24 Dez
Bukumatula 5/99
Eine gemeinsame Kolumne körperpsychotherapeutischer Zeitschriften
Die mystische Nuß von Peter Schreiber:
Ein Freund von mir bekam dieser Tage einen Brief aus Holland. Im Briefumschlag befand sich auch ein kleines Schächtelchen. In Großbuchstaben war zu lesen: Nicht öffnen, bevor Du den Brief gelesen hast!
Der Text lautete ungefähr so:
„Ich bin die Enkelin einer peruanischen Heilerin und habe ihr auf dem Totenbett gelobt, die mir anvertraute Macht einigen wenigen Menschen auf dieser Erde weiterzugeben. DU bist einer der drei Auserwählten … Während Du diese Zeilen liest, wirst Du vielleicht schon ein Knistern, welches aus dem Schächtelchen kommt, gehört haben.“ – Mein Freund zuckte unwillkürlich zusammen, tatsächlich hatte er bereits dieses merkwürdige Geräusch gehört, und es schien tatsächlich aus der kleinen Schachtel zu kommen. Beunruhigt las er weiter: „Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo Du die Schachtel öffnen darfst!“
In der Schachtel fanden sich drei Teile einer Nuß, etwa in der Größe einer Haselnuß, nur etwas dunkler in der Farbe und härter in der Konsistenz. Als nun mein Freund die drei Nußteile auf seinen Schreibtisch legte, begannen sie sich nach kurzer Zeit plötzlich zu bewegen. Ohne Zweifel: sie ruckten, sie zuckten, drehten sich sogar auf den Rücken und manchmal sah es so aus, als ob sie zu springen versuchten.
Der Rest des Briefes lautete etwa so: „Die Nüsse würden alle Dinge in Deinem Leben umkehren, also schlechte Dinge würden besser werden, aber es könnten sich auch gute Dinge zum schlechteren verändern. Er sollte 100 D-Mark schicken und würde weitere Anleitungen bekommen. Diese Nüsse sollte er aber durch niemand anderen berühren lassen, sie unbedingt nach drei Wochen in den Abguß werfen und viel Wasser nachspülen.“
Zwei Tage später saßen wir zusammen in meiner Wohnung. Mein Freund nahm das Schächtelchen aus der Tasche und leerte den Inhalt auf meinen Schreibtisch.
Zu unserer Enttäuschung geschah nichts, keine Bewegung, nichts abnormales – doch nach etwa einer halben Minute begann sich zuerst die erste, dann die zweite und schließlich auch die dritte Nuß zu bewegen. Tatsächlich waren es ruckartige Bewegungen, Drehungen und ein Hin- und Herschaukeln.
Ich war sprachlos. Auch meine Frau kam hinzu und starrte verwundert auf das (vielleicht tatsächlich übersinnliche?) Phänomen.
Ich kam mir vor wie Sherlock Holmes. Ich nahm eine Lupe zur Hand: es war tatsächlich eine Nuß und sonst nichts, also organisches Material. Zumindest von außen war nicht zu erkennen, ob vielleicht irgendein Metall eingefügt worden war. Die Nußteile ließen sich mit einem Messer leicht schaben und ritzen …
Ich hatte eine Idee: Wir trennen die Nüsse.- Jede wurde in ein anderes Zimmer gebracht und wir beobachteten sie getrennt. Zunächst keine Bewegung, dann nach kurzer Zeit wiederum die gleichen Unruhebewegungen. Wir holten einen Magneten: Die Nüsse reagierten nicht darauf.
Wir gaben nicht auf, wir wollten es wissen: zwei weitere Ideen wurden geboren. Eine Nuß sollte über Nacht in den Kühlschrank gelegt werden, die andere wollte ich am nächsten Morgen zu meinem Zahnarzt bringen und von ihr eine Röntgenaufnahme anfertigen lassen. Dies würde uns Auskunft geben, ob sich etwas im Inneren der Nuß befand, was von außen nicht sichtbar war. Schließlich hatten wir die Idee, das botanische Institut der Universität Wien anzurufen und um Rat zu fragen.
Es kostete uns schon einiges an Überwindung, denn wer möchte schon gerne telefonisch einem Wissenschafter von einer magischen Nuß erzählen, die sich von selbst bewegt! Wahrscheinlich würde unser Gesprächspartner auflegen, bevor wir überhaupt alle Einzelheiten erklären könnten. Doch dann riefen wir an.
Das Phänomen war dem Institut bekannt. In der Nuß befand sich ein Wurm, eine Larve von einem Käfer, der im Stadium der Reifung ruckartige Bewegungen machte und damit die ausgehöhlte und daher leichte Nuß bewegte.
Mutig schnitten wir nun die Nuß auf: Die Larve war tatsächlich drinnen und bewegte sich munter auf der Unterlage weiter. Wenn wir in drei Wochen die Nuß nicht in den Abguß geworfen hätten, wäre aus ihr der fertige Käfer ausgeschlüpft und das Geheimnis hätte sich von selbst aufgelöst.
Das mit den einhundert Mark war einfach Bauernfängerei gewesen.
Wir blieben zurück mit einem Gefühl der Zufriedenheit über den Sieg der Ratio über den Aberglauben, aber doch auch ein wenig enttäuscht, nicht endlich einmal Zeuge eines wirklich übersinnlichen Phänomens geworden zu sein …
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