beispiel: Wenn ich beginne, über meine Liebe zur Geliebten nachzudenken, versetze ich meinem Liebesgefühl den Todesstoß, ich fälle Urteile über die Geliebte, statt sie zu lieben. Urteilen heißt, von einem Ur, einem Ganzen, etwas abteilen, im Beispiel von der Liebe an sich das abteilen, was diese Liebe in diesem Moment für mich ist. Das reflektierende Urteil entspricht dem notwendigen, einem die Not wendenden, menschlichen Bestreben, in der permanenten Bewegung der Gefühle Standpunkte und einen Überblick zu gewinnen.

Weil es vielen Philosophen nur um diesen Überblick und die sicheren Standpunkte ging, nahmen sie es hin, das Gefühl für die Philosophie als Ganzes zu töten, siehe Descartes. Für Hegel jedoch sind alle Stand-punkte, die sich durch den Ver-stand, durch Nach-denken im Sinne von: erst fühlen, da-nach denken, gewinnen lassen, vor-läufig, das heißt nach vorn laufend, denn wir sollen beim Verstand nicht stehen bleiben. Wir sollen, wie auch Reich fordert, das Ganze im Blick, wenn auch nicht im Überblick behalten. Dies gelingt mittels der Vernunft, die im Gegensatz zum Verstand nicht nur versteht, sondern begreift und in der begreifenden Bewegung einen körperlichen Griff vollführt, der das, was der Verstand getrennt hat, wieder zusammenbringt und zusammenwachsen lässt.

Insofern ist die Vernunft der Tod des Verstandes und die Wiedergeburt von Gefühl und Verstand auf einer höheren Stufe der Erkenntnis. Die ursprüngliche Unmittelbarkeit des Gefühls lässt sich nicht wieder herstellen, aber es bleibt auch nicht bei der Leichenkälte des reinen Verstandes. Angewandt auf das Beispiel von der Liebe: Wenn ich „vernünftig“ liebe, sehe ich die Geliebte nicht mehr durch die rosarote Brille der unmittelbaren Empfindung, analysiere sie aber auch nicht mehr mit den scharfen Urteilen der Reflexion, sondern liebe mit einer Kraft, die durch die tödliche Negativität der Kritik aller Mängel der Geliebten hindurch gegangen ist und dennoch – oder gerade deshalb – wirklich und wirksam liebt.

Diesen Prozess wiederholen wir immer wieder, solange wir leben, solange wir uns nicht auf den Halt konventionellen Verhaltens, auf die vermeintliche Sicherheit begründeter Meinungen zurückziehen, sondern das tödliche Wagnis des Infragestellens durch die Vernunft eingehen und die Bewegung des Greifens nach dem Unbegreiflichen, des Aufdeckens des Abgrundes unter allen Gründen mitvollziehen. Da gibt es keine Sicherheiten mehr, sondern eher das suchende, unsichere Abtasten, wie Reich es für die Naturwissenschaften im Sinne seiner orgonomischen Denktechnik (ÄGuT S.101) fordert und das einhundert Jahre vor ihm von Hegel in seiner Logik ausführlich beschrieben worden ist. Ähnlich verhält es sich mit Reichs Beispiel vom Eisenbahnzug.

In Hegels Terminologie finden wir dieselben Sachverhalte systematisch und exakt ausgedrückt in seiner Unterscheidung vom abstrakten (von lat. abs-trahere = wegziehen) Denken des Verstandes, der vom Ganzen wegsieht, um die Einzelteile im Detail zu untersuchen, wie die moderne Naturwissenschaft dies tut, und dem konkreten (von lat. concrescere = zusammenwachsen) Begreifen der Vernunft, die das lebendige Zusammenwachsen der Einzelteile bei aller Detailanalyse immer als das Wesentliche sieht. Auch das, was lebendige Psychotherapie ausmacht, finde ich in Hegels unvergleichlicher Passage über die „ungeheure Macht des Negativen“ in der „Phänomenologie des Geistes“ (S.36) beschrieben, wo er von der „absoluten Zerrissenheit, in der der Geist seine Wahrheit findet“, spricht.

Von der Zerrissenheit, die ich aushalten soll, ohne beim Aushalten Halt zu machen, um das, was mir geschieht, als meine Geschichte zu begreifen und neue Knospen aus krummem Holz zu treiben, im Begreifen neu nach dem Leben auszugreifen. Ein letztes zur Hegelschen Dialektik, die in ihrem Wesenskern meines Erachtens exakt dem entspricht, was Reich mit seiner orgonomischen Denktechnik will: die Bewegung des Geistes kennzeichnet Hegel mit dem Verb „aufheben“, das im Deutschen drei gegensätzliche Bedeutungen hat, nämlich vernichten (z.B. ein Gesetz aufheben), aufbewahren (ein Erinnerungsstück aufheben) und auf eine höhere Ebene heben. Die Dialektik macht Ernst mit allen drei Bedeutungen in einer Überlegung und Bewegung. Mir diesem Ernst lässt sich die Frage nach der Möglichkeit einer ungetrübten Erkenntnis im Sinne der orgonomischen Denktechnik anders stellen: inwieweit wird durch die Reichsche Orgontherapie der Charakterpanzer des Forschers aufgehoben?

Die Philosophie Hegels sekundiert in hohem Maß dem, was Reich sich für die Wissenschaft mit seiner orgonomischen Denktechnik so sehr gewünscht hat: einen Auf-bruch zu einem ganzheitlichen, lebendigen, neuen Forschen. Hegel hat, um auch die Existenz des Denkers im Lichte seines Denkens zu beleuchten, sein Denken in bewegter Weise gelebt. Er schrieb seine Phänomenologie als Professor in Jena, ein Amt, zu dem er mühsam nach Jahren des Herumreisens durch Süddeutschland und die Schweiz als Hauslehrer bei reichen Familien gekommen war, unter dem „Kanonendonner der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt“ im Jahre 1806.

Er verlor durch die Napoleonischen Kriege seine Professur, war dann Journalist in Bamberg und Gymnasialdirektor in Nürnberg, bis er in Heidelberg und Berlin wieder zu professoraler Würde gelangte. Leidenschaft war ihm nicht fremd, denn er hatte, für einen Philosophen sehr ungewöhnlich, einen unehelichen Sohn von einer Hausangestellten seines Vermieters. Er heiratete mit 41 eine um 20 Jahre jüngere Frau, für die er, der spröde Denker, tiefempfundene, romantische Gedichte schrieb und mit der er noch zwei Söhne zeugte. Er liebte Musik, Kunst und Geselligkeit. Seine Gymnasialreden zum Schuljahresabschluss dürften manchen modernen Pädagogen noch brüskieren, behauptet er doch darin, die Lehrerurteile über Schüler seien ebensowenig fertig wie die Schüler selbst. In späteren Jahren indes wurde Hegel der Bewegung müde und fiel in den Irrtum, mit ihm sei die Philosophie „fertig“ geworden wie er mit ihr.

Aufgaben oder Aufgabe der Philosophie?

Alle ganzheitlich orientierte Philosophie im 19. und 20. Jahrhundert, die die Dichotomie von Körper hier und Geist dort überwunden hat und das Lebendige selbst, nicht die denkerische Struktur, als Substanz und Subjekt der Philosophie auffasst, ist durch oder gegen Hegel entwickelt worden. Durch ihn in erster Linie im dialektischen Materialismus von Karl Marx und Friedrich Engels. Mit Hegel sah Marx die Geschichte als lebendigen Prozess der Entwicklung der Idee der Freiheit. Nur war Marx diese Idee zu „kopfig“, so dass er meinte, Hegel vom „Kopf auf die Füße“ stellen zu müssen.

Entsprechend ist für Marx nicht mehr der Geist der Motor der geschichtlichen Entwicklung, sondern die materiellen Verhältnisse sind es, die in Patriarchat, Feudalismus und Kapitalismus die Menschen zum Klassenkampf treiben und dazu drängen, die Welt zu verändern, statt sie zu interpretieren, d.h. über sie nach-zudenken im Hegelschen – temporären – Sinne. Reich war lange Zeit Marxist und trennte sich nach seinem Ausschluss aus der KPD 1934 von der marxistischen Weltanschauung. Innerlich löste er sich vom Kommunismus Ende der 1930-er Jahre aufgrund der politischen Erfahrungen, die er mit Stalins Perversion der Marxschen Lehre machte.

Auf Dauer wäre Reich mit den Grundprinzipien von Marx und Engels aufgrund seines eigenen therapeutischen Leitsatzes „Geist führt Körper“ – ein zutiefst Hegelscher Satz – in Konflikt gekommen. Durch Hegel mittelbar begründet begreift sich auch die sogenannte „Existenzphilosophie“. Der erste Existentialist, Sören Kierkegaard, war dezidierter Hegelianer. Doch ging ihm sein philosophischer Meister zu forsch über das Schicksal des Einzelnen hinweg. In seiner Geschichtsphilosophie hatte Hegel den Einzelnen im Weltgeschehen mit seinen Kriegen und Revolutionen als „Blume am Wegesrand“ gesehen, die vom Fortschritt des Weltgeistes mittels der List der Vernunft zu Zeiten zertrampelt und für das allgemeine Ganze geopfert wird.

Das empfand Kierkegaard als zynischen Umgang mit der Einmaligkeit der individuellen Existenz. Sich selbst nahm er als Ausnahmeexistenz wahr, als einen, der auf die Sprünge und Widersprüche in sich selbst aufmerksam wurde. Die Grunderfahrung seines Lebens war die Angst, die er nicht verdrängte, sondern mit tödlichem Ernst unter die Lupe nahm. Diesem Gefühl widmet er eines seiner umfangreichsten Bücher: „Der Begriff Angst“, das den Untertitel trägt: „Eine schlicht andeutende psychologische Überlegung in Hinsicht auf das dogmatische Problem der Erbsünde“. Sünde verstand Kierkegaard im ursprünglichen hebräischen Sinn des Wortes, als „Verfehlen des Zieles“.

Die Möglichkeit, sein Lebensziel zu verfehlen, trieb ihn um und in die Enge, in die Angst. Anders als Descartes fand er im Zweifel keine unbezweifelbaren Sicherheiten mehr, sondern nur die Möglichkeit der Ver-zweiflung, die er die“Krankheit zum Tode“ nennt und als das Grundcharakteristikum des Menschen im Gegensatz zum Tier, das nicht verzweifeln kann, ansieht. Die einzige mögliche Rettung bestand für Kierkegaard im Sprung in den Glauben, den er sich jedoch in intellektueller Redlichkeit versagte. In unserem Jahrhundert haben Martin Heidegger der Grunderfahrung der Angst vor dem Nichts und der Sorge um unser Dasein, das ungeborgen aus dem Sein herausragt und Karl Jaspers (1883-1969) den Grenzsituationen unserer Existenz (Tod, Leid, Kampf, Schuld) nachgespürt.

Jean Paul Sartre, der dritte „große“ Existentialist, benennt die Angst vor der radikalen, absoluten Freiheit, die er dem Einzelnen ebenso zuschreibt wie die damit verbundene absolute Eigenverantwortlichkeit für sein Leben, als Ursache dafür, dass wir so oft in die Unaufrichtigkeit flüchten. Dank Kierkegaard, der diesen Maßstab an seinen Lehrer Hegel anlegte, ist die Aufrichtigkeit gegenüber den menschlichen Grundgefühlen als Prüfstein für das Ausmaß an Realitätsverdrängung aus der Philosophie des 20. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken, wenn auch für so manchen dieser Prüfstein zum Stein des Anstoßes wird.

Gegen Hegel, aber von seinem Leitfaden des Werdens nicht loskommend, entwickelt sich die sogenannte Lebensphilosophie. Ihr Initiator war Arthur Schopenhauer (1788-1860), der, Hegel mit un-flätigsten Invektiven belegend („geistloser, Unsinn schmierender Philosophaster“ mit „Bierwirtsphysiognomie“), als erster Philosoph in der abendländischen Geschichte überhaupt die These aufstellt, unser Leben sei nicht von der Vernunft, sondern vom blinden, chaotischen Willen, dem Irrationalen der Triebe beherrscht.

Hatte Hegel noch den Willen als das Denken, das sich ins Dasein übersetzt und der daher gar nicht anders sein könne als frei (§4 der „Grundlinien der Philosophie des Rechts“) verstanden, so sieht Schopenhauer im Willen die irrationale, dem Denken diametral entgegenstehende, vitale Lebenskraft. Reich unterstellt Schopenhauer (ÄGuT S.22), vom „bösen Willen“ gesprochen und damit großes Unheil im Denken der Menschen angerichtet zu haben. Schopenhauer verstand indes den Willen nicht im moralischen Sinne als „böse“, sondern er sah in der Unbeherrschtheit der menschlichen Triebe und der Unmöglichkeit, ihnen mittels der Vernunft beizukommen, in Anlehnung an den Buddhismus, die Ursachen allen menschlichen Leids.

Schopenhauer schlussfolgerte daraus, die Hauptaufgabe des Menschen sei, sich von den Trieben zu lösen. Sigmund Freud nannte das später: die Triebe sublimieren. Schopenhauer fand für diese Ablösung vom Willen drei Wege: die philosophische Meditation, das praktisch-tätige Mitleid und die Hingabe an eine künstlerische Tätigkeit, insbesondere an das Musizieren. Durch Meditation, sozial-karitative Tätigkeit und durch die Kunst gelingt es mir laut Schopenhauer, das Elend meines Daseins zu vergessen.

Gegen diese pessimistische Interpretation wandte sich mit aller Schärfe Friedrich Nietzsche. Er setzte sich gegen alle das Leben bewertenden Interpretationen, seien sie nun von Platon, Kant oder Schopenhauer vorgetragen, mit dem Argument zur Wehr, man müsse, um solche Wertungen, die schnell zu Abwertungen werden, vornehmen zu können, sich außerhalb des Lebens stellen. Dies ist jedoch unmöglich, besser gesagt: unaufrichtig. Deshalb fordert Nietzsche die „Umwertung aller Werte“, und zwar von unserem Leib ausgehend. Nietzsche machte – und daher ist er Reich so sympathisch – radikal Ernst mit der Erfahrung des Körpers, der nach größtmöglicher Vitalität und Kraftentfaltung, nach physischer Gesundheit, Kraft und Macht strebt.

Vehement und in brillantem Stil kämpft Nietzsche gegen alle Sedative, die die Kraft dieses Antriebs zu dämpfen suchen. Hinter den Verabreichern dieser Palliative, seien diese nun „wissenschaftliche“ Phiolosophen oder „gefühlsduselige“ Religionen, nahm Nietzsche einen anderen, sehr subtilen und versteckten „Willen zur Macht“ wahr, die Macht der „asketischen Ideale“.

Dass er selbst das, was er intuitiv so klar vor sich sah, körperlich zu leben außer Stande war, dass er, der Kaiser, Kirche, wissenschaftliche und gesellschaftliche Koryphäen seiner Zeit mit schärfsten Polemiken angriff, seinen nächsten Angehörigen – seiner Mutter und seiner Schwester – nicht sagen konnte, wie sie ihn an seiner eigenen größtmöglichen Entfaltung seiner Vitalität und Lebenslust gehindert hatten, brachte ihn, der sehr lesenswerten Analyse Alice Millers zu Folge („Das ungelebte Leben und Werk eines Lebensphilosophen, FRIEDRICH NIETZSCHE“, in: Der gemiedene Schlüssel, Frankfurt/M. 1988, S.9-78) mit 44 Jahren in die klinische Psychose.

Für viele ist dies Anlass genug, Nietzsches gesamtes philosophisches Werk als Ausgeburt eines kranken Hirns zu verwerfen. Es ist überhaupt leicht, gerade unter biographischen Aspekten, die neurotischen Charakterzüge Kierkegaards, Schopenhauers oder Heideggers, die Psychose Nietzsches, die Nikotin- und Medikamentenabhängigkeit Sartres zum Anlass zu nehmen, nicht mit Reich, aber in Reichs Worten zu sagen: auch diese Philosophen hinterlassen nicht nur eine Lehre, sondern auch eine „Leere in der Welt und die Masse der Menschen blieb durch sie unberührt“.

Auch die Ausgänge aus der Philosophie Hegels sind kein Ausgang aus der Falle, in der sich laut Reichs Einleitung zu seinem Buch „Christusmord“ (und laut dem bekannten Werk des Reich-Schülers Elsworth Baker „Der Mensch in der Falle“) die Menschheit befindet. Sollte die Philosophie deshalb, statt sich selbst stets neue Denkaufgaben aufzugeben, nicht besser aufgeben, die Probleme der Menschheit lösen zu wollen?

Schlussbemerkung

Ich meine: Nein! Reich stellt seinem Buch „Äther, Gott und Teufel“ das Goethewort voran:

„Was ist das Schwerste von Allem?
Was Dir das Leichteste dünket:
Mit den Augen zu sehen
Was vor den Augen Dir liegt.“

Vor Augen liegen uns 2700 Jahre abendländischer Philosophiegeschichte. Es ist unsere Geschichte oft quälenden Bemühens zur Klärung unserer Fragen an das Leben. Am Leitfaden „orgonomischer Denktechnik“ lässt sich erkennen, und das habe ich in diesem Essay nach bestem Vermögen versucht, wie die Philosophie mystische und mechanistische Irrwege und Umwege gegangen ist und noch geht. Aber selbst der „Mystiker“ Platon spricht in seinem Dialog Phaidon (85d ff) davon, dass seine Vermutungen über die Ideen einem notdürftig zusammengebastelten Floß glichen, mit dem er sich über den unsicheren Fluss des Lebens bewege und dass er bereit sei, alsbald einen Nachen zu besteigen, der sich als tragfähiger erweisen sollte.

Steht uns nun ein solch tragfähiger Nachen zur Verfügung oder behelfen wir uns nach wie vor mit den Flößen, die Philosophen, Psychologen, Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler uns zusammenbasteln? Wir haben immer noch nicht alle Konsequenzen aus Hegels Wiederentdeckung der Einheit von Körper-Seele-Geist gezogen. Der Philosoph Richard Wisser beschreibt unsere Situation in seinem neuen Buch „Kein Mensch ist einerlei. Spektrum und Aspekte kritisch-krisischer Anthropologie“ (Würzburg 1997, S.397 f) so: „Wir tragen also nicht einen Organismus mit uns herum wie die Astro-nauten ihr Versorgungssystem.

Uns ist auch die Seele nicht ein Klotz am Bein, dessen wir uns entledigen könnten, wenn wir beabsichtigen, bessere Sprünge zu machen. Und der Geist ist uns kein super additum, kein i-Tüpfelchen, das auf alles andere pfeiffen kann, wenn Körper und Seele flöten gehen. Zwar macht uns Naturwissenschaft vor, wie man dem Leib den Geist und oft auch die Seele austreibt und ihn zum Körper denaturiert. Zwar zieht sich Geisteswissenschaft auf ihre Weise aus dem Leib zurück, indem sie das Körperliche hinter sich lässt. Und auch die Psychologie trägt ihr Teil dazu bei, die Seele um den Leib zu bringen, mitunter allerdings auch, den Leib um die Seele zu bringen.“

Wilhelm Reich war es mit seiner „orgonomischen Denktechnik“ angelegen, nicht den Menschen um etwas zu bringen, sondern zu verhindern, dass die Menschheit in ihren lebensfeindlichen Tendenzen, die in Gen- und Atomtechnik evident sind, sich selbst umbringt. Als Voraussetzung für eine neue, lebendige und lebensfördernde Forschung sieht Reich die Sprengung der Verpanzerung der Menschen durch seine Orgontherapie. Die mit der neolithischen Revolution beginnende Verpanzerung der Menschheit gleicht der „Erbsünde“, aufgrund derer wir unser Ziel, glücklich und vital zu leben, verfehlen. Mittels der Orgontherapie werden wir von dieser Sünde „erlöst“ wie die Schlange vom Pflock.

Die Leidensgeschichte mystisch-mechanistischer Irrwege seit dem Auszug aus dem vorsokratischen Paradies würde nach dem Erlösungswerk zu einer neuen Heilsgeschichte der orgonomischen Denktechnik, die dann mehr wäre als bloße Naturwissenschaft. Die orgonomische Denktechnik wäre dann in der Tat keine Philosophie neben anderen, sie wäre das tragfähigste Floß auf dem Fluss des Lebens, nämlich die künftige – und ich frage mich, ob Reich das gewollt hätte – Religion.

Ende.

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