Kontakt | Links | Impressum | Suche

Archiv ‘1991’ Kategorie

Buk 1/91 Die Stimme Reich´s

Zurück zu Bukumatula 1991

Bukumatula

„Die Stimme Reich´s“

James Strick:

Bericht zur Sommerkonferenz in ORGONON vom 23. bis 27. Juli 1990 (Originaltitel: „The Voice of Wilhelm Reich“; Obersetzung: Wolfram Ratz).

Diese, in diesem Jahr zum elften Mal abgehaltene Konferenz unter der Patenschaft des „Wilhelm Reich Infant Trust Fund“ in ORGONON, war eine bisher einmalige Gelegenheit, Original-Tonbandaufnahmen aus dem Wilhelm Reich-Archiv zu studieren. Präsentiert wurde eine Auswahl von Vorträgen, die Wilhelm Reich anläßlich von Seminaren, Arbeitstreffen, etc. gehalten hatte. Auszüge davon waren zum Teil auch in den vorangegangenen Jahren vorgestellt worden; diesmal war es aber das erste Mal seit vierzig Jahren, daß fünf Tage lang fast ausschließlich Wilhelm Reich „vortrug“.

Die etwa dreißig Teilnehmer der Konferenz setzten sich hauptsächlich aus Ärzten, Pädagogen und Sozialarbeitern zusammen, die zum überwiegenden Teil aus den USA und aus Europa angereist kamen. Auch ein ehemaliger Mitarbeiter Wilhelm Reichs, Dr. Chester Raphael, nahm an dieser Tagung teil. Aufgrund seiner persönlichen Erinnerungen konnte er eine Menge wertvoller Ergänzungen in diese Veranstaltung einbringen. Der erste Tag war den Themen „über die Bedeutung der Methode in der wissenschaftlichen Forschung“ und „Die Entdeckung der Panzerung“ gewidmet.

Die Tonbandaufzeichnungen stammten von einem Seminar, das Reich für orgonomisch ausgebildete Ärzte hielt. Bevor er die Teilnehmer zur Diskussion von ganz spezifischen Fällen aufforderte, hielt er einen Vortrag zur „Theorie von wissenschaftlichen Forschungsmethoden“ wobei er mit Immanuel Kant begann, von dem er sagte, daß er der erste war, der das „Forschen erforschte“. Später, in Anspielung an die Arbeiten Einsteins meinte Reich: „Sie arbeiten mit Logik, aber sie wissen nicht, wie diese Logik zustande kommt“. Reich zeichnete seinen Weg -beginnend von seiner Zeit als Psychoanalytiker auf, der ihn zu seiner Forschungsmethode des „Orgonomischen Funktionalismus“ führte. Die Psychoanalyse bezeichnete er als wirkungslos, weil die Patienten „abgeschossen“ wurden; es war die Arbeit mit „toten Katzen, mit Leichen“. Das veranlaßte Reich immer mehr, weiter in die „Abwehr“ vorzudringen, bis sich auch der Ausdruck von Gefühlen einstellte.

Als ein Teilnehmer die Frage stellte: „So war eigentlich das, was Sie bewegte, die Panzerung des Patienten, die in Ihnen eine motorische Unruhe erzeugte und Sie veranlaßte dort nachzustoßen?“, stimmte Reich sofort zu. Reich weiter: „Bei jeder Art von Aktivität verhält es sich so, wie wenn eine Amöbe von einem Bion angezogen wird. Zuerst sieht man die Bewegung der Amöbe und dann beginnt sich auch das Bion zu bewegen“. Ein derartiger Gesprächsaustausch war typisch für das lebendige „Geben und Nehmen“ zwischen Reich und seinen Studenten. Das half mir auch Reichs besondere Anziehungskraft als Vortragenden zu verstehen: Es war der Gebrauch von graphischen Darstellungen und von Metaphern, die, in sehr einfacher Sprache vorgebracht, selbst schwierigste technische Ableitungen leicht verständlich machten.

Nicht minder beeindruckend war die direkte Art, in der Reich seine Schüler auf deren Fehler hinzuweisen gewohnt war. Man konnte ihn immer wieder sagen hören: „Warum stellen Sie diese Frage, das gehört nicht hierher“. Oder: „Das ist nur Geschwätz, warum weichen Sie aus?“ Er zögerte nicht den Zuhörern nahezulegen, die Motive für deren Fragen beständig zu hinterfragen; insbesondere, da es in der Natur der Sache lag, daß seine Arbeiten viele Menschen emotional irritierte und die Tendenz, den zentralen Aussagen – etwa über die Sexualität von Kindern und Erwachsenen – auszuweichen groß war. Zum Beispiel herrschte er einen Teilnehmer an:

„Sie haben mich gänzlich mißverstanden!“ – Gleichzeitig aber ermuntert er ihn: „Freuen Sie sich Ihren Fehler zu erkennen, anstatt den „Besserwisser“ zu spielen. Ich möchte, daß sich alle diesen Begriff einprägen, er gefällt mir ausnehmend gut. Ein Besserwisser ist jemand, der alles über Nichts weiß.“

Als die Umstände, die zu einer „emotionalen Panzerung“ führen könnten besprochen wurden, bezog sich Reich auf ein Diagramm (s. Seite 65, „Ether, God and Devil“, Strauss & Giroux, 1973) das er auf eine Tafel zeichnete. Der Prozeß beginne mit dem Ausdruck von bestimmten Wünschen und Bedürfnissen wie zum Beispiel: Das Kind möchte spielen, der Vater fordert es jedoch auf ruhig sitzenzubleiben; es möchte etwas Neues in seiner Umwelt erforschen aber die Mutter gibt ihm dafür einen Klaps.- Der kleine, zur Durchsetzung seiner Bedürfnisse unfähige Organismus reagiert darauf mit Rückzug; er wird ruhelos und/oder furchtsam.

Die Antwort darauf, so Reich, ist „dieses verdammte Hindernis aus dem Weg zu räumen“; die ohnmächtige Reaktion I darauf ist Zorn, Wut. (Anmerkung des Übersetzers lt. Wörterbuch: „rage“ = auch „Sucht“)

„Dieser Vorgang wiederholt sich immerfort; wenn der Organismus dies nicht zu vermeiden imstande ist und keinen anderen Ausweg finden kann, wird der ursprüngliche Impuls verstärkt, was zu Gewalttätigkeit und zu Destruktivität führt. Soweit ist dieser Prozeß ganz natürlich. Es gibt ihn auch überall in der Natur … Die Hindernisse außerhalb (des Organismus) sind natürlich, sie sind überhaupt nicht neurotisch.“

In der Diskussion hebt Reich hervor, daß das Kind, wenn es sich zu diesem Zeitpunkt entsprechend aufzulehnen wüsste, nicht neurotisch reagierte. Erst dann, wenn das Kind seine Wut zurückzuhalten beginnt, begänne auch der Prozeß der Panzerung. Der zweite Tag der Konferenz war einer Tagung des „Orgone Infant Research Center“ (OIRC) aus dem Jahr 1950 gewidmet.

Aufgezeichnet war ein Gespräch mit den Eltern eines supervidierten Kindes (s. „Children of the Future“, Seite 89 bis 113), die Präsentation der Untersuchungsergebnisse und eine daran anschließende Diskussion. Zusätzlich zu dem später veröffentlichten Material gab es eine Reihe interessanter Aussagen. Zum Beispiel, was die Depression der Mutter dieses Kindes betraf:

„Wenn sich die Mutter angespannt fühlte, saugte das Kind kaum an der Brust und zeigte sich unzufrieden. Das Saugen ist kein mechanischer Prozeß zur Flüssigkeitsaufnahme. Wir haben stets angenommen, daß sich die Qualität der Milch verändern würde, wenn die Mutter depressiv ist….

Nur wissen wir nicht, was das heißt: ’sauer‘. Ich bin aber dabei, die Übersäuerung des Magens mit der Depression in Zusammenhang zu bringen. Wenn man sagt, daß jemand emotional ’sauer“ reagiert, dann entspricht dies tatsächlich einer physischen Realität im Körper dieser Person.“

Dieses Kind bekam immer wieder eine Bronchitis. Reich meinte, daß die meisten Ärzte dabei nichts Ungewöhnliches finden würden:

„‚Warum sollte sich das Kind nicht verkühlen können? Wir versuchen jedoch diesen Tatsachen gegenüber eine offene Meinung zu bewahren… Wenn wir von einer orgonomischbiophysischen Einheit von Mutter und Kind ausgehen, dann können wir die Verkühlung des Kindes nicht von der Depression der Mutter trennen. Ich bin geneigt, auch eine Verkühlung als Störung des bioenergetischen Gleichgewichts zu sehen. Sich solche Fragen zu stellen finde ich von großer Bedeutung!“

Die vielleicht wichtigste Aussage Reichs war, daß es dafür keinen mechanistischen Ansatz zur Problemlösung geben könne. Entscheidend sei die Qualität des Kontaktes, der von den Eltern, vom Arzt etc., ausgeht.- Als das Kind untersucht wurde, begann es heftig zu weinen; die Brust war dabei hochgezogen. Reich legte seine Hände an beide Seiten des Brustkorbes und strich sehr behutsam über die interkostalen Muskeln (siehe „Children of the Future“, Seite 107).

Dazu Reich:

„Das Kind gab seine Abwehr auf, es urinierte und schien erleichtert. Ich war überrascht. Ich hatte so etwas noch nie zuvor beobachtet. Meine Tochter Eva fragte: ‚Was hast Du jetzt gemacht?“ Ich antwortete: ‚Was macht ein Maler, wenn er eine Landschaft malt? Malt er einen blauen und daneben einen grünen Fleck und dann einen weißen Strich? Nein. Er malt einfach. Natürlich sah ich, daß der Brustkorb hochgezogen war.“

Bald darauf begann das Kind wieder zu weinen. Reich versuchte erneut die Brust zu mobilisieren. Nach einiger Zeit erfolglosen Bemühens meinte er: „Ich kann diese Panzerung nicht auflösen.“ Und zu den Studenten: „Da kann man nichts weiter machen. Die Mutter müsste daran arbeiten.“ Und dann zum weinenden Kind: „Ja, sei zornig! Sei zornig!'“

Das Kind antwortete mit einem kräftigen, tiefen Schluchzen; nach einiger Zeit beruhigte es sich. „Nun, was habe ich gemacht? … es hat nichts mit Quantität zu tun …. es hat damit zu tun, auf welche Art und Weise mit dem Kind Kontakt hergestellt werden kann .. Ich bin es leid, wiederholen zu müssen, aber: ich will nicht, daß jetzt Psychologen, Ärzte, etc., hergehen und mechanisch irgendwo herumzudrücken beginnen…“

Reich hob hervor, wie wichtig es wäre, daß Eltern diese Art der emotionalen „Ersten Hilfe“ beherrschten.- Zu den Aussagen von Dr. Singer, daß in der Gemeinde, in der er tätig ist, von etwa einhundert Müttern, die er interviewte, lediglich eine ganz geringe Zahl für eine derartige Kontaktfähigkeit in Frage kommen würde, meinte Reich: „Diesem Umstand muß ganz besondere Beachtung geschenkt werden!“

An diesem Tag präsentierte auch Dr. Chester Raphael seine Erfahrungen mit dem Einsatz des Orgonakkumulators, die im „Orgone Energy Bulletin“ (Vol. 3, Seite 90-98) veröffentlicht wurden.

Der dritte Tag der Konferenz stand unter dem Thema: „Arbeit und Organisation „- Reich erklärte wie die „Wilhelm Reich Foundation“ und deren Nebenorganisationen wie das „ORIC“, die „Orgone Institute Press“ und der „Orgon Institute Research Fund“, sowie das davon getrennte „Orgone Institut“ zueinander in Beziehung stehen und warum diese Organisationen in dieser Form aufgebaut waren. Ausführlich ging er auch darauf ein, was er von seinen Mitarbeitern erwarte und erklärte dafür auch seine Gründe. Da viele Autoren Reichs Verhalten als rigid und autoritär beschrieben, stieß dieses Dokument auf großes Interesse.

In diesem Zusammenhang war es mehr als beeindruckend, Reich dazu in seinen eigenen Worten zu hören. Der bestimmende, unbeugsame Ton seiner Stimme und wie er sich anderen Menschen gegenüber verhielt, wurde von diesen Autoren offenbar heraufbeschworen. Dieses Bild, das sie von Reich zeichneten, war in dem was wir hörten, einfach nicht zu entdecken. Was zu hören war, war die lebendige Stimme eines Mannes, der von der Ernsthaftigkeit seiner Arbeit überzeugt war und der klar und rational argumentierte:

„Solange man mit dem Orgone Institut verbunden ist, gibt es kein freies Agieren; man kann nicht tun, was einem beliebt. Wenn jemand auf eigene Faust aktiv werden will, dann muß man sich vom Orgone Institut trennen. Warum? Wenn man zum Beispiel im Krieg bei einer Armeeeinheit dient und Menschenleben auf dem Spiel stehen, dann hat das Prinzip der Selbstregulation keine Bedeutung mehr …. Es gibt ein allem zugrundeliegendes natürliches Gesetz, das ich in der Arbeit zur orgonomischen Gesetzmäßigkeit beschrieb; und dieses Gesetz bindet einem die Hände …. die größte Notwendigkeit besteht darin, die emotionale Pest zu bekämpfen. Das heißt, daß wir nicht wie eine Gruppe freier Menschen organisiert sind, sondern eher wie ein Militärstab …. Es ist nicht meine persönliche Wahl, aber ich stehe seit dreißig Jahren im Krieg.

Weiters hob Reich hervor, daß das Orgone Institut eine gesetzlich registrierte Einrichtung sei, die als Synonym für ihn selbst stehe und das von allen anderen Organisationen, an denen Mitarbeiter, Studenten, etc. teilhätten, getrennt gesehen werden müsste; d.h. daß nur er das Orgone Institut war: „Niemand hier hat das Recht auf Mitbestimmung. Das Orgone Institut bin ich. Diese Aussage gefällt Ihnen jetzt bestimmt nicht. Wenn ich es aber nicht auf diese Weise so gehalten hätte, hätten wir schon viele Male zusperren können …. Auch ein Angestellter einer Klinik oder in einem Labor ist ein Assistent, ein Mitarbeiter für eine ganz bestimmte Aufgabe.

Reich war an der Anteilnahme der amerikanischen Bevölkerung an der Demokratie, insbesondere bei Wahlen sehr interessiert. Er meinte, daß Menschen, die nur ihre Stimme abgeben und nicht selbst in die reale Arbeit eingebunden wären, nicht verantwortungsvoll handeln könnten. Als Beispiel führte er das Schicksal Hamiltons an, der aus seiner eigenen, von ihm selbst gegründeten Schule, hinausgeworfen wurde:

„Ich weiß aus meiner langjährigen Erfahrung, daß der „Kleine Mann“ allein mit seinem Stimmrecht alles übernehmen kann. Das widerfuhr auch Hamilton, dem Erfinder der Television. Einige wenige, politisch schlau taktierende Mitarbeiter übernahmen dann sein Lebenswerk …. Man kann nur dann seine Stimme abgeben, wenn man auch Verantwortung dafür übernimmt, was man selber tut, durch die eigene Arbeit. Wir können mitbestimmen, indem wir die Hand heben. Aber das Händeheben allein hat nichts mit verantwortungsvoller Demokratie zu tun. Es fehlen dazu all die Mühen und Sorgen die damit verbunden sind.

Jede Art formaler Demokratie muß deshalb scheitern …. Frau Dr. Mc Donald zum Beispiel arbeitet hier in meinem Labor als Assistentin. Wenn sie mich verlassen und ihr eigenes Institut irgendwo anders gründen will, das auf unserer Linie liegt, dann haben wir es mit der Entwicklung einer neuen Funktion zu tun. Wenn sie jedoch eine Entdeckung macht, die sich gegen mich richtet, dann muß sie alleine dafür kämpfen. Sie muß das unterstützen, was aus ihrer eigenen Arbeit für richtig hält. Man kann nicht darüber abstimmen, ob eine Bionkultur eingefroren werden soll oder nicht. Das ist ganz einfach Arbeit die getan werden muß!

Man muß auf diejenigen, die am wenigsten wissen und am meisten behaupten, die lediglich auf Macht und Ehre aus sind, sehr aufpassen. Das ist die Praxis der Stalinisten; sie sind die Zerstörer der menschlichen Gesellschaft.“

Reich erklärte dann, wie die verschiedenen Organisationen finanziert würden: „Die Kosten für die ‚Wilhelm Reich Foundation‘ als Dachorganisation und alle anderen gemeinnützigen Einrichtungen werden ausschließlich durch private Spenden getragen. Sämtliche Einnahmen fließen den Tochterorganisationen zu.- Gibt es dazu noch irgendwelche Fragen? Niemand stellte weitere Fragen. Das war signifikant, denn später, gegen Ende der Tagung, brach Reich eine Diskussion vom Zaun, in der er von Gerüchten sprach, daß Beiträge von Ärzten an den „Orgone Research Fund“ eigentlich Zahlungen waren, die in seine eigene Tasche flössen und daß eine Reihe von Ärzten darüber Bescheid wüsste.

Daß niemand dazu Stellung bezog impliziert, daß sie annahmen, daß dieses Gerücht stimmen würde. Er war sehr direkt in seiner Antwort auf dieses Verhalten: „Wir erwarten keine weiteren Zahlungen von Ihnen. Ich werde keine Unterstützung, die nicht aus freien Stücken kommt, akzeptieren. Ich möchte, daß Sie zur Kenntnis nehmen, daß wir gänzlich unabhängig von Ihren Spenden arbeiten. Ich möchte solange auf Ihre Beiträge verzichten, bis diese Gerüchte nicht ausgeräumt sind.“

Dann beginnt Reich die anwesenden Ärzte einzeln zu befragen: „Was haben Sie sich dabei gedacht?“ „Warum haben Sie nichts gegen dieses Gerücht unternommen?“, „Wofür haben Sie Geld gespendet?“ „Was meinten Sie damit unterstützen zu können?“, „War das Ihre eigene freie Entscheidung?“. Nach einiger Zeit des Schweigens kamen Antworten wie: „Ich hatte das Gefühl, Sie auszunützen“ oder „Ich dachte, Sie benötigten das Geld für Investitionen in Ihrem Labor“, etc. Niemand konnte jedoch klar ein Motiv zur Unterstützung definieren. Keiner schien zu wissen, was mit den Spenden geschah.

Ein Teilnehmer der diesjährigen Konferenz, Dr. Stuart Asher, gab dazu eine, meiner Meinung nach sehr treffende Analyse, was Reich damit zu erklären versuchte: Mit dem Spenden verhält es sich so, wie mit der Stimmabgabe bei einer Wahl. Man meint, daß das Spenden, ebenso wie das Wählen, die alleinige Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten sei. Der ganzheitliche Ansatz Reichs war klar und sein Beharren, hinter die Kulissen zu schauen war bewundernswert. Es war eine beeindruckende Demonstration davon, was Reich „praktische soziale Psychiatrie“ zu nennen pflegte.

Am vierten Tag wurde eine Tonbandaufzeichnung vom 8. März 1952 gespielt, die sehr eindrucksvoll die Stimmung nach dem ORANUR – Experiment vermitteln half.

Reich verwendete einen Geigerzähler, um die ungewöhnlich hohen Aktivitätswerte im Laborgebäude zu messen. Den meisten Teilnehmern der Konferenz waren Reichs Berichte von „The Blackening Rocks“ (Orgone Energy Bulletin, Vol. 5, pp. 28-59) bekannt.- Es war das Klicken des Geigerzählers zu hören, als er von 50 cpm auf 2000 cpm kletterte und dann auf 20000 cpm über einem gekachelten Arbeitstisch im Labor. Es war ein sehr beeindruckendes Erlebnis; man fühlte förmlich die Bedrohung einer verseuchten Umgebung, und das auf eine Art, die Bücher alleine nicht zu vermitteln vermögen.

Reich:

Das Gestein gibt sekundäre nukleare Strahlung ab. Die primäre Orgonenergie der Atmosphäre kämpft mit der Sekundärstrahlung des Gesteins. Das verursacht Krankheitssymptome. Die Prozesse unterliegen der Selbstregulation und können nicht aufgehalten werden … Trotz aller Schwierigkeiten übernehme ich die persönliche Verantwortung weiterhin hier anwesend zu bleiben, um die Auswirkungen auf den Organismus zu erforschen.

Eine Anzahl von Mitarbeitern konnte Reichs Beobachtungen verifizieren. Bei einem Arbeitstreffen am 29. März 1952 waren folgende Mitarbeiter Reichs anwesend: Simeon und Helen Tropp, Lois Wyvell, Michael Silvert, Myron Sharaf, Tom Ross und Ilse Ollendorf. Reich eröffnete das Meeting:

„Ich persönlich glaube, daß alles gut ausgehen wird. Ich habe mich selbst seit dem 5. Jänner 1951 extrem starkem ORANUR ausgesetzt; ich habe ständig hier gewohnt und ich lebe noch immer ….“

Er beschreibt die allgemeinen Auswirkungen auf den ausgesetzten Organismus: anfänglicher Schock und Lähmung, gefolgt von:“einem verzweifelten Kampf des Organismus gegen die Störung. Wir nennen das DOR-Reaktion. Darauf folgt die Einstellungsphase auf die Situation und eine langsame Anpassung an die Erfordernisse, auf einem höheren Energieniveau funktionieren zu müssen. Das Energieniveau steigt beständig; ich weiß nicht, wann dieser Vorgang zum Stillstand kommen wird.“

Am letzten Konferenztag war eine Aufzeichnung des Abschlußvortrages von der 1950 abgehaltenen „International Orgonomic Conference“ zu hören, in der Reich über „Die Wurzeln der Menschheit in der Natur“ sprach. (Eine erweiterte Zusammenfassung findet sich in Kapitel 2 und 8 von „Cosmic Superimposition“. Der gesamte Text des Vortrages wird auch in der demnächst erscheinenden Ausgabe der Publikation des ‚Wilhelm Reich Infant Trust Funds-, „Orgonomic Functionalism“ nachzulesen sein.) In diesem Vortrag präsentiert Reich seine Entdeckungen zur Bedeutung des „Ringes“ um die Aurora borealis und das allgemeine Funktionsprinzip, das zur Bildung von Galaxien und Wirbelstürmen führt.

Reich sprach leidenschaftlich und mit Nachdruck und meine Aufmerksamkeit ermüdete auch während sehr technischer astronomischer Erklärungen nicht. Während der Frage- und Antwortstunde war er sehr lebendig. Er argumentierte mit profunden Aussagen, wobei er immer wieder auf die Natur der sich überlagernden Orgonströme hinwies. Seine Schlußbemerkungen waren sehr bewegend; ich möchte diesen Bericht von der Sommertagung 1990 in ORGONON auch mit den Worten Reichs aus dem Jahr 1950 beenden:

„Sie werden jetzt nach Hause gehen. Ich hoffe, daß Sie zumindest eines mitbekommen haben: Ein wenig mehr an Mut und an Überzeugung, daß Sie nicht alleine sind … Wir brauchen einiges an Durchsetzungskraft und Härte, an rationaler Härte, um zu verteidigen, was wir für richtig halten.

Wenn Sie in Ihrer Meinung gefestigt sind, wird jeder von Ihnen ein eigenes Zentrum bilden. Damit begeben Sie sich nicht unbedingt in eine sehr angenehme Lage. Es verlangt eine Menge an Demut und Verantwortung…“

Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 1/91 Die Stimme Reich´s
  • Kategorie: 1991
  • Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula

    Vom Christusmord und der natürlichen Geburt

    Vortrag von Dr. Eva Reich am 18. Jänner 1991 in Wien
    Wolfram Ratz:

    Das Thema heißt: „Vom Christusmord und der Sanften Geburt“. Ich werde mit der Sanften Geburt beginnen.- Zu diesem Thema habe ich letzte Woche in Gänserndorf einen Vortrag gehalten und über die bisherigen Erkenntnisse berichtet. Die Definition „Sanfte Geburt“ ist nicht ganz klar. Es gibt die Sanfte Geburt, die Natürliche Geburt, die Aktive Geburt, die Humane Geburt – habt ihr noch andere Namen dafür?

    Also viele Namen zum gleichen Thema.- Etliche Frauen, die in angeblich alternativen Gebutsstationen ihr Kind empfangen haben sind in Gänserndorf aufgestanden und haben gesagt: ‚Mein Kind wurde mir gleich nach der Geburt weggenommen, ich war zu schwach um zu sagen, daß ich es die ganze Zeit über bei mir haben möchte‘. Offensichtlich kam es darüber häufig zu Auseinandersetzungen zwischen Hebammen und Müttern. Darüber war ich ganz erstaunt. Etliche hatten eine Menge zu sagen, viele haben sich nicht getraut über ihre persönlichen Erlebnisse zu sprechen. So manches kam heraus – zwischen den Zeilen. Im Anschluß an den Vortrag ist es zu einer sehr heftigen Diskussion mit viel Pro und Kontra gekommen.

    Seit dreizehn Jahren komme ich jetzt regelmäßig nach Österreich; von Anfang an habe ich sehr aktiv an den Vorbereitungen für die Bewegung der Sanften Geburt mitgearbeitet. Das hat in Wien mit dem „Arbeitskreis für Sanfte Geburt“ angefangen. Neben Leboyer, Michel Odon, usw. war auch ich zu Vorträgen eingeladen; da hat sich was getan. Ich erinnere mich auch noch gut an einen Workshop in der Semmelweisklinik. Dorthin kamen etliche Leute, die auch jetzt hier aktiv für die Sanfte Geburt eintreten.- Ich selbst habe mich als Hebamme für diese Bewegung verstanden.

    Sanfte Geburt hat vor allem mit Demokratie zu tun. Mutter, Kind, Hebamme, Arzt und Vater sind ein Team. Das wichtigste dabei ist, daß die Frau in ihrem Prozeß nicht gestört wird. Das heißt auf französisch: „Ne pas deranger la femme“. Das hat mit Hormonen nichts zu tun, sondern mit der Würde der Frau; damit, daß die Geburt in entspannter Atmosphäre vor sich gehen kann und daß die Wünsche der Frau respektiert werden.

    Wenn die Frau zum Beispiel liegend gebären will, weil sie schon fünf Kinder hat und das Baby zu schnell kommt, weil sie sich aufregt, gut, dann darf sie liegend gebären. Wenn sie durstig ist, dann darf sie ein paar Schluck Wasser zu sich nehmen, niemand wird es ihr verbieten.

    Wenn der Vater bei der Geburt dabei sein will, kann er dabei sein, wenn er sich dabei nicht gut fühlt oder lieber in der Arbeit bleiben will, soll er fernbleiben. Niemand zwingt niemanden. Das ist das Prinzip der Natürlichen Geburt.- Wenn das Baby gekommen ist, heißt man es willkommen indem man sich Zeit nimmt es zu berühren; es wird nicht sofort und in Eile mit dem Waschen, dem Messen, etc. begonnen. Die Art des Willkommenheißens ist sehr wichtig.

    Ich möchte jetzt zu den Ereignissen Oberpullendorf gehabt. Ich war dort etwa sechsmal von Dr. Jaskulski eingeladen und habe als Gast mitgearbeitet. Ich habe ganz einfache Hilfsdienste verrichtet. Ich habe den Frauen den Rücken massiert, ihnen die Leibschüssel gebracht, die Babies gebadet etc.; was immer gemacht werden mußte, habe ich gemacht. Die Geburtsstation in Oberpullendorf war sauber, die Einrichtung war schlicht und alle notwendigen Geräte waren vorhanden.

    Dort hat Dr. Jaskulski allmählich ein Team aufgebaut, mit dem er auch Neues anwenden konnte, nämlich die Vertikale Geburt. Hockende Geburten, Stehende Geburten, Wassergeburten – vor allem aber waren das „schöne“ Geburten. Wenn notwendig wurden die Türen zum anschließenden Operationssaal aufgestoßen und innerhalb von zehn Minuten war alles für einen Kaiserschnitt vorbereitet. Das passierte in etwa 5% der Fälle. Das heißt, die meisten Geburten verliefen problemlos. Die Statistiken waren jedenfalls im Vergleich zu anderen Hospitälern sehr gut. Und dann kam es zu einer Änderung.

    Einige dieser Hebammen der ersten Stunde, die hier wirklich an etwas einmalig Neuem mitarbeiteten sind im Laufe der Zeit weggegangen. Andere kamen dazu und haben weder von ihrem Bewußtsein, noch von ihrer Ausbildung her sich auf diese neue Situation einstellen können oder wollen. Vereinzelt kam es dazu, daß Babies geschädigt wurden; eines ist auch gestorben. Das geschieht überall in der Geburtshilfe; eine Geburt ist nie sicher. Das Risiko, daß ab und zu etwas passiert ist auch ein Recht der Eltern.

    Ich war schockiert, als ich letzten Dezember wieder nach Oberpullendorf fahren wollte und Dr. Jaskulski mich gebeten hat nicht zu kommen. Ich erfuhr von ihm, daß gegen ihn ein Strafverfahren läuft und er als Primararzt suspendiert wurde. Die Schadenfreude in den Medien konnte nicht ausbleiben; das habt ihr sicher mitbekommen. Ich war sehr betroffen. In den österreichischen Institutionen scheint der Faschismus noch sehr lebendig zu sein.

    Man wird angegriffen, aber es gibt keine Möglichkeit der Verteidigung. Die Wahrheit war auf unserer Seite, aber sie fand keine ausreichende Unterstützung. In der Woche vor Weihnachten sollte eine Radiosendung zu diesem Thema mit mir aufgenommen werden, und vom Fernsehen war ich in den Club 2 eingeladen worden. Beides wurde vom ORF abgesagt.

    Am 15. Dezember fand in Oberpullendorf schließlich ein Protestmarsch statt, an dem etwa eintausend Leute teilnahmen; Frauen, junge Eltern mit ihren Kindern, Schwangere, usw. Und da wurde gefordert: wir wollen die Sanfte Geburt, wir wollen Dr. Jaskulski. Auf mitgetragenen Transparenten konnte man lesen: ‚Frieden auf Erden beginnt mit der Sanften Geburt“, ‚Für Demokratie im Geburtssaal“, etc. Es wurde also sehr politisch. Auch die WHO hat sich in die Affäre eingeschaltet und sich unterstützend für Dr. Jaskulski geäußert. Er ist diese Woche vor Gericht gestanden.

    Dr. Jaskulski hat sich vielleicht in einigen Dingen schuldig gemacht. Er scheint sich zum Beispiel nicht ausreichend mit seinem Team verständigt zu haben. Was mir an dieser Situation so stark auffällt ist, daß der Primar zwar für die Arbeit seiner Mitarbeiter verantwortlich ist, daß er sich das Personal aber nicht selber aussuchen kann. Es war dann auch bei einer Hebamme, bei der die meisten Fehler passierten. Jetzt gibt es dort nur zwei Hebammen und die Station ist geschlossen, denn zwei sind nicht genug. Das ist eine wahre Geschichte aus Österreich.

    Und wo stehen hoffentlich alle von euch die entweder eine Sanfte Geburt erlebt haben, oder sich eine wünschen? Bitte, schreibt an die Burgenländische Landesregierung, daß ihr nicht möchtet, daß so eine Attacke gegen den öffentlichen Willen stattfindet. Wichtig ist, daß Frauen, die gebären, sich zusammentun und nach Oberpullendorf kommen. Ich habe in den verschiedensten Hospitälern bei Sanften Geburten mitgearbeitet und auch in meiner eigenen Praxis viele derartige Geburten sagen: wir brauchen solche Geburten. Und wir brauchen sie wirklich …. Denn in den Spitälern herrscht eine Art Diktatur. Irgendjemand ganz oben bestimmt, was die Frau und das Baby zu brauchen haben.

    Auffallend für mich ist hier auch die Situation der Spitalserhaltung. Wenn man die Frauen am ersten Tag nach der Geburt, weil sie nicht geschnitten wurden, nach Hause gehen läßt, weil sie sich gut fühlen, dann verdient das Spital nichts, denn in Österreich wird pro Person und Tag bezahlt.- In Amerika ist es genau umgekehrt. In Amerika kostet jeder Tag zwei-, dreihundert Dollar, das kann sich kaum jemand leisten_ Niemand ist so gut versichert, und 40 Millionen sind überhaupt nicht versichert; da heißt es so schnell wie möglich wieder nach Hause zu kommen, auch wenn man sich noch schlecht fühlt.

    Ich möchte jetzt Wilhelm Reichs Analyse der Jesus-Geschichte in dieses Thema einbringen. „Der Christusmord“ erschien 1951 erstmals in englischer Sprache und wurde dann auch ins Deutsche übersetzt. Ich habe vor Weihnachten versucht dieses Buch zu bestellen; mir wurde mitgeteilt, daß es seit Jahren vergriffen ist. Es ist gerade das Buch, das ich jedem, der mich fragte und einmal etwas von Reich lesen wollte, stets empfohlen habe.- Wer hat es hier gelesen? Ja, doch einige, das ist schön.

    Nun, wie kommt es eigentlich zu solchen Attacken? Ich werde jetzt ein Beispiel bringen, das auch mit der Geburtshilfe zu tun hat: Ignaz Semmelweis hat sich darüber Gedanken gemacht, weshalb gerade auf seiner Station des Wiener Allgemeinen Krankenhauses so viele Frauen an Kindbettfieber starben, während sie auf einer anderen Station gesund blieben. Da folgende Beobachtung zu Hilfe : nachdem sich ein Kollege von ihm bei einer Autopsie selbst gestochen hat, traten die gleichen Symptome auf wie bei den Frauen mit Kindbettfieber Irgendwie mußte also ein Keim in den Organismus gelangen, der die Vergiftung bewirkt. Die Ärzte kamen daher im Frack, ganz elegant, aber mit ungewaschenen Händen. Sie gingen von Leichen zu Gebärenden und da war die Ansteckung. Damals wußte man noch nichts über Bakterien.

    Die Lebensgeschichte von Ignaz Semmelweis ist sehr erschütternd. Die Ärzte haben ihn verfolgt und mit ihren Anklagen und ihren Verleumdungen in den Wahnsinn getrieben. Warum muß so ein Mann verfolgt werden für eine ganz einfache Beobachtung, die damals wissenschaftlich nicht nachvollzogen werden konnte? Er hatte nämlich recht; mit Pasteur wurde es bewiesen.

    Im Namen der Sterilität ist das Pendel dann gänzlich auf die andere Seite geschwungen. Man hat angefangen, die Babies von den Müttern zu trennen. Das ist eine sehr ernste Sache. Wer therapeutisch arbeitet weiß, was dabei herauskommt. Es sind die einsamen Babies von Wien, die alleine gelassen und vor Kälte zitternd später zu menschlichen Beziehungen nicht mehr fähig sind. Mutter und Kind gehen aneinander vorbei, weil sie sich nicht berühre kam. Heute sind solche Geburten in Österreich möglich. Als wir vor dreizehn Jahren in Wien mit dieser Arbeit angefangen haben, war das nicht so. Die Beratungsstelle für Natürliche Geburt hat sich hier wirklich außerordentlich verdient gemacht.

    Ich war gerade in Ungarn und in der Tschechoslowakei. Dort werden Mutter und Kind sofort nach der Geburt separiert, die Anwesenheit von Vätern ist nicht erlaubt; all die Fortschritte, die wir hier gemacht haben, gibt es dort noch nicht.

    Ich bin bemüht aufzuzeigen, daß es sich bei alldem auch um ein Machtspiel über das Leben und das Lebendigsein geht. Das ist auch die Hauptidee von Reichs „Christusmord“. Reich stellte sich die Frage, warum sich die Angriffe auf das lebendige Leben ständig wiederholen. Er hat das anhand der Jesusgeschichte sehr eindrucksvoll analysiert. Etwas in der Menschheit ist am Werk, das bislang nie aufgedeckt wurde, das sozusagen hinter den Kulissen wirkt, aber immer aktiv ist und mit einer bestimmten Charakterstruktur zu tun hat, der es Spaß macht, andere zu unterdrücken und psychisch gefügig zu machen.

    Jesus sagte am Kreuz: ‚Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun‘. Beim Lesen dieses Buches wurde mir sehr schnell klar, wie das Prinzip dieser Unterdrückungsmechanismen funktioniert.- Die Attacken sind immer hinterlistig und verschwörerisch. Wahrheit und Verleumdung liegen ganz eng beisammen, aber Recht und Gerechtigkeit haben miteinander nichts zu tun.

    In den Hospitälern herrschen oft ganz arge Gesetze. Bei meinem letzten Aufenthalt in Ungarn habe ich einen Arzt kennengelernt, der sich um die Sanfte Geburt bemüht. Aber schon bei den ersten versuchten Neuerungen wurde ihm mit Entlassung gedroht. Sein Chef hat Vorschriften für alles, alles ist per Gesetz geregelt, nichts darf geändert werden. Jede Frau muß rasiert werden, alle müssen einen Einlauf bekommen, etc.; sie sind ungefähr dort, wo wir vor vierzig Jahren waren. Ich habe vermittelt, daß er in der Geburtsstation in Nußdorf hospitieren darf. Dort wird er dann einen Zettel mit einem Stempel erhalten, der bestätigt, daß er von Sanfter Geburt auch wirklich was weiß.

    Ich behaupte, daß ganz einfach dadurch, daß Mutter und Kind zusammenbleiben können, von Anfang an neurotischen Erkrankungen der Nährboden entzogen wird. Beim Rooming-In zum Beispiel gibt es Hautkontakt, da gibt es das. was wir „Bonding“ nennen, das Brustfüttern geht besser, das Baby ist glücklich und zufrieden. Das macht den Urgrund der Persönlichkeit aus. Jetzt wurden wieder diejenigen, die Rooming-In verlangten angefeindet.

    Aber zurück zum Christusmord. Die Attacken erscheinen stets gerechtfertigt. Es heißt: „Wir sind die Wissenschaftler, wir verteidigen die. Babies und die Mütter“. Aber die Wirklichkeit ist anders. Die Angriffe bewirken lediglich, daß man in die Enge getrieben wird.- In Amerika wird zur Zeit die „Hausgeburt“ heftig angegriffen. Wenn Hausgeburten in ein Sicherheitssystem eingebunden sind und man bei Schwierigkeiten rasch reagieren kann, dann ist das eine ganz gute Sache. Wer in Amerika als Arzt Hausgeburten macht, kann seine Lizenz verlieren; das ist dort verboten, man kann gerichtlich dafür verfolgt werden.

    Wir wissen jetzt, daß Semmelweis mit seinen Beobachtungen recht hatte. Aber lange Zeit über wurde er angefeindet und verleumdet. Warum hat jemand so ein Verhalten notwendig? Offenbar ist bei diesen Menschen die Angst Geld, oder aber vor allem Macht über andere zu verlieren sehr groß. Reich zeigte auf, daß diese Leute sehr gut im verstecken sind, es geht ihnen nicht ums Tageslicht. Sie begeben sich in Machtpositionen und werden Hospitaldirektor, Oberschwester etc.

    Sie wollen auf andere Druck ausüben, das macht ihnen Spaß. Auf jede Änderung, auf jede Art von Lebendigkeit gehen sie los wie ein Stier auf ein rotes Tuch. Warum haben sie es notwendig, diesen Haß zu entwickeln? – Reich war sehr deprimiert darüber und sah auch keinen Ausweg. Diese Machtmenschen kommen ja nicht in Therapie, von deren Charakter kann man nichts lernen, lediglich von deren Opfern.- Wer kennt die Briefe Mozarts, in

    denen er sich über den Erzbischof beklagt, weil dieser ihn nicht wegziehen lassen wollte? Es hat ihm Spaß gemacht, Mozart, diese schöne freie Seele zu plagen, er wollte ihn so unglücklich sehen, wie er selber war. Reich meinte, daß solche Menschen über sehr viel Lebensenergie verfügen, daß sie überladen sind, aber mit negativer Energie. Sie wollen die Welt so bewahren wie sie ist und sie beherrschen. Was ich jetzt auch für mich dazu herausgefunden habe ist folgendes: Diese Menschen mit so viel Lebensenergie haben als Kinder besonders viel Schmerz erlebt, man hat sie sozusagen umgearbeitet mit Drohungen, Prügeln, Alleinelassen etc.; jeder von uns durchlebt so einen Prozeß in dieser Welt.

    Wenn jemand ungut ist, frage ich mich, warum ist er ungut, wer war zu ihm ungut? Wenn jemand einen anderen unterdrückt, frage ich mich, wer hat ihn unterdrückt? Das habe ich so zu verstehen gelernt.- Im „Christusmord“ sagte Reich, daß es die wichtigste Aufgabe der Welt sei, die Panzerung neugeborener Babies zu verhindern, damit die Kinder nicht wieder zu Opfer von Opfern werden und der neurotische Zirkel unterbrochen werden kann.- Mich für diese Idee einzusetzen ist sozusagen zu meiner Lebensaufgabe geworden.

    Man muß sich fragen, was man Neugeborenen an Leid zufügt, was nicht notwendig ist. Zum Beispiel werden in Amerika noch immer etwa 70% der männlichen Neugeborenen in den ersten fünf Tagen beschnitten, aber ohne Narkose bitte! Die Kinder brüllen wie am Spieß, es tut ihnen weh. Nach der Beschneidung sind sie verkrampft, blau und kühl und sie vertrauen niemandem mehr. Und wir haben Erinnerungskassetten; in Amerika kennt jeder Therapeut diese wahnsinnige Angst bei Männern, wenn sie zu diesem Thema Wiedererlebnisse haben. Im „Christusmord“ betonte Reich, wie wichtig die ungepanzerten Anfänge des Menschseins für eine psychisch gesunde Entwicklung sind.- Dazu kommen noch andere Ideen, nämlich eine Kritik an der Jetzigen Welt…

    Da jetzt der Golfkrieg ausgebrochen ist, möchte ich zu Saddam Hussein, dem „Aggressor“ etwas sagen. Ich habe im Time-Magazin gelesen, daß er nach acht Monaten seine Eltern verlor. Dann wurde er von einem Onkel adoptiert, der Militarist war, und der ihn in einem militärischen Setting aufgezogen hat, bis er vier Jahre alt war. Dann ist ihm auch dieser Onkel gestorben.

    Seine Liebe zur Macht und zum Militär hat für mich mit seiner eigenen Schmerzensgeschichte als Mensch zu tun, damit, daß er wenig glücklich war in seinem Leben. Das ist wichtig zu wissen. Die vielen neuen Erkenntnisse der Psychologie werden in die diplomatischen Gespräche nicht eingebracht_ Das ist ein Fehler. Es sollte eine Verpflichtung sein, die Problematik von beiden Seiten her kennenzulernen. Zum Beispiel mit Hilfe des Rollenspiels, das den Standpunkt des anderen verstehen lernen hilft.

    Wir wissen jetzt wie das handzuhaben ist. Ich kenne einige Therapeuten, die unglaublich geschickt sind, solche Konflikte durch so geführte Verhandlungen zu lösen. Aber zwei starke Männer, Machos, die stark bleiben müssen – was soll dabei herauskommen? Warum muß die Welt immer wieder in diese Abgründe fallen, wenn die Mehrheit eigentlich Frieden will? Wir müssen uns ansehen, wer für den Krieg und wer für den Frieden marschiert und wer wen verprügelt.

    Es bleibt die Frage offen, wie wir mit diesen Menschen, die unter Minderwertigkeitsgefühlen leiden und andere unterdrücken müssen, umgehen können. Es gibt sie ja überall, auch in vielen Familien, wo z.B. der Vater den Diktator spielt.

    Um zur Sanften Geburt zurückzukommen. Die Frau weiß von sich aus ganz genau in welche Position sie sich während der Kontraktionen begeben will. Sie weiß, daß sie sich besser fühlen kann, wenn sie sich zum Beispiel auf einer großen Matratze

    herumwerfen kann, anstatt in einem engen Bett -angehängt an einen Monitor — zu liegen hat. Die Frau weiß, wie und wo sie sich entspannt und geborgen fühlen kann. Dabei werden Endorphine ausgeschieden, die, so wie ein Morphineffekt, ein schönes Körpergefühl vermitteln. Sobald irgendetwas Unangenehmes passiert, kommt die Frau in einen Streßzustand wo Adrenalin ausgeschieden wird und dann werden die Kontraktionen schmerzhaft.

    Diese Art von Einsicht sollte schon heranwachsenden Jugendlichen gewährt werden. Ich weiß nicht, wie das in Österreich gehandhabt wird. Aber in Amerika, wo ich lebe, und ich lebe in einem Kleinstädtchen im puritanischen Nordosten, in Maine, gibt es noch keine Sexualerziehung in den Schulen. Wir sollten es besser Lebens-Erziehung nennen und auch die Biologie miteinbeziehen; wie schaut ein Baby nach zwei Monaten aus, nach drei Monaten, was passiert bei der Geburt, usw.

    Junge Menschen sollten auch mit den Grundbegriffen der Bioenergetik vertraut gemacht werden. Was heißt es, Gefühle zu haben, wie fließt die Energie im Körper. Es sollte klar gemacht werden, daß ein gutes Gefühl mit Ausdehnung, und ein schlechtes Gefühl mit Kontraktion einhergeht. Und daß unterdrückte Gefühle pathologische Folgen haben können.

    Zurück zur Sanften Geburt. Jede Frau weiß selber ob sie durstig ist und ob sie Harn lassen will, damit die Blase nicht zu groß wird. Sie weiß, daß sie nicht alleine sein und wen sie bei sich haben will. Sie braucht vielleicht ein bißchen Anleitung, wie sie besser atmen kann. Sie muß sich vor allem geborgen fühlen können. Ich bin ganz dafür, daß Frauen selber mit der Hand fühlen, daß das Baby kommt. Bei einer Vertikalgeburt kommt das Baby durch die Schwerkraft leichter heraus und geht nicht mehr zurück.

    Die Frau weiß sehr genau daß sie das Kind ohne allzugroße Anstrengung, herausatmen kann. Denn in der vertikalen Position kommt bevor das Baby die Händchen streckt – zuerst das Köpfchen durch die äußeren Teile der Scheide. Wie von einer Manschette umgeben, schaut es dann etwa 10 cm weit heraus, sie kann es sogar selber sehen, ganz anders als bei einer liegenden Geburt; und dann streckt es sich von allen Seiten gleichmäßig und daher reißen die Frauen nicht. Die Natur weiß ja auch was sie tut. Wenn das Baby heraußen ist, wird die Nabelschnur nicht gleich abgetrennt. Man wartet bis die Pulsation, die Blutzufuhr zum Baby aufhört, was etwa 15 bis 20 Minuten dauert.

    Ich möchte noch ein Beispiel zum Thema Christusmord in der Sanften Geburt erwähnen, nämlich was mit Narkose und mit Schmerz zu tun hat. In der Bibel heißt es „Du mußt leiden“. In dem Buch „Geburt ohne Angst“ hat der Autor auf einen übersetzungsfehler aufmerksam gemacht. Im Original-aramäisch heißt das Wort „Ezze“ nämlich Arbeit und nicht Schmerz.

    Die Kirche hat Sexualität stets unterdrückt, sogar in der Ehe. Es wurde tatsächlich gelehrt, daß die Frau bei der Geburt Schmerzen haben muß, weil sie mit ihrer Lust gesündigt hat. Eine Reihe von Hebammen haben noch immer diese Einstellung. Die Kirche hat alles darangesetzt, Verbesserungen in der Geburtshilfe zu unterbinden. Schmerzen zu lindern war sozusagen verboten. Ungefähr um 1840 wurden Chloroform und Äther erfunden. Bei schweren Geburten war der Einsatz dieser Mittel eine wirklich große Hilfe.

    Und dann ist das Pendel wieder umgeschlagen von „Du mußt leiden“ in „Du mußt Narkose haben“. Und das ging dann los rund um die Welt. Zum Beispiel in Brasilien, wo ich jetzt einigemale war, wird jeder Gebärenden eine Maske über das Gesicht gestülpt, auch wenn sie das gar nicht will. Als ich 1946 als Ärztin erstmals bei Geburten dabei war, wurde jede Frau routinemäßig narkotisiert. Die Frau hat das Kommen ihres Kindes nicht miterlebt.

    Die Babys haben geschlafen, oft zwei, drei Tage lang.- In der Therapie sehe ich jetzt Leute, die damals so geboren wurden und im Psychodrama ihre Geburt wiedererleben, aber die schlafen. Von solchen passiven Geburten entstehen Lebensthemen wie: ich beende nichts, ich komme immer zu spät, etc. – Wer kennt das?

    Gut, also zurück zur Sterilität. Jede Mutter hat das natürliche Instinkt, das Baby gleich nach der Geburt bei sich zu haben, außer, wenn sie es wirklich überhaupt nicht will, was ich auch schon erlebt habe. Als ich 1946 in der Geburtshilfe zu arbeiten begann, wurden die Frauen – aus Gründen der Sterilität – mit Ledermanschetten auf dem Tisch angebunden. Sie konnten ihr Baby gar nicht berühren; sie waren betäubt, es wurden ihnen die Beine gespreizt, ein Hohlkreuz war notwendig.- Die liegende Geburt hat ein König erfunden, Ludwig der XIV, der wollte sehen, was da los war, und das haben die Männer-Gynäkologen so übernommen.

    Warum hat die Welt so verrückte Prioritäten? – So viel Geld wird für das Kriegen und so wenig für das Leben ausgegeben. Wir brauchen viel mehr von so schönen Geburtshäusern wie das in Nußdorf.

    Geburts- und Krankenstation sollten sich nicht im gleichen Gebäude befinden. Aber die Machthaber in der Geburtshilfe wollen möglichst viele Geburten, nämlich fünftausend im Jahr. Das sind schon Riesenfabriken. In Südamerika ist das absurd. Ich war in Carracas, da gibt es das Spital Pallazio Conceptione, wo es bis zu einhundert Geburten jede Nacht gibt. Mir wurde dort übel. Es winden sich Frauen, die nicht wissen was sie erwartet und diese Art der ‚Versorgung‘ überhaupt nicht wollen. Sie liegen aufgebahrt als würden sie herkommen um zu sterben – in der Mitte sind Tische, wo das Blut fließt, denn jede Frau kriegt einen Schnitt ….ganz schrecklich, es gibt keine anwesenden Väter, niemand ist bei ihnen. …Schnitt die Ärzte…

    Daß die Geburt in eine Operation umgewandelt wurde ist wieder ein anderes Thema. Und auf einer Seite liegen dann die Babies; es hat mich an gestapeltes Holz erinnert. Manchmal werden die Babies in diesen großen Hospitälern verwechselt. Ich kann nur sagen, daß es eine schlechte Politik ist, Geburten in so große Systeme hineinzubringen.

    Es gibt viele gute Ideen für unsere Welt, aber wir nützen sie nicht; das ist auch Teil des Christusmordes. Wieso werden so wenige Ideen umgesetzt? Auch die WHO ist gegen die hohen. Kaiserschnittsraten, gegen alle diese technischen Interventionen und für eine einfache, natürliche Geburt.

    Unsere Welt ist krank. Ist das schon allen klar? Ich glaube schon. Zu Freuds Zeiten mußte man sich an eine Welt anpassen, die auch zum Abschluß möchte ich noch eine kurze Geschichte erzählen. Habt ihr schon einmal von einem Plazenta-Stew oder einem Mutterkuchen-Gulasch gehört? (Lachen).- Kochen tut´s die Natur nicht, aber alle Säugetiere fressen nach der dem Gebären ihre Plazenta auf. Dafür muß es ja einen Grund geben, einen anderen noch als den der Sauberkeit, war meine Überlegung.

    Und ich habe dann erstmals einer Frau vorgeschlagen – ich werde das nie vergessen – sie war Vegetarierin (Lachen), daß sie ihre Plazenta essen soll. Sie hat in kleinen Stückchen etwa ein Drittel davon aufgegessen; es schmecke wie eine Weintraube, hat sie gemeint. Das klingt kannibalisch aber es war verblüffend, wie rasch sich diese Frau erholte, voll Energie war und sich ausgezeichnet fühlte. Ich habe es noch nicht geschafft, dieses Phänomen näher zu studieren, aber daß es im Mutterkuchen Substanzen gibt, die die Regeneration nach der Geburt beschleunigen, möchte ich behaupten.

    Die Biochemische Industrie sammelt ja Mutterkuchen und macht alle möglichen Präparate wie Östrogen, Permaglobulin, Progesteron, etc. daraus. Nur eine einzige Referenz habe ich; und zwar gibt es in dem Buch „Foundations of Psychohistory“ ein Kapitel, das diesem Thema gewidmet ist. Die ganze medizinische Literatur habe ich durchgesehen aber kein einziges Wort darüber gefunden.

    Ich habe heute abend nicht alles über die Natürliche Geburt erzählt, gut, aber vielleicht habe ich Ihnen doch einen Einblick zum Stand der heutigen Geburtshilfe geben können.

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 2/91 Vom Christusmord und der natürlichen Geburt
  • Kategorie: 1991
  • Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula 2/1991

    An die Stadt Wien: Danke für diese Ehrung

    Rede von Frau Dr. Eva Reich anlässlich der silbernen Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt
    Wien am 7. März 1991 durch Frau Vizebürgermeisterin Smejkal im Wiener Rathaus
    Eva Reich:


    Danke für diese Ehrung.

    Ich bin gewohnt an Auswanderung, als eine Fremde zu gelten, eine Minorität in Opposition zu sein. Es fällt mir nicht leicht meinen Lebenslauf kurz darzustellen, denn er ist vielfältig und bunt. Und es ist nicht leicht für mich geehrt zu werden.

    Dies also ist für mich eine Versöhnung, die die Verletzungen und Verfolgungen heilen hilft, die ich und meine Familie und insbesondere mein Vater, Wilhelm Reich, erlitten haben. Ich frage mich, was ich eigentlich in meinen 66 Jahren auf Erden geleistet habe. Es fällt mir schwer zu beurteilen, was wesentlich war, was andauern wird.

    Mein Großvater, Alfred Pink, war Kaufmann in Wien; er war auch Gemeinderat. Er war ein gütiger Mann, der Waisenkinder zu Weihnachten auf eigene Kosten im Gasthaus jedes Jahr ein Fest bereitete. Als er schon alt war, sagte er zu mir: „Die Arbeit für eine bessere Welt ist noch lange nicht beendet“. Dies wurde zu einem Leitthema für mein Leben. Und mein Vater, Wilhelm Reich, war ständig ein Kämpfer für das Neue, sein ganzes Leben lang. Er war Psychoanalytiker in Wien – er hat übrigens auch in der Berggasse gewohnt – und war Schüler von Sigmund Freud. Er arbeitete heraus, wie die neurotische Erkrankung, die „Neurose“ im menschlichen Körper verankert ist und widmete sich der Entdeckung der Energie, die sich auch im Sexualtrieb ausdrückt.

    Über Jahrzehnte hinweg eröffneten sich ihm immer mehr neue Aspekte der „Lebensenergie“, die er „Orgon-Energie“ nannte. Die Forschungen zur wissenschaftlichen Orgonomie führten ihn auch zur Entwicklung von Geräten, die diese Energie konzentrieren können. Ich möchte da den Orgon-Akkumulatur erwähnen – ich selbst habe ihn in meiner Tätigkeit als praktische Ärztin angewandt -, den „Medical Dorbuster“ und den „Cloudbuster“, mit dem mein Vater stagnierende Atmosphäre, den sogenannten Smog, in Bewegung bringen konnte. Bei vielen seiner Experimente war ich selbst anwesend. Er unterhielt sich gerne mit mir und erzählte mir oft von seinen neuesten Forschungen.

    Er meinte, daß „Zivilisation noch nicht stattgefunden habe“ und daß diese Lebenskraft immer wieder in Generationen von neuen Babies und Kleinkindern systematisch unterdrückt und zerstört wird im Namen des Staates, der Religion, der Schule, etc. Daher redete er vom „Battle for the Human Race“, was ich für mich – als Pazifistin -umwandelte in „Humanising Humanity from Birth on“, das Vermenschlichen der Menschheit von Geburt an. Er empfand diese Arbeit zur Verhütung von Neurosen von entscheidender Bedeutung. Diese Ideen finden sich in dem Buch „Der Christusmord“, was für mich das wichtigste aller seiner Werke wurde; darin definiert er auch seine Ideen für die „Kinder der Zukunft“.

    Ich habe also daran gearbeitet. Zuerst in meiner Praxis als Landärztin, wo ich – mit Erlaubnis der Eltern – verliebte Jugendliche über Empfängnisverhütung informiert habe; und ich habe schon im Jahre 1952 Sanfte Hausgeburtengemacht_ Ich habe dabei gelernt, daß derart geborene Babies, die nicht von der Mutter getrennt werden, nicht brüllen, eine warm-rosa Hautfarbe haben und zufrieden sein können. In meinem Turnusjahr im Harlem Hospital, 1951/52, wurde für mich klar, daß schon winzige Frühgeborene fühlende Menschen sind.

    Ich entwickelte eine eigene Art von Vegetotherapie, eine sanfte Massage für neugeborene Babies zu deren Wiederbelebung, da alle damals routinemäßig narkotisiert auf die Welt kamen. Daraus entstand meine „Babymassage“, die die Babies entspannt, die sogenannte Kolik verhindert, die Autisten wieder aus sich herauskommen läßt, die eine körperliche Verbindung zwischen Eltern und Kind entstehen läßt und das gestörte Eltern-Kind Verhältnis wieder herstellen hilft. Ich möchte das „Rebounding“ nennen.

    Seit 1975 war ich in mehr als dreißig Ländern zu Vorträgen und Seminaren eingeladen. Ich hatte Gelegenheit von verschiedensten sanften bioenergetischen Arbeiten zu lernen und konnte erfahren wie wirkungsvoll diese Prinzipien auch bei Erwachsenen sind. Und ich sehe auch, daß in jedem Land den Neugeborenen unterschiedliches Leid angetan wird. Ich denke immer daran, was man ändern könnte, was auch gar nichts kosten würde.- Interventionen am Anfang können viel an späterem Leid verhindern helfen.

    Nur ein paar Beispiele derartiger Möglichkeiten der Bewußtseinsveränderung möchte ich anführen, die zur Verhütung der Panzerung, zur Entstehung von Neurosen beitragen können: Babies und Mütter sind als Dyade zu sehen; sie dürfen nicht getrennt werden, auch nicht im Falle einer Erkrankung.- Das kostet nichts. Kinder dürfen nicht geschlagen und gedemütigt werden, sondern man hat ihnen das volle Menschenrecht in einer demokratischen Familie zu geben.

    Wir sind erst am Beginn des Zeitalters, in dem wir Frauen, die ja mehr als die Hälfte der Menschheit ausmachen, auch in der Politik und in den Regierungen mitwirken können. Dann werden wir auch nicht mehr die Hälfte der Gelder für Waffen und zerstörerische Kriege ausgeben.

    Ich danke meinen Freundinnen Johanna Sengschmid, Ingeborg Hildebrandt und Irene Hocher, daß sie mir bei diesem vielmonatigen Aufenthalt in Wien so geholfen und mich unterstützt haben.

    Und ich freue mich auf eine weitere Zusammenarbeit. Für Herbst dieses Jahres bin ich eingeladen u.a. im „Zentrum für Geburt und Elternschaft“ mitzuarbeiten.

    Die „delikaten“ Anfänge des Lebens sind von größter Bedeutung; sie sind die Fundamente unseres Wohlbefindes für Leib und Seele.- Ich möchte Sie bitten, diese Bemühungen zu unterstützen. Wir brauchen Frieden auf Erden -und der beginnt im Mutterleib!

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 2/91 An die Stadt Wien: Danke für diese Ehrung
  • Kategorie: 1991
  • Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula 3/1991

    Selbst, Meditation und erotisches Erfassen der Wirklichkeit, Teil 1

    Das Selbst und die drei Formen des Leidens
    Bernd Bocian:

    Um diesen Artikel zu schreiben habe ich darüber nachgedacht, was mir die westliche Psychotherapie und die östlichen Befreiungswege (insbesondere der Buddhismus) in den letzten Jahren über individuelle menschliche Probleme zu sagen hatten). Es haben sich dabei drei Formen des Leidens herauskristallisiert, die sich alle auf die Frage nach der persönlichen Identität beziehen bzw. auf die Erfahrung, was ich als mich, bzw. mein Selbst bezeichne.

    Die erste dieser drei Formen des Leidens betrifft das Fehlen bzw. das ungenügende Vorhandensein eines kontinuierlichen und zusammenhängenden Selbst-Gefühls. Hier geht es neben den Psychosen um all das, was wir zur Zeit über sogenannte Frühstörungen, über schizoide, borderline und narzißtische Prozesse etc. wissen. Gemeint ist hier das Fehlen einer fundamentalen Existenzsicherheit in Konflikt- und Streßsituationen, Auseinanderfallen der Ganzheit, Fragmentierung des Erfahrungsflusses (Beaumont 1987), ein nicht wirklich in der Welt und unter den Menschen Fuß-gefaßt-Haben. Therapeutisch geht es um „strukturbildende Maßnahmen“; für den betroffenen Menschen geht es in einem gewissen Sinne darum, „jemand zu werden“.

    Die zweite Form betrifft die Neurosen, die Wachstumsstörungen, den verdrängten „Schatten“, die unabgeschlossenen Gestalten und die eingezwängten Affekte. Es geht hier darum, eine eher rigide Identität aufzugeben, das eigene Selbst zu erweitern und mehr zu werden, als ich zu sein glaube.

    Die dritte Form des Leidens, mit der sich die mystischen Wissenschaften seit Hunderten von Jahren beschäftigen, betrifft gerade den menschlichen Zustand, der im Westen als gelungene Entwicklung von „Identität und Objektkonstanz“ bezeichnet wird. Das Anklammern an diese persönliche, einmalige, individuelle Existenz an ein Ego, das sich dem immerwährenden Fluß der Ereignisse, dem Prozeß des Entstehens und Vergehens entgegenstellt, indem es an bestimmten Vorstellungen und Bildern von sich und anderen festhält, wird als Entwicklungsstillstand betrachtet, der Leiden mit sich bringt. Es geht darum, die Illusion der Separation aufzugeben, die Verbundenheit mit den anderen Menschen, der Welt und dem Kosmos zu erleben und in gewisser Weise ’niemand zu werden‘.

    Der Buddhismus definiert Identität nicht als ein Ich im Gegensatz zur Welt, sondern als ‚Bezogenheit‘, in der es durchaus ein Integrationsprinzip, einen momentanen Brennpunkt, aber keine andauernde, unabhängig bestehende Einheit gibt. Kein separates Selbst, keine Substanz, sondern Zusammenhang und Prozeß. Das ist der Auffassung der Gestalttherapie vorn Selbst und seinen Ich-Funktionen, wie sie insbesondere von Goodman formuliert wurden, sehr ähnlich. Für die Gestalttherapie beinhaltet der konkrete Gegenstand jeder biologischen und soziopsychologischen Forschung immer ein Organismus/ Umweltfeld. Und „es gibt keine Funktion eines Lebewesens, die anders denn als Funktion eines solchen Feldes zu definieren wäre“ (Perls et al. 1979, S. 161).

    Ist das ‚Selbst‘ der Prozeß ständig wechselnder Kontakte, die sich im Feld da ereignen, wo der Organismus sich auf assimilierbares Neues zubewegt und Unverdauliches abwehrt, so meint der Begriff ‚Ich“ die Momente der Identifikation und der Abgrenzung. In diesen Momenten absichtsvollen Handelns ist die Umwelt nicht mehr als „der eine Pol der eigenen Existenz“ im Kontakt; die Trennung hingegen wird als real empfunden. Diese zeitweilige unnotwendige Abstraktion kann zur ausschließlichen Identität werden, denn wenn die „Person neurotisch ist, so existiert nichts anderes mehr im Bewußtsein als das absichtsvolle Ich“ (ebd. S. 169). Hiermit hat Goodman das beschrieben, was im Buddhismus als ‚Ich-Wahn‘ bezeichnet wird.

    In ähnlicher Weise und Sprache beschreibt der buddhistische Gelehrte Lama Anagarika Govinda die Tendenz des Organismus, einen gemeinsamen, regulierenden Bezugspunkt zu schaffen, um die beiden grundlegenden Lebenstendenzen „Wachstum und Einheit“ integrieren zu können. Der Organismus findet einen Weg zwischen der drohenden Auflösung bei „chaotischem Wachstum“ und der Gefahr, sich durch ein abgrenzendes, „hypertrophisches Ich-Bewußtsein“ zu isolieren und zu verhärten (Govinda 1961, S. 65ff). Der Ansatz der Gestalttherapie, das menschliche Selbst als einen Prozeß und als den „Akt der Integration“ (Lore Perls) zu definieren, stimmt mit der Sicht des Buddhismus in den Grundzügen überein.

    Daraus ergeben sich hier zwei Probleme für mich. Erstens: seitens der Gestalttherapie ist das erst einmal ein theoretisches Konzept, das nicht so ohne weiteres als erlebbare, spirituelle Dimension gewertet werden kann. Zweitens: im Prozeßansatz Goodmans kommt wenig von einem „stabilen“ Selbst vor; das Selbst fühlt nicht so sehr „die eigene Existenz als vielmehr die Einheit der Kontakte“ im Feld (Perls et al. 1979, S. 176).- Ich bin letztlich nur ein „immerwährendes Fließen von Vorgängen“ (Perls et al. 1979, S. 49).

    Ein Selbst mit einer so hochentwickelten, flüchtigen Dynamik scheint mir nicht auszureichen, um die gestörten Identitätserfahrungen mancher Klienten zu verstehen. Hunter Beaumonts Ansatz in bezug auf frühe Störungen, einem prozeßhaften Selbstbegriff, der sich auf ein Phänomen – im Feld“ bezieht, auf Kontaktprozesse – innerhalb des Organismus‘ zu beziehen, die ihn „vom Kontext seiner Umgebung abheben“ (Beaumont 1987a) und somit Zusammenhalt und Identität vermitteln, halte ich für einen guten und wichtigen Schritte). Ich möchte betonen, daß das Schaffen von „inneren Verbindungen“ sich für mich auf die Reintegration psychischer Identitätsteilstücke und insbesondere auf die entwicklungspsychologisch früher beginnenden Desensibilisierungen, Abspaltungen und Zerteilungen des Körper-Selbst bezieht. (Das sich „Fragmentiert“-Fühlen hat hier eine reale physische Grundlage. )

    GESTALTTHERAPEUTISCHES GEWAHRSEIN UND BUDDHISTISCHE ACHTSAMKEIT

    Kraftvolle Identifikation und schöpferische Distanz

    Gewahrseins- und Achtsamkeitsübungen sind sowohl der Gestalttherapie als auch dem Buddhismus zentrale Anliegen – und allzuoft auch Anlaß für ungenaue Verknüpfungen. Wenn Anderson (1983, S. 42) behauptet, daß die buddhistische Übung der „rechten Achtsamkeit“ längst auch bei uns bekannt ist und ihre westliche Version halt Gestalttherapie heißt, so ist dies ein Beispiel von vielen). Mit dieser Art von Verbindung

    geschieht sowohl der Gestalttherapie als auch dem Buddhismus unrecht. Natürlich ist zum Beispiel das, was Simkin (GT 1988) so schön als die Fähigkeit eines guten Phänomenologen beschreibt, das einfache Beobachten und Wahrnehmen von sich verändernden Tatsachen, genau das, was in der Achtsamkeitsmeditation geübt wird. Vergessen wird hierbei jedoch, daß die Achtsamkeitsmeditation eine erste Stufe meditativer Einsicht bildet, der weitere aufbauende Stufen, mit dem Ziel in umfassendere Dimensionen der Wirklichkeit Einblick zu erhalten, folgen.

    Die Gestalttherapie wiederum hat es nicht nötig, jeden „sitzenden Phänomenologen“, der sich auf innere Vorgänge hin sammelt, gleich als buddhistischen Meditationspraktiker zu bezeichnen, da sie eine eigene Tradition der Achtsamkeit hat, wie das Fritz Peris in seinem erstem Buch 1946 beschreibt. Die Übung des „inneren Schweigens“ (Perls 1978, S. 254ff) die durch das geistige Geplapper dringt und Kontakt zum überlagerten „biologischen Selbst“ bekommt, oder seine Empfehlung, dem eigenen Denken zuzuhören und zu merken, wer da eigentlich spricht – Ich oder Introjekte – mögen neben dem bekannten Awareness-Kontinuum als Beispiel genügen.

    Um den Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Achtsamkeitsübung deutlicher zu machen, will ich zunächst auf das Konzept des ‚beobachtenden Selbst‘ in den mystischen Traditionen zu sprechen kommen_ Das beobachtende Selbst ist eine Art Urgrund der Selbsterfahrung, eine eigenständige Bewußtseinskategorie, wobei die Inhalte (Gedanken, Empfindungen, Emotionen, etc. ) sekundär sind. Sie sind Objekte des Bewußtseins, nicht das Bewußtsein selbst. In den östlichen Traditionen taucht diese Wahrnehmungserfahrung als „Beobachter“, als „innerer Zeuge“ oder als „leerer Spiegel“ auf, der alle Bilder nur reflektiert, selbst aber unverändert bleibt. Ich identifiziere mich nicht mehr ausschließlich mit meinen persönlichen

    Dramen und kann meine inneren Nöte und Sorgen mit schöpferischer Distanz betrachten. Das klingt ein wenig nach klassisch psychoanalytischer „Abstinenz“. In der Tat ist zum Beispiel die eher analytisch trockene Vipassana-Meditation bei Psychoanalytikern sehr beliebt, da sie nicht „Befriedigung, Katharsis, Agieren“ etc. fördert, sondern neutrales Beobachten. Der Analytiker Engler bemerkt dann auch: „Beide Praktiken sind abhängig von der Fähigkeit zum Befriedigungsaufschub zugunsten schließlicher Einsicht und tieferen Verständnisses“ (Engler 1988, S. 50).

    Die davon unterschiedliche Intention der Gestalttherapie, und auf die kommt es mir hier an, will ich mit einem Zitat deutlich machen: „Unsere Technik des Gewahrseins erscheint vielleicht als Variante der Yogatechnik. Das ist sie auch, aber das Ziel ist ein anderes“ (Perls et al. 1987, S. 86).- Nach einem unglücklichen Hinweis darauf, daß „der Inder“ sich lediglich zu betäuben sucht, der nur mit der Unkenntnis lebendiger spiritueller Traditionen zu erklären ist, heißt es weiter: „Wir hingegen wollen uns nicht scheuen, das Empfinden und die Reaktionen auf äußere Reize zu beleben und Konflikte zu schüren, wo sie nötig sind, um am Ende ‚zur einheitlichen Lebenstätigkeit des ganzen Menschen‘ zu gelangen“.

    Es geht um Bewegung, um jeden Kontakt, es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und bisher Ausgeblendetes zu erleben und sich damit zu identifizieren. Ich bin es, der dies und jenes tut! Den inneren Beobachter, das transpersonale Selbst zu stärken, wie es in den östlichen Traditionen gehandhabt wird, hat gerade zum Ziel, die Identifikation aufzuheben. Der übende wird angehalten, sich nicht mit den Projektionen des Geistes (z.B. sich etwa projizierte Aggressionen wieder anzueignen) sondern sich mit dem Geist, dem Projektor selbst zu beschäftigen. Es geht nicht darum, mit dem Strom der sich verändernden Figur-/Hintergrundkonstellation zu schwimmen und die wache, unblockierte Selbstregulation durchzusetzen.

    Vielmehr geht es um eine Ablösung von der Figurfixierung und um Kontakt zum Grund selbst, der vielleicht auf einer umfassenderen Erfahrungsebene (in der Sprache der Gestalttherapie) dem von Koffka vorgeschlagenen (nicht nur visuellen) „übersinnlichen Grund“ entspricht, der alle empirischen Figuren durchdringt (Joslin 1984, S. 174).- In der Meditation tauchen aus dem Grund (Raum, Geist) Gedanken, Bilder und Emotionen auf und kehren in ihn zurück wie Wolken am Himmel, die sich zusammenballen und sich wieder in den Hintergrund hinein auflösen.

    Es findet ein entspanntes, nicht eingreifendes Wahrnehmen von Figurbildungen und Auflösungen im inneren Raum statt. Ein kleines Beispiel mag die von mir hier betonte Unterscheidung der beiden Praktiken unterstreichen: Höre ich in der Meditation plötzlich und unerwartet eine Tür zuschlagen, projiziere ich sofort das Bild der Tür oder einer Person, wobei dann noch ein Gefühl, zum Beispiel ärger, hinzukommt. Ohne Frage ist dies eine Fähigkeit, innerlich aus einem einzigen Sinneseindruck eine komplette Gestalt zu formen. Der Buddhismus aber lehrt uns, daß es sich dabei um einen zwanghaften Reflex handelt.

    Wir nehmen eine Erscheinung im Feld (hier ein Klang) eigentlich nicht in der „Soheit“ wahr, sondern verbinden das sofort mit einem Gefühl oder einer Erinnerung. Unbeteiligtes Beobachten soll Zugänge in andere Wahrnehmungsdimensionen ermöglichen, die auch das beobachtende Selbst transformieren. Tarthang Tulku drückt das folgendermaßen aus: „Unsere Gedanken zu beobachten, unsere Gefühle zu untersuchen und unsere Wahrnehmung bewußt zu verfeinern, kann uns für eine Zeit glücklich und zufrieden machen; wollen wir jedoch meditatives Gewahrsein entwickeln, müssen wir die Grenzen sinnlicher und intellektueller Wahrnehmung überschreiten -wir müssen jenseits unseres Bewußtseins gelangen“ (Tulku 1979, S.150).

    DIE SUBVERSIVITAET UND DIE TRANSFORMATION VON
    EMOTIONEN

    Als den bedeutendsten Unterschied zwischen der Gestalttherapie und der buddhistischen Praxis habe ich immer den jeweiligen Umgang mit Emotionen erlebt. Wenn ich hier von buddhistischer Praxis spreche, meine ich die im Verhältnis zur burmanesischen Vipassana-Meditation körper- und sinnesfreudigere Version des tibetanischen Buddhismus). Der tibetanische Buddhismus, der Vajrajhana, benutzt (aus meiner Erfahrung) als Einstieg in den meditativen Weg weniger die Übung des Sich-Entleerens und des Relativierens jeglicher fester Zustände, sondern beginnt den Einstieg über die Übung des Sichverbundenfühlens und Aufgehenlassens isolierter Phänomene in einen größeren fließenden Zusammenhang.

    Dieses zusammenhängende Gewebe (Tantra) wird unter anderem sinnlich und körperlich vermittelt, indem scheinbar kompakte Einheiten und Ereignisse (Gedanken, Gefühle, etc.) in ihre alles durchdringende energetische Ursubstanz hinein aufgelöst werden. Der Meditierende nähert sich allen auftauchenden Emotionen freundlich und interessiert, wobei er sich jedoch nicht weiter mit dem Inhalt und dem Objekt der Emotion beschäftigt bzw. identifiziert. Die Übung besteht darin, sich mit der Energie zu verbinden, die die eigentliche Substanz von Emotionen und Gedanken bildet.

    Tief in sie einzudringen und die dabei entstehenden Empfindungen auszudehnen, lassen Wahrnehmungen von Enge und Dunkelheit in Offenheit und Licht verwandeln. Alle Erscheinungen sind Manifestationen einer universellen, Körper und Geist durchdringenden Energie. „Negative“ Gedanken und Emotionen bedeuten Zusammenballung und Separation und können durch eine Art alchemistischen Prozeß wieder in den heilsamen Fluß des Ganzen integriert werden.

    Aus diesem Blickwinkel heraus erscheinen Emotionen als durchaus wertvoll, da sie spirituelle Erfahrungen ermöglichen; irgendwie aber sind sie unökonomisch. Herbert von Guenther, bekannter buddhistischer Theoretiker, spricht zum Beispiel davon, daß das Auftauchen von Emotionen als eine „mangelhafte Anpassung an eine gegebene Objektsituation“ gesehen werden kann.- Die Gestalttherapie betrachtet Emotionen als sinnvolle Äußerungen des „Organismus“ Mensch, die mit seiner kreativen Anpassung im Umweltfeld zusammenhängen und zur Orientierung, zur „spontanen Lagebeurteilung des Körpers zur jeweiligen Situation“ dienen (Dreitzel 1985).

    Der Buddhismus sieht das, was wir als freien Fluß der Figur/Hintergrundbildung, als organische Selbstregulierung sehen, als eine Art Reiz-Reaktions-Konditionierung, über die der Mensch hinauswachsen kann. Hierbei wird nicht genug berücksichtigt, daß die Industrialisierung und der „Prozeß der Zivilisation“ (Elias) gerade zur Störung dieser Selbstregulationsfähigkeit – und damit zu chronischer Kontaktunterbrechung, Selbstvergewaltigung und massenhafter Produktion von Charakterpanzerung – geführt haben.

    Wilhelm Reich nannte dies den „erstarrten soziologischen Prozeß“. Tiefe, primäre, unverstellte Emotionen mit ihren bioanarchistisch, selbstregulativen Funktionen unterlaufen das Gefüge von entsinnlichter gesellschaftlicher Ordnung und persönlichem Über-Ich und sind daher subversiv. Mit „tief“ und „unverstellt“ meine ich aus dem privaten und politischen Alltag weitgehend verschwundene Emotionen wie heiße biologische Wut (eine Selbstverteidigung der durch Zerstörung, Ersticken oder Zurechtweisung bedrohten Lebendigkeit), den ganzen Körper ergreifende Trauer, sowie überströmende Lust und Liebe.

    Durch gesellschaftlich-familiär vermittelte charakterliche Abwehr gebrochen, werden sie zu „sekundären Emotionen“ (W. Reich), die dann in Form von Dampf ablassenden Explosionen, sadistischer Eltern-Mordlust, trotzigem Dreinschlagen, Jammern etc. in der Therapie als endlos reproduzierbar gelten und den Schluß nahelegen, daß Ausdrucksarbeit Sisyphusarbeit sei. Es geht mir nicht darum, den buddhistischen Ansatz als für unsere Verhältnisse unbrauchbar darzustellen; vielmehr möchte ich den Unterschied zwischen spirituellen und therapeutischen Aufgaben aufzeigen, der, wie bereits angedeutet, von einigen Autoren in kurzschlüssiger Euphorie zu stark verwischt wird, wenn einzelne Menschen auch sicher in der Lage sein mögen, beides miteinander zu verbinden.

    DIE ERFAHRUNG DER UMFASSENDEN LEERE UND
    NARZISSTISCHES LEERSEIN

    „Ehe wir daher in Verbindung mit dem Himmel treten, müssen wir eine Beziehung zur Erde herstellen und an unseren grundlegenden Neurosen arbeiten“ (Tschögyam Trungpa).

    Spirituelles Wissen wird oft pur von Ost nach West importiert, ohne daß Kulturunterschiede entsprechend berücksichtigt werden; und meist ohne der Kenntnis, daß die östlichen Traditionen in der Regel jahrelange Vorbereitungszeiten kennen. Dies gilt sowohl für den Klosterschüler, der eine Art Reifungs- und Reinigungszeit zu durchlaufen hat, als auch für den traditionellen indischen Hindu, der die Lebensphase des erwachsenen Familienvaters hinter sich hat, bevor er sich dem spirituellen Pfad zuwendet. Große spirituelle Persönlichkeiten erscheinen mir in den Biographien, die über sie geschrieben wurden, als äußerst „ichstark“. Ich muß erst entwickelt haben – und das gilt gleichermaßen für Ich-Stärke, Denkfähigkeit und emotionale Ausdrucksfähigkeit – was ich transformieren will. Stufen der Persönlichkeitsreifung lassen sich nur in Ausnahmefällen überspringen.

    Buddhistische Lehrer wie zum Beispiel Tarthang Tulku, die ihr Wissen um die Möglichkeiten der menschlichen Entwicklungsfähigkeit, unabhängig von kulturbedingten Ritualen, dem Westen zugänglich machen wollen, haben dementsprechend vorbereitende und hinführende Übungssysteme entwickelt, die unseren Bedingungen direkter entsprechen und die durchaus sinnvoll mit Therapie kombiniert werden können (Machemer 1988).

    Mir persönlich sind Entspannungs- und Meditationsübungen aus östlicher Tradition auch im therapeutischen Alltag wichtig. Sie geben mir die Möglichkeit, mich immer wieder für die Klienten „leer“ zu machen und ihnen offen begegnen zu können.- Gleichzeitig glaube ich, daß die westliche psychotherapeutische Tradition kostbares Wissen über Entwicklungszustände und Störungen erworben hat, mit denen sich östliche Traditionen nicht eingehend genug befaßt haben, da sie bei relativ stabilen Selbststrukturen ansetzen. „Die eine Tradition hat die Wichtigkeit betont ‚jemand‘ zu werden; die andere die Wichtigkeit, ’niemand‘ zu werden.“ (Engler)

    Weiß der Buddhismus zum Beispiel viel darüber, daß der Meditationspraktiker im „Pseudonirvana“ (spektakuläre Erlebnisse ungewohnter Farben, Klänge und Bewußtseinszustände) steckenbleiben kann, so weiß er meines Erachtens wenig darüber, daß Meditation auf Menschen mit frühen Störungen eine besondere Anziehungskraft ausüben kann; ihm fehlt eine Entwicklungspsychologie (Engler 1988). Die „Kein-Selbst“-Lehre kann zur Rationalisierung der mangelhaften Selbstintegration verwandt werden oder als Bestätigung, im eigenen Gefühl der inneren Leere, die „große Leere“ (Shunjata) zu erleben, die jedoch die Erfahrung des Absoluten, also auch eines vollkommenen Nicht-Getrenntseins meint. Die Möglichkeit der spiegelnden, idealisierten Übertragung auf den spirituellen Lehrer mag nicht größer sein als

    beim „Durchschnittsneurotiker“; ebenso die Verwendung der „Lehre der Bindungslosigkeit“ zur Erklärung der eigenen Schwierigkeiten, z.B. befriedigende und dauerhafte Beziehungen einzugehen (eine Art positiver Umdeutung, „Refraiming“).

    Als ich im Alter von sechzehn Jahren begann buddhistische Texte zu lesen und Yoga zu praktizieren, waren mir die entspannenden und beruhigenden Übungen wirklich eine große Hilfe, Lebenskraft und ein Zentrum inmitten meiner nervösen und ängstlichen Zerrissenheit zu finden. Meine Beziehungs- und Bindungsängste habe ich damals zu ideologisieren begonnen, indem ich am Buddhismus einen Aspekt hervorhob, der sich in meinem damaligen Lieblingsvers ausdrückt:

    „Wie Bambus buschig eng am Boden aufwächst,

    An Weib und Kind ist eng der Wunsch erwachsen: Wie Bambusblüte hoch am Halm entflattert, Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.“

    DAS SPEKTRUN DES SELBSTBEWUSSTSEINS
    Gestalttherapie und die Kentaurenebene

    Die im ersten Kapitel angesprochenen drei Formen des Leidens verweisen auf menschliche Wachstumsmöglichkeiten und ihr Scheitern. Die Spannbreite der Entwicklung reicht vom fragmentierten Selbst bis zu einem höchsten kosmischen Selbst. Für Lore Perls geht die „Skala des Wahrnehmungskontinuums von der Nicht-Wahrnehmung bis zur Erleuchtung“. Einen guten überblick über die Entwicklungsebenen des Bewußtseins und der mit ihnen zusammenhängenden Probleme gibt der Psychologe Ken Wilber (Wilber 1986). In Wilbers Modell geht es um die Erweiterung der

    Grenzen der persönlichen Identität, die sich aus der Frage „wer bist du?“ ableitet. In dieses Modell hat Wilber noch nicht die Problematik der frühen Selbststörungen einbezogen, so daß sein Bewußtseinsspektrum an der Basis, auf der Ebene der „Persona“ beginnt. Auf dieser Ebene ist die Identität der Person auf eine Facette ihrer Psyche beschränkt, die den „Schatten“ außen vor läßt. Auf der nächsten, der „Ich-Ebene“, besteht die Spaltung zwischen einem, mit seinem Schatten vereinten Ich und dem Körper.

    Die nächste Stufe ist die „Kentauren-Ebene“. Der Kentaur der griechischen Mythologie ist halb Mensch, halb Pferd, eine gelungene Synthese des Animalischen und des Humanen. Auf dieser Ebene fühlt sich der mittlerweile Körper und Geist umfassende Gesamtorganismus Mensch immer noch von der Umwelt getrennt, obwohl bereits ein hoher Grad von gegenseitiger Vermengung erreicht ist. Für mich wird hier deutlich, daß das abstrakte Bild vom Organismus im Feld eigentlich sinnliche Existenz meint – und diese steht immer in einem wechselseitigen Verhältnis zu ihrer Lebenswelt.

    Der Organismus hat eine durchlässige Membran; im Akt des Sehens z.B. fallen Sinnesorgan und Sinnesobjekt zusammen. Ludwig Feuerbach mit seiner Philosophie der „Sinn- und Leiblichkeit“

    für mich der „Hofgelehrte“ des Kentaurenreichs

    beschreibt dieses dialektische Verhältnis mit dem Satz: „Im Leib sein, heißt in der Welt sein“. Die folgenden „transpersonalen Streifen“, welche Erfahrungen wie den transpersonalen Beobachter beinhalten, leiten über zum „Bewußtsein der Einheit“ mit dem Universum, das nicht mehr zu rastern und zu kategorisieren ist.

    Damit, daß Wilber die Gestalttherapie auf der Kentaurenebene ansiedelt, ohne zu übersehen, daß sie auch auf den vorhergehenden Ebenen wirksam ist, bin ich einverstanden; und auch damit, daß er sie nicht wie etwa die Psychosynthese Assagnolis in den transpersonalen Streifen hineinnimmt, obwohl ja, wie wir bereits gesehen haben, das theoretische Selbst-Konzept dafür reichen würde.

    Die „Esalen-Taoisten“ – Der Kentaur in Aktion:
    Kein Baum ist häßlich
    Jeder Felsen ist perfekt
    Der Regenbogen ist wunderschön
    Du bist der Regenbogen
    (Gia Fu Feng)

    Die kentaurische Ebene hat viel mit Lust an Leib und Leben, Vitalität, Spontaneität, Kraft und Zartheit zu tun. Sie drückt sich in der sinnlichen Orientierung der Gestalttherapie, in ihrer Wertschätzung für die Ethik des Augenblicks, in der Betonung der Selbstregulation durch vordringliche Bedürfnisse aus. Das erinnert an Taoismus und an Zen („Geh weiter“). Für die Esalen-Taoistens) der sechziger Jahre, zu denen ich hier Fritz Perle, Alan Watts und Gia Fu Feng zähle, war die Betonung einer kraftvollen und unkonventionellen Lebensweise typisch. Typisch ist auch eine gewisse Geringschätzung für formale und analytische Meditation, die Perle und Watts teilten. Perls“ Interesse für den Zen-Buddhismus galt der direkten Lebensweise und der „amoralischen“ Einstellung (Perls 1981, S. 120).

    Fritz Perls hatte keine Erfahrung mit längeren Meditationsprozessen. Bei ihm heißt es: „Meditation – weder Scheißen noch vom Topf herunterkommen -erscheint mir als eine Erziehung zur Katatonie“ (ebd. S. 108). Er mag in einem gewissen Sinne recht haben, da in Japan Zen manchmal sehr ritualisiert ist und die Klöster Kadettenanstalten gleichen, in denen Söhne großer Familien eine disziplinierende Erziehung erfahren. Das ist aber etwas anderes als die alten chinesischen Chan-Meister meinten. Diese wilden, freien Kerle, die dem Taoismus sehr nahe standen, hielten vom stundenlangen Sitzen in der Tat nicht viel. Andererseits ist ein solch allgemeines Urteil über Meditation ohne weiterreichende Erfahrung anmaßend und borniert.

    Die „Kentauren in Aktion“ machen einen Teil der Faszination aus, die die Gestalttherapie auf mich ausgeübt hat, zumal ich auch das Glück hatte, Gia Fu Feng persönlich kennenzulernen. Er bleibt mir als ein Mann voller Kraft und Liebe in Erinnerung, der sowohl zu harter Abgrenzung als auch zu liebevoller Zuwendung fähig war; er besaß eine tiefe Wertschätzung für alles Lebendige, mit dem er sich verbunden fühlte. Bei ihm habe ich das „Mit-den-Gefühlen-rollen“ (A. Watts) erlebt, bei dem Zorn und Trauer so natürlich auftreten und vergehen wie Donner und Regen und die Jahreszeiten.

    Wie ich Gia Fu Feng erlebt habe und beschreibe, das hat für mich mit einem – vielleicht idealen – Menschenbild zu tun, das ich manchmal aus der Gestalttherapie herauslese und das ich im spontanen kindlichen Wesen des Taoismus, in einer freien anarchistischen Persönlichkeit und in Reichs Vorstellung vom -genitalen Charakter“ finde. Wenn man allerdings Gia Fu Feng zum Begründer einer „taoistischen Gestalttherapie“ machen will, wie das Gagarin tut, so ist das meiner Meinung und Erfahrung nach genauso unbegründet, wie der nicht ganz ausgesprochene Versuch Goldners, Fritz Perls posthum zum Zen-Meister zu machen (vgl. Anm. 3)

    Das Programm der Esalen-Taoisten war Teil eines Aufbäumen gegen eine lebenserstickende, mechanistische Zivilisation und gegen eine Psychoanalyse, die rationalisierend und kontrollierend „wo Es war, soll Ich werden“ auf ihren Banner geschrieben hatte. In Esalen ging es hauptsächlich um den Versuch, den „brodelnden Kessel des Es“ in die Selbstwahrnehmung und den Selbstprozeß zu integrieren. Freuds dichotomisches Bild vom Reiter (Ich), der das Pferd (Es) zu lenken versucht, wurde abgelöst durch das Bild vom ganzheitlichen kentaurischen Selbst (wo Ich und Es waren, soll Selbst werden). Die starke Ausrichtung der Arbeit auf die Übernahme von

    Verantwortung und die Ausweitung der eigenen Grenzen, verbunden mit der Notwendigkeit alte, bereits gesicherte Stützpunkte aufzugeben, war für Menschen, die sich dieser Stützpunkte noch gar nicht so sicher waren, überfordernd und damit (wie Buddhisten sagen würden) auch nicht heilsam. Wenn auch die Arbeit mit frühen Störungen theoretisch und praktisch an Konturen gewinnt, liegt die klassische Stärke der Gestalttherapie in der Integration des eigenen Schattens und in der Erweckung des sinnlichen Kentauren, also in der Arbeit mit der zweiten Form des Leidens, bei der es um das Mehr-Werden geht.

    WILHELM REICH UND DIE SINNLICHKEIT DER ERKENNTNIS
    Fortsetzung in BUKUMATULA 4/91

    ANMERKUNGEN:

    Ich muß hier einige wichtige Aspekte des Verhältnisses beider Systeme außer Acht lassen, wie z.B. die Frage nach der (erkennbaren) Wirklichkeit, die vom Buddhismus als auch vom radikalen Konstruktivismus auf einer ersten Ebene ähnlich – nämlich als rein subjektives Konstrukt – gesehen wird. Auf einer anderen Ebene hält der Buddhismus diese subjektive Konstruktion, deren Wahrheit für die therapeutische Ebene von eminenter Bedeutung ist, für „Täuschung und Illusion“ und die Erkenntnis der „Scheit“ und des „So-Seins“ der Dinge für möglich.

    Diesen Ansatz direkt von Goodman ableiten zu wollen halte ich für nicht stimmig. Goodman ging es meiner Meinung nach um die sinnlich-soziale Existenz des Menschen, in der der Mensch und seine Mitwelt aneinander beteiligt sind; das ist letzlich auch eine Kritik an der Vorstellung vom bürgerlichen Subjekt als abgeschlossene Monade. Solche Ansätze, die letztlich der mitgebrachten „ersten Natur“ des Menschen nachspüren und die nie vollständig in ihrer sozialen Form aufgehen, findet man bei Fritz Perls. Perls spricht von „wirklichen Menschen“, vom „wahren Selbst“ und vom „verspürten Gewahrsein des Selbst“ als Körperwahrnehmung; und das liegt natürlich in der „biologistischen“ Tradition W. Reichs.

    3)Beispiele: Anderson, „Der tibetischeBuddhismus“, Bern 1979; Goldner, C.G.: „Zen in der Kunst der Gestalttherapie“, Augsburg 1986; Deikman, A.: „Therapie und Erleuchtung“, Hamburg 1986.

    4)Vergl. auch die harte Kritik von Govinda an den Grundlagen der burmanesischen Vipassana Meditation: Einheit und die spontane Koordinationsfähigkeit des Organismus würden durch analytisches Beobachten zerstört. („Schöpferische Meditation und multidimensionales Bewußtsein“, Freiburg 1982, S. 150ff.)

    5)Den „Esalen-Taoisten“ gemeinsam ist eine die Spontaneität betonende Version des Taoismus, gemischt mit Elementen der humanistischen Psychologie. Vergleiche auch die „taoistische“ Vorprägung von Perls durch seinen „Guru“ Friedländer.

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 3/91 Selbst, Meditation und erotisches Erfassen der Wirklichkeit, Teil 1
  • Kategorie: 1991
  • Buk 4/91 Wilhelm Reich auf dem Theater

    Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula 4/1991

    Wilhelm Reich auf dem Theater

    „DISCIPLES“ von Charles Marowitz
    Karin Eichhorn:

    Vom amerikanischen Autor Charles Marowitz liegt ein Stück über Wilhelm Reich vor. Das Drama in zwei Teilen nimmt in Reichs Forschungsinstitut in den USA, in Freuds Wiener Praxis und Wohnung, im Büro der Kommunistischen Partei in Berlin, in einem amerikanischen Gerichtssaal und im Gefängnis seinen Fortgang.

    INHALT:

    Dr. Andre, vormals Mitarbeiter des Freud-Archivs, bittet Wilhelm Reich um ein Interview über dessen Erinnerungen an Sigmund Freud. Im Laufe des Gespräches zwischen Andre‘ und Reich wird die Geschichte der grundlegenden Differenzen zwischen den beiden Wissenschaftlern in der Form von „Rückblenden“ dargestellt: Freud, der seine Verführungstheorie aufgab und seine Erkenntnis des sexuellen Mißbrauchs von Kindern hinter der Theorie vom Ödipuskomplex versteckte, um seine mühsam errungene Anerkennung nicht aufs Spiel zu setzen, Reich, der von der Psychoanalyse als Symptombekämpfung in einer kranken Welt zur Prävention, zur Gesellschaftsveränderung auf dem Weg der / sexuellen Aufklärung gelangen wollte. Reich’s Ausschluß aus der Psychoanalytischen Gesellschaft, seine Hinwendung zur Kommunistischen Partei, seine Sexualberatungsstellen, die Arbeit am Orgon-Akkumulator.

    Am Ende des ersten Teils gibt Dr. Andre“ zu erkennen, daß er der Psychoanalyse abgeschworen hätte und nunmehr gewillt wäre, Reichs Schüler zu werden. Der lehnt ihn jedoch ab; er erklärt ihm, daß es nicht darum gehe, gegen Freud zu sein, ohne den auch seine eigene Arbeit unmöglich gewesen wäre. – Das Gespräch wird durch zwei Beamte der Food and Drug Administration unterbrochen, die Reich einen Gerichtsbescheid überbringen, wonach es ihm verboten sei, weiterhin mit dem Orgon-Akkumulator Krebskranke zu behandeln; alle Geräte würden beschlagnahmt, Reich habe sich vor Gericht zu verantworten.

    Der zweite Teil beginnt mit der Gerichtsverhandlung, bei der Andre‘ Reich, der sich weigert zu erscheinen, gegen diverse Gutachter (der amerikanischen Psychiatervereinigung, der Mayo Klinik, etc.) verteidigt. Reich wird schuldig gesprochen und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, seine Schriften konfisziert. Im Gefängnis entwickelt er Symptome schizophrener Paranoia. Er erklärt dem Gefängnispsychiater, er werde von der Air Force überwacht, da die „Roten Faschisten“ seine Arbeiten stehlen wollten, er stehe mit Präsident Eisenhower in Fragen der Nutzung seiner Entdeckungen für militärische Zwecke in Kontakt.- Aus dem Jenseits kommt Freud in Reichs Zelle; freundschaftlich erklärt er ihm warum er damals, in den zwanziger Jahren, es ablehnen mußte, Reichs Analyse zu übernehmen, warum er die Entdeckungen über den sexuellen Mißbrauch an Kindern verschweigen, verdrängen und warum er Reich zwangsläufig aus der Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen haben wollte. Aus der eigenen enttäuschenden Erfahrung heraus zerstört er Reichs Glauben an etwaige Anhänger, die in seinem Sinn weiterarbeiten würden.- Reich stirbt im Gefängnis. An seinem Grab streiten seine „Nachfolger“ um seine Theorien: Bioenergetik, Urschreitherapie …. so wie es ihm Freud vorhergesagt hat.

    KOIIMENTAR:

    Dieses Theaterstück liefert eine Darstellung der Geschichte der Psycho- und Charakteranalyse und bemüht sich vor allem darum, die Figur des weniger bekannten Reich von dem ins Durchschnittsbewußtsein wenigstens dem Namen nach eingegangenen Sigmund Freud abzusetzen. Dieses Verdienst ist dem Text, dem es an manchen Stellen aber durch zu große Ausführlichkeit an dramatischer Spannung gebricht, nicht abzusprechen. Einen interessanten Gedankenstrang bildet durchaus die Entmystifizierung Freuds anhand der pragmatisch-ökonomischen Begründung für seine persönliche Verdrängung der Verführungstheorie (siehe Alice Miller!) und die Beschreibung des Zwanghaften in der Verteidigung der reinen Lehre der Psychoanalyse durch ihre eifrigsten „Bewahrer“.

    Das Stück ist ungemein inhaltsreich und dicht» was auch darauf zurückzuführen ist, daß beim amerikanischen Publikum, für das es geschrieben wurde, Basiskenntnisse über mitteleuropäische, v.a. historische Zusammenhänge nicht unbedingt vorausgesetzt werden können.

    Alles in allem sind dem recht soliden Text wohl eher aufklärerisch-dokumentarische Meriten zuzusprechen als echte Bühnenwirksamkeit. Wollte man die Reich´sche Denkwelt einem Theaterpublikum näherbringen, sollte man wohl ihre Inhalte mit der ihnen eigenen Faszinationskraft vor der Person des Denkers in den Vordergrund stellen.

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 4/91 Wilhelm Reich auf dem Theater
  • Kategorie: 1991
  • Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula 4/1991

    Selbst, Meditation und erotisches Erfassen der Wirklichkeit, Teil 2

    Wilhelm Reich und die Sinnlichkeit der Erkenntnis
    Fortsetzung von Bukumatula 3/91
    Bernd Bocian:

    Theoretisch weiß die Gestalttherapie, die als eine frühe Form der Systemtheorien (Portele) gesehen werden kann, um die Verbundenheit des Menschen mit der Evolution auf allen Ebenen. Sie ist ein Teil östlicher und westlicher Prozeßphilosophien, die das Leben als Zusammenhang und als Wachstum sehen. Als eine Art Grundformel für Entwicklungsprozesse kristallisiert sich die Dialektik von Einheit und Wachstum, Autonomie und Selbsttranszendenz auf den jeweiligen Wachstumsstufen heraus.

    Jede erreichte Entwicklungsstufe setzt eine Grenzerweiterung und somit ein überschreiten der bisher gesicherten Identität voraus; es bedeutet das Finden einer neuen, erweiterten Einheit. Diese Einheit, die zugleich Individuum und Teil des umgebenden Natur- und Sozialkörpers ist, sucht wieder nach neuen Wachstumsmöglichkeiten.- Meine Ansicht ist nun, daß die Gestalttherapie diesen Prozeß der Ausweitung der eigenen Identitätsgrenzen bis zum Kentauren hin gut unterstützen kann_ Sie bringt den Kentauren sozusagen mit allen vier Beinen auf die Erde und auch noch in Bewegung, aber zum Fliegen bringt sie ihn nicht.

    Ich bezweifle nicht die Möglichkeit entsprechende Erfahrungen über das dialogische Prinzip Martin Bubers machen zu können – und Fuhr/Gremmler-Fuhr (1988) sehen zwischenmenschliche Kontakterfahrungen auch als die grundlegensten transpersonalen Erfahrungen – aber ich bezweifle, daß die Gestalttherapie als Methode die Erfahrung einer wirklichen Einheit vermitteln kann.

    Die Gestalttherapie bleibt der Trennung von Figur und Grund verhaftet; die spirituelle Erfahrung hingegen geht über diesen Dualismus hinaus und beinhaltet das Erleben des gesamten absoluten Feldes, das die universelle Grundlage und Umfassung aller individuellen Erscheinungen bildet. Die buddhistische Formel „Form ist Leere und Leere ist Form“ übersetzt Joslyn (1983) in „Figur ist Grund und Grund ist Figur“.

    Theoretische Einsichten zu haben, nicht aber auch gleichzeitig die Mittel sie leibhaftig erfahren lassen zu können, teilt die Gestalttherapie mit anderen Systemtheorien. Watts hat das bereits 1961 an der Gestalttherapie bemängelt, und Berman kritisiert das am Ansatz Batesons und fragt, wie jemand zu diesen Erfahrungen („Lernen III“) kommen soll, wenn nicht über „traditionelle Praktiken“ (1985, S. 329). Traditionelle Praktiken, also die östlichen Befreiungswege, beinhalten grundsätzlich zwei Möglichkeiten, die zur Erfahrung der Einheit führen können.

    Der eine Weg führt über das Erleben des offenen grenzenlosen Raums, der andere über das Erleben einer umfassenden, alles durchdringenden Energie. Der Weg über den Raum, über die grenzenlose Offenheit, ist eher der Weg der geistigen Kontemplation, wie er im Zen und Vipassana eingeschlagen wird. Der Weg über die Energie findet sich am stärksten in den indischen und chinesischen Tantra-Praktiken, die Erleuchtung und Sexualität (auch bei der geschlechtlichen Vereinigung mit einem Partner) aufs engste verbinden. Im hinduistischen Kundalini-Yoga geht es darum, die universelle Urenergie (Frana), die im Menschen als sexuelle Energie existiert, bewusst über den Weg der sieben Energiezentren zu verfeinern und zu transformieren.

    In einem bestimmten Stadium fallen Bewußtseinserweiterung und sexuelle Erregung/Ausdehnung zusammen. „Erleuchtung“ ist auf dieser Ebene ein orgastisches Erlebnis.

    Ein westliches System, das theoretisch und praktisch Nähe zu diesem Energieweg hat, ist das Werk von Wilhelm Reich, der in seinen späteren Arbeiten und Forschungen davon ausging, daß im Menschen wie im ganzen Universum eine lebendige energetische Kraft (Orgon) strömt, die gewissermaßen die produktive Ursubstanz aller materiellen und mentalen Prozesse bildet. Diese „primordiale kosmische Orgonenergie“ wird im Menschen, der ein individualisierter Teil dieses Energieozeans ist, durch Charakterstrukturen und gepanzerte Körpersegmente an ihrem ganzheitlichen Fluß gehindert.

    Ich will hiermit Reichs Theorie bzw. Methode nicht zur spirituellen Disziplin erklären. Ich möchte aber dennoch behaupten, daß sie in dieser Hinsicht weitreichendere Erfahrungen als die Gestalttherapie ermöglicht. Man kann Reich mit seinem „energetischen Funktionalismus“ ebenfalls als einen Systemtheoretiker sehen. Und wie die modernen Physiker ist Reich, der sich in seinen späteren Jahren nicht mehr als Psychotherapeut, sondern als Naturforscher verstand, tief in die lebendige Materie eingedrungen und plötzlich zu geradezu kosmischen Einsichten gelangte).

    Als Natur- und damit als Lebenswissenschaftler hat er jenseits von Psychologie und Medizin an der Basis des Lebensprozesses gearbeitet, so daß viele seiner späteren Schriften erst ins Therapeutische übersetzt werden müssen. Daß seine, mit energetischen Prozessen arbeitende Orgontherapie in der Tradition der „Energie-Medizin“ steht (vgl. Akupunktur, Kirlian-Fotographie, etc.), sei hier nur angedeutet. Auf Reichs Werk, das die unterschiedlichstenen Forschungsgebiete umfaßt, kann ich hier nicht ausführlich(auch kritisch) eingehen; ich möchte aber andeuten, welche Konsequenzen seine Auffassungen für mich haben.

    Für mich steht an zentraler Stelle, daß Reichs Forschungsergebnisse die Rückkehr des Eros bedeuten. Nicht nur als ein Prinzip das auf Synthese, Vereinigung und Einheit drängt, sondern als eine tatsächlich fühlbare Kraft, die mich sinnlich-erotisch an der Welt teilhaben läßt, mich mit ihr verbindet und mir die Erfahrung, daß ‚Welt“ und ‚Ich“ vom gleichen Stoff sind, ermöglicht. Das steht in europäisch alchimistischer Tradition und in einer philosophischen Tradition in der Goethe eine zentrale Stellung zukommt und die Konitzer vage das „Naturprogramm der deutschen Aufklärung“ nennt. Es finden sich überhaupt in der pantheistischen Richtung der Aufklärung und der klassischen deutschen Philosophie (Schmidt 1984/87) die grundlegendsten Auffassungen der heutigen Systemtheorien zum Verhältnis von Mensch und Natur wieder.

    Reichs Ansatz der Entwicklung des Körpers zu einem gänzlich sinnlichen Organ, führt zur Erotisierung der Wirklichkeit. Ein sinnlich offener Organismus hat umfassendere Wahrnehmungen als ein zurückgezogener. Körper und Organismus sind hier nicht ‚kopflos‘ gemeint; es geht um die Erotisierung der Gesamtpersönlichkeit. Denken hat nicht nur Sinnlichkeit zur Grundlage, sondern ist selbst ein sinnlicher Akt.

    Feuerbach spricht von „sehendem, hörendem, fühlendem “ und von „leiblicher Vernunft“. Für Reich geht gutes Denken stets mit starken Gefühlen einher.- Erkenntnistheoretisch heißt das: wenn die lebendige Wirklichkeit (total, ungebrochen und ungeteilt) sich in uns allen befindet und wir uns in ihr befinden, dann hat jeder Teil Zugang zum Ganzen. Separation ist Illusion; und in der Diktion Reichs „ein Produkt der Charakterpanzerung“. Ein hingewandtes und osmotisches Verhältnis zur Welt – und Welt meint immer auch den anderen Menschen – führt zu elementarer Berührung und zum Erkennen.

    In „Äther, Gott und Teufel“ schreibt Reich: „Um die Natur zu erforschen, müssen wir den Gegenstand der Forschung, wörtlich genommen, lieben“ (1983, S. 65). Das liegt auch in der Tradition Goethes: „Man lernt nichts kennen, als das was man liebt; und je tiefer und vollständiger die Erkenntnis werden soll, desto stärker, kräftiger muß Liebe, ja Leidenschaft sein“. Und Feuerbach bringt es auf den Punkt: „Um den Menschen zu erkennen, muß man ihn lieben“.

    Reich hat nicht alles auf das Sexuelle reduziert. Er betrachtete Sexualität als den zentralen Moment des Lebensprozesses auf allen seinen Ebenen: als Gegenbewegung zur Angst, als ein tief empfundenes Ja, als Hinwendung, Hingabe an das Leben, als Sehnsucht nach Vereinigung; eine Art „Objektbeziehungstrieb“, der aus dem frühkindlichen „ozeanischen Gefühl“ (Freud) auftaucht, Entwicklungsstadien durchläuft und sich nach -vorwärts- sehnt, nach der kosmischen Heimat. Daß Wilhelm Reich Freuds Libidotheorie auf seine Weise konsequent weiterentwickelt hat, ist hier wohl offensichtlich.

    In der Natur existiert Anziehung und Überlagerung als grundlegendes Prinzip, das Reich in der Zellteilung, in der geschlechtlichen Umarmung und in den galaktischen Spiralnebeln zugleich sah. Das Leben ist ein unendliches Feld von Beziehungen, selbstreguliert_ und regulierend, wachsend und schöpferisch. Wenn Reich naturwissenschaftlich von der Anziehung und Überlagerung zweier Energieströme spricht, so meint er auch das, was sich im Moment der Zuneigung zwischen zwei Menschen ereignen kann. Er meint Menschen, die in Liebe erstrahlen, aufeinander zuströmen, sich berühren und vereinigen. Ich fülle, entäußere und vereine mich energetisch im Moment des intensivsten Kontaktes und komme dann zu mir zurück.

    Geschlechtliche Umarmung als „archetypischer Augenblick des Kontaktes“ (Goodman) weist Reichs Vorstellungen als Quell des Kontakt-Zyklus-Modells aus. Hier wird auch Reichs Nähe zur tantrischen Sicht deutlich. Wenn ich mich vom Orgasmus ergreifen lasse, fließt durch mich eine Kraft, die mich zu einem Teil des biologisch-kosmischen Stromes werden läßt. Es ermöglicht mir eine ungeteilte Hingabe ohne Grenzen zwischen – Ich und Du -, ohne neurotisch angstvollem Innehalten. Für den „späten“ Reich („Christusmord“) ist die Erfahrung der strömenden Lebendigkeit im eigenen Körper und die Erfahrung, eine Welle des großen „Liebesozeans“ zu sein, gleichbedeutend mit dem „Erkennen Gottes“.

    Meine folgenden Schlußbemerkungen sehe ich in Zusammenhang mit dem derzeitigen Zustand der Gestalttherapie, der durch Bewegung, Sich-Umschauen, durch Auseinandersetzung und Austausch gekennzeichnet ist. So gibt es den Versuch, den Beitrag Goodmans voller auszuschöpfen, die Arbeit durch Buber, die Objektbeziehungstheorien oder die Systemtheorien zu erweitern und auch den Rahmen der Gestalttherapie durch eigene integrative Neuansätze zu überschreiten. Ich persönlich lerne von all diesen Bemühungen und rufe zusammen mit einer meiner alten Quellen, dem Vorsitzenden Mao aus: „Laßt hundert Blumen blühn!“

    Die Gestalttherapie betont das körperlich sinnliche Wesen des Menschen und die Bedeutung von Kontakt und Begegnung. Diese beiden für meine therapeutische Praxis wichtigsten Elemente werden angeregt, fundiert und erweitert durch die Beschäftigung mit der Tradition der „aktiven Psychoanalyse“ (hier Ferenczi und Reich), aus der die Gestalttherapie ja über Fritz Perls hervorgegangen ist, ohne deren spätere Entwicklung genügend berücksichtigt zu haben.

    Reichs frühe charakteranalytische und vegetotherapeutische Arbeiten sind über Goodman und insbesondere Fritz Perls rudimentär oder, wenn man so will, als Hintergrund in die Gestalt- therapie eingeflossen. Die Charakteranalyse, die danach fragt, wie der jeweilige Mensch seine Erfahrungen verkörpert hat, hilft beim Erkennen von „Wahrscheinlichkeiten von Verhalten und Erleben“ (Bessel); sie degradiert dadurch den Klienten noch lange nicht zum Objekt. Der diesbezügliche systematische Hintergrund, der Perls zur Verfügung stand und der der heutigen Gestalttherapie fehlt, läßt sich aus vielen Passagen in seinen Büchern ersehen. Besonders interessant ist die im ersten Band von „Gestalt-Therapie“ (1987) beschriebene Körperarbeit in quasi klassisch reichianischem Setting (S. 175ff).

    Aus Reichs Arbeiten ergibt sich für mich eine Fülle persönlicher und therapeutischer Konsequenzen, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen will. Ich möchte nur eine allgemeine Bemerkung zur Arbeit mit frühen und frühesten Störungen machen, die ja wesentlich durch einen Mangel an liebevoller körperlicher Zuwendung und Bestätigung gekennzeichnet .sind. Der Kontakt zwischen Therapeut und Klient braucht hier eine energetische Dimension, die (wörtlich genommen) warm und nährend ist. Diese Dimension erwächst aus dem „wahrnehmungsfähigen“ Energiefeld, das sich über die Hautgrenze hinaus in die Mitwelt hinein auszudehnen vermag. Reich nannte das den „ersten orgonotischen Sinn“.

    Der Kontakt mit dem Kind/Baby im Klienten braucht entsprechende Berührungen. Blicke und wirkliches körperliches Halten, Zusammenhalten, weil die Fragmentierungen und das Auseinanderfallen physisch real, als wortlose Angst, als Panik und Schmerz, erlebt werden. Es gibt weitere präverbale Erlebnisse, die die Gestalttherapie als klassische Neurosentherapie nicht so ohne weiteres erreicht, weil sie keine psychologisch symbolisierte Wort-Bedeutung haben, sondern einfach körperlich/energetisches Erleben sind. Hierzu gehören beispielsweise Traumen in Zusammenhang mit der Geburt und die

    Fallangst (M. Smith, 1988).

    Die prinzipielle therapeutische Bedeutung Reichs liegt für mich darin, daß er die Liebe als biologische Kraft sah, die tatsächlich als 2Wärmestrom“ in und zwischen Menschen wirkt; und daß er damit die basale Bedeutung von energetischem Kontakt, oder (mit Feuerbach), die Bedeutung des leiblich-sinnlichen Dialoges erkannt hat.

    Das Anliegen Reichs, das letzlich den Rahmen der Psychotherapie verläßt und Brücken zu den spirituellen Disziplinen schlägt, wird auf der therapeutischen Ebene am klarsten von Balint, einem Schüler Ferenczis, formuliert. Balint betont die Wichtigkeit der Wiederaufnahme von gescheiterten primären Objektbeziehungen in der Therapie; und er weiß, daß es dabei um nichts weniger als um den Versuch geht, „das Lieben wahrlich neu zu beginnen“.

    Das ist ein mutiger und großer Satz. Und Lieben hat damit zu tun,daß ich jemand‘ bin, daß ich bereit bin, „mehr“zu werden und manchmal sogar „niemand“.

    ANMERKUNG

    6) Die „neuen Paradigmen“ der modernen Physik sind theoretische Einsichten und keine spirituellen Erfahrungen. Zur Auseinandersetzung darüber, ob dies lediglich „Pop-Mystik“ ist vergl. auch: Wilber und Bohm/Capra, „Das holographische Weltbild“; Bern-München 1988.

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 4/91 Selbst, Meditation und erotisches Erfassen der Wirklichkeit, Teil 2
  • Kategorie: 1991
  • Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula

    Intuitive Körperarbeit – Essays & Lectures

    Buchbesprechung
    198 Seiten, Endless Sky Publications, Hamburg-Santa Fe, 1990
    Beatrix Teichmann-Wirth:

    „Wilhelm Reich, Elsworth Baker und Al Bauman gingen durch New York und unterhielten sich lebhaft über eine Frau, die sie kurz zuvor getroffen hatten. Wilhelm Reich gab dabei seiner Bewunderung und Begeisterung für diese Frau Ausdruck. Darauf Baker, der als rigider Kliniker galt: „Aber Reich, die Frau ist doch völlig hysterisch!“ Darauf Reich: „Stimmt Baker. Aber hast du nicht diese wundervolle Stimme gehört?“ (Persönliche Mitteilung von Al Bauman, zit. in Neidhöfer, S 38).

    Liest man Neidhöfers Buch „von außen“ beurteilend, kritisch, so wird man wohl alsbald enttäuscht sein. Es mangelt nämlich an blendenden Konzepten und Richtlinien. Auch die oftmals so übliche Zuordnung von Techniken und Strategien zu den verschiedenen Charaktertypen fehlt – und wie ich nach dem Lesen festgestellt habe, auch wohltuenderweise.

    „Dieses Buch ist mein Abschied von jeder Form konventioneller und unkonventioneller Psychotherapie, einschließlich der sogenannten humanistischen Verfahren“ (S 4). Wer das Buch bei oben zitiertem Satz nicht bereits weglegt, kommt mit dem Wesen von Skan in Berührung. Skan (aus dem Indianischen: „das, was sich bewegt“) ist jene Art von Reichscher Körperarbeit, welche in der Tradition Michael Smiths in Europa Verbreitung gefunden hat.- Dieses Buch hat jedenfalls in mir einiges an Bewegtheit ausgelöst.

    Der Aufbau des Buches macht das Anliegen des Autors deutlich. Zu vermitteln, daß „es in der Körperarbeit in erster Linie nicht um Techniken (geht), sondern um Beziehung“ (S 130). In diesem Sinne beginnt das Buch auch mit der Beschreibung einer für Loil Neidhöfer wesentlichen Beziehung – die zu Michael Smith.

    Seine Schilderung der ersten Begegnung mit Michael, das Erleben dieser „paar Sekunden beiläufiger Glückseligkeit“ weckte in mir Erinnerungen an Michael; sein Verlust wurde mir einmal mehr schmerzlich bewußt.

    Der inhaltliche Teil des Buches beginnt nicht mit der Beschreibung von Körper- und Charakterpanzerung, sondern setzt an der Basis, dem Kontakt mit dem „inneren Kern“ an. Das „Strömen“ – das Leben im Kontakt mit der von Reich beschriebenen innersten (biologischen) Schicht, stellt Loil zufolge die Grundlage für jede Intervention dar, es läßt die Lücken in der Panzerung des Klienten aufspüren und vermittelt ein wahrhaftiges Vertrauen, daß „hinter all den gefährlichen, grotesken, vernunftlosen Phantasien und Impulsen ein Stück einfacher, selbstverständlicher anständiger Natur (zu finden ist)“. (Reich 1977, S 133)

    Diese Haltung fördert einen Prozeß, in dessen Folge die Identifikation mit dem Strömen die Identifikation mit der Panzerung ablöst. „Aus dem Strömen leben ist gleichbedeutend mit der Lebensweise und Haltung, die auf natürliche Weise der inneren Schicht entspringt und nicht aus der Panzerung motiviert wird. Strömen heißt, sich vom Leben bewegen lassen, statt in seinem selbst- oder fremdgebastelten konzeptionellen Regelwerk allmählich zu erstarren.“ (S48)

    Der therapeutische Ansatz findet also wesentlich von innen nach außen statt, der/die Therapeutln trägt die Panzerschichten ab, sondern „der Klient wird angeleitet und ermutigt, seine innere Kraft für den Entpanzerungsprozeß einzusetzen und die Verantwortung für diesen im wörtlichen Sinne – erschütternden Prozeß zu übernehmen.“ (S 54)

    Loil Neidhöfers ausführliche Beschreibung dieses oft kritisierten Ideals weckte Zuversicht und Mut in mir: Daß der therapeutische Prozeß nicht dort endet, wo die Konflikte im wesentlichen geklärt sind und größere Bewußtheit über die eigenen Beschränkungen erreicht ist, sondern dort „wo eine dynamische Lebendigkeit zum zentralen Wert und zur Seinsweise in der Welt geworden ist“. (Kelemann, zit. n. Neidhöfer, S 35)

    Erst jetzt folgt das Kapitel „Panzerung“, welches eher der Entpanzerung und den dafür nötigen Bedingungen gewidmet ist. Deutlich wird die Frage gestellt – und sie ist wohl für jede therapeutische Intervention erneut zu stellen -kommt ein Impuls aus der Panzerung oder aus dem Kern?

    Dies setzt selbstverständlich voraus, daß der Prozeß der Entpanzerung beim Therapeuten wesentlich stattgefunden hat. Erst dann kann er/sie „sich bewegen lassen, von den Eindrücken, die man erhält“.

    Während im ersten Teil des Buches Grundlagen ausgeführt werden, widmet sich der zweite Teil den Grundprinzipien von Körperarbeit und dem „Handwerklichen“. „Die entscheidende Fähigkeit, das worauf es ankommt in der Körperarbeit, ist die Fähigkeit, im eigenen Körper nach zu empfinden, was im Körper des anderen vor sich geht“. (S 115)

    Diese Fähigkeit, in einen ungestörten energetischen Kontakt zu treten – von Reich „vegetative Identifikation“ oder „Organempfindung“ genannt – gilt als „das entscheidende Werkzeug, die entscheidende Qualifikation, die notwendige Voraussetzung für gute Arbeit“. (S 119)

    Aus dieser (lernbaren!) Fähigkeit entspringen „technische“ Interventionen, auch wenn diese bisweilen ungewöhnlich und bizarr anmuten. Die Techniken finden im Kapitel „Einige Bemerkungen zum Handwerklichen“ eingehend Erläuterung. Es wird auf die Notwendigkeit der Grundposition Reichscher Körperarbeit (der Klient liegt unbekleidet mit hochgestellten Knien auf der Matte) hingewiesen, welche energetische Blockaden und die Pulsation (auf welche spezifische Art und Weise ist dieser Mensch lebendig?) rasch deutlich machen läßt; ebenso auf die therapeutische Haltung.

    Weiters werden Übungen vorgestellt, welche die Pulsation fördern (Anregung der Atmung durch verbale Anweisungen, Massage, u.a.)

    Das Buch, welches neben Essays eine Sammlung von Lectures beinhaltet (die Gespräche mit AusbildungsteilnehmerInnenn tragen wesentlich zur Lebendigkeit bei) schließt mit dem Kapitel: „Körperarbeit, Sexualität und Spiritualität“.

    Loil Neidhöfers Buch ist die erste abgerundete Darstellung von Skan-Körperarbeit. Es findet sich vieles wieder, was Michael Smith auch uns in seinen Workshops weitergab. Es ist also auch ein Lehrbuch, welches sich jedoch dadurch auszeichnet und von anderen abhebt, daß der Autor „objektive“ Gegebenheiten derart mit seiner Person zu durchdringen vermag, daß es Bewegung und Berührtheit in mir entstehen hat lassen. Vor allem beinhaltet dieses Buch jedoch einen Apell: den Apell sich radikal und verantwortlich „in jedem Augenblick für das Strömen und gegen die Panzerung zu entscheiden“, für eine „discipline of pleasure“ (Al Bauman).

    Beatrix Teichmann-Wirth

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 5/91 Intuitive Körperarbeit – Essays & Lectures
  • Kategorie: 1991
  • Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula 5/1991

    Wenn Sexualität beginnt ist keine Therapie mehr möglich

    Interview mit Thaddäus Rothe am 27.9.1991<
    Peter Bolen:

    Peter Bolen ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeut in freier Praxis in Brunn am Gebirge. Er ist Gründungsmitglied des Wiener Wilhelm Reich Instituts, des Arbeitskreises für Emotionale Reintegration und hat seit 1981 etwa 150 Therapeuten ausgebildet.

    Menschen suchen also Hilfe in dem speziellen Setting der Therapie, aber sie verstehen darunter wohl kaum Sexualität innerhalb der Therapie – die könnten sie ja auch in Partnerschaften haben. Mir erscheint eine Debatte um die Frage sexueller Beziehungen mit Klientinnen gerade in Wien wichtig – und zwar nicht vor einer sensationsbegierigen Öffentlichkeit wie dem WIENER, der jaeir solche Stories Tophonorare bietet, sondern gerade innerhalb des Kreises jener Leute, die in ihrem Leben mit dieser Frage in Berührung kommen. Daher bukumatula. Herr Bolen, wie stehen Sie zu den Grenzen therapeutischer Beziehungen?

    Die Grenzen sind klar. Eine psychotherapeutische Beziehung ist eindeutig dadurch definiert, daß der Therapeut die Sitzung nicht zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse verwendet, sondern da ist zur Klärung der – und für die Bedürfnisse des Klienten. Ich glaube, die beste Definition des Therapeuten ist Er ist kein Richter, kein Ankläger, er ist der Anwalt Aber er ist eben nicht Mitbeteiligter. In Hinblick auf Sexualität bedeutet das: Abstinenz.. Klarheit muß auch darin herrschen: Wenn Sexualität beginnt, ist keine Therapie mehr möglich. Das geht sogar noch viel weiter. Dahin, daß man weder ehemalige noch Sexualpartner überhaupt therapeutisch in Behandlung nehmen kann.

    Wir müssen davon ausgehen, daß der Klient ödipal, präödipal projiziert auf den Therapeuten und ihn nicht wahrnimmt als reale Person. In jeder Psychotherapie geschieht Regression und – ich betone das ganz deutlich – auch in einer Ausbildungssituation. Obwohl hier Leute sind, die schon erwachsen sind. Dennoch ist hier ein Abhängigkeitsverhältnis vorhanden und zweitens kommt es zu diesen sehr starken Projektionen. Und ich würde annehmen – das ist eine Annahme! – daß sich diese Projektionen nie im Leben ganz auflösen gegenüber einem Therapeuten.

    Also von Seiten eines Lehrers oder Therapeuten würde ich nie empfehlen, auch viele Jahre nach einer Therapie oder Ausbildung, mit einer/m Klientin/en eine sexuelle Beziehung anzufangen. Aber natürlich – wie Sie vorher ganz richtig gesagt haben -, wenn Unklarheiten in der Vergangenheit waren, hängt einem das natürlich dramatisch nach. Das ist ganz klar. Dag man keine sexuelle Beziehung mit Patienten/Klienten zu haben hat, ist eine Position, die immer zu allen Zeiten relevant war in – ich glaube – allen Psychotherapien.

    Viele Bewegungen in Europa und in Amerika, die so in der Nach-Reich-Ära sich manifestiert haben, als Körpertherapeuten, körperorientierte Therapeuten, haben zunächst keinen tiefenpsychologischen Ansatz gehabt, waren zum Teil übende, zum Teil stützende Verfahren. Und ich muß sagen, ich komme selbst auch aus dieser Richtung und habe erst in den letzten fünf Jahren diesen psychotherapeutischen Teil integriert in das. Aus der nichtpsychotherapeutischen Richtung gibt es mehr Unklarheit in dieser Richtung, allerdings nicht auf die Klient/Patient-Beziehung sondern auf die Trainee/ Auszubildenden-Beziehung.

    Die Nichttabuierung sexueller Grenzen läßt sich sehr gut am Beispiel der SannyasBewegung darstellen: Die Menschen haben einander nicht nur trainiert, sie lebten auch in der Kommune zusammen und es gab hier eine wesentlich größere sexuelle Freiheit als außerhalb der Kommune. Es gab kein Verbot der Beziehungen Trainer-Trainee. Und ich bin auch durch eine Periode dieser Unklarheit gegangen, wo diese Grenzen eben nicht klar waren. Ich habe mit Menschen gearbeitet im Sinn von Ausbildung, mit denen ich sexuelle Beziehungen hatte.

    Also ich hab das nicht als ausgeschlossen, als unmöglich gesehen. Trotz der Tatsache, daß es in der Gruppe besprochen war – und die Gruppe war auch als Regulativ hier – kritisch, ablehnend oder zustimmend – würde ich es heute als eine Unschärfe bezeichnen und mache es ganz sicher nicht mehr. Die Klienten-Therapeuten-Beziehung – zum Unterschied von der Ausbildungskandidaten-Ausbildner-Beziehung – stand glaube ich nie in Frage.

    Ich komme jetzt gerade aus einem internationalen Kongreß der Europäischen Körperpsychotherapeutischen Vereinigung, die sich jetzt erstmals konstituiert hat mit Regeln und einen ethischen Verhaltenskodex entwickelt hat, der der umfangreichste Teil der ganzen Satzung ist. Der sehr detailliert beginnt mit Zahlung, Pünktlichkeit, Stundenverschiebung, Dauer der Therapie, Form der Therapie, Sexualität, Macht, Geld. Sehr, sehr präzise. Man könnte sich fragen, warum das so einen Schwerpunkt gehabt hat. Offensichtlich ist es problematisch oder war es problematisch bei vielen Schulen.

    Zum Beispiel, weil sie den Ken Speyer im Vorgespräch erwähnt haben: Er hat sich auch dazu bekannt und distanziert sich auch heute von dieser Unklarheit in bezug auf Ausbildungsteilnehmer und persönlicher Beziehung, sexueller oder freundschaftlicher Art. Also das hat er früher nicht getrennt, hat sich aber auf diesem Kongreß sehr deutlich distanziert davon. Interessant für mich war: Bis jetzt sind diese ethischen Regeln eine Empfehlung, aber noch keine Pflicht Und daran entzündeten sich am Kongreß die Meinungen.

    Der Trend geht dahin, es in zwei Jahren zur Pflicht zu machen. Da hieß es: Noja, Pflicht kann man sagen, aber was sind die Konsequenzen. Ein Drittel war der Meinung: Ja, wenn man es als Pflicht machen muß, heißt das, man hat es nicht internalisiert, ist es dann wertvoll? Zwei Drittel des Kongresses haben gesagt, wenn es nicht zur Pflicht wird, treten sie aus der Vereinigung aus. Ich finde letzteres gut und hilfreich und fand mich nicht zufällig in einer Bewegung, die Klarheit schaffen will. Die Unklarheit kommt sicher aus dem anderen Zugang als zum Beispiel bei den Psychoanalytikern, die sich ja in einer Körperdistanz bewegen, die ja ganz andere Voraussetzungen der menschlichen Kommunikation bedingt.

    Obwohl die Schwierigkeit, daß es in allen Therapieformen immer wieder vorgekommen ist, daß ein Therapeut oder eine Therapeutin mit einer/ m Klientin geschlafen hat, – Analytiker, Körpertherapeuten -, die hat es immergegeben. Aber gleichzeitig war es immer allen Beteiligten klar, daß das nicht o.k. ist – den Betroffenem der Organisation. Da waren nie Unklarheiten. Die Unklarheiten gab es nur bei einigen körpertherapeutischen Organisationen in bezug auf die Auszubildenden. So zumindest würde ich das heute sehen.

    Sehen Sie bei der Sannyas-Bewegung noch eine andere Ursache als das Kommuneleben für das Verwischen der Grenzen von Ausbildung und sexueller Partnerschaft?

    Ich glaube, es ist ein Unverständnis oder eine nicht aufgearbeitete narzißtische Störung. Ich sehe heute viel deutlicher meine narzißtischen Löcher, es liegt ja auch einige Eigentherapie zwischen heute und damals.

    Bernd Laska hat Bhagwan nachgewiesen, daß er letztlich sexualfeindlich eingestellt ist, da er Sexualität fördert, damit sie ausgelebt mild dann überwunden wird. In dieser Finalität ist Sexualität mir mehr Mitte lzu einem ihr fremden Zweck

    Diese Diskussion ist endlos, weil es für dieses „Überwunden° viele Zitate gibt und die Überwindung auch nicht bedeutet, daß es keine Sexualität mehr gibt. Meine Kritik an der Sannyas-Bewegung – und ich bin Bhagwan sehr nahe gestanden in einer bestimmten Periode meines Lebens – ist: Zunächst einmal das Faszinierende: Daß dieser Mann, der aus dem Osten kommt, aus der Meditation kommt, sehr viel Ahnung gehabt hat, daß Psychotherapie notwendig ist. Also daß Meditation allein nicht reicht zur Entwicklung des Menschen. Deswegen holte er aus dem Westen die Körpertherapeuten: Gestaltleute, Körpertherapeuten, Primärtherapeuten …

    Um eine Verschmelzung westlicher Psychotherapie und östlicher Meditation zu erreichen. Meine Kritik an ihm – und da gehe ich auch wieder mit ihm selbst konform: Er hat gesagt, man soll nie über etwas sprechen, was man nicht erfahren hat Er hat Psychotherapie nie erfahren und meinte nun ein Drei-Wochen-Intensivkurs müßte reichen – er nannte das Dry Clean – und dann sind die Leute durch und dann kann man sich seiner östlichen Entwicklung zuwenden – und da ist ein dramatischer Irrtum in der Zeitlichkeit – also ich würde saget

    Minimum, daß Psychotherapie wirksam ist, zwei Jahre. Und das sind internationale Statistiken. Und das geht rauf bis zu sieben, acht, zehn Jahren. Bei mir sind das sieben Jahre und ich bin nicht stehen geblieben. Das braucht man mindestens um Klarheit zu gewinnen, um die alten Muster aufzudecken. Wobei man sich leicht vormachen kann, man sei schon drüber.

    Das war für mich persönlich auch das Drama, das Drama des Zusammenbruches der Bhagwan-Kommune, daß es nicht genügt hat, daß die Leute es mit viel Liebe, Arbeit und guten Willen angegangen sind. Sondern die faschistischen Muster sind plötzlich aufgetaucht und keiner hat gewußt woher. – Alle glaubten drüber zu sein. – Was sehr, sehr schade ist, weil es ein sehr schöner Platz war, wo sehr viel Dinge geschehen konnten, die sonst nicht geschehen. Auch in bezug auf freie Sexualität Also: ein positiver Aspekt und ein Aspekt der Unklarheit.

    Das Positive – die Idee der grenzenlosen Freiheit – ist natürlich sehr verführerisch, weil es die Verdrängung der Tatsache unterstützt, daß wir unfrei sind und in der Kindheit irgendwann einmal dramatisch unfrei waren Jeder, der das erlebt hat in der Kindheit, hat einen starken Drang nach sehr viel Freiheit Das ist wichtig, sich therapeutisch anzuschauen und nicht nur auszuleben. Letzteres ist auch ein mühsamer Weg – auch ein Try and Error -, aber es bleiben unter Umständen viel Scherben über.

    Wollen sie um die Anerkennung Ihrer Ausbildung durch den Psychotherapiebeirat ansuchen?

    Wir sind in Gesprächen mit dem Dachverband und dem Beirat. Das hat den Sinn Körperpsychotherapie erst einmal zu erklären. Wir haben im wesentlichen heute in Osterreich zwei Psychotherapie-schulen: Das ist der „Arbeitskreis für Emotionale Reintegration“, den ich gegründet habe und das ist die AIK, das aus der AIKE heraus gewachsene Ausbildungsinstitut. Beim Wilhelm-Reich-Institut fehlt es meiner Information nach noch an einem Curriculum und an Lehrtherapeuten. Radix bezeichnet sich strikt als Nicht-Psychotherapie. Die DÖK, die bioenergetischen Analytiker sind nicht vertreten.

    Weil es nur drei sind?

    Weiß ich nicht. Wir – die Mitglieder der europäischen Vereinigung – haben ein nationales Komitee gegründet und alle in Österreich tätige Therapeuten angesprochen, weil Einigkeit körperorientierten Schulen in bezug auf Ausbildung und auf ethische Codices eine der Forderungen des österreichischen Psychotherapiebeirats ist

    • Anmerkung: „Der Arbeitskreis für Emotionale Reintegration“ bringt im November eine Zeitschrift mit einer Übersetzung der englisch abgefaßten Statuten der Europäischen Körperpsychotherapievereinigung heraus.

    Die Niederschrift dieses Interviews wurde vor Abdruck von Peter Bolen gelesen und autorisiert.

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 5/91 Wenn Sexualität beginnt ist keine Therapie mehr möglich
  • Kategorie: 1991
  • Zurück zu Bukumatula 1991

    Bukumatula 6/1991

    Therapie und soziale Rebellion am Beispiel der Kommune Friedrichshof

    Das Scheitern einer Utopie
    Peter Stöckl:

    Was sind soziale Rebellen in ihrem Wesenskern? Menschen, die nicht so leben wollen, wie sie leben. Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen alleine mag ausreichen, Menschen zu spontanen Aktionen zu vereinen. Doch erst eine gemeinsame Idealvorstellung, ein gemeinsamer Traum von der idealen Welt schafft die Grundlage für eine gesellschaftliche Bewegung, weckt Begeisterung und mobilisiert Kräfte für gesellschaftliche Veränderungen.

    Für die Idealvorstellung von der besseren Welt im Diesseits steht der schöne Begriff „Utopie“. Utopien sind „Konzept gewordene Träume von Menschen, die nicht so leben wollen, wie sie leben.“ (Jutta Ditfurth, 1991).

    Es gibt Utopien, die Träume bleiben, die als Mythen überliefert werden, es gibt Utopien, die als Literatur konzipiert sind, der Roman Utopia von Thomas Morus zum Beispiel, dem der Begriff seinen Namen verdankt: utopos, der Ort Nirgendwo. Und es gibt Utopien, die es schaffen, sich hier und jetzt zu verwirklichen: „Realutopien“, die gelebten Utopien.

    Der Friedrichshof, vielen von Ihnen besser bekannt unter dem Schlagwort „Mühl-Kommune“, ist eine gelebte Utopie. Und gerade weil diese Utopie Risse bekommen hat und unter unwürdigen Umständen zu scheitern droht, lohnt die Auseinandersetzung mit ihr.

    Wir durchleben gerade eine Zeit der gescheiterten Utopien. Der „Real existierende Sozialismus“, bis Ende des letzten Jahrzehnts der gefürchtete und bekämpfte Gegenpart der sogenannten Freien Welt, ist in Europa wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Wir sind mittendrin in einer machtvollen restaurativen Phase, vergleichbar der Zeit der Gegenreformation, als es galt, die Bauern auf wieder „katholisch“ zu machen.

    Mit dem Unterschied, daß heute eine Ernüchterung bei den Utopisten selbst um sich greift; die es erübrigt, sie wie Bauern der Zeit der Gegenreformation mit roher Gewalt zur alten Ordnung zu bekehren. Bis tief in die Reihen ehemaliger Rebellen ist die Bereitschaft gedrungen, an der Restauration einer inhumanen Leistungsgesellschaft mitzuwirken oder sie zumindest tatenlos zu dulden.

    Die Zeit der politischen Visionäre scheint vorerst vorüber, wir erleben die Herrschaft der Sachzwänge und das Regime der Krisenmanager. Die technische Revolution der Computertechnologie und der in ihrem Gefolge rapide um sich greifenden Büro- und Fertigungsautomation -vorgeblich in Gang gesetzt, um dem Menschen die Bürde monotoner Arbeit abzunehmen – setzt selbst in Zeiten der Hochkonjunktur Arbeitskräfte „frei“, das heißt, macht Menschen arbeitslos, drängt sie unter deren Gefühl individuellen Versagens als gescheiterte Existenzen an den Rand der Gesellschaft. An Visionen, „freigesetzte“ Menschen in gesellschaftlich anerkannte Aufgaben einzubinden, fehlt es bitter. Die Utopisten sind eingeschüchtert, die Utopien sind tot.

    Vielleicht werden Sie einwenden, die Utopien, die ich erwähne, seien es nicht wert, daß man ihnen nachtrauere. Den inhumanen Regimes der kommunistischen Staaten brauche man keine Träne nachzuweinen. Ein Arbeiter- und Bauernstaat, der es nötig hat, seinen befreiten Bürgern mit Berliner Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl die Utopie von Gleichheit und Brüderlichkeit aufzuzwingen, habe den Untergang verdient. Ebensowenig sei es schade um eine Realutopie wie den Friedrichshof, die mit der radikalen Einführung des Gemeinschaftseigentums und der Freien Sexualität den schöpferischen, freien Menschen zu verwirklichen suchte, statt dessen aber zum Ort eines menschenverachtenden Despotismus und Gesinnungsterrors geworden zu sein scheint. Sein Oberhaupt und Mitglieder der Führungsschicht sind des Machtmißbrauchs und einiger damit in Zusammenhang stehender sehr unehrenhafter Verbrechen und Vergehen angeklagt.

    In einem soeben erschienenen Aufsatz „Schüttet Marx nicht mit dem Schmutzwasser weg“ schreibt Umberto Eco: „Auf der einen Seite muß die Utopie dort, wo sie sich zu verwirklichen anschickt, einen Riß bekommen, weil sie den Kompromiß mit der Realität suchen muß. Sie muß ihre Gegner bekämpfen, die unter allen Umständen die

    Verwirklichung verhindern wollen. Sie muß Frontstellung gegen die entstandene Gegenutopie beziehen, was fast immer mit Pflichtverletzung und Terror endet, wo der befreiende Hauch verloren geht.“
    (Eco, S.19)

    Die Beteiligten „elektrisiert die Tatsache, daß die Utopie in irgendeiner Form verwirklicht wird. Der Preis dafür ist für jene, die eine Veränderung erwarten, bedeutungslos. Sie erheben die Utopie zum Banner, zum idealen Modell, alles außer acht lassend, was auf dem Platz der scheinbaren Verwirklichung tatsächlich geschieht oder geschehen ist.“
    (Eco, S. 19)

    In der Ernüchterung des Erwachens aus dem gemeinsamen Traum neigen Utopisten – und wir mit ihnen – dazu, die positiven Aspekte der realen Utopie zu vergessen und die Utopie in ihrer Gesamtheit zu verdammen. Wir vergessen, daß mit dem Untergang der DDR nicht nur die unmenschliche Mauer fällt. Ersatzlos schwinden auch verdienstvolle Einrichtungen des Gesundheitswesens wie die Polikliniken, Einrichtungen zur Kinderbetreuung für berufstätige Eltern, soziale Mieten. Eine Nation sieht sich unversehens von der Landkarte gefegt, ihre Bürger sehen sich zu einem Volk von Versagern degradiert.

    Über den Fall eines Despoten und einer Führungselite wird übersehen und verdrängt, was die reale Utopie auch am Beispiel Friedrichshof in ihren Glanzzeiten auf die Beine gestellt hat an Begeisterung für die gemeinsame Sache, an Einrichtungen für schöpferische Betätigung, medizinische Versorgung, für die Weiterbildung ihrer Mitglieder. Eine der größten Bibliotheken des Burgenlandes befand sich im Friedrichshof, eine Sammlung moderner Kunst von internationalem Rang befindet sich dort noch immer, eines der größten sozialen Wohnbauprojekte des Burgenlandes, solide und energiesparend gebaut, Abenteuerspielplätze für Kinder, ein eigener Badesee, eine biologische Landwirtschaft.

    Grundsätzlich gilt es, eine klare Trennung zwischen den aus Machtmißbrauch entsprungenen Verbrechen der Anführer der Kommune und den Ideen der Utopie zu ziehen. Die Gefahr ist groß, daß mit den Angeklagten zugleich die Utopie, ein Gegenmodell zur herrschenden Gesellschaft, vor Gericht steht und abgeurteilt wird und daß alle, die jemals an dem Experiment teilgehabt oder mit ihm in irgendeiner Form sympathisiert haben, der Ächtung anheimfallen.

    Wer den Prozeß und die Medienberichterstattung mitverfolgt hat, hat gesehen, daß gerade dies eingetreten ist. Den Mut von Leuten, die den radikalen Schritt aus der gewohnten Lebenswelt in eine Realutopie gewagt haben, gilt es jedoch zu würdigen, auch wenn ein Experiment unter skandalösen Umständen letztlich gescheitert ist. Soziale Rebellen leben gefährlich. Die Geschichte sozialutopischer Bewegungen zeigt, daß sie in der Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Umwelt mit großer Regelmäßigkeit den kürzeren ziehen. Ihr Experiment erlaubt es, auch aus seinem Scheitern zu lernen und neuen Mut zu schöpfen, wenn es gilt, frische Utopien in die Tat umzusetzen. Das Prinzip Hoffnung ist hoffentlich noch am Leben.

    DIE GESCHICHTE DER KOMUNE FRIEDRICHSHOF

    1974, als die Wiener Wohngemeinschaften um Otto Mühl zum Friedrichshof zogen, war dieser noch ein primitiver, fernab gelegener Bauernhof ohne Trinkwasser und ohne Strom, die Kommune eine typische Hippie-Landkommune jener Zeit. Durch einen geradezu überfallsartigen Zulauf, überwiegend aus der Sponti- und WG-Bewegung aus der Bundesrepublik Deutschland, bildet sich Mitte der siebziger Jahre eine straffe Organisation von angegliederten Wohngemeinschaften und selbstverwalteten Betrieben um das ideologische Zentrum Friedrichshof heraus: Die AA0 (Aktions-Analytische Organisation). Sie gebärdet sich provokant und rebellisch in der öffentlichkeit, publiziert rege über einen eignenen AA-Verlag und trägt ihre Ideale von der Freien Sexualität und vom Gemeinschaftseigentum angriffslustig vor. Das Bild von „glatzköpfigen Wilden in Latzhosen, die obszöne Lieder singen“, prägt heute noch die öffentiche Meinung.

    Otto Mühl berichtet, daß Wilhelm Reichs Ideen eine entscheidende Rolle für die Entstehung der Kommune gespielt haben:

    „wilhelm reich können wir als den vater unserer AA lebenspraxis bezeichnen, durch das studium seiner schritten war es uns überhaupt möglich, unsere lebenspraxis zu entwickeln. ihm verdanken wir die aktionsanalyse, indem wir – mit charakteranalyse beginnend – durch ihn ermuntert, wagten, der körperlichen behandlung mehr beachtung zu schenken. ich selbst hatte eine Freudsche analyse absolviert, ohne besonderen erfolg. immerhin wurde ich dadurch mit der technik der psychoanalyse vertraut. reich las ich zum ersten male 1966; obwohl ich stark davon beeindruckt war, konnte ich damit emotionell nichts anfangen.

    erst als ich 1970 die gruppe ins leben rief, begann ich mich wieder intensiv mit reich zu befassen. als ich 1972 die charakteranalyse las, ich lag vor dem einschlafen auf dem hochbett in der gruppe, neben meiner freundin, wir hatten damals noch zweierbeziehungen, wurde ich derart elektrisiert davon, daß ich spontan zu meiner freundin sagte, ich werde in unserer gruppe die charakteranalyse einführen. morgen beginne ich damit. mir schien alles so klar, einfach und selbstverständlich, was reich sagte. ich hatte die alte ausgabe der charakteranalyse in der hand. in unserer gruppe war die bewußtseinsbildende auseinandersetzung mit der eigenen kindheit allerdings höchst notwendig geworden, sollte sie nicht zerfallen.

    zwei tage nach der lektüre der charakteranalyse begann ich mit den ersten gesprächen ging erstaunlich gut, bald begannen wir in der gruppe in die verbale auseinandersetzung, inspiriert durch reichs erkenntnisse über die körperpanzer, körperliche elemente einzubeziehen. und dabei machten wir einige wichtige entdeckungen, nämlich, daß es nicht auf die schematische aufarbeitung der panzer ankam, wie reich noch glaubte, sondern auf die ekstase, die durch die emotionelle erregung, durch atmen, schreien, hervorgerufen wurde. hinzu kam noch das element der selbstdarstellung, das ergebnis meiner 10 jährigen erfahrung als aktionskünstler. dadurch entwickelte sich die aktionsanalyse zur

    selbstdarstellungskunst. aus dem behandelten wurde der selbstdarstellungskünstler, der die darstellung und gestaltung seiner schädigung selbst in die hand nimmt. der behandelnde wurde zum helfer, zum selbstdarstellungsleiter, der nur dann aushalf, ermutigte, wenn der darsteller in darstellungsschwierigkeiten geriet. durch die auf massenbasis durchgeführte selbstdarstellung, jeder in der gruppe begann mit selbstdarstellungen, kamen wir in die lage zu erkennen, daß für das zusammenleben in der gruppe die freie sexualität eine prinzipielle voraussetzung ist. ohne reich hätten wir kaum diesen schritt gewagt, der von bedeutenden emotionellen schwierigkeiten bei jedem einzelnen begleitet war, zu unternehmen.

    … die psychische struktur des menschen ist abhängig von der struktur der gesellschaft, sagt reich, damit hat er freud und marx verbunden, aber die heutige psychoanalyse, einschließlich janov, einschließlich aller gestalttherapisten, einschließlich aller bioenergetiker, tun so, als ob sich krankheit ohne gleichzeitige gesellschaftliche veränderung beseitigen ließe und können nicht verhindern, daß ihre eigenen kinder trotz aller bewußtseinsverändernden praktiken ihrer eitern genauso geschädigt werden wie vorher.

    … das bedeutet für uns, therapeutische behandlung ist sinnlos ohne gleichzeitige veränderung der menschlichen gesellschaftlichen umwelt. ‚ich glaube nicht, daß es irgendeine lösung für die sozialen probleme gibt, solange kinder und heranwachsende mit einer stauung biologischer energie aufwachsen“, sagt reich drei jahre vor seinem tode.

    diesen satz können wir als vermächtnis reichs auffassen, gehen wir an die arbeit es bedarf dazu keiner veralteten revolution mit maschinengewehr-, panzer- und raketentherapie, schließen wir uns zu gemeinschaften zusammen, die ökonomisch und sexuell funktionieren,

    geben wir die unterdrückungsstruktur der kf und der zweierbeziehung auf es ist schon längst erwiesen, daß hier die emotionale pest produziert wird. hören wir auf mit der theorie ohne lebenspraxis, machen wir uns frei von unserer schädigung, indem wir ‚unsere chronisch gewordene bremsung, die panzerung, die sich muskulär und charakterlich äußert‘ aufgeben können, in einer von uns selbst geschaffenen gemeinschaft, die das sich öffnen erlaubt, damit sich die durch nichts beschränkte biologische energie in der lebenspraxis verwirklichen kann.“ (aus: „Das AA-Modell“, Wilhelm Reich und AA-Lebenspraxis, Band 1, 1976.)

    Die Gruppe versteht sich als Elite, die sich bewußt ist, „Geschädigte der Kleinfamilie“ zu sein und entschlossen ist, zur überwindung der eigenen Schädigungen durch Aktionsanalyse und sogenannter „Selbstdarstellung“ (SD) an sich zu arbeiten:

    „ein von zentralafrika zurückgekehrter ethnologe stellte der gruppe eines tages eine Filmreportage über die behandlung von geistes-

    krankheiten der frauen des ‚mukissi‘ stammes vor. diese bekamen die liebe und aufmerksamkeit des ganzen stammes und wurden durch rituelle gesänge in emotionelle ekstase versetzt, die die heilung bedeuteten. von diesem film beeindruckt, führte die gruppe das ‚mukissi‘ ein.

    jedesmal, wenn jemand depressiv war und sich nicht wohlfühlte, wurde er von der gruppe ermuntert, in die mitte des kreises zu treten und zu klavierspiel und trommelmusik zu tanzen, zu singen, zu schreien und seinen körper immer ekstatischer zu bewegen. die leute um ihn herum feuerten ihn an, indem sie ebenfalls schrien, die stimmung steigerte sich mehr und mehr.

    in der ekstase kommt es zur energetischen entladung der aggression. Danach ist der darsteller entspannt, migräne, kopfschmerzen, depressionen sind verschwunden und er fühlt sich sichtlich wohl.

    aus dem ‚mukissi‘, den erkenntnissen w. reichs und gewissen kriterien des kunstaktionismus entwickelte sich im sommer 1974 die selbstdarstellung. seitdem wird diese kunst im zentrum am friedrichshof sowie in den einzelnen gruppen jeden abend praktiziert es handelt sich bei der SD nicht darum, vor der gruppe ein vorbereitetes schauspiel zu zeigen, sondern spontan sich selbst darzustellen. der einzelne tritt aus dem kreis in die mitte vor die gesamte gruppe und stellt seine emotionen dar. die ganze gruppe macht mit, um jedem die kraft zu geben, seine emotionen auszudrücken und mit dem, der in der mitte auftritt, kommunizieren zu können.“
    (Anxionnaz, Christian: Mehr als eine Therapie, AA-Verlag, Nürnberg 1977, S. 11,12.)

    Um das Jahr 1978 hört die Organisation um Mühl auf, die Öffentlichkeit zu provozieren. Die selbstverwalteten Betriebe der AA0 (Jeansläden, Entrümpelungen, Malerei und Anstrich, Heizungsbau, Verlag) sind wirtschaftlich bei weitem nicht stark genug, den finanziellen Weiterbestand der Kommune abzusichern. Also verordnet die Führung der Kommune: „Hinaus in die alten Berufe“ zum Zwecke tüchtigen Gelderwerbs, was mit äußerlicher Anpassung an unauffällige bürgerliche Karriereexistenz verbunden ist: Gepflegter Haarschnitt, Business-Kostüm und Anzug mit Krawatte.

    Auf diese Weise wird bereits in den frühen achtziger Jahren ein liquides Vermögen von weit über 100 Millionen Schilling erwirtschaftet. Man kultiviert nach außen die Symbole des „seriösen Geschäftspartners“ und verbirgt zugleich das Geschehen innerhalb der Kommune vor den Blicken der Außenwelt. Nicht nur die „Freie Sexualität“, alle inneren Vorgänge der Kommune werden zur intimen Privatsache.

    Unter dem Druck gerichtlicher Voruntersuchungen gegen Otto Mühl und weitere Mitglieder der Führung der Kommune kommt es 1990 zur Entmachtung der „Alten Führung“. Die gemeinsamen SD-Abende werden eingestellt. Die Kommune gibt sich eine demokratische Verfassung, in deren Folge das Prinzip des Gemeinschaftseigentums zugunsten des Privateigentums aufgegeben wird. Die Gruppenehe, „freie Sexualität“ genannt, wird zunehmend von Zweierbeziehungen abgelöst. „Die Rückkehr zum Normalen“ ist angesagt. 1991 öffnet sich die Kommune als pluralistisch-demokratisch geführtes Wohnprojekt.

    NACHWORT:

    Was stand am Anfang des radikalen Gesellschaftsexperiments Friedrichshof? Wodurch konnte die Lebenspraxis der Kommune überhaupt in Gang kommen und anschließend so lange Zeit bestehen – trotz massiver Anfeindungen durch die Außenwelt und trotz wachsender innerer Widersprüche?

    Es war, wie es eine Kommunardin ausdrückt, das Erlebnis „energetischer Ekstase in der Gruppe tatsächlich eine Stufe der höchsten Selbstverwirklichung, die ich sonst noch nie erleb thabe.“

    Die Einheit von Therapie und Leben, von selbsternanntem Therapeuten und charismatischem Führer hat bis zum Umsturz totalitäre Züge von dramatischen Ausmaßen angenommen. Das Experiment Friedrichshof hat seine Vitalität und Attraktivität zu einem guten Teil den machtvollen therapeutischen Konzepten Wilhelm Reichs zu verdanken. Es ist gescheitert an seiner unbewältigten Gruppendynamik und der therapeutischen Inkompetenz seiner Führung. Die völlige Einheit von Leben und Therapie macht wehrlos gegen den Mißbrauch der Macht des Therapeuten.

    Literatur:

    Hobsbawm, Eric, 1979, Sozialrebellen; Gießen. Ditfurth, Jutta, 1991, Lebe wild und gefährlich; Köln.
    Eco, Umberto, 1991, Schüttet Marx nicht mit dem Schmutzwasser weg; Aufsatz in der Wochenzeitschrift SALTO, 11.10.1991, S.19; Wien.
    Anxiomaz, Christian, 1977, Mehr als eine Therapie, Nürnberg.
    AA-Modell, Band 1, 1976, Neusiedl/See.
    Peter Stoeckl: Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften/Uni Wien; Diplom 1981. Seit März 1991 Arbeit an Dissertation. Arbeitstitel: „Die Kommune. Soziologie eines realutopischen Gesellschaftsexperiments.“

    Zurück zu Bukumatula 1991

  • Kommentare deaktiviert für Buk 6/91 Therapie und soziale Rebellion am Beispiel der Kommune Friedrichshof
  • Kategorie: 1991