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Bukumatula 1/1992

Die Wahrheit der Mühl-Kommune war Verachtung

Wilhelm Reich (wieder einmal) missverstanden und missbraucht
Christian Bartuska:

Kommentar zu Peter Stoeckls Beitrag in BUKUMATULA 6/91 Das scheitern einer Utopie von Christian Bartuska.

Sicherlich ist es interessant, sich mit Utopien theoretisch auseinanderzusetzen, darüber zu diskutieren und zu phantasieren; es ist eine ungeheure Herausforderung, Utopien in die Wirklichkeit umzusetzen, aber ein Wert an sich ist es für mich nicht. Wertvoll ist es, wenn die Utopie mit der Verwirklichung übereinstimmt und das ganze von Liebe getragen, von den Beteiligten auch erwünscht ist; ganz anders war das bei Otto Mühl und seiner Gruppe (Kommune).

Ich lese Peter Stoeckls Artikel über „Utopie und soziale Rebellion“ und fühle mich angesprochen. Natürlich bin ich unzufrieden mit den herrschenden Verhältnissen. Aber plötzlich dreht sich mir vor Ärger der Magen um: Der Friedrichshof, die Kommune, gelebte Utopie, als unser aller (Reichianer, Psychotherapeuten, etc.) Wunschtraum? Nein!! Die Auseinandersetzung mit der AA° usw. lohnt schon, aber aus anderen Gründen als Stoeckl meint. Die Mühl-Kommune war das Ergebnis eines künstlerischen Experiments, in dem der Aktionist Mühl Menschen für seine machtgierigen, lüsternen, zerstörerischen Aktionen mißbrauchte. Mühl selbst schreibt in der Zeitung „Neues Forum“ (leider habe ich das genaue Erscheinungsdatum vergessen, 1967 oder 1968) über seine künstlerischen Aktivitäten und Zukunftsabsichten. Daraus sind mir zwei Sätze in Erinnerung geblieben:

  1. Als nächstes Material für meine Aktionen werde ich Menschen verwenden, das heißt, eine Gruppe gründen und mit ihr meine Aktionen durchführen.
  2. Ich bin der neue Hitler. Das allein kennzeichnet den Machtmißbrauch, der in der Mühl-Kommune auch für mich persönlich spürbar war. Das ‚Anschießen(Anagitieren) mittels psychoanalytischer Kunstgriffe, einschließlich der Charakteranalyse, diente immer nur zur Festigung von Mühls Macht. Panzerungen wurden gegen den Willen der Menschen gebrochen und diese Verletzungen durch Idealisierung der Führerfigur und der Ideologie (der böse Außen- und Innenfeind: der Kleinfamilienmensch) kaschiert.

Von Mühls Sicht her scheint die Aktion vorerst gelungen. Die Sehnsüchte und die verborgenen Ängste der Menschen, der tiefe Wunsch nach frei gelebtem Energiefluß und Sexualität hat er mißbraucht – und mit schönen Worten Illusionen erzeugt. Unter Mißachtung aller persönlichen und intimen Grenzen – sowohl bei den Teilnehmern an seinen Selbstdarstellungen in der Kommune, als auch bei Außenstehenden und Besuchern („über die Agitation in die Öffentlichkeit“) – errichtete er ein hierarchisch-despotisches Gebilde.

Die Wahrheit der Kommune war Verachtung, „Negos“, Gruppendruck, Idealisierung von Promiskuität und sexueller Verfügbarkeit, Zuckerbrot und Peitsche für die total abhängigen Mitglieder. Das Ausleben von Haß einer ganzen Gruppe auf einen Menschen gerichtet, abwechselnd mit Anfeuern, ist Gehirnwäsche. So wundert es nicht, wenn einzelne ihre Erlebnisse idealisieren und ihre sekundären Triebe (nach Wilhelm Reich) mit Freiheit verwechseln. Ich war zweimal persönlich in der Kommune: einmal in der Praterstraße 1974 und 1975 am Friedrichshof. Ich fand Mühl aufdringlich, provokant und fordernd und gleichzeitig verlockend („Kinderverzahrer“). Du kannst alles haben, wonach du dich sehnst (sexuell), aber du mußt dich dafür aufgeben.

Der Australier, Peter Eedy, ein Reichianischer Körper-Psychotherapeut schildert in einem Interview 1975 seine Erfahrungen am Friedrichshof sehr deutlich und detailliert (erschienen in: „Die Falle, AA – Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“, Parallelverlag, Berlin 1977)1). Gemeinsam mit Wolfgang Karner besuchte er 1975 – auch durch die AAO-Literatur neugierig gemacht – den Friedrichshof.

Er erzählt u.a. von der Angstlichkeit eines Kindes, die von Distanzlosigkeit überdeckt war, von menschenverachtendem Verhalten und Demütigungen (Abrasieren der Kopfhaare ist eine Zerstörung der Individualität zur besseren Beherrschbarkeit), von destruktiven Vorgängen in den Selbstdarstellungen und Aktionsanalysen (Gruppendruck und Haß) und vom Eindruck der Hoffnungslosigkeit, eine wirklich andauernde Veränderung erreichen zu können. Eedy wörtlich: „Sie haben Wilhelm Reich in jeder erdenklichen Weise verdreht, und das macht mich wütend“.

Den Berichten von Teilnehmern zufolge war die AAO für viele kein Traum, sondern ein Alptraum, aus dem es (fast) kein Entrinnen gab. (zit. aus: „Die Falle“, s.o.)

Zum Machtmißbrauch kommt der schwere Mißbrauch von Sexualität hinzu – unter Zuhilfenahme des Wissens aus der Lektüre der Charakteranalyse, um die geheimen, unterdrückten Sehnsüchte der Menschen nach Freiheit und Liebe besser für die Ziele der Organisation benutzen zu können.

Otto Mühl hat Wilhelm Reich grundsätzlich mißverstanden. Wenn Reich von ‚freier Sexualität‘ spricht, dann meint er damit das freie Zulassen von sexueller Lebensenergie, das natürliche, ungebremste Zulassen der lustvollen Strömungen und nicht , wie es Otto Mühl tut, das Ausagieren der negativen Aspekte der zweiten Schicht, der verdrängten, destruktiven Wirkungen seiner Blockierungen, das Ausagieren von Gier, Macht und Lüsternheit. Wenn Reich von freier Sexualität spricht, ist natürlich der freie Fluß von Libido (i.e. Lebensenergie) gemeint und nicht der Mangel an Achtung vor Grenzen, sowohl der gesunden, als auch der neurotischen Grenzen der Mitmenschen, insbesondere bei Jugendlichen und Kindern.

Die Auflösung von individuellen und gesellschaftlichen Mustern der Zwangsmoral ist nicht durch Gruppendruck und Verführung erreichbar, sondern verlangt mühevolle, langsame und demütige Kleinarbeit und die Bereitschaft, der eigenen Wahrheit von Schmerz, Lüge und Angst wirklich ins Auge zu sehen. Dagegen scheint bei Mühl Verführung, d.h. Vortäuschen der Erfüllung geheimer Wünsche und Sehnsüchte, eine zentrale Rolle gespielt zu haben; die Literatur der AAO war dabei ein wichtiges Instrument. Sie erzeugte das schöne Bild der Utopie:

Bei jeder Verführung gibt es einen Köder, etwas das wirklich gut ist, z.B. Ideen, Gemeinschaft, wirtschaftlicher Erfolg, etc., aber der Köder bringt einen nur an den Haken der Abhängigkeit. Psychotherapie-Klienten, die am Friedrichshof waren, zeigen in der Therapie Elemente tiefer Verwirrung ihrer Wertsysteme (nicht Veränderung), Zerstörung von Ich-Grenzen (nicht Lösung von zu engen Ich-Grenzen) und heftiges Ausagieren des „Lower Self“ (Pierrakos), mit entsprechender therapeutischer Unzugänglichkeit.

Natürlich ist es leicht in einer solchen Gruppenstruktur mit Hilfe ekstatischer Zustände (die leicht induzierbar sind) subtile Manipulation auszuüben und seine persönlichen (Ego-)Ziele zu verwirklichen (je mehr, desto besser, je jünger, desto knackiger, je antimoralischer, desto freier). Das ist nicht wirkliche Liebe, nicht wirkliches Leben, nicht wirkliche Freiheit, sondern Mißbrauch und Illusion. Es erscheint keineswegs eines Mißgeschicks oder einer inneren Revolution zufolge dazu gekommen zu sein, daß Mühl (nicht nur) Minderjährige mißbraucht hat, aber vielleicht hat die Revolution ermöglicht, daß er deswegen verurteilt wurde.

Aus dem Gesagten ist klar, daß es in der AAO nicht um Therapie gegangen ist – es gab ja auch keine Therapeuten, die ausgebildet waren bzw. diesen Namen verdienten. Auch hat nicht die Gruppendynamik die Kommune zerstört, sondern die innere Zerstörungssucht („Lower Self“) hat sich schlußendlich (auch durch die äußerliche

Isolation) durchgesetzt. Nicht die völlige Einheit von Therapie und Leben, sondern das Verwischen und Zerstören von Grenzen und das Verschleiern von Macht (= Verführung) macht wehrlos gegen Mißbrauch.

Einer solchen Utopie nachzuweinen, ohne ihre grundsätzlichen Mißverständnisse und Fehlansätze aufzuzeigen, bedeutet für mich entweder ein Verharren in einer illusionären Welt oder einen bewußten Mißbrauch und eine schwere Schädigung des Werkes von Wilhelm Reich und seiner Schüler sowie aller im Sinne Reichs arbeitenden Therapeuten. Vielmehr ins Detail zu gehen und Destruktivität und Mißbrauch nachzuzeichnen, auch anhand der Literaturbeispiele, die Peter Stoeckl anführt, aber vielmehr noch im Gesamtwerk der AA0 – dazu fehlt mir die Lust. Ich arbeite lieber am Aufbau einer realen Welt, an den kleinen aber haltbaren Schritten der Veränderung, die uns immer wieder das Große in uns erkennen lassen.

Wilhelm Reich hätte sicher die Arbeitsweise Mühls und die Vorkommnisse in der Kommune als Ausdruck der emotionalen Pest verstanden, wie er sie ausführlich beschreibt. Wenn Peter Stoeckl auch noch die ehemalige DDR mit ins Spiel bringt, möchte ich nur bitten, sich von Betroffenen erzählen zu lassen, wie es in den dortigen „vorbildlichen“ sozialen Einrichtungen wirklich zuging. (Anmerkung nur nebenbei: auch Hitler vertrat eine Utopie – und ihm verdanken wir die Autobahnen.)

Wilhelm Reich und viele andere Psychotherapeuten
hatten bzw. haben Wesentliches beizutragen zu einer gesellschaftlichen Entwicklung in Richtung Liebe und Freiheit. Es ist völlig klar, daß ich als Therapeut nicht die gesellschaftliche Macht übernehmen darf (und kann), genauso wie ich nicht die Macht über den Lebensweg eines Klienten habe (und haben will). Wir verändern die Gesellschaft schon mit einem einzigen Moment von echter Liebe und echtem Kontakt, der durch die Therapie möglich wird.

Dieser Mensch geht verändert hinaus und ist in allen Beziehungen ein klein wenig anders. Gleichzeitig haben wir natürlich die Aufgabe, unsere Erkenntnisse und Erfahrungen an der Arbeit zu veröffentlichen und Menschen, die danach leben wollen, zu unterstützen (Natürliche Geburt, etc.). Ich hoffe, ich habe meine Wut hier verwendet, um mich abzugrenzen, Stellung zu beziehen gegen den Mißbrauch der Macht des Schreibers.

Ich bin Wilhelm Reich und seinen Kollegen zutiefst dankbar für deren Arbeit und möchte mich deutlich abgrenzen vom Mißbrauch dieser Ideen, wie das (nicht nur) in der AA0 passiert ist. Reich sagt: Liebe, Arbeit und Wissen sollen dein Leben leiten (an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen).

ANHANG:

Das Interview mit PeterEedy erschien erstmals in „Energy & Character“, Vol VIII, Nr. 1; Abbotsbury Press; Hsg.: David Boadella. (Wolfgang Karner, der das Gespräch mit Peter Eedy führte ist praktizierender Körper-Psychotherapeut in Wien.)

Literatur über Macht und Mißbrauch siehe auch:
David Boadella: „Violence in Therapy“, in Energy & Character, Vol. 11, Nr. 1, bzw. Werke von Wilhelm Reich wie: „Der Krebs“, „Der Christusmord“, Massenpsychologie des Faschismus“, etc.

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  • Buk 1/92 Lachen und Lust

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    Bukumatula

    Lachen und Lust – (Angst und Frust)

    Vom Lachen in der Therapie oder im Leben
    Günter Scheffknecht:

    VORBEMERKUNG

    So etwas Alltägliches?
    Jeder kann lachen. So wie jeder weinen kann? Eben.

    Meine Erfahrungen als Klient, als Suchender brachten mich zu diesem Thema. Ich suchte Informationen – und fand wenig. Wohl gibt es eine Vielzahl an volksmündlichen Meinungen zum Humor, es gibt einige Körpersätze zum Lachen – doch wenig lebendige Gesamtdarstellungen.

    DIE GESCHICHTE

    (Nur kurz). Sehr tiefe Erfahrungen in Einzelsitzungen mündeten bei mir (zeitweise) in ein tiefes Lachen. Von den Zehen aufwärts. Wellenartig. Das war tatsächlich eine unangenehme Erfahrung in Gruppen – weil anders. Und dieses Paradoxe brachte mich dem Thema näher.

    THEMENERKLÄRUNG

    Ich spreche über das Lachen, nicht über den Humor, die Komik, den Witz, die Ironie, den Sarkasmus oder den Zynismus – nur über das Lachen. Es geht mir dabei nicht um die Fragestellung, was macht uns lachen, sondern darum: was passiert, wenn wir lachen – und wozu lachen wir?

    Für mich – aus meiner Geschichte und aus den Überlegungen von anderen Philosophen – ergab sich dann der Widerpart zu ANGST; beides als Tätigkeit verstanden.

    KÖRPERERFAHRUNG

    Es ist eine fast zu selbstverständliche Erfahrung: Lachen ist eine Körperfunktion, zusammengesetzt aus Atem, Stimme und Bewegung.

    Aber: Das Lachen ist eben mehr als „nur“ eine Körperfunktion – es wirkt in einem weiteren Zusammenhang.

    Um einen ersten Zugang zu finden ist es das einfachste, sich propreozeptive Sätze wieder ins Gedächtnis zu rufen (ordentlich nach den Segmenten strukturiert):

    • mit den AUGEN lachen
    • über das ganze GESICHT strahlen vor Lachen
    • sich das Lachen VERBEISSEN
    • aus vollem HALS lachen
    • das Lachen bleibt einem im HALS stecken
    • da lacht einem das HERZ im Leibe
    • „Ein fröhliches HERZ macht das Leben lustig,
    • ein betrübter Mut vertrocknet das Gebein“
    • sich vor Lachen KRÜMMEN
    • sich den BAUCH halten vor Lachen
    • weiche KNIE bekommenmen vor Lachen

    These 1: Lachen ist eine Ganzkörpererfahrung, d. h. es kann sich auf den ganzen Körper ausbreiten.

    Die Literatur – ein weiterer Teil der Geschichte
    Manchmal lese ich – auch Bücher.
    Womit sich der elegante Übergang zum Literaturkommentar ergibt – sehr kurz:

    Sigmund Freud:
    „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten“

    Freud bezieht sich vor allem auf die Technik des Witzes und auf die des Komischen. Er erzählt viele Witze und analysiert dann, sehr ernst, warum das komisch ist, worüber man dabei lacht. Immerhin ist sein hierbei wichtiger Beitrag, das Lachen als Libidofunktion beschrieben zu haben.

    Raymond Moody:
    „Lachen – über die heilende Kraft des Humors“

    Moody, ein amerikanischer Mediziner, beschreibt die physiologischen Aspekte, nennt aber auch das Lachen als Unterstützung einer Heilung. Der Vorteil des Buches ist die leichte Lesbarkeit, der Nachteil das Ausweichen vor psychologischen Fragestellungen.

    Michael Titze:
    „Heilkraft des Humors“

    Titze, ein deutscher Adlerianer, beschäftigt sich mehr mit dem Humor als mit dem Lachen selbst. Für ihn ist das Lachen interessant, weil es einen Aspekt zur Macht aufweist. Ansonsten ist das Buch eher anektotisch.

    Sigmund Feuerabend:
    „Lachen heillt – aber wie?“

    Das ineressante Buch zum Thema(enthält auch ein Kapitel zu Wilhelm Reich).
    Feuerabend bietet auch „Lachseminare“ – also eine Lachtherapie („Eliothologie“) an. Er schlägt allerdings manchmal einen missionarischen Ton an.

    Dies ist nur eine Auswahl der am leichtesten zugänglichen Werke. In der Weltliteratur muß man, um an die Lacher zu kommen, nur nach den Außenseitern suchen, jenen Gestalten, die durch ihre Werke oder ihr Leben nie so recht eingeordnet werden können und konnten. (Ein bißchen name-dropping: Von Eco bis K. Wilber, von P. Sloterdejk bis A. Watts, E.T.A. Hoffmann bis E. Friedell, von W. Serner bis T. Robbins u.v.a.m.)

    Mein Zugang zum Lachen ist immer ein zwiespältiger gewesen. Zuerst wurde es mir als ein Mangel an ‚heiligem‘ Ernst ausgelegt – ich wurde ausgegrenzt.

    Dann – plötzlich – war der Berg weg – die Gans raus – kein Wasser – kein Mond.
    Die zweite Linie – meine allergrößte Angst – liegt eben paradox: beschämt zu werden durch Auslachen.
    Das führt zu einer Kommunikationsform voller Ironie und Sarkasmus – Lachen als Abstandhalter.

    These 2: Lachen ist paradox

    WAS IST LACHEN? – ARTEN UND FORMEN:

    Es gibt genügend Gründe zu lachen und ebensoviele Arten. Weil wir bei der Tätigkeit verbleiben ist es interessant, eine Beschreibung zu zitieren, die – zwar aus dem Jahr 1900 stammend – doch von allen Autoren übernommen wird:

    „Beim Lachen oder mehr oder weniger auch beim Lächeln gibt es klonische Spasmen des Zwerchfells, gewöhnlich etwa 18 an der Zahl und eine Kontraktion der meisten Gesichtsmuskeln. Der obere Teil des Mundes und die Mundwinkel werden nach oben gezogen, wie in einem gewissen Maß auch die Brauen. Die Haut über der mittleren Fläche des Stirnbeines und die Oberlippe ziehen nach oben, während die Haut über den äußeren Augenwinkeln sich charakteristisch runzelt. Die Nüstern sind mäßig erweitert und nach oben gezogen. Die Zunge ist etwas gestreckt und die Wangen sind gebläht. Bei Personen mit stark entwickelten Ohrmuschelmuskeln tendieren die Ohrmuscheln nach vorn. Der Unterkiefer vibriert oder ist zurückgezogen. Der Kopf wird bei sehr starkem Gelächter zurückgeworfen. Der Oberkörper streckt sich oder neigt sich sogar etwas zurück bis, und das tritt bald ein, Ermattung und Schmerz im Zwerchfell den Körper zur Entlastung deutlich zurückbeugen lassen. (…) Das ganze arterielle Gefäßsystem weitet sich aus, sodaß durch die Wirkung der Hautkapillaren Erröten des Gesichtes und des Halses und manchmal auch der Kopfhaut und der Hände eintritt.“ (zit. nach Moody)

    Das ist also eine physiologische Beschreibung was passiert.
    Eine neuere Version – das Grundmuster aufnehmend – aus einem Wöterbuch: LACHEN
    „… durch eine Mimik, bei der der Mund in die Breite gezogen wird, die Zähne sichtbar werden und um die Augen Fältchen entstehen (zugleich durch eine Abfolge stoßweise hervorgebrachter, unartikulierter Laute) Freude, Erheiterung, Belustigung o.ä. erkennen lassen.“

    In diesen Beschreibungen fehlt noch der Hinweis, daß Lachen eine spontane Reaktion ist/sein kann. Und gerade dieser letzte Satz ist es, der eine -für diesen Zusammenhang wichtige – Unterscheidung ermöglicht: spontanes/gezwungenes Lachen. Diese Unterscheidung kann auch „heilsames“ und „kränkendes“ oder „richtiges“ und „falsches“ Lachen sein.

    Das heilsame Lachen ist liebevoll, Zuwendung und Wärme spendend – es ist das Lachen mit jemandem. Das kränkende (krankmachende) Lachen ist das Lachen über jemanden – es distanziert, beschämt, schließt aus.

    Dieses gezwungene Lachen erkennen wir – auch ohne Beschäftigung mit dubiosen theoretischen Abhandlungen – sofort! Wir nennen es dann etwa hämisch oder sarkastisch, schadenfroh, traurig, heimlich, neidisch, diplomatisch, frech; vorlaut, albern, hinterhältig oder verlegen.

    Die „falsche“ Heiterkeit ist unmotiviert oder unangemessen – und als solche immer ein Hinweis auf etwas Dahinterstehendes, Verborgenes. Hierbei ist das Lachen dann Tarnung, eine Maske, ein Vermeiden.

    Neben diesen Formen des Lachens unterscheidet Feuerabend noch vier Stufen des Lachens:

    Stufe Art

    0 Ernstes Gesicht
    1 „Hauch von Heiterkeit“ (Praktisch nur in den Augen sichtbar)
    2 Grinsen (Entblößen der Zähne)
    3 Akustisch begleitetes Lachen
    4 Tränenlachen

    Interessant in diesem Zusammenhang sind die Stufen eins, drei und vier, denn diese sind „heilsam“.
    Besonders die Stufe eins – als Lebenserhaltung – soll auch bei erfahrenen meditierenden angetroffen werden.

    ASPEKTE DES LACHENS

    Die Wirkungen des Lachens liegen auf drei Ebenen: physiologisch, psychisch und sozial.

    Auf der ersten wird untersucht und dargestellt, welche Auswirkungen das Lachen auf den Körper hat, wie sich z.B. der Muskeltonus verändert. Außerdem zeigt es sich, daß die Bereitschaft zu lachen direkt mit der physiologischen Erregung zusammenhängt: Wer sich den Hauch von Heiterkeit“ als Lebensmethode gewählt hat – wer dazu in der Lage ist – lacht leichter und öfter.

    Außerdem ist es auffallend, daß das Lachen mit anderen Körperaktivitäten korreliert: mit dem Schluckauf und mit dem Weinen. D.h. Gelächter kann in einen Schluckauf münden. Den Zusammenhang von Lachen und Weinen (auf den ich später noch eingehen werde) erkennt man schon am ‚Tränenlachen‘.

    Konkret können wir beim Lachen – die in der Definition bereits angesprochenen – Veränderungen der Muskulatur beobachten: verzerren, Röten der Augen. Bei heftigem Lachen sind wir nicht mehr sprechfähig und nicht mehr reaktionsfähig. Das heißt: Lachen ist ein dominanter Körperausdruck (versuchen Sie einen Lachanfall zu stoppen!?- Aber nur einmal zu Anschauungszwecken!)

    Wird dieser Körperausdruck gehemmt oder unterbrochen, so stellen sich unmittelbar darauf Schmerzreaktionen (Verspannungen, Seitenstechen) ein. Lachen hat auch – als eine Funktion davon -eine vertiefende Wirkung auf die Atmung. Insgesamt kann man sagen, daß Lachen entspannend wirkt (was ja auch nicht mehr so neu sein dürfte). Es ist ein Ausdrucks- und Anpassuungsverhalten.

    Psychisch beschrieben ist das Lachen eine Regressionsfunktion. Es kann (wie oben für das „falsche“ Lachen erwähnt) ein Vermeidungsverhalten sein, bleibt aber immer ein expressiver, aggressiver Vorgang. Dabei ist besonders hervorzuheben, daß das Lachen eine Situationsbewertung völlig verändert, es kann zum Beispiel anzeigen, daß eine psychische Barriere überwunden wurde und daß dieser Neuzustand jetzt integriert wird. Lachen ist eine Lustfunktion, für die also all die Hemmnisse wirksam sind, wie bei anderen Lustfunktionen auch.

    Diese Hemmnisse zeigen sich dann besonders auf der sozialen Ebene. Im allgemeinen gilt doch, daß Lachen ansteckend ist (auch hier wieder beschränkt auf das ‚heilsame‘), doch eigentlich „wird den Kindern (und nicht nur denen) das Lachen schon noch vergehen“.

    Lachen ist eine wichtige Kommunikationsform, vor allem auch in seiner milden Form des Lächelns. Es erleichtert den Beginn einer Kontaktaufnahme.

    Der wichtigste soziale (und politische) Aspekt des Lachens ist aber die Verbindung zur MACHT. Lachen, wenn es extensiv betrieben wird, ist immer anarchistisch, auf Zerstörung von Macht ausgerichtet. Ein einfaches Beispiel: Kaisers neue Kleider. (Und es ist natürlich nicht zufällig ein Kind …)

    Das Lachen verändert Machtverhältnisse nachhaltig und unwiderruflich. Ein Herrscher, der sich zum Gespött gemacht hat, kann nicht mehr so wie vorher agieren – und reagiert meist noch extremer. (Es ist zum Beispiel wahrscheinlich keine Übertreibung, wenn man Chaplins „Great Dictator“ als eine der wirksamsten Antipropagandamaßnahmen ansieht. Oder, weniger martialisch: in jedem durchschnittlichen Wahlkampf ist eine der Hauptabsichten des Agierenden, „die Lacher auf seine Seite zu ziehen“.

    These 3: Lachen ist anarchistisch.

    Speziell dieser Aspekt ist es nun, der für die Therapie interessant erscheint. In mehrfacher Hinsicht: Erstens als Hilfe bei der Integration, zweitens bei der Bekämpfung von Angst und drittens im Verhältnis des Klienten zum Therapeuten. (Denn wir reden ja nur über ‚ideale‘ Therapeuten, die ihren Klienten mit jenem selbstverständlichen ‚Hauch von Heiterkeit‘ gegenübertreten, den sie nach langer Arbeit erreicht haben.)

    LACHEN – KRANKHEIT – WAHNSINN

    Es gibt eine Reihe von Krankheiten, organische und psychische, die Lachen hervorrufen, bzw. bei denen Lachen zum Krankheitsbild gehört. (Es sei nochmals daran erinnert, daß die Unterscheidung kränkend-echt für jeden machbar ist.)

    Als der bekannteste Fall kann wohl der „kichernde Schwachsinnige“ gelten – als der unbekannteste vermutlich einer, der von „Kuru“ befallen wird. Kuru wird auch „Lachender Tod“ genannt, weil sich der Kranke buchstäblich zu Tode lacht – er stirbt unter allgemeinem Gelächter (auch seiner Verwandten). Allerdings ist diese Krankheit geographisch beschränkt auf ein Hochlandgebiet in Neu-Guinea; auf die Angehörigen des Foro-Stammes, deren Besonderheit uns vor einer Infizierung (wahrscheinlich) bewahrt: die Foros sind Kannibalen.

    Lachen tritt in unseren Breiten besonders in den klinisch diagnostizierten Fällen von Paranoia (jeglicher Sinn für Humor fehlt), von Hysterie oder eben Schwachsinn auf.- Insgesamt aber gilt (noch einmal): dieses Lachen ist leicht zu erkennen, weil unmotiviert oder unangemessen.

    Besonders hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang noch auf die Nähe, die Lachen und Wahnsinn im Sprachgebrauch haben. Wir verwenden Begriffe ‚irre“, ‚blöd‘, ‚wahnsinnig‘, ‚komisch‘, ‚lächerlich‘, etc. für beides, sowohl für komische Situationen als auch für die Beschreibung von Defiziten oder Defekten. Es zeigt sich also, daß (zumal: lautes) Lachen gar nicht so angesehen ist in unserer Gesellschaft und man sich mit der Möglichkeit einer Ausgrenzung konfrontiert sieht. (Hier wäre es angebracht, einen Lachsack zu betätigen!)

    LACHEN – WEINEN

    Diese beiden Tätigkeiten sind nicht polar. Nicht das Weinen ist der Gegensatz zum Lachen, sondern der Ernst.

    Weinen ist – dies hier nur als Behauptung aufgestellt – nötig, um sich an neue Werte anzupassen, um diese zu integrieren, zu verarbeiten. Das Weinen drückt dabei Angst, Furcht,

    Besorgnis, Trauer, Zorn, Betrübnis, seelige Freude (!) oder den Abschluß großer Belastungen („Erleichterung‘) aus. Durch das Weinen ändert man allerdings keine äußeren Umstände – sondern der Zugang zu diesen Zuständen (die Bewertung) wird angepaßt.

    So kann sich zum Beispiel Machtlosigkeit oder gar Ohnmacht durch das Weinen Erleichterung verschaffen.

    Die Macht ist dann auch die Brücke zwischen dem Lachen und dem Weinen – das eine ist die Rebellion dagegen, das andere die Akzeptanz.

    Das bedeutet aber auch – und wahrscheinlich haben das auch schon die meisten erlebt – Lachen und Weinen können sich ablösen – und das noch irritierend rasch. Auch hier mag das ‚Tränenlachen‘ als Beispiel dienen.

    Auf die Therapie angewandt: aus heftigem Lachen – am Schluß einer Sitzung – ließe sich auf die völlige Neubewertung einer Situation rückschließen.

    Ein neues Thema …?

    LACHEN ALS HEILUNG

    Wie schon gesagt ist der Ernst der polare Gegensatz zum Lachen. Dabei ergibt sich aber die Notwendigkeit, sogleich zu differenzieren: nur der entspannte und angemessene Übergang zwischen diesen beiden Polen ist ein Beleg für die ‚Gesundheit‘. Beiden gemeinsam ist die Entspanntheit der Muskulatur, bei beiden Tätigkeiten ruht man in sich.

    Feuerabend hat einen „Heilkatalog“ aufgestellt, was Lachen bewirken kann:

    Das heilsame Lachen, so schreibt er, bewähre sich bei Depressionen aller Art, bei Traurigkeit, nach leichten Schlaganfällen, bei Krankheiten, die als unheilbar gelten, bei schlechter Verdauung, bei Nierenschwäche oder ganz allgemein bei Verspannungen … . Hierbei verwendet er zum Teil eine Technik, die Bhagwan als „Lachmeditation“ im Orange-Book beschrieben hat: absichtlich (auf ha!) das Zwerchfell nach unten schnellen lassen, immer schneller, bis sich die Bewegung verselbständigt.

    Die – von mir so bezeichnete – soziale Heilungskomponente des Lachens liegt in der Notwendigkeit der Gemeinschaft. Drastischer ausgedrückt: für sich allein lacht nur der Wahnsinn.

    Damit ist aber der Kreis wieder geschlossen; Lachen und Lieben als Gemeinschaftsvorgänge, als Ausdruck der (Lebens-)Lust.

    Hierbei kommt noch ein letzter Aspekt hinzu, Lachen als Hilfe bei der Lebensbewältigung: „Lachen und Lieben umschließen ewiges Sein. Beide sind dem Tod enthoben. Der Tod lacht nicht.“ (Feuerabend)

    LACHEN UND RELIGION

    Es wäre müßig zu untersuchen, welche Religion auf dem Lachen aufbaut – allzuviele wird man nicht finden (eventuell Pan-Dyonisos).

    Manche Zen-Meister scheinen – so in den überlieferten Koans – die besondere paradoxe Kraft des Lachens in ihre Demonstrationen eingebaut zu haben. Aber im großen und ganzen scheinen die beiden angesprochenen Bereiche wenig miteinander zu tun zu haben. (Wir sprechen ja auch eher vom heiligen‘ Ernst!)

    Diesen Aspekt des Lachens möchte ich in einer verspielten Formel zusammenfassen:

    Komik erzeugt Distanz, Distanz Komik, usw.

    These 4: Formel:

    KOMISCH + DI S TANZ =
    = KO S MISCH

    ZUSAMMENSPIEL:

    Die Thesen also sind:

    • Lachen ist eine Ganzkörpererfahrung
    • Lachen ist paradox
    • Lachen ist anarchistisch
    • Lachen erzeugt mittels Distanz Kosmos

    Ein Sinn dieser kurzen Ausführungen ist es, das Lachen ernst zu nehmen – bei sich und bei den Klienten und es als Wegweiser anzusehen.- Und es scheint, als ob die Darstellung von HOTEI dem „Lachenden Buddha“ identisch mit Wilhelm Reichs Vorstellung vom KIND der ZUKUNFT ist.

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    Bukumatula 2/1992

    Meine Reisen nach Gallizien und in die Bukowina

    Auf den Spuren von Reichs Kindheit
    Walter Kogler:

    Im Jahre 1970 drückte mir ein Freund ein Buch in die Hand und meinte, daß ich es unbedingt lesen müsse. Es war „Die Entdeckung des Orgons“, Band 1, von Wilhelm Reich. Ich war davon so fasziniert, daß ich mir gleich auch alle anderen Reich-Bücher kaufte, die in deutscher Sprache erhältlich waren. Später besuchte ich auch eine Reihe von Vorträgen. Kursen und Workshops zum Thema „Reich“. Dabei erwachte immer mehr mein Interesse an der Biographie Wilhem Reichs.- Und ich wollte es genauer wissen: was ist das für ein Land, aus dem Reich stammt?

    Als ich im Jahre 1983 den Entschluß faßte, den Geburtsort und den Ort von Reichs Kindheit aufzusuchen, wußte ich nur, daß diese beiden Orte im Umkreis der Stadt Czernowitz liegen. Aus einem mir unerklärlichen Grund sind in sämtlichen Büchern die Ortsnamen falsch geschrieben, sodaß es unmöglich war, diese auf irgendeiner Landkarte zu finden. Ich entschloß mich trotzdem dorthin aufzubrechen.

    Ich ging zum sowjetischen Konsulat, um ein Visum zu beantragen. Nach einem ausführlichen „Verhör“, bei dem ich keineswegs den Grund bzw. das genaue Ziel meiner Reise bekanntgeben konnte (Reich hatte in mehreren Büchern über den „Roten Faschismus“ in der Sowjetunion geschrieben und galt deshalb als „Staatsfeind“) erhielt ich -nach vorheriger Buchung meiner Unterkunft bei einem Reisebüro – nach zwei Wochen mein Visum.

    ERSTER VERSUCH – Die Pausenglocke

    Am 20. Juli 1983 fuhr ich mit meinem Auto von Wien über Budapest nach Oradea, Cluj, Sucava und anschließend über die rumänisch-sowjetische Grenze. Dort wurde mein Auto von den Grenzbeamten mehrere Stunden lang untersucht, teilweise zerlegt und mit „modernen“ Geräten (die aus Österreich stammten!) durchleuchtet. Ich wurde wieder ausführlich über den Grund und über das genaue Ziel meiner Reise befragt. Nach diesem anstrengenden Grenzaufenthalt fuhr ich die wenigen Kilometer nach Czernowitz.

    Die Gesamtstrecke betrug 1400 Kilometer (die weitaus kürzere Strecke über Ungarn direkt zur sowjetischen Grenze war nicht zu befahren, da ab dem Grenzübergang keine „Ausländerroute“ nach Czernowitz führte). Czernowitz war 200 Jahre lang die östlichste Stadt der österreichisch-ungarischen Monarchie und die Hauptstadt der Bukowina. Czernowitz ist auch heute noch eine schöne Stadt mit vielen prächtigen Bauwerken aus der Monarchiezeit. Nur die Menschen mit ihrem trostlosen Gesichtsausdruck schienen nicht in das Stadtbild zu passen.

    Als ich am Campingplatz von Czernowitz eintraf, wurde ich schon erwartet, denn als Autotourist wurde man sorgfältig überwacht. Ich bezog einen Bungalow. Die Campingverwaltung schien verwundert, warum ein „Kapitalist“ denn nicht in einem Luxushotel absteigt.- Am nächsten Morgen begab ich mich zum Hotel „Bukowina“, in dem sich das Intourist-Büro befand. Ich sagte, daß ich einen Ort namens Jurinetz und einen Ort namens Dobrzczinyca (so stand der Ortsname in den Büchern geschrieben) suchte.

    Daraufhin trat eine, aus vier oder fünf Personen bestehende „Kommission“ zusammen. Es wurde eifrig geforscht, aber leider besaß das Intourist-Büro keine geeignete Straßenkarte. Zwischendurch wurde ich immer wieder gefragt, warum ich diese Orte besuchen wolle, worauf ich irgendwelche Ausreden erfand. Nach drei Stunden eifrigster Suche wurden wir doch fündig. Wir fanden tatsächlich einen Ort namens Jurinetz, ca. 40 Kilometer nordwestlich von Czernowitz. Nur Dobrzczinyca fanden wir nicht.

    Nun mußte ich offiziell um eine polizeiliche Erlaubnis ansuchen, damit mich ein Intourist – Auto (ein schwarzer Wolga mit Chauffeur und einem Reiseführer) nach Jurinetz bringen konnte. Mit dem eigenen Auto zu fahren war nicht erlaubt. Jurinetz ist ein langgestrecktes Dorf mit etwa 800 Einwohnern. Die Landschaft ist sehr schön mit sanften Hügeln und fruchtbarer Erde. Nur die Kolchosgebäude störten die Harmonie.

    Der Reiseführer begann widerwillig und nur auf mein ständiges Bitten hin, die Dorfbewohner zu befragen, ob sie etwas über einen ehemaligen Gutshof einer Familie Reich wüßten. Einigen Leuten (besonders älteren) stand die Angst ins Gesicht geschrieben. Fragende Männer und eine schwarze Limosine schienen ihnen nichts Gutes zu bedeuten. Nach längerem erfolglosen Fragen schien sich eine alte Frau an so einen Gutshof erinnern zu können. Sie führte uns auf eine Wiese außerhalb des Dorfes und berichtete, daß hier früher ein Gutshof stand, der aber im Ersten Weltkrieg zerstört wurde. Dies stimmte zumindest mit den Angaben von Reich-Biographien überein.

    Auf dieser Wiese stand kein Gebäude mehr, aber ein Nachbar, der in einiger Entfernung ein Haus besaß, zeigte uns die Stelle, wo die Gebäude der Familie Reich gestanden haben sollen. Dieser Mann behauptete sogar, daß sein Vater sein Haus mit dem Baumaterial aus den Oberresten des Reichschen Gutshofes gebaut hätte. Auf der Wiese befand sich auch ein alter Brunnen, der den Reichs gehört haben soll. In einiger Entfernung waren Fischteiche, so wie sie auch in den Biographien beschrieben sind. Der Reiseführer wurde zusehends nervöser als ich ausgiebig zu fotografieren begann. Auf sein unablässiges Drängen hin mußte ich dem Aufbruch zur Rückfahrt nach Czernowitz zustimmen.

    Am nächsten Morgen besuchten wir eine Schule, die zur Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie ein deutsches Gymnasium war. Reich mußte dieses Gymnasium von 1911 bis 1915 besucht haben. Jetzt beherbergt dieses Gebäude eine ukrainische Mittelschule. Am Eingang ist eine Tafel angebracht, auf der ein Mann mit deutschem Namen, der die Schule besucht hatte, als Held des Spanischen Bürgerkriegs geehrt wird. Im Inneren des Gebäudes habe ich nur einen einzigen Gegenstand gesehen, der noch aus Reichs Zeit stammen könnte: die Pausenglocke.- Wir unterhielten uns auch mit einem Lehrer und einigen Schülern.

    Weder der Lehrer noch die Schüler hatten je etwas von Wilhelm Reich gehört. Der Lehrer freute sich aber zu hören, daß ein berühmter Mann einmal seine Schule besucht haben soll. Anschließend fuhren wir zum Stadtarchiv, in der Hoffnung, irgendwelche Dokumente zu finden. Meine Hoffnungen wurden aber gleich im Sekretariat enttäuscht. Eine Beamtin erklärte uns mit schriller Stimme, daß wir eine Bewilligung vom Ministerium vorzulegen hätten. Ohne eine derartige Bewilligung dürfe sie uns keinerlei Auskunft erteilen. Sämtliche Bestechungsversuche blieben erfolglos …

    Anschließend führte mich mein Reiseführer durch die Stadt. Das vielleicht schönste Bauwerk ist die Universität, die während der Monarchiezeit Bischofsitz und Kloster war. Leider durften wir auch die Universität nicht betreten (der Portier bemerkte gleich, daß ich Ausländer war, und für solche war der Eintritt verboten). Mein Reiseführer, der übrigens Alexander hieß, war nun den Tränen nahe.

    Hatte er mir doch die ganze Zeit von den Vorzügen des Sozialismus erzählt. Jetzt sagte er mir aber die Wahrheit: Er sei sehr unglücklich hier und wolle um jeden Preis weg – wenigstens nach Polen, wenn es schon nicht möglich wäre, in den „Westen“ zu gelangen.- Am nächsten Tag fuhr ich weiter nach Odessa, wo ich einige Tage Urlaub am Schwarzen Meer verbrachte.

    ZWEITER VERSUCH – Sieg der Bürokratie

    Einige Jahre später – im September 1987 – rief mich eine deutsche Fotoreporterin) an und bat mich, sie in die Ukraine zu begleiten, da sie einen Film über Wilhelm Reich machen wolle und sie gehört habe, daß ich schon einmal dort gewesen sei. Ich teilte ihr mit, daß ich aber den Geburtsort nicht gefunden hätte.- Am darauffolgenden Sonntag machte ich einen Ausflug in ein Schloß in Niederösterreich in dem eine Osteuropa-Austeilung untergebracht war. An einer Wand hingen Landkarten aus der Monarchiezeit. Auf einer Karte fand ich einen Ort, der Dobrzanica hieß. Ich verglich den Namen mit den Namen, die in den Reich-Biographien standen (dort stand meistens Dobrzczynica).

    Am nächsten Tag ging ich in das Ost- und Südeuropainstitut der Universität Wien und sprach mit „Experten“ über mein Problem. Nach Durchsicht aller in Frage kommenden Unterlagen, konnte ich erfahren, daß es keinen Ort namens Dorzczynica, wohl aber einen Ort namens Dobrzanica gäbe. Ob diese Orte identisch waren, konnten sie nicht mit Sicherheit sagen. Ich rief daraufhin die Fotoreporterin an und schilderte ihr die Ergebnisse meiner Nachforschungen. Sie meinte, daß sie das Risiko in Kauf nehmen wolle, eventuell auch den falschen Ort aufzusuchen.

    Am 10. Oktober 1987 trafen wir uns in Krakau und fuhren mit dem Auto über Tarnow und Przemysl nach L’wow (Lemberg). Fünf Stunden mußten wir an der polnisch-sowjetischen Grenze verbringen. Den Grenzorganen schien es höchst merkwürdig vorzukommen, daß eine deutsche Frau und ein österreichischer Mann zusammen eine Reise in die Sowjetunion unternehmen wollten. Außerdem war in meinem Visum eine andere Reiseroute eingetragen und die telefonischen Rückfragen in Moskau benötigten ihre Zeit.

    Als wir am Freitag abend in unserem Hotel in Lemberg ankamen und wir uns im Intourist – Büro über die Ausflug in das 70 Kilometer entfernte Dorf erkundigten, ergaben sich zwei Probleme: Erstens kannten die Intourist – Beamten dieses Dorf nicht – und fanden es auch auf der Straßenkarte nicht (auf dieser Karte waren nur größere Orte eingezeichnet; und meine Karte konnte ich nicht herzeigen, denn es war eine Militärkarte aus der Monarchiezeit). Zweitens war am Wochenende das Polizeipräsidium geschlossen, von dem die Bewilligung hätte kommen sollen.- Also mußten wir bis zum Montag warten. Montag mittag fragte ich im Intourist – Büro nach, ob die Bewilligung schon eingetroffen sei. Das wurde verneint und mir mitgeteilt, daß ich um 16 Uhr wiederkommen solle.

    Um 16 Uhr wurde mir gesagt, daß ich am nächsten Vormittag kommen solle.- So verging ein Tag um den anderen, ohne daß wir die Bewilligung bekommen hätten. Da bereits am Mittwoch unser Visum ablief mußten wir unverrichteter Dinge wieder abreisen. Die Wartezeit benutzten wir zu Besichtigungen; Lemberg ist eine sehr schöne Stadt mit ca. 800.000 Einwohnern. Sie war 200 Jahre lang die Hauptstadt Ostgaliziens (vom 18. Jahrhundert bis zum Zusammenbruch der Monarchie) und wurde damals von seinen Bewohnern liebevoll „Klein-Wien“ genannt. Heute steht die gesamte Innenstadt unter Denkmalschutz und ist relativ gut erhalten.

    DRITTER VERSUCH – späte Gewissheit, Schneechaos

    Die unbefriedigenden Nachforschungen ließen mir jedoch keine Ruhe. Ich entschloß mich zu einem neuerlichen Versuch: diesmal alleine, auf eigene Faust und ohne Bewilligung. Am 7. Januar 1988 fuhr ich mit dem Auto über die gleiche Route nach Lemberg. Ich suchte und fand einen Mann, der mich am nächsten Tag mit seinem Auto nach Dobrzanica, dem vermutlichen Geburtsort Wilhelm Reichs, bringen sollte. Wir fuhren um 10 Uhr von Lemberg ab.

    Zum Glück war es sehr kalt (-20 Grad) und deshalb kamen die Polizisten, die normalerweise alle paar Kilometer jedes Auto bzw. dessen Insassen kontrollierten, nicht aus ihren Häuschen. Ich hatte dem Chauffeur übrigens wissen lassen, daß ich Ungar sei, damit er weniger Angst hätte. Wir fuhren durch eine wunderschöne Winterlandschaft. Die kleinen Städte und Dörfer waren wie ausgestorben. Dobrzanica war nicht leicht zu finden, da es auf der Straßenkarte des Chauffeurs nicht eingezeichnet war und er sich auf meiner Karte nicht auskannte, weil er lateinische Buchstaben nicht lesen konnte. Nach einiger Zeit fanden wir aber doch das gesuchte Dorf. Ich begann sofort mit dem Filmen. Wegen der großen Kälte funktionierte meine Videokamera jedoch schlecht.

    Ich wollte mich auch nicht allzu lange im Dorf aufhalten, da wir beträchtliches Aufsehen erregten und ich Angst hatte, daß jemand die Polizei verständigen könnte. Wir fanden einen sehr alten Mann, der uns ein Gebäude zeigte, das früher einmal ein Gutshof war und später als Schule benutzt wurde. Jetzt stand das Haus leer und war dem Verfall preisgegeben. Es war das einzige Haus, das eventuell als Geburtshaus Reichs in Frage hätte kommen können. Wir konnten jedoch, trotz ausführlicher Befragungen, keine Gewißheit darüber erlangen. Ich war damals wieder nicht sicher, ob wir überhaupt im richtigen Dorf waren.

    Erst als mir im Jahre 1991 Dr. Eva Reich deren Geburtsurkunde zeigte, auf der Dobrzanica als Geburtsort ihres Vaters angegeben ist, war ich gewiß, auf der richtige Spur gewesen zu sein.

    Die Rückreise nach Wien führte diesmal über die Karpaten und durch Ungarn. Kurz vor der österreichischen Grenze geriet ich in ein Schneechaos und war, wie zweihundert andere Autofahrer, sechzehn eisige Stunden lang eingeschlossen; von sowjetischen Panzern wurden wir schließlich evakuiert.

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    Bukumatula 2/1992

    Impulse von innen

    Biodynamik. Körperpsychotherapie zur Heilung und Selbstfindung.
    Werner Eberwein, 190 Seiten, Transfom-Verlag 1990,
    Beatrix Teichmann-Wirth:

    Der Titel des Buches verheißt ein Lehrbuch der von Gerda Boysen begründeten Biodynamischen Psychotherapie. Das ist es jedoch nicht.

    So werden die spezifischen Theorien und Konzepte der Biodynamik (vegetativer Zyklus, Psychoperistaltik, die Theorie der Eingeweide- und Gewebepanzerung) nicht ausgeführt wie auch die strukturierten Formen biodynamischer Arbeit (Primärimpuls-Training, Biodrama, Stethoskopmassage) nicht näher beschrieben werden, was, betrachtet man den Titel des Buches, enttäuschend ist. Vor allem scheint es mir jedoch der biodynamischen Psychotherapie in ihrem Ringen um die Anerkennung ihrer Wissenschaftlichkeit nicht eben zuträglich zu sein. Kritiker mögen in dem Buch eine neuerliche Bestätigung finden, daß die biodynamische Psychotherapie weder „Fisch noch Fleisch“ ist.

    Das Buch basiert auf dem Grundgedanken, daß „die Biodynamik mehr ein Stil als eine Methode, mehr eine Haltung als eine Technik, mehr eine Atmosphäre als eine Strategie, mehr eine Einstellung zum Menschen als eine geschlossene psychologische Theorie ist.“ (S. 9). Und dieser Stil ist zuallererst von der Person des Therapeuten, seinem kognitiven Hintergrund und seinen Erfahrungen geprägt.

    Bei Werner Eberwein machen die vielen Hinweise auf Zen und Taoismus den Einfluß östlicher Denktraditionen auf seine therapeutische Grundhaltung deutlich. Die biodynamische Psychotherapie wird wesentlich als „nicht-direktiv“, „gewährend“, „erlaubend“, „sanft“ charakterisiert und entspricht – folgt man der Yin-Yang Polarität – eher einem Yin-Stil.

    Ein biodynamischer Psychotherapeut „ermutigt loszulassen, in sich selbst hineinzuhorchen, sich zu öffnen und den von innen kommenden Impulsen zu folgen.“ (S. 31). Auch wenn damit bisweilen aufsteigende Energie und emotionale Katharsis geweckt wird, so geschieht dies vornehmlich nicht wie in der Bioenergetik durch, „Aufladung“ und Provokation zum emotionalen Ausdruck oder wie in der Gestalttherapie durch Konfrontation und damit Zuspitzung eines Konfliktes.

    Die in dem oben erwähnten Sinne verstandene gewährende Grundhaltung als ein Charakteristikum der biodynamischen Psychotherapie herauszustreichen, erscheint mir insofern überholt, als auch ein bioenergetischer Psychotherapeut situationsadäquat sanft und einfühlsam agiert, von Intuitiver Körperarbeit in der Tradition Michael Smiths (vgl. Rezension in BUKUMATULA 5/91) bzw. Will Davis‘ Arbeit mit dem Instroke (vgl. BUKUMATULA 2/88) gar nicht zu sprechen.

    Auch wenn in der Grundlegung der einzelnen körpertherapeutischen therapie“. Es wir die Bedeutung der meditativen Haltung unterstrichen, der Übungen, Vorschläge, Einladungen etc. entspringen sollen.- Ist diese nicht in der Person des Therapeuten verankert, so lassen sie den Klienten kalt und bleiben somit unwirksam.

    Die therapeutische Präsenz, das Da-Sein des Therapeuten in dem Sinn, daß dieser sich seiner eigenen Impulse, vor allem auch seiner Schatten-Seiten gewahr ist, bildet das wesentliche Agens des therapeutischen Prozesses. Sie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen mitgehend-akzeptierendem Gewähren, formgebendem Strukturieren und anstoßenden Erlebnis-Experimenten (Konfrontation).

    Das Gewähren ermöglicht, daß Antworten aus dem Unbewußten auftauchen und sich ein Tiefenprozeß entfalten kann. „Der Therapeut fordert den Klienten nicht auf etwas zu tun, sondern er lädt ihn ein, etwas geschehen zu lassen.“

    Der gewährenden Haltung wird ein strukturierendes Element gegenübergestellt, welches ermöglicht, daß freigewordene Energie nicht wieder in die Regression führt. Der Therapeut lenkt den Prozeß durch Vorgaben und durch das Setzen von Grenzen (Setting, Fokussieren eines Themas, Rituale). In diesem Zusammenhang wird auch auf die Bedeutung von Containment und Detachement und den inneren Beobachter (Zeugen) auf Identifikation und Des-Identifikation eingegangen.

    Der Therapeut muß sich aber auch in bestimmten Phasen als Gegenüber anbieten (Konfrontation), sonst bleiben die Schattenseiten des Klienten unberührt, der Prozeß somit oberflächlich. Hier kann der Einsatz von konfrontativen Methoden (Encounter-Arbeit, Atemförderung, bioenergetische Übungen, etc.) hilfreich sein.

    Das Kapitel schließt mit einer Reihe von „therapeutischen Leitlinien und Gegensätzen“ wie beispielsweise „Weniger ist mehr! – Erlaube die Fülle!“, welchen sicher eine gewisse Anstoß-Funktion zukommt.

    Die nachfolgend beschriebenen Beispiel-Sitzungen sind spannend zu lesen, da es Eberwein gelingt, das Atmosphärische therapeutischer Sitzungen durchschimmern zu lassen (was sicher schwierig ist). Die Kommentare machen deutlich, daß die Intuition (sehr wohl) auf einem theoretischen Fundament ruht. Nicht zuletzt werden an dieser Stelle auch spezifische biodynamische Techniken (Massage, biodramatische Inszenierung) ausgeführt.

    Ich hätte es als bereichernder erlebt, wäre dieser Teil (die praxisnahe Beschreibung von spezifischen Interventionsformen und ihre Begründung) umfangreicher ausgefallen – auf Kosten sehr allgemein gehaltener Ausführungen (insbesondere im Kapitel „Offene Weite. Die Transformation der Identität“). Wenn Eberwein in diesem Abschnitt die Genese neurotischen Leidens beschreibt, so ist dies von den Vätern der (körperorientierten) Psychotherapie bereits in differenzierterer Weise geschehen. Und bei der Darstellung des Zusammenhanges von „Individueller Transformation und sozialer Umgestaltung“ läßt sich Eberwein sogar zu Allgemeinplätzen hinreißen. Ein Beispiel: „Unsere Gesellschaftsstruktur ist auf ein hohes Maß an Destruktivität aufgebaut, und sie reproduziert sich durch viel Gewalttätigkeit in jedem einzelnen. Die bürgerliche Marktwirtschaft ist die Welt der Masken und Ellbogen, in der der Härteste nach oben kommt. Ohne Neurosen könnte diese Gesellschaftsform nicht überleben.“ (Seite 137).

    Die Dürftigkeit der Aussage schmerzt – hat doch Wilhelm Reich sich umfassendst der genauen Analyse des komplexen Wechselspiels zwischen Individuum und Gesellschaft gewidmet (vgl. „Die Sexuelle Zwangsmoral“, „Massenpsychologie des Faschismus“; nicht zuletzt sein „Christusmord“).

    Eberweins Buch pendelt zwischen der Darstellung eigener Theorie aus therapeutischer Praxis und Anleihen aus anderen theoretischen Konzepten (vornehmlich von Wilhelm Reich), welche meist als solche nicht deklariert werden.

    Dennoch erhielt ich einige Impulse durch das Buch. Vor allem die Betonung der Polaritäten (Gewähren und Eingreifen, Konfrontation und Begleiten, Aktivität und Passivität) brachte Bewegung in meine therapeutische Haltung.

    In diesem Sinne ist es in erster Linie Personen zu empfehlen, welche bereits körpertherapeutisch praktizieren. Ihnen kann es Anstöße geben, sich auf ein (in ihrer Person bereits verankertes) weiteres Handlungsspektrum zu besinnen.

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    Bukumatula 3/1992

    Aids – Die dritte Auflage der Syphillis

    INNENWELTEN Auch wenn es manche nicht gerne hören,
    die Wiener AIDS-Hilfe hält das HIV-Konzept für unbefriedigend
    Thaddäus Rothe:

    Dieser Artikel war gedacht als dritter Teil (nach „AIDS und die Zweifler“ und „ALM- die Strahlenkrankheit?“) einer losen Reihe über Aids in der FALTER-Kolumne INNENWELTEN. Er wurde von den Herausgebern als für diese Reihe zu wenig esoterisch und zu wenig Wien bezogen abgelehnt.

    Diese Artikelreihe kann nur andere Perspektiven aufzeigen, hat aber keinen Platz, um wissenschaftliche Begründungen darzustellen. Bei Gelegenheit wird dort eine Literaturliste zum Thema erscheinen.
    Wie sich die Bilder gleichen. Syphillis im 3. Stadium ruft in etwa dieselben Symptome und Krankheiten hervor wie „AIDS“. Damit würde das AID-Syndrom von Bakterien, nämlich dem Syphilliserreger Treponema pallidum, hervorgerufen.

    Am erstaunlichsten ist dabei, daß Syphillis-Forscher schon vor mehreren Jahrzehnten eine Wiederkehr der Syphillis vorausgesagt haben: Ihre Beschreibungen erinnern deutlich an die heutige „AIDS-Epidemie“. Syphillis verläuft in mehreren Phasen, zwischen der zweiten und der dritten Phase kann ein symptomfreies Jahrzehnt liegen. Nun sehen manche Forscher im HI-Virus nur die Ursache für die Verkürzung des Intervalls zwischen zweiter und dritter Phase.

    Die US-Gesundheitsbehörde hat nach langem Hinhalten HIV-Infizierte auch auf Syphillis zu testen begonnen. Jedoch auf eine Weise, daß der Test nicht ansprechen konnte, wie Kritiker meinen. Der Syphillis-Test ist schwierig, Antibiotika können ihn zusätzlich stören. Wie in vorherigen Artikeln beschrieben, existieren alle Varianten von Theorien über die AIDS-Ursache: Pilze und Strahlen, Fehlernährung, Gifte und eben auch Bakterien.

    Es ist interessant, sich die Entstehung der HIV-Hypothese anzuschauen. Reagan wollte 1984 wiedergewählt werden. Ein wichtiger Vorwurf an ihn lautete: ‚Er hat nichts gegen AIDS getan.‘ Zwar war damals noch keine einzige wissenschaftliche Veröffentlichung über AIDS bekannt, aber Robert Gallo gelang es, Reagans Team seine Virushypothese schmackhaft zu machen und damit zum amerikanischen ‚AIDS-Papst‘ zu avancieren.

    So wurde, erstmalig in der schulmedizinischen Welt, eine Krankheitsursache ohne Vorhandensein wissenschaftlicher Literatur festgelegt. Der große Erforscher der DNS sowie des Atomkerns, der in Wien gebürtige Erwin Chargaff, meinte angesichts dieser und anderer Umstände später: „Die ‚AIDS-Forschung‘ hat verheerende Folgen für die Forschung überhaupt.“ Doch bald nachdem Reagan den Virus zur AIDS-Ursache gekürt hatte, mußte er Feuerwehr spielen. Gallo stritt mit seinem französischen Kollegen Luc Montagnier um die Patentgewinne.

    Reagan traf sich mit Mitterand, bzw. Chirac und man einigte sich auf 50:50. Mittlerweile steht Gallo unter Anklage wegen schweren Betruges. Und selbst die ehrwürdige „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hält für wahrscheinlich, daß – geht weiterhin alles mit rechten Dingen zu – Gallo fünf Jahre hinter Gitter muß. Sicher kein Renomme für die AIDS – Forschung.

    Doch so eindeutig offizielle Stellen immer HIV als AIDS-Ursache verkaufen, so wenig eindeutig ist es für unabhängigere Menschen . Die Ärzte der Wiener AIDS-Hilfe empfinden die HIV-Theorie als nicht besonders überzeugend. Unter Ihnen läuft die Diskussion um HIV, Sinn oder Unsinn von AIDS-Tests und der „Frühbehandlung“ – die deutsche Schwester der AIDS-Hilfe lehnt Tests überhaupt ab. Auch das Verhältnis zu AZT, dem vielgepriesenen „AIDS-Medikament“, ist gespalten. Man rät nicht davon ab, aber zu einer Empfehlung entschließt man sich auch nicht. AZTHersteller Wellcome wollte sich vor einiger Zeit bei der „AIDS-Hilfe“ einkaufen.

    Daß die „AIDS-Hilfe Wien“ dem widerstanden hat, ist ihr hoch anzurechnen und hat ihr ja auch die Unabhängigkeit erhalten.

    Es ist ein trauriges, aber allem Anschein nach unvermeidliches Phänomen, daß HIV-Infizierte wie auch viele Homosexuelle dazu neigen, die HlVirus-Hypothese besonders unkritisch zu übernehmen. Auf die von den offiziellen Theorien abweichenden Erklärungen der „A-I-D-Seuche“ wird eine fast noch stärkere Hatz gemacht als auf HIV-Infizierte selbst. „AIDS“ ist in einer Zeit des politischen „Rollback“ in vielen Ländern Europas aufgekommen.

    Neben der Freude konservativer Kreise mit „Strafgerichts“-Erklärungen für das Aufkommen der A-I-D-Seuche hausieren gehen zu können, gibt es noch ein anderes, sehr wichtiges Moment: Die sechziger Jahre haben eine größere Freizügigkeit eingeleitet: Von der Pornographie bis zu Scheidung und Abtreibung wurde mehr erlaubt, wurden die Tabugrenzen verschoben. Wir alle sind aber Kinder von Eltern, die noch mit einer strikteren Sexualmoral aufgewachsen sind.

    Für viele war mit dem äußerlichen Verbot ein Schutz vor „zuviel sexueller Nähe“ weggefallen oder sie litten darunter, daß Liebe und Sexualität noch offensichtlicher zwei paar Stiefel wurden. Die Liberalisierung der Pornographie hat die meisten Menschen seelisch unvorbereitet getroffen. Insoferne waren Sie über einen Damm gegen den „sexuellen Leistungsdruck“ ganz glücklich.

    Safer Sex schützt gegen Promiskuitätsansprüche, die sowieso keiner erfüllen will. Solange wir unsere eigenen Ängste vor Sexualität und Kontakt nicht wahrhaben wollen, solange bedürfen wir eines Schutzes wie ihn die Angst vor einer venerischen Seuche darstellt. Und solange wir dieses Schutzes bedürfen, werden wir an Seuchen ä la „AIDS“ als Geschlechtskrankheiten glauben – unabhängig von deren wissenschaftlichen Erhärtbarkeit. Dadurch bleibt uns aber auch der Blick verstellt auf etwas anderes: Auf „AIDS“ als erste globale Seuche, die Folge unserer unökologischen Lebensweise ist.

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  • Buk 3/92 Du sollst nicht Merken

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    Bukumatula 3/1992

    Du sollst nicht Merken

    Über sexuellen Kindesmissbrauch
    Irene Müller:

    Wenn man die Statistiken studiert, kann man feststellen, daß die Zahl von sexuell Mißhandelten ständig steigt. Einer Veröffentlichung des Familienministeriums über „Sexuellen Mißbrauch in Österreich“ kann man entnehmen, daß mindestens jede vierte Frau davon betroffen ist. Wenn es sich um einen sexuellen Mißbrauch in der Familie handelt, ist die Dunkelzifferschätzung 1:50, d.h. auf eine Anzeige kommen 50 nicht angezeigte Mißbräuche.

    Die Anzeigenhäfigkeit sinkt mit zunehmendem Verwandtschafts- oder Bekanntheitsgrad. Nur 6% der Täter waren dem Opfer völlig fremd; daraus ist zu ersehen, warum die Anzeige so selten erstattet wird.

    Hauptsächlich sind Mädchen und Frauen davon betroffen. Ich beziehe Frauen deswegen mit ein, weil es nicht selten vorkommt, daß der sexuelle Mißbrauch im Kindesalter beginnt und erst mit dem Tod des Vaters endet. Die Zahl der betroffenen Buben ist stark im Ansteigen.

    ZUR GESCHICHTE DES SEXUELLEN KINDESMISSBRAUCH

    Gewalt – wie Vernachlässigung, Schlagen, Töten und sexuelle Mißhandlung – an Kindern ist ein weltweites und leider auch Jahrtausende altes Problem.

    Im alten Griechenland vor ca. 2500 Jahren war es üblich, Knaben anal zu koitieren. Dazu wurden meist Sklavenkinder hergenommen, die eigenen Söhne, d.h. die Söhne der Besitzenden, wurden davon verschont, waren aber häufig Zuschauer beim ungleichen Akt. Natürlich war man damals nicht der Auffassung, daß dies sexueller Kindesmißbrauch sei, die Päderastie wurde als die höchste Form der Liebe bezeichnet.

    Wie wir hier bereits sehen können, sind es bestimmte Machtstrukturen, die bestimmte Formen der Machtausübung zur Folge haben. Sexualität ist ein Bereich, wo Macht ausgeübt werden kann. Die sexuellen Überfälle, seien sie gegen Frauen, seien sie gegen Kinder, ereignen sich am häufigsten in Kulturen, deren herausragenden Merkmale der Männlichkeitswahn und die Rechtlosigkeit der Frauen sind, so belegen anthroplogische Studien.

    Wir in Europa und Nordamerika leben in einem patriarchalischen System. Das heißt unter anderem auch, daß das Besitzen etwas sehr Wichtiges und in der Gesellschaft sehr Angesehenes ist. Wilhelm Reich schreibt in seinem Buch „Die sexuelle Revolution“ auf Seite 137: „Die von Besitzinteressen durchtränkte Sexualmoral hat es zur Selbstverständlichkeit gemacht, daß der Mann die Frau -besitzt‘, die Frau dagegen sich dem Mann ‚hingibt‘. Da Besitzen aber eine Ehre, Sich – Hingeben dagegen eine Erniedrigung bedeutet, hat sich in der Einstellung der Frauen zum Sexualakt die Haltung herausgebildet, den Sexualverkehr als solchen zu scheuen. Diese Haltung wird durch gleichgerichtete Bestrebungen der autoritären Erziehung gefördert. Und da für die meisten Männer das Besitzen der Frau mehr ein Beweis ihrer Männlichkeit als ein Liebeserlebnis wird, da das Erobern vorher das Lieben nachher übertönt, bekommt diese Scheu der Frauen eine tragische Berechtigung.“

    FREUD BEI CHARCOT; DIE GERICHTSMEDIZINER

    Sigmund Freud war ab Oktober 1885 bis Februar 1886 in Paris bei Jean Martin Charcot, einem sehr berühmten Neurologen der damaligen Zeit. Dort kam er auch mit der Literatur französischer Autoren, meist Gerichtsmediziner, in Kontakt, die die ersten waren, die über sexuelle Mißhandlungen schrieben. Sie vermochten allerdings keine psychologischen Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie bezweifelten aber auch nicht die Wahrheit des Gesehenen. Die Arbeit eines Gerichtsmediziners besteht unter anderem darin, Menschen, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind, etwa bei Verdacht auf Mord, Selbstmord etc., zu obduzieren.

    Ambrose Tardieu veröffentlichte 1860 einen Aufsatz, der detailliert Aufschluß darüber gibt, wie brutal Kinder von ihren Aufsichtspersonen, aber auch von ihren Eltern mißbraucht wurden. Der Titel der Untersuchung lautete: „Eine gerichtsmedizinische Studie über die Miß- und schlechte Behandlung von Kindern“. Er deckte als erster das ganze Spektrum des Mißbrauchs auf und hatte zudem den Mut, es in den präzisen Termini des Gerichtsmediziners, der im Auftrag der Gerichtsbarkeit arbeitet, zu beschreiben.

    Tardieu war sich im klaren darüber, daß die Gesellschaft es vorzog, die Realität dessen, was er festgestellt hatte, zu leugnen. Und merkwürdigerweise beteiligten sich die Opfer an dieser Verleugnung; doch ganz gelang sie ihnen nicht, wie dies das folgende Zitat zum Ausdruck bringt: „Ihnen steht die Traurigkeit ins Gesicht geschrieben. Sie sind schüchtern und furchtsam und ihr Blick ist stumpf und ausdruckslos, oftmals sind sie jedoch von einer frühreifen Intelligenz, die sich nur im dunklen Feuer ihres Blickes widerspiegelt.“

    Eine weitere Veröffentlichung von Ambrose Tardieu war 1875 „Eine gerichtsmedizinische Studie über Sittlichkeitsverbrechen“. Sie ist in der psychiatrischen bzw. in der psychologischen Literatur niemals zitiert worden. Dabei war es das erste Buch zu diesem Thema in ganz Europa. Das darin Veröffentlichte läßt erschaudern: Während des Zeitraumes von 1858 bis 1869 wurden in 11.576 Fällen Menschen wegen Vergewaltigung oder versuchter Vergewaltigung angeklagt, davon 9.125 der versuchten oder vollendeten Vergewaltigung an Kindern! Tardieu hebt hervor, daß fast alle Opfer Mädchen waren; die meisten waren zwischen vier und zwölf Jahren alt.

    Er bringt klar zum Ausdruck, daß Väter oft ihre eigenen Töchter mißbrauchen. Er schreibt: „Noch trauriger ist es mitanzusehen, daß die Blutsbande diesen schuldhaften Neigungen nicht nur keine Schranke setzen, sondern sie nur allzuoft begünstigen. Da mißbrauchen Väter ihre Töchter und Brüder ihre Schwestern.“

    Ein weiterer Autor in Frankreich war Alexandre Ladassagne, Gerichtsmediziner in Lyon. Er veröffentlichte den Aufsatz „Unzucht mit kleinen Mädchen“. Er betont einen Umstand, den die Gerichte nicht zur Kenntnis nahmen, daß nämlich unzüchtige Handlungen, auch wenn sie über einen längeren Zeitraum häufig stattfinden, nicht unbedingt Spuren hinterlassen müssen. Mit andern Worten:

    Die Tatsache, daß ein Kind keinerlei physische Anzeichen für einen Missbrauch aufweist, lässt keineswegs den Schluß zu, dass es nicht missbraucht worden ist.

    Auch Charcot veröffentlichte 1882, zusammen mit Valentin Magnan einen Aufsatz über „Die Inversion des Geschlechtstriebes und andere sexuelle Perversionen“ und hielt auch Vorträge zu diesem Thema. Die beiden plädierten dafür, seelische Erkrankungen als eine Ursache sexueller Gewalttaten in Rechnung zu stellen.

    Magnan und Charcot kannten also Fälle sexuell perverser Patienten, wie eine schriftliche Fassung eines Vortrages über dieses Thema belegt.

    Freud verehrte besonders Charcot sehr, er besaß das komplette schriftliche Werk Charcots und Magnans; es ist anzunehmen, daß Freud von Charcot viel mehr gelernt hat, als bisher angenommen. Freud besuchte auch die Vorlesungen des Gerichtsmediziners Brouardel. Sie fanden in der Pariser Morgue statt. Ein Brief an seine spätere Frau Martha belegt, daß Freud bei seinen Besuchen in der Morgue Zeuge von etwas Bedeutsameren geworden war, als an der gewöhnlichen Autopsie von Mordopfern: „… mich zogen die Reden und Demonstrationen Brouardels am stärksten an, der uns am Leichenmaterial der Morgue zu zeigen pflegte, wieviel es Wissenswertes für den Arzt gäbe, wovon doch die Wissenschaft keine Notiz zu nehmen beliebt.“

    Aller Wahrscheinlichkeit nach hörte Freud, wie Brouardel über Fälle gewaltsamer sexueller Angriffe auf Kinder sprach und wurde auch selbst Zeuge der Spuren solcher Gewalttaten.

    DIE „VERFÜHRUNGSTHEORIE“ – EIN WISSENSCHAFTLICHES MÄRCHEN?

    Im April 1896 hielt Sigmund Freud einen Vortrag mit dem Titel „Zur Ätiologie der Hysterie“ vor seinen Wiener Kollegen. Er enthielt eine Theorie, daß Neurosen durch sexuelle Traumen im frühen Kindesalter verursacht werden.

    Die später als „Verführungstheorie“ bezeichnete Auffassunä vertrat die Ansicht, daß diese frühen Traumen wirklich erlebt, also keine Phantasien sind, und daß sie eine dauerhafte schädliche Wirkung auf das spätere Leben der von ihnen betroffenen Kinder haben.

    Dieser Vortrag, in dem die Leidensgeschichten von fast zwanzig Frauen beschrieben wurden, fand eine eisige Aufnahme in der Psychoanalytischen Vereinigung und von einem Zuhörer die seltsame Beurteilung, daß dies wie ein „wissenschaftliches Märchen“ klänge_

    Freuds Verführungstheorie drängte ihren Entdecker in eine Isolation, die ihn schließlich eineinhalb Jahre später zur Preisgabe dieser Theorie bewog.

    Auf die Preisgabe der „Verführungstheorie“ hatte der Wiener Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Wilhelm Fließ aufgrund seiner Freundschaft zu Freud großen Einfluß. Sein Sohn Robert Fließ veröffentlichte in seinem Buch „Symbol, Dream and Psychosis“1), daß ihn sein Vater verführt habe. Das zeitliche Zusammenfallen dieses Mißbrauchs und der Veröffentlichung der Verführungstheorie ergeben natürlich eine ungeheure Spannung.

    Tatsächlich schrieb Freud am 21. September 1897 an Wilhelm Fließ einen Brief, in dem er ausdrückt, daß er nicht mehr an seine Theorie der Neurosen glaube. Unter anderem schreibt er: „… Dann die Überraschung, daß in sämtlichen Fällen der Vater als pervers beschuldigt werden mußte, MEIN EIGENER NICHT AUSGESCHLOSSEN (Anm. d. Verf.; Hervorhebung von mir), die Einsicht in die nicht erwartete Häufigkeit der Hysterie, wo jedesmal dieselbe Bedingung erhalten bleibt, während jedoch solche Verbreitung der Perversion gegen Kinder wenig wahrscheinlich ist.“

    Von nun an wird es still um dieses Thema. Erst in den siebziger Jahren werden zu diesem Thema wieder Bücher veröffentlicht. Auch in den Medien ist zu beobachten, daß immer mehr darüber berichtet wird. Ich möchte an dieser Stelle die Schweizer Psychoanalytikerin und Autorin Alice Miller ganz besonders hervorheben.

    PHYSISCHE UND PSYCHISCHE VERLETZUNGEN

    Da auch Säuglinge von sexuellem Mißbrauch betroffen sind, braucht es nicht viel Phantasie, wie grauenhaft zugerichtet solche Kinder sein können. Die folgende Aufstellung physischer Gewaltanwendung stammt aus dem Bericht des österreichischen Familienministeriums:

    • Einrisse und Zerreißungen von After und Vagina
    • Blutungen, Bissspuren
    • Infektionen wie Gonorrhoe, Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten
    • Innere Verletzungen (z.B. Gebärmutter)
    • abgebissene und abgerissene Brustwarzen
    • Striemen im Bereich der Genitalorgane und Oberschenkelinnenseite, die nur bei gespreizten Beinen erzeugt werden können
    • Hämatome des Gesäßes durch Schlagen

    Störungen im sexuellen Leben im Erwachsenenalte sind noch leicht vorstellbar; die Folgen des sexuellen Mißbrauchs behindern aber auch die Entwicklung des Selbst und beeinträchtigen die Bildung eines autonomen Charakters.

    Die Situation des ohnmächtigen Ausgeliefertseins an die geliebte Person schafft eine sehr frühe Koppelung von Liebe und Haß. Diese Ambivalenz bleibt ein wichtiges Merkmal in den späteren Objektbeziehungen. Viele Menschen können sich gar nicht mehr vorstellen, daß Liebe ohne Opfer und Qualen, ohne Ängste mißbraucht zu werden, ohne Demütigungen und Kränkungen, überhaupt möglich ist.

    Die Verdrängung und Abspaltung solcher Erlebnisse führt zu einer Verarmung der Persönlichkeit.

    Frauen, die als Mädchen mißbraucht worden sind, laufen häufiger als andere Gefahr, vergewaltigt zu werden. Mit dem Erlebnis des sexuellen Mißbrauchs werden auch die dazugehörigen Warnsignale mit abgespalten. Der Grund liegt darin, daß diese speziellen Warnsignale sofort die Erinnerung an den sexuellen Mißbrauch wachrufen würden.

    Die Unmöglichkeit, das Trauma zu erinnern, schafft die Notwendigkeit der Artikulierung im Wiederholungszwang. Die einst erfahrene, aber nicht erinnerbare Situation des Ausgeliefertseins und des Mißbrauchtwerdens wird entweder in der aktiven oder in der passiven Rolle, bzw. abwechselnd in beiden perpetuiert. Zu den einfachsten und völlig unbemerkten aktiven Perpetuierungen gehört der Mißbrauch der eigenen Kinder. Ein Beispiel für eine passive Perpetuierung wäre die Prostitution. 70% der Prostituierten und 80% der drogenabhängigen Frauen sind sexuell mißbrauchte Mädchen. Bei diesem Lichte besehen erscheint es logisch, daß die meisten drogenabhängigen Frauen der Prostitution nachgehen.

    GEBILDETE FRAUEN LANDEN AUF DER COUCH DES PSYCHIATERS …

    Man kann davon ausgehen, daß sehr viele Klientinnen, die in Therapie kommen, auch sexuelle Mißhandlungen erlitten haben. Laut profil 5/89 landen gebildete Frauen auf der Couch des Psychiaters, die anderen auf dem Strich.

    Absolute Voraussetzung für die Behandlung ist, daß die Therapeutinnen die Partei der Klientinnen ergreifen! Es ist die Forderung von Alice Miller, sich zum Anwalt des Kindes zu machen; diese Parteinahme muß für die Klientinnen spürbar sein!

    Die Therapeutinnen müssen mit ihrem ganzen Spektrum an Gefühlen Kontakt haben. Das heißt, daß, falls sie selbst Opfer eines Mißbrauches waren, sie Kontakt zu diesen Gefühlen haben müssen, da sonst eine erfolgreiche Therapie nicht gewährleistet ist (Gefahr der Gegenübertragung, keine Wahrnehmungsmöglichkeit für die Therapeutinnen aufgrund der Abspaltung).

    Ich möchte nachfolgend einige Gefühle erwähnen, die einen Hinweis auf ein solches Erlebnis darstellen können:

    • scheinbar grundlose Angst
    • Aggression, die scheinbar grundlos ist sich schuldig fühlen die eigenen Persönlichkeitsgrenzen nicht kennen; das kann zum Beispiel so aussehen, daß die Betroffene nicht spürt, wenn ein anderer Mensch ihr bereits zu nahe ist. Sie spürt es erst, wenn der andere ihre Grenzen weit überschritten hat. Das hat zur Folge, daß das Gefühl der Bedrohung plötzlich sehr stark wird und sie den anderen Menschen vehement wegstößt.
    • das Gefühl, von anderen getrennt zu sein, ist kennzeichnend für Menschen, die in ihrer Kindheit mißbraucht wurden
    • sich schmutzig fühlen, „nie mehr rein sein“; das kann bis zu Wasch- und Putzzwang und anderen Formen von Zwängen führen
    • starke Ekelgefühle
    • ein gestörtes Körpergefühl: die Klientinnen fühlen sich zu dick, zu dünn. Diese Störung kann auch zu einer Eßstörung wie Adipositas, Anorexia nervosa, Bulimie führen. Bei einer normalgewichtigen Frau kann das so aussehen, daß sie sich häßlich macht, um als Sexualobjekt nicht erkennbar zu sein.

    Die Therapeutinnen schaffen eine Atmosphäre der Sicherheit und der stabilen Beziehung zueinander. Die Klientinnen brauchen das Gefühl, mit all ihren Gefühlen, die sie als fürchterlich und grausam empfinden, angenommen zu werden. Sexueller Mißbrauch bedeutet ein gewaltsames überschreiten sowohl der energetischen wie auch der körperlichen Grenzen eines Kindes. Das Wiedererleben traumatischer sexueller Erlebnisse ist mit viel Schmerz verbunden.

    Die Gefühle des hilflosen Ausgeliefertseins drücken sich körperlich in Form von Zurückweichen und Zusammenziehen aus. Darüber hinaus sehen wir zurückgehaltene Wut über den Angriff und die eigene Machtlosigkeit. Diese Gefühle werden oft in Form von Schuldgefühlen retroflektiert. Es ist daher wichtig, die Wut zum Ausdruck zu bringen. Betroffene neigen auch zu Konfluenz, verursacht durch die Abspaltung; daher ist die Arbeit an der Persönlichkeitsgrenze von außerordentlicher Bedeutung.

    Zweifellos ist es ein Ziel in der Therapie, das ganze Spektrum der Gefühle wieder spüren zu können und zu dürfen und sie, ohne sie blockieren zu müssen, zum Ausdruck zu bringen.

    ANHANG:

    1) Robert Fließ, „Symbol, Dream and Psychosis“ (=letzter Band von „Psychoanalytic Series“, 1973)
    QUELLEN:
    Alice Miller, „Am Anfang war Erziehung“, Suhrkamp Verlag, 1983
    Alice Miller, „Du sollst nicht merken“, Suhrkamp Verlag, 1983
    Alice Miller, „Der gemiedene Schlüssel“, Suhrkamp Verlag 1988
    Alice Miller, „Das gebannte Wissen“, Suhrkamp Verlag 1988
    Jack Rosenberg, „Körper, Seele, Selbst“, Transform Verlag, 1989
    Wilhelm Reich, „Die sexuelle Revolution“, Fischer Verlag, 1971
    Jeffrey M. Masson, „Was hat man dir, du armes Kind getan?“, Rohwolt Vlg., 1986 Deutsche ärztezeitung, Juni 1990

    Broschüre des Familienministeruiums, „Sexueller Kindesmißbrauch“

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  • Buk 4/92 Zur Krebstheorie Wilhelm Reichs

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    Bukumatula 4/1992

    Zur Krebstheorie Wilhelm Reichs

    Wilhelm Reich in Skandinavien (1933-1939
    Heiko Lassek:

    Die Weiterentwicklung der psychoanalytischen Technik zu einer auch körperliche Prozesse einbeziehenden und beeinflussenden Therapieform, der Vegetotherapie, führt Reich immer tiefer in das Studium der Physiologie und Biophysik des menschlichen Organismus.

    Seinen Forschungsschwerpunkt bildet nun die Biochemie von Lust und Angst, die Elektrophysiologie der Körperflüssigkeiten und Organe sowie Plasmaströmungen in einzelligen Lebewesen, die keine dem menschlichen Organismus vergleichbaren morphologischen Entsprechungen zum Nervensystem aufweisen.

    An den Universitäten von Kopenhagen und Oslo bekommt Reich die Möglichkeit, in umfassenden Laboruntersuchungen seine Hypothesen zu psychophysiologischen Prozessen unter dem Schwerpunkt der Erforschung der Rolle des vegetativen Nervensystems experimentell zu überprüfen.

    Die mit zahlreichen Mitarbeitern erarbeiteten Ergebnisse publiziert Reich 1938 unter dem Titel „Experimentelle Ergebnisse über die bioelektrische Funktion von Sexualität und Angst“.

    ENTDECKUNG EINER UNBEKANNTEN ENERGIEFORM

    Im Zusammenhang mit der mikroskopischen Untersuchung von Zellen entdeckt Reich einen Zerfallsprozeß an der Grenze des mit Lichtmikroskopen darstellbaren Bereichs. Mehrere Jahre bilden die Untersuchungen von Plasmaströmungen und Zellverfallsprozessen im Grenzbereich zwischen organischer und anorganischer Materie nun seinen Forschungsschwerpunkt. In Zusammenarbeit mit der Universität Oslo und unter großzügiger finanzieller Unterstützung durch Kollegen und Wissenschaftler gelingt es Reich ein Laboratorium aufbauen, das die Erforschung dieser Prozesse mit den zur damaligen Zeit aufwendigsten Laborapparaturen ermöglicht und filmisch dokumentieren kann.

    Die Entdeckung von bläschenartigen Gebilden, die im Prozeß des Strukturverfalls lebender und zum Teil auch anorganischer Materie auftauchen, eine nicht mit herkömmlichen Mitteln zu erklärende Zellstrahlung aufweisen und die zur Organisation amöboid bewegter unbekannter Zellformen tendieren, bildet den Übergang zum naturwissenschaftlichen Hauptwerk Wilhelm Reichs, dessen Ausformulierung seine weitere Forschung bis zu seinem Tode im Jahre 1957 ausmachen wird.

    Diesen an den Grenzen der Auflösung auch heutiger Lichtmikroskope darstellbaren Gebilden gibt er den Namen „Bione“ und interpretiert sie als Übergangsformen zwischen toter und lebendiger Substanz. Reichs Beobachtungen zufolge strukturieren sich Bione spontan – unter Verschmelzung ihrer Membranen – zu größeren Einheiten, organisieren sich schließlich zu einzelligen Lebensformen und emittieren ein spezifisch biologisch wirksame Energie.

    In Kontrollversuchen an verschiedenen europäischen Forschungsinstituten werden diese Beobachtungen bestätigt. Für die offizielle Veröffentlichung durch die französische Akademieder Wissenschaften wird jedoch ein Verzicht auf Reichs dialektisch-materialistischen Erklärungsansatz verlangt. Reich lehnt diese Auflage ab und publiziert die Originalarbeit mit sämtlichen Versuchsprotokollen und Mikrophotografien unter dem Titel „Die Bione – Zur Entstehung des vegetativen Lebens“ im Jahre 1938.

    1939 muß Reich vor dem Faschismus auch aus Norwegen emigrieren; er nimmt das Angebot einer Professur für Medizinische Psychologie in New York an und überführt sein gesamtes Forschungslaboratorium in die Vereinigten Staaten.

    Neben seiner Lehrtätigkeit setzt er die therapeutische Ausbildung von Ärzten in Vegetotherapie und seine biophysikalischen Untersuchungen fort und sichert in der Folgezeit durch zahlreiche Experimente den Nachweis einer Energieform, die er „Orgon“ nennt, wissenschaftlich ab.

    Biologische, thermische, elektrostatische Experimente sowie physikalische Untersuchungen an vakuumisierten Röhren erbringen den Nachweis, daß diese Energieform auch in der Atmosphäre vorhanden ist, von lebenden Organismen in wechselnden Konzentrationen akkumuliert und entladen wird und in Wechselwirkung mit der Sonnenenergie und meteorologischen Prozessen steht.

    Reich und seine Mitarbeiter entwickeln eine Apparatur, die die atmosphärische Orgonenergie akkumuliert; ab 1940 beginnen sie die Wirkung derart konzentrieter Orgonenergie auf biologische Systeme zu studieren.

    BEHANDLUNG AN KREBS ERKRANKTER MENSCHEN

    Bei der Untersuchung von Blut- und Körpersekreten von Labortieren, Mitarbeitern und freiwilligen Versuchspersonen zeigen sich morphologische und energetische Veränderungen an roten Blutkörperchen und entzündlich oder krebsartig veränderten Gewebeproben unter dem Einfluß konzentrierter Bestrahlung mit der „Orgonakkumulator“ benannten Apparatur.

    Reich beginnt 1940 mit systematischen Bestrahlungsversuchen an Krebsmäusen; die an hunderten von Versuchstieren durchgeführten Orgonakkumulatorbestrahlungen führen in zahlreichen Fällen zur Zurückdrängung der Metastasierung, in einigen Fällen zum Verschwinden der Tumoren.

    Gegenüber unbehandelten Kontrollgruppen von Krebsmäusen wird die Überlebenszeit der bestrahlten Tiere deutlich verlängert. 1942 beginnt Reich unentgeltlich mit Krebspatienten zu arbeiten, die von den medizinischen Institutionen als nicht weiter kurativ oder palliativ behandelbar erklärt wurden.

    Bei der Untersuchung der charakterologischen Struktur, der Erforschung ihrer vegetativen Reaktionen auf Interventionen mit seiner in den dreißiger Jahren entwickelten therapeutischen Technik und der kontinuierlichen mikroskopischen Untersuchung von Nativblutpräparaten und Gewebeproben dieser Patienten fließen zwei Jahrzehnte seiner klinischen Erkenntnisse und seiner naturwissenschaftlichen Forschungen in ein umfassendes Verständnis von Gesundheit und Krankheit im menschlichen Organismus zusammen.

    Unter dem Begriff der „Biopathie“ faßt Reich alle Krankheiten zusammen, die sich im Zusammenhang mit einer Störung vegetativer Prozesse im Organismus entwickeln.

    Ausgehend von seinen experimentellen Untersuchungen in den dreißiger und vierziger Jahren, einer Zeit, in der die Erforschung der Grundfunktionen des autonomen Nervensystems auf einem nie wieder erreichten Höchststand der Kenntnis von funktionalen Zusammenhängen (und nicht auf morphologisch orientierter Klassifikation, wie seit der Erfindung der Elektronenmikroskopie) angelangt war, definiert Reich Gesundheit als Fähigkeit eines Lebewesens, in rhythmischer Oszillation zwischen Zuständen des Gerichtetseins auf die umgebende äußere Welt und der Orientierung auf innere Zustände des Organismus hin- und herzuschwingen.

    Das Erlangen bzw. Bewahren dieser z.B. beim Kinde von jedem menschlichen Beobachter unmittelbar wahrzunehmenden Funktion des Einwirkens und Erforschens der umgebenden Welt und der Integration des Neuerfahrenen, Neuerforschten betrachtet Reich auf allen Ebenen, auf denen sich diese Grundfunktion aller lebendigen, komplexorganisierten Substanz zu erhalten und neu zu strukturieren vermag, als Kennzeichen der seelischen und körperlichen Gesundheit.

    „Die Gesundheit eines Menschen ist eben nicht ein Kapital, das man aufzehren kann, sondern sie ist überhaupt nur dort vorhanden, wo sie in jedem Augenblick erzeugt wird. Wird sie nicht erzeugt, dann ist der Mensch bereits krank.“ (Viktor von Weizsäcker, Soziale Erkrankung, soziale Gesundung; Göttingen 1955).- Reich definiert gleichermaßen „Gesundheit“ nicht als Abwesenheit von Einschränkungen, Symptomen, Krankheiten des menschlichen oder tierischen Organismus, sondern im Gegensatz dazu als eine Funktion des Wechselspiels, der Wechselwirkung von Subjekt und innerer und äußerer Welt, als ständig sich verändernde Auseinandersetzung des Organismus mit sich selbst und der ihn umgebenden Welt.

    Wie wenige Psychosomatiker seiner Generation ist Reich an der Erforschung der Auf- und Abwärtseffekte in der Entstehung von Krankheit interessiert und betrachtet den Organismus immer als eingebunden in gesellschaftliche kulturelle und politische Gegebenheiten, Gesundheit und Krankheit als Ausdrucksformen und Widerspiegelung dieser Einflüsse im Individuum.

    „Erzeugen von Wirklichkeit und Erzeugen von Gesundheit gehen Hand in Hand. Gesundsein vollzieht sich als ständiger Auf- und Umbau de konkreten Beziehungen zwischen Lebewesen ur. Umgebung, welche die Befriedigung der vitale Bedürfnisse ermöglichen. Daher stellt die Summ der geglückten Beziehungen zwischen einem Lebe wesen und seiner Umgebung (das heißt die

    Beziehungen, die Bedürfnisbefriedigung zur „Selbstverwirklichung“ ermöglichen) eine befriedigende individuelle Wirklichkeit für de Menschen dar. Auf den kleinsten Nenner gebrach ist also allgemeines Gesundsein das Meistern de Auf- und Umbaus der individuellen Wirklichkeit allgemeines Kranksein gestörte Wirklichkeitsbildung.“ (Thure v. Uexküll, Theorie der Humanmedizin; München 1988).

    Reich bezeichnet diese Oszillation als „Urgegensatz vegetativen Lebens“, mithin als die elementarste Funktion der lebendigen Substanz auf diesem Planeten. Das Studium der polaren Zustände lebendiger Systeme unter dem Gesichtspunkt der Beeinflußbarkeit der Richtung und Amplitude ihrer Oszillation stellt sich als der Forschungsschwerpunkt Reichs in den Jahren 1934 bis 1957 dar. Die naturwissenschaftliche Beschreibung des dieser Oszillation zugrundeliegenden Prozesses, der diese Pulsation des Lebendigen hervorbringenden Energie, führt Reich zu einer grundlegend neuen Sicht psychosomatischer, besser: vegetativ-energetischer Prozesse im menschlichen Organismus.

    Bis zu seinem Lebensende vertraute Reich zutiefst den Prinzipien der Selbstregulation und Selbstorganisation; ihre Erforschung und Beschreibung ist sein Beitrag zu einer Theorie des Lebendigen. Reichs Hauptwerk aber bildet die Herausarbeitung derjenigen Einwirkungen, die diese Funktionen einschränken, blockieren, ja zerstören können und dies fortwährend tun. Notwendigerweise damit verbunden war für ihn die Frage nach einer Umorientierung und Veränderung pädagogischer, medizinischer und sozialer Organisationen.

    All diese angeführten Einwirkungen beeinflussen die Pulsation des Organismus und vermögen seine Lebendigkeit einzuschränken. Reich definiert aus diesem Grunde eine Grunderkrankung des Lebendigen, die, einmal vorhanden, sich in verschiedensten – aus dieser Sicht – symptomatischen Erkrankungen wie Asthma, Herz-, Kreislauferkrankungen, Epilepsie bis hin zu Krebserkrankungen und schizophrener Psychose zu äußern vermag.

    Die Pulsationsstörung beginnt nach Reich immer mit einem überwiegen der Kontraktion, mit einer akut auftretenden Sympathikotonie des vegetativen Nervensystems, einer Erstarrung des energetischen Systems des Organismus. Dieser Zustand geht physiologisch einher mit gesteigerter sympathischer Aktivität, erhöhtem Blutdruck erhöhter Herzfrequenz und gesteigertem Stoffwechsel.

    Wir diese Sympathikotonie chronisch, so kommt es zu einer verminderten Reagibilität des autonomen Lebensnervernsystems, die im Gefäßsystem, in der Versorgung lebenswichtiger Organe, im endokrinologischen sowie im immunologischen System hinein zunächst funktionelle, später morphologische Veränderungen zeitigen kann. Das Endstadium einer solchen langanhaltenden chronischen Kontraktion stellt in der Terminologie Reichs die „Schrumpfungsbiopathie“, d.h. das fast vollständige Erlöschen der Pulsation durch Erschöpfung des sympathischen Systems dar, sie führt in kurzer Zeit zum Tode und spiegelt sich im psychischen System als Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit.

    Um die unter dem Begriff der „Biopathie“ subsummierbaren Prozesse und Erkrankungen schärfer einzugrenzen sind die u.a. von dem amerikanischen Internisten Robert Dew entwickelten Kriterien als sinnvoll zu betrachten, die hier modifiziert und ergänzt genannt werden sollen:

    Biopathien sind Erkrankungen unbekannter Ätiologie, d.h. nach heutiger medizinischer Kenntnis gibt es keine oder mehrere konkurrierende, einander zum Teil widersprechende Erklärungsprinzipien hinsichtlich der Ursache der Erkrankung, wie z.B. bei Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises und der Mehrzahl der Autoimmunkrankheiten. Bei Biopathien entstehen oft funktionelle Symptome/Syndrome zeitlich vor Ausbruch der medizinisch diagnostizierbaren Erkrankung. Biopathien zeigen auch aus traditioneller Sichtweise eine psychosomatische Komponente, die Auftreten, Dauer und Intensität der schließlich zu einzelligen Lebensformen und emittieren eine spezifisch biologisch wirksame Energie.

    subjektiven und/oder objektiven Symptome beeinflußt.

    Biopathien zeigen oft ausgedehnte Zeitspannen von Ausbrüchen und Verschwinden körperlicher Symptome, für die keine offensichtliche oder klinische Erklärung ausreichend ist. Strukturelle Veränderungen zeigen sich in dazu nicht eindeutig korrelierbarer Intensität Biopathien zeigen ihre Symptomatik im gesamten Organismus wie z.B. Arteriosklerose und Hypertonie. Es ist keine umschriebene anatomische Grundlage als krankheitsverursachend isolierbar, zunehmende morphologische Veränderungen begleiten den Prozeß.

    Robert Dew listet den Schweregrad der biopathischen Erkrankung bezogen auf die folgenden verbreiteten Krankheitsbilder in der nachstehend angeführten Reihenfolge auf:

    In seinem 1948 erschienen Hauptwerk „The Cancer Biopathy“ („Die Entdeckung des Orgons, Band II: Der Krebs“) definiert Reich den Begriff der Biopathie unter besonderer Berücksichtigung der Krebserkrankungen in folgenden Worten:

    „Die Krebsgeschwulst ist nur ein Symptom der Krebserkrankung. Daher trifft die lokale Behandlung der Krebsgeschwulst, sei es durch Operation, sei es durch Radium- oder Röntgenbestrahlung, nicht die Krebserkrankung als solche, sondern nur eines ihrer sichtbaren Symptome.

    Auch der Krebstod ist nicht dem Vorhandensein eines oder mehrerer Geschwülste zuzuschreiben. Der Krebstod ist vielmehr der letzte Ausdruck der biologischen Allgemeinerkrankung „Krebs“, die auf Zerfall des Gesamtorganismus beruht. über die Natur dieser biologischen Allgemeinerkrankung gibt die medizinische Literatur keine Auskunft. Die sogenannte „Krebsdisposition“ deutet nur an, daß sich im Hintergrund der Krebsgeschwulst bisher unerforschte Prozesse tödlichen Charakters abspielen. Die typische Krebs-Kachexie dürfen wir nur als letzte, sichtbare Phase des unbekannten Allgemeinprozesses „Krebs“ betrachten.

    Das Wort Krebs – „Disposition“ ist irreführend und nichtssagend. Wir wollen es daher durch den Ausdruck „Karzinom-Biopathie“ ersetzen. Es ist Aufgabe dieser Abhandlungsreihe, den Prozeß nachzuweisen, der die Karzinom-Biopathie begründet. Unter Biopathien wollen wir alle Krankheitsprozesse zusammenfassen, die sich am autonomen Lebensapparat (d.h. am vegetativen Nervensystem und von diesem beeinflußten Geweben und Organen, Anm. des Verf.) abspielen.

    Es gibt eine typische Grunderkrankung des autonomen Lebensapparates, die – einmal in Gang gesetzt – sich in verschiedenen symptomatischen Krankheitsbildern zu äußern vermag. Die Biopathie kann in einem Karzinom resultieren („KrebsBiopathie“, aber ebenso in einer Angina pectoris, einem Asthma, einer kardiovaskulären Hypertonie, einer Epilepsie, Katatonie, paranoiden Schizophrenie, Angstneurose, multipler Sklerose, Chorea, chronischem Alkoholismus, etc.

    Wir wissen noch gar nichts darüber, welche Umstände die Entwicklung einer Biopathie in der einen oder anderen Richtung bestimmen. Wichtig ist uns zunächst das Gemeinsame aller dieser Erkrankungen: Es ist eine Störung der natürlichen Pulsationsfunktion des lebenden Gesamtorganismus. Eine Fraktur, ein lokaler Abszeß, eine Pneumonie, gelbes Fieber, rheumatische Perikarditis, akute Alkoholvergiftung, infektiöse Peritonitis, etc. sind demnach keine Biopathien.

    Sie beruhen nicht auf Störungen der Pulsation des autonomen Lebensapparates, sind bergrenzt und können eine Störung der biologischen Pulsation sekundär herbeiführen. Nur dort, wo der Krankheitsprozeß mit einer Pulsationsstörung beginnt, wollen wir von einer „Biopathie“ sprechen, gleichgültig, in welches sekundäre Krankheitsbild sie ausläuft. Wir können demnach eine „schizophrene Biopathie“ von der „kardiovaskulären Biopathie“, diese wiederum von der „epileptischen“ oder „karzinomatösen“ Biopathie, etc. unterscheiden.

    Dieser Eingriff in die medizinische Terminologie rechtfertigt sich dadurch, daß wir keiner der vielen verschiedenen Erkrankungen des autonomen Lebensapparates beikommen, wenn wir nicht dreierlei tun:

    • Diese Erkrankungen von den typischen Infektionskrankheiten und chirurgischen Unfalls-Krankheiten abgrenzen;
    • ihren gemeinsamen Mechanismus, die Störung der biologischen Pulsation, aufsuchen und aufdecken;
    • ihre Aufsplitterung in die verschiedenen Krankheitsbilder begreifen lernen.

    Die Krebserkrankung eignet sich besonders gut zur Erfassung der Grundmechanismen der Biopathie. In ihr fließen viele Störungen, die die medizinische Praxis angehen, in Eines.

    Sie äußert sich in pathologischem Zellwachstum; eines ihrer wesentlichen Kennzeichen ist bakterielle Intoxikation und Putrifikation; sie beruht auf chemischen ebensowohl wie auf bioelektrischen Störungen des Organismus; sie erzeugt eine Reihe von sekundären Prozessen, wie z.B. die Anämie, die sonst Krankheiten für sich bilden; sie ist eine Erkrankung, in der das zivilisatorische Kulturleben eine entscheidende Rolle spielt; sie geht den Diätetiker ebenso an wie den Hormonforscher und den Virusforscher. „Das lärmende Vielerlei der Erscheinungen der Krebserkrankung verbirgt nur eine gemeinsame Grundstörung.“ (Wilhelm Reich, „Die Entdeckung des Orgon, Band II, Der Krebs“, S.167f., Fischer Verlag, Frankfurt, 1976).

    Krebs ist also für Reich ein langsames Versiegen der Pulsationsfähigkeit des Organismus, dieses zeigt sich in einer lange vor der Diagnosestellung bereits bestehenden, chronisch gewordenen Sympathikotonie:

    • Organsysteme, Gewebe sind chronisch kontrahiert, in ihrer Funktion eingeschränkt;
    • im Blutsystem zeigt sich Anämie und/oder Poikylozytose;
    • Darm und Hohlorgane zeigen Spasmen;
    • an der Hautoberfläche zeigt sich die Kontraktion als Blässe;
    • in der Sexualfunktion als fehlende lustvolle Erregung;
    • im emotionalen Leben des Menschen als Affektsperre; Erlebnisunfähigkeit, charakterliche Rigidität und tiefe Resignation;
    • in der Atmung als chronische Inspirationshaltung.

    Bezogen auf den zeitlichen Verlauf der Entwicklung der Krebskrankheit unterscheidet Reich drei ineinander übergehende Phasen:

    • Kontraktionsphase: Unfähigkeit zur vagotonen Expansion, muskuläre Spasmen, Anämie, charakterliche Resignation.
    • Schrumpfungsphase: Verlust an Körpersubstanz bis zur Kachexie, Schrumpfung der roten Blutkörperchen, Körperschwäche, Verlust der allgemeinen Widerstandskraft.
    • Fäulisphase: Energieverlust auf zellulärer Ebene, Überflutung des Organismus mit Tumorzellen und Tumorabbauprodukten, Tod.

    BEHANDLUNG DURCH ORGONENERGIE

    Der Ansatzpunkt der von Reich entwickelten therapeutischen Technik ist der Versuch, die chronische Symathikotonie/Kontraktion des Vegetativums bei an Krebs erkrankten Menschen aufzuheben.

    „Das Wesen der Orgontherapie (nicht nur beim Krebs, sondern auch bei allen Biopathien, die einer Kontraktion oder Schrumpfung des Lebensapparates entsprechen) besteht nun zunächst in der Aufhebung der Kontraktion und der Erzeugung einer Expansion. Ist der Organismus befähigt wieder zu expandieren, die Gefäße zu erweitern, Blut in die Haut und in die Gewebe zu treiben, Wasser und Nährstoffe in die Gewebe aufzunehmen, den Darm wellenartig bewegen zu lassen, die gespannten Muskeln zu lockern, kurz das gesamte autonome Lebenssystem zu strecken,

    dann folgt die Pulsation von selbst, dann stellt sich der Zustand des lebendigen Funktionierens ein, den wir als Pendeln zwischen Kontraktion und Expansion, eben als biologische Pulsation bezeichnen.“ (Reich, a.a.O., S 299).

    Die Grundlage der Orgontherapie ist also eine Beeinflussung des organismischen Energiehaushaltes. Die Schrumpfungsbiopathie entwickelt sich über Jahre hinweg vor der Diagnosestellung einer malignen Entartung; Reich entwickelte diagnostische Verfahren auf der Grundlage seiner biologischen Forschungen, um diese Allgemeinerkrankung vor dem Ausbruch eines Tumorgeschehens zu erfassen und bereits in dieser Phase mit der Orgontherapie zu beginnen.

    Reichs Behandlungsergebnisse an Patienten im finalen Stadium der Krebserkrankung faßt der Wiener Autor Dr. Gerald Pohler in einem 1989 publizierten Werk über psychosomatische Krebsentstehung folgendermaßen zusammen:

    „Reich hat 1943 Ergebnisse seiner experimentellen Therapie mit Krebskranken veröffentlicht. 15 Patienten, von denen 13 von der Schulmedizin aufgegeben worden waren, erlebten alle zumindestens Erleichterung ihrer Schmerzen. Bei allen wurden die Tumore kleiner. Brusttumore verschwanden vollständig. Bei vier Patienten kam es zu normalem Knochenwachstum, das die Metastasen verdrängte. Sechs Patienten, die völlig arbeitsunfähig waren, konnten wieder ihrem Beruf nachgehen. Fünf Patienten – von ihren Arzten als hoffnungslos aufgegeben – mit inoperablen Tumoren, überlebten mindestens noch zwei Jahre und waren zur Zeit der Veröffentlichung bei guter Gesundheit.“ (G. Pohler, „Krebs und seelischer Konflikt“, S.109, Nexus Verlag, 1989).

    Die experimentelle Krebstherapie Reichs bestand in seinen Tierexperimenten wie in der Therapie krebskranker Menschen, in dem Einsatz des Orgonakkumulators, in einzelnen Fällen begleitet von der psychosomatisch orientierten Vegetotherapie.

    Die Begleiterscheinugen der Therapie zeigen sich

    • objektiv
      1.1. als erstes System reagiert das Blut; die Erythrozyten werden praller, zeigen eine stärkere Membrankohäsion, Strahlungsphänomene nehmen zu. Die Poikylozytose verschwindet.
      1.2. Tumoren werden (dies wurde durch zahlreiche von Reich hinzugezogene Pathologen dokumentiert), teilweise resorbiert
    • subjektiv
      2.1. Beginnende Expansion des Organismus: Appetitzunahme, Gewichtszunahme, Nachlassen von Schmerzen und Übelkeit, gesteigerte Hautdurchblutung, zunehmende Vitalität.
      2.2. Zunahme der Lebendigkeit, Empfindung lustbetonter Sensationen auch im Genitalbereich, teilweise auch reaktive Angst- und Schuldgefühle aufgrund der Empfindungen.

    Reich beschreibt in seiner Kasuistik, daß es in der Orgontherapie einen, die Erfolge limitierenden „Umschaltpunkt“ gibt: wenn die Rufladung des Organismus erreicht wird, die für die Beeinflussung des Krankheitsgeschehens aufrechtzuerhalten weiter notwendig ist, die aber in gleicher Weise vom Organismus aufgrund seiner Gewöhnung an ein Funktionieren auf einem schwachen Energieniveau nicht tolerabel ist. An diesem Punkt muß der Versuch erfolgen, mit der charakteranalytischen Vegetotherapie dem betroffenen Menschen eine

    Wahlmöglichkeit zum Umgang mit neuen Denk- und Verhaltensstrukturen zu ermöglichen, die mit einem dauerhaft gesteigerten Energieniveau des Organismus korrelieren können.

    Die von Reich beschriebenen Behandlungserfolge sind beachtlich. Ein nicht abzuschätzender Vorteil gegenüber anderen Therapieverfahren liegt in der Zufuhr einer seinen Forschungen zufolge körpereigenen Energieform und nicht wie in der herkömmlichen Medizin zur Anwendung kommenden harten Röntgenstrahlung und/oder Chemotherapie.

    Viele mit Krebskranken arbeitende Ärzte und Therapeuten kennen einen tiefen Ausdruck des „Nein zum Leben“ (besser: zu einem lustbetonten Leben bei schwerkranken Menschen, das biographisch weit länger zurückreicht als die Diagnose der Erkrankung). Für Wilhelm Reich war die Arbeit mit diesem unendlich tief im Organismus verankerten Ausdruck ein Schwerpunkt seines Lebenswerkes. Als Zusammenfassung seiner biophysikalischen und psychosomatischen Erkenntnisse formulierte er 1949: „Es ist tiefen-psychologisch korrekt zu sagen, daß der Affekt der Abwehr des Neinschreiens, in diesem (Schilderung eines Behandlungsverlaufs, Anm. d. Verf.) Falle ‚eingeklemmt‘ war.

    In der biologischen Tiefe dagegen ging es nicht um ein festgeklemmtes NEIN-NEIN, sondern um die Unfähigkeit des Organismus JA zu sagen. Positives, hingebendes Verhalten im Leben ist einzig und allein dann möglich, wenn der Organismus als ein totales ganzes funktioniert; wenn die plasmatischen Erregungen mit den dazugehörigen Emotionen ungehindert alle Organe und Gewebe passieren, wenn, kurzerhand, die Ausdrucksbewegungen des Lebendigen frei ablaufen können.“ (W. Reich, „Charakteranalyse“, S. 386; Kiepenheuer 8 Witsch, 1976).

    (Erstveröffentlichung: „Krebsforum“, 17.10.90) Kontaktadresse: Dr. Heiko Lassek, W.R.I., D-1000 Berlin, Delbrück Str. 9)

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    Bukumatula 5/1992

    Die Todkranke Katze im Perpetuum Mobile

    Vom Orgonakkumulator und der Alternativmedizin
    Nadine Hauer:

    Ein Holzkasten mit Fensteröffnung, rund 1,40 Meter hoch, einem halben Meter breit und etwa 70 cm tief. Darin eine Sitzgelegenheit. Innenausstattung: Holzfaserplatten, verzinktes Eisenblech, Schichten aus Mineral- und Stahlwolle.

    Wegen dieser „Holzhütte“, die als Orgonakkumulator bereits in die Geschichte der Medizin eingegangen ist, wurde seinem Erfinder Wilhelm Reich in den USA 1954 der Prozeß gemacht. Er endete mit der gerichtlich verordneten Zerstörung aller Orgonakkumulatoren und der Verbrennung aller einschlägiger Bücher auf dem Anwesen Reichs in Maine und einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren für den Orgonmediziner.

    Der von der amerikanischen „Food and Drug Administration“ als gefährlich eingestufte und massiv verfolgte Orgonakkumulator gilt etablierten Analytikern, Therapeuten und Ärzten – auch Reich-Anhängern unter ihnen – als „Unsinn“, Hirngespinst“ und „Placebo wie viele Medikamente“. Er wird aber von Praktikern in der Alternativmedizin mit ähnlichen Erfolgen eingesetzt wie die Akupunktur und die Homöopathie.

    So wie Reich politisch versuchte eine Brücke zwischen Psychoanalyse und Marxismus zu schlagen, so versuchte er in der Medizin, Seele und Körper miteinander zu verbinden.- Als Zweig der sogenannten „Bionversuche“ begann Reich mit der Krebsforschung, die in der Erkenntnis gipfelt, auch Krebs habe mit Psychosomatik zu tun.

    Die Gegnerschaft ist stark geblieben. Sie reicht, wie gesagt, von „Schwachsinn“, „Einbildung“ bis zu „gefährlich“. Kein Wunder daher, daß es keine Laboratorien gibt, die großangelegte und längerfristige Versuche und damit brauchbare (Nicht) Ergebnisse ermöglichen könnten. Die nachweisbaren Erfolge entstehen durch die Praxis einiger weniger, die lieber im Verborgenen werken.

    So auch ein bereits pensionierter Arzt in Oberösterreich, der nicht genannt werden will. Nennen wir ihn Dr. A. Wie ist Dr. A. auf Wilhelm Reich und den Orgonakkumulator gestoßen?

    Er hat Medizin studiert und ist 1950 Arzt geworden. Schon 1953 hat ihn die Homöopathie interessiert, er bezeichnet sich selbst als „alter Grüner in der Alternativmedizin“. Sein ältester Sohn, der ebenfalls Arzt geworden ist, hat ihm vor einigen Jahren Schriften von Wilhelm Reich über den Orgonakkumulator gebracht. Dr. A. hat sich sofort dafür interessiert und sich nach Plänen von Reich in Tirol einen Orgonakkumulator bauen lassen. Dieser Tiroler hat ihm erzählt, daß er seine todkranke, vom Tierarzt bereits aufgegebene Katze, mit dem Akkumulator behandelt hat; nach drei Tagen war die Katze gesund und ist gesund geblieben.

    Die Katze ist bereits ein Hinweis auf eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Akkumulators: vegetative Sensibilität, die ja auch als Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung mit Akupunktur und Homöopathie gilt. Daher gibt es selbstverständlich auch viele, die auf den Orgonakkumulator nicht reagieren.

    Die Erfahrungen von Dr. A. zeigen, daß der Orgonakkumulator vor allem bei psychosomatischen Erkrankungen wirken kann. Eine genaue Untersuchung und ein ausführliches Gespräch gibt dem Arzt die Möglichkeit festzustellen, ob ein Patient mit einer bestimmten Erkrankung ein „Akkumulatorfall“ ist oder nicht. Die Aktivierung des Sympathicus durch den Akkumulator bedeutet auch eine Aktivierung des Immunsystems. Diese positive Wirkung kann sich ins Gegenteil umkehren, wenn eine anlagemäßige Immunschwäche vorliegt, weil diese durch den Akkumulator ebenfalls verstärkt wird. Wird das übersehen, so kann eine Behandlung mit dem Akkumulator tatsächlich gefährliche Auswirkungen haben.

    Eine erfolgreiche Verwendung des Akkumulators bei Brandwunden und anderen Verletzungen bestätigt auch Eva Reich, die Tochter Wilhelm Reichs, die in den USA lebt. Ihre Tochter setzt ihn in ihrem Beruf als Krankenschwester häufig ein. Ohne Medikamente werden damit Infektionen verhindert, auch der Heilungsprozeß verläuft schneller.

    Dr. A. hat außerdem erfolgreich versucht, den Akkumulator nicht nur bei akuten Erkrankungen anzuwenden. Seit Jahren behandelt er ein gehirngeschädigtes Kind, bei dem als Folge der Gehirnschädigung immer wieder totale Schwächezustände auftreten. Mit dem Orgonakkumulator gelingt es ihm immer wieder, das Kind „aufzubauen“ und die Schmerzzustände zu erleichtern und abzukürzen. Ohne Nebenwirkungen und so oft wie erforderlich. Dr. A. bezeichnet den Akkumulator für sich selbst als „Liebhaberei“; fast niemand weiß, daß er damit arbeitet. Mit den sonstigen Ideen Reichs – politisch, therapeutisch – ist er nicht einverstanden, aber „an der Orgonenergie ist vielleicht doch etwas dran“.

    Aber, so Dr. A., auch viele junge Ärzte, die sich während ihres Studiums „alternativ“ orientiert haben, beginnen sehr rasch, sich zu spezialisieren und die „Ganzheit“ zu vernachlässigen. Und so wird der Orgonakkumulator wohl noch lange Zeit eine Liebhaberei einiger weniger bleiben.

    Erstveröffentlichung: „Mobil“ 1986; gekürzt

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    Bukumatula 5/1992

    Vor allem schätze ich die Interpretation Reich´s

    Interview mit Günther Hebenstreit zu seiner Diplomarbeit
    „Die psychologischen Effekte des Reichschen Organakkumulators“
    Wolfram Ratz:

    … interessiert hat mich von Beginn an die unterschiedliche Herangehensweise an Untersuchungen von seiten der Naturwissenschaft und der von Wilhelm Reich. Es gibt da Differenzen, die kaum zu überwinden sind. Das ist für mich jetzt sehr viel klarer geworden, wo ich meine Arbeit durchgeführt und einiges an Theorie geschrieben habe.- Reich hat ganzheitlich geforscht. Die Naturwissenschaften sind so im Detail, daß ich das Gefühl gehabt habe, daß ich, wenn ich nicht aufpasse, mich darin verstricke und das ganze so kompliziert wird, daß ich den Gesamtzusammenhang aus den Augen verliere. Was das Werk Reichs kennzeichnet ist seine Beschreibung von sehr einfachen Phänomenen, wo ich mir denke, ist eh klar, das leuchtet ein.

    ‚Seine Theoriebildung darf man dadurch aber keinesfalls unterschätzen. Er ist Schritt für Schritt vorgegangen und er ist sehr weit gegangen. Diesem Weg aber zu folgen ist für mich schon eine große Schwierigkeit. In der Naturwissenschaft, in den Einzeldisziplinen, gibt es dieses Problem nicht so. Da ist alles schon in einem festen, eingefügten Rahmen. Es gibt viel Sicherheit, es gibt eine Menge an definierten Methoden und die dazugehörigen Meßinstrumente. Das gibt es bei Reich in einem sehr viel geringerem Maße. Was das ganze erschwert ist, daß, wenn ich zum Beispiel Muskelspannungen messe, so wie es in der Psychophysiologie gehandhabt wird und das auf die Reichschen Untersuchungen anwende,

    es zu Unklarheiten kommt, weil Reich mit Muskelspannung teilweise etwas ganz anderes assoziiert hat (Muskelspannung im Zusammenhang mit Emotionen) als das, wofür es in der herkömmlichen Naturwissenschaft entwickelt wurde. Die gesamtheitliche Herangehensweise und der energetische Blickpunkt beinhalten jedenfalls sehr große Unterschiede zur naturwissenschaftlichen Einzelwissenschaft.“

    B.: Wie bist Du dazu gekommen den Orgonakkumulator zum Thema für Deine Diplomarbeit auszuwählen?

    G.: Das geht relativ weit zurück. In meiner Oberstufenzeit im Gymnasium war ich daran interessiert, was es in der Humanistischen Psychologie so an Lebens- und Erziehungsstilen gibt. Ich habe damals viel von A.S. Neill gelesen. Und dort ist unter anderem auch Reich vorgekommen; Wilhelm Reich, Sexualität, die Orgontheorie etc. Dann ist mir ein Buch über Reich von David Boadellal) in die Hände gefallen. Das habe ich gleich durchgeschmökert und mir gedacht, hm, das klingt gut. Nach der Matura habe ich begonnen Psychologie zu studieren. Mit Reich setzte ich mich ab dem zweiten Semester intensiver auseinander. Es hat mich damals schon gereizt eine Diplomarbeit aus diesem Themenkreis auszuwählen. Einige Zeit später bekam ich die Arbeit von Stefan Müschen ich und Rainer Gebauer2) zum Lesen. Ich wußte, daß ich auch etwas in dieser Richtung machen möchte und daß das auch in Wien möglich sein sollte.

    B.: Wie haben Deine Professoren darauf reagiert, daß Du den Reichschen Orgonakkumulator zum Thema Deiner Diplomarbeit ausgesucht hast?

    G.: Das ist unterschiedlich aufgenommen worden. Ich habe auch zweimal meine Betreuer gewechselt. Mein erster Betreuer, Dozent Bauer, hat sich damit nicht ausgekannt. Ich habe ihm das Buch von Stefan und Rainer gegeben und er hat gemeint „ja, warum nicht“. Aber nach einiger Zeit, als ich ihn wieder fragte, ob er sich tatsächlich dazu entschieden hätte, schien er verunsichert. Es hat sich zwei, drei Monate hingezogen bis ich ihn wieder fragte, ob er mich grundsätzlich betreuen würde, worauf er sagte: „Nein!“. Ich war darüber anfangs ziemlich enttäuscht. Ich bin dann zu Professor Guttmann gegangen und habe ihm mein Konzept vorgelegt. Er hat gemeint, das Vorhaben klingt interessant, daß es aber nur bei einem seiner Assistenten möglich wäre. Mit ihm ging es aber auch nicht, wir ‚konnten nicht miteinander‘. Er hatte zwar einiges an Wissen über Reich, aber er hat sehr viel von sich selber, wie das viele andere ja auch tun, hineininterpretiert. So eigene Ansichten vermischt mit dem was Reich geschrieben hat über die Einstein-Affäre und die UFO’s. Er hat mir das so hingeschmissen, ohne zu wissen, worum es mir ging. Und dann habe ich nochmals meinen Betreuer gewechselt.- Ich muß dazu sagen, daß ich erst im Laufe der Zeit, nachdem ich diese unerfreulichen Erfahrungen gemacht habe, mir die Frage stellte: Was will ich eigentlich, was ist das Ziel meiner Arbeit? Ich habe leider einiges von mir selber an Unklarheit in die Situation eingebracht. Sobald ich mir darüber jedoch im klaren war, gab es kein Problem mehr mit meinem Professor auszukommen. Professor Vanecek war neutral bis positiv meinem Vorhaben gegenüber eingestellt und hat meine Arbeit angenommen.

    B.: Was war das Ziel Deiner Untersuchung?

    G.: Es war nicht mein Ziel Reich bestätigen oder widerlegen zu müssen, sondern einfach meine Lust am Experimentieren. Meine Arbeit habe ich doch sehr an die Schulpsychologie anlehnen müssen, da sie im Rahmen einer Diplomarbeit ablief. Wie schon erwähnt, bin ich dabei auf die Schwierigkeiten zur Überbrückung der ganzheitlichen Herangehensweise Reichs im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Einzelwissenschaften, gestoßen. Ich stellte mir die Frage, ob dabei ein Konsens zu finden ist, bzw. wenn nicht, worin diese Unterschiede liegen. Das war für mich eine sehr interessante Herausforderung; geschrieben wurde ja darüber viel, aber es auch selbst zu erfahren ist etwas anderes.- Vor allem aber schätze ich die Interpretationen Reichs sehr. Auch in der Physiologie und in der Psychologie gibt es vieles, was bei Reich vorkommt, z.B. Elemente der Orgasmustheorie, der Lust und Angst Antagonismus etc., aber die zusammenfassende Sichtweise und Interpretation ist eine ganz andere und geht über die Einzelwissenschaft weit hinaus.

    B.: Nach dem orgonomischen Funktionalismus sind eigentlich die Forschungen Reichs und die der Naturwissenschaft ident.

    G.: So wie Reich geforscht hat stimmt das. Diese Herangehensweise ist der akademischen Naturwissenschaft, die sich intensiv mit Details und der Erscheinung ihres Untersuchungsobjekts beschäftigt, aber nicht bekannt. Vielleicht gibt es ansatzweise Ähnlichkeiten bei den Systemtheorien, aber da weiß ich zu wenig darüber. Dieses Schema von Gegensätzlichkeit bei gleichzeitiger funktioneller Identität hat Reich nur entwickeln können, weil er eine gesamtheitliche Sichtweise immer beibehalten hat.

    G.: Ich habe versucht herauszufinden, ob es bei einmaligen Sitzungen im Akkumulator meßbare Effekte gibt, sei es in der subjektiven Wahrnehmung, der Befindlichkeit oder sei es bei physiologischen Parametern, wie der Fingertemperatur, dem Hautwiderstand, der Pulsfrequenz, etc. Stefan und Rainer haben zehn Personen zehnmal an aufeinanderfolgenden Tagen in den Akkumulator hineinsitzen lassen. Ich habe versucht möglichst viele Personen einmal den Akkumulator benutzen zu lassen und zu schauen, wenn es unterschiedliche Reaktionsmuster gibt – die einen fühlen sich darin wohl, die anderen unwohl – worin die Differenzen bestehen. Ich versuchte eventuelle Unterschiede über Persönlichkeitsfaktoren wie Kontrollverhalten und Ängstlichkeit, bzw. über die vegetative Grundorientierung – Sympathicotoniker oder Vagotoniker – festzustellen.

    B.: Wie war die Versuchsanordnung?

    G.: Im Vorversuch waren es 3 und im Hauptversuch 61 Personen, die ich den Akkumulator benutzen ließ. Ich wollte wie gesagt wissen, ob auch bei einer einmaligen Sitzung Wirkungen feststellbar sind. Eine Einschränkung dabei ist, daß es durch eine einmalige Anwendung keinen entsprechenden Aufladungseffekt gibt und ich z.B. die ganzen Blutparameter, die sich erst im Laufe der Zeit umstellen würden, dadurch nicht messen konnte. Gemessen wurden die Kerntemperatur, die Fingertemperatur, die Fußtemperatur und die Muskelspannung auf der Stirn, der Puls und der Hautwiderstand. Zum Teil habe ich dazu selber die Geräte aufgetrieben und gemeinsam mit Bernhard Harrer auf sinnvolle Weise zusammengesetzt. Die Meßwerte wurden automatisch über Computeranalyse aufgezeichnet.

    B.: Kannst Du den Versuchsablauf genauer beschreiben?

    G.: Es gab eine Attrappe und einen neunschichtigen Orgon-Akkumulator. Es war ein „Doppelblindversuch“, d.h. weder der Versuchsleiter, noch die Versuchspersonen wußten, ob jetzt der Akkumulator oder die Attrappe benutzt wird. Die Attrappe dürfte mir gelungen sein. Von den 61 Leuten haben lediglich vier bemerkt, daß sie in zwei verschiedenen Kästen gesessen sind.

    Der Kasten stand hinter einem Vorhang, um nicht von vornherein Aufmerksamkeit zu erregen. Am Anfang gab es eine Instruktion, was auf sie zukommt. Offiziell ist das ganze unter dem Thema gelaufen – quasi eine

    Fehlinformation für die Versuchspersonen – „Die Wirkung von elektromagnetischen Feldern auf den menschlichen Organismus“, als ein Versuch „den Organismus von elektromagnetischen Feldern zu isolieren“. Das hat für die meisten sehr plausibel geklungen, kaum jemand hat nachgefragt. Die meisten waren Studenten, aber auch einige Berufstätige waren dabei. Vor der Sitzung gab es eine etwa zehnminütige Ruhezeit. Dann haben meine Helfer die Versuchsperson in den Kasten gesetzt; ich selbst wußte nicht in welchen, ca. dreißig Minuten lang. Vor und nach dem ersten Versuch, bzw. vor und nach dem zweiten Versuch mußten Fragebögen über die subjektive Befindlichkeit ausgefüllt werden. Dazu verwendete ich Standardtests aus der Psychologie. Nach der ersten Sitzung hat die Versuchsperson einen Test ausgefüllt über mögliche subjektive Veränderungen während der Sitzung; Wahrnehmungen, Empfindungen wie Darmgeräusche, Wärme im Körper, Wärme von den Wänden, Langeweile, Müdigkeit, etc. In der Pause wurden – für die Versuchspersonen unbemerkbar – von meinen Helfern die Kästen ausgetauscht, so daß sie immer am selben Standplatz waren. Als Persönlichkeitstest habe ich den Giessen-Test verwendet, der eher auf psychoanalytischen Kriterien aufbaut und einen Angstfragebogen weil ja das Lust-Angst-Prinzip im Reichschen Modell sehr wichtig ist. Ich habe mir gedacht, daß es bei ängstlichen Leuten im Orgonakkumulator zu anderen Reaktionen kommen könnte als im Kontrollkasten. Und dann verwendete ich noch einen Test zur Ursachenzuschreibung. Insgesamt hat das ganze ca. drei Stunden gedauert.- Ich habe eben probiert, muß ich ehrlich sagen.

    B.: Welche „vorläufigen Endergebnisse“ liegen bis jetzt vor?

    G.: Beim statistischen Vorgehen, wie es eine solche Arbeit erfordert, habe ich bei den physiologischen Meßgrößen wie bei der Fingertemperatur und beim Hautwiderstand signifikante Veränderungen zwischen Akkumulator und Attrappe festgestellt. Der Hautwiderstand ist während der Sitzung im Akkumulator niedriger, das heißt die Personen sind aktivierter, wacher, präsenter. Die Fingertemperatur ist im Akkumulator deutlich erhöht. Und das mit einer 5% Irrtumswahrscheinlichkeit bei der Einzeltestung. Bei der multivarianten Testung – da werden alle meßbaren Parameter zusammengefaßt, ist der Unterschied zwischen Akkumulator und Attrappe bei 5% signifikant. Das heißt, ein Unterschied ist ersichtlich, jedoch nicht allzu überragend. Bei der Pulsfrequenz und der Kerntemperatur fanden sich keine Unterschiede, nur bei der Muskelspannung auf der Stirn gab es leichte Tendenzen zu Veränderungen, ebenso bei der Fußtemperatur.

    B.: Das sind die Ergebnisse der physiologischen Messungen.

    G.: Ja, dann gibt es noch Unterschiede bei den subjektiven Veränderungsfragebögen, die ich jeweils nach den Sitzungen vorgelegt habe; und zwar bei der Wärme aus dem Körperinneren, bei der Wärme von den Wänden mit einer 5%igen Irrtumswahrscheinlichkeit und bei Darmgeräuschen. Bei einem Befindlichkeitsfragebogen. wo man Polaritätskonflikte einstuft, etwa müde-wach, unruhig-gelassen, ängstlich-nicht ängstlich, etc.. etwa 16 Fragen, da gibt es keine signifikanten Unterschiede. Das ist individuell äußerst unterschiedlich.

    B.: Wann wirst Du mit der Ausarbeitung fertig sein?

    G.: Voraussichtlich Ende des Jahres. Die ganze Sache war sehr umfangreich und aufwendig. Bei weiteren Versuchen zur Orgonenergie – dazu ist auch eine

    Arbeitsgruppe im Enstehen ist – würde ich mit möglichst einfachen Mitteln arbeiten, nicht mehr mit dem Akkumulator, das ist zu unpraktisch, eher mit Orgondecke oder -kissen. Ich würde das subjetive Erleben viel genauer berücksichtigen und schauen, ob es auch über einen zeitlichen Verlauf hin Effekte gibt.

    B.: Wer hat das ganze Projekt finanziert?

    G.: Anfänglich habe ich alles selber bezahlt. Ich habe aber viel an Unterstützung bekommen. Ich habe von der Universität ein Förderstipendium in Höhe von S 14.000.- erhalten. Weiters wurde mir ein Computer zur Verfügung gestellt, der für die Datenerfassung unerlässlich war, und zwar von Rudolfo Ferrari, einem guten Freund aus der Schweiz, dem ich zu großem Dank verpflichtet bin. Von einigen Firmen erhielt ich relativ teure Bauteile wie Elektroden, Meßplatinen etc. Bedanken möchte ich mich auch bei all den vielen Leuten, die mir Informationen gegeben haben und mir auch praktisch geholfen haben, zum Beispiel Albin Steck und Bernhard Harrer, allen Versuchspersonen und natürlich auch dem Reich Institut, das für mein Stipendium ein ermunterndes Schreiben formuliert hat.- Insgesamt habe ich etwa S 85.000.- dafür aufgewendet.

    B.: An der Universität Innsbruck wurde vor kurzem von Albin Steck ein Experiment zur Orgontheorie Reichs durchgeführt.

    G.: Ja, Albin Steck, der aus Südtirol stammt und in Innsbruck Psychologie studiert, hat im Rahmen des Versuchsplanungspraktikums, wo man im ersten Studienabschnitt kleinere Experimente zu selbstgewählten Themen machen kann, eine Untersuchung zum Medical-DOR-Buster mit einer ganz einfachen Vorrichtung durchgeführt.- Man kann auch mit sehr einfachen Mitteln durchaus sinnvoll forschen. Er hatte auch einen guten Professor, der ihn betreut hat. Es gibt sicher eine Reihe von Professoren, bei denen auch bei uns derartige vor, daß Reich nicht mehr so stigmatisiert ist.

    B.: Du hast erwähnt, daß eine Arbeitsgruppe gegründet wurde …

    G.: Ja, die ist im Moment im Aufbau begriffen. Es geht um das gesamte Werk Wilhem Reichs. Nicht nur Texte lesen und Reich diskutieren, sondern auch praktische Versuche sind geplant.

    B.: Es gibt schon viele Untersuchungen zu den Reichschen Forschungen – ich denke da in erster Linie an die Aktivitäten in Berlin. Was kann bei weiteren Forschungen denn herauskommen?

    G.: Zum ersten ist es ein Ziel unserer Arbeitsgruppe zu schauen, daß wir die Thematik, so wie sie Reich behandelt, selber verstehen und zur Überprüfung der orgonomischen Forschungen Reichs ein vernünftiges Inventar an Untersuchungsmethoden weiterentwickeln. Zweitens zu schauen, ob es Ansätze gibt, wo man weiterarbeiten kann, um vom ewigen Reproduzieren wegzukommen. Wir sind eine Gruppe von Psychologiestudenten und machen das einfach, weil es uns Spaß macht mit der Literatur Reichs zu arbeiten. Leute, die an dieser Gruppe interessiert sind, sind sehr herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.

    B.: Es hat ja in der Vergangenheit hier schon viele Arbeitsgruppen gegeben, die über kurz oder lang, meistens über kurz, sich wieder aufgelöst haben.

    G.: Ich weiß nicht, wie lange sie bestehen bleiben wird; ich vertraue dem Prinzip der Selbstregulation und finde, daß es zumindest einen Versuch wert ist. Probieren geht allemal über Studieren.

    Stefan Müschenich und Rainer Gebauer, Der Reichsche Orgonakkumulator, 266 S.; Nexus Verlag, Frankfurt, 1987.
    David Boadella, Wilhelm Reich, 366 S.; Scherz Verlag, Bern, 1981.

    KONTAKTADRESSE:
    Günter Hebenstreit
    Kettenbrückengasse 11/15
    1050 Wien
    Telefon: 0222/5759122.

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    Bukumatula 6/1992

    10 Jahre Wilhelm Reich Institut in Wien

    Dokumentiert von
    Wolfram Ratz:

    1968, als die Studenten die hierarchisch versteinerten Universitäten in Basare kritischer Ideen verwandelten und auf den Straßen Parolen von einer gerechteren Welt skandierten, war Wilhelm Reich, nachdem von ihm eine kleine Ewigkeit niemand mehr Notiz genommen hatte, in aller Munde.

    Seine vergessenen Bücher gingen über Nacht in Raubdrucken von Hand zu Hand, und sein Name wurde plötzlich in einem Ton ausgesprochen, den Reich zu seinen Lebzeiten wohl eher selten vernommen hat: im Ton einer gewissen Verehrung.

    Trotz der Reich-Renaissance seit 1968 brauchte es noch eine ganze Weile, bis sich diese Aufbruchstimmung auch in Österreich in Initiativen niederschlug.

    Die erste Gruppierung in Österreich, die sich zu einem guten Teil der Ideen Wilhelm Reichs annahm, war die 1975 gegründete AIKE (Arbeitskreis für individuelle und kollektive Emanzipation). Nach den in Österreich erstmals abgehaltenen Reich-Tagen an der Universität Salzburg unter Igor Caruso fand im gleichen Jahr in Wien, im November 1982, eine zweieinhalb Wochen dauernde Reich-Tagung mit Experten aus dem In- und Ausland statt. Sie wurde von der AIKE organisiert und fand große Beachtung.

    In dieses Jahr der Aktivitäten fiel auch die Gründung des Wilhelm Reich Institutes in Wien.

    1982 – 1986

    1980 hatte Peter Bolen, Facharzt für Psychiatrie und damals Chefarzt der Wiener Gebietskrankenkasse, begonnen, seine Erfahrung und sein Wissen, das er in Reichscher Körpertherapie in den USA erworben hatte, einer ersten Ausbildungsgruppe weiterzugeben. Die Teilnehmer dieser Ausbildungsgruppe waren auch die Gründungsmitglieder des Wilhelm Reich Institutes.

    Im Dezember 1982 wurden die Statuten bei der Vereinsbehörde eingereicht. Darin finden sich als vorrangige Zielsetzungen:

    die Erforschung, Ausbildung und Anwendung körperorientierter Psychotherapie

    die Integration psychotherapeutischer Verfahren

    die Neurosenprophylaxe und die Hilfestellung für Therapiesuchende

    die Wiederbelebung und die Konfrontation einer breiteren Öffentlichkeit mit Reichschem
    Gedankengut.

    In den Protokollen steht nachzulesen, daß sich die Ausbildung in körperorientierter Psychotherapie „im wesentlichen an ursprünglich von Reich entwickelten Ideen und therapeutischem Handeln zu orientieren hat“ und „daß das Bekenntnis zu einem von Reich formulierten Menschenbild und zu seinen gesellschaftspolitischen Anschauungen ein gemeinsames Fundament darstellt.“

    Die ursprünglich 12 Mitglieder wurden durch Absolventen der insgesamt drei von Peter Bolen geleiteten WRI-Ausbildungsgruppen im Laufe der Jahre „verstärkt“. Zur Generalversammlung im Jänner 1985 fanden sich 26 Mitglieder ein – eine bisher nie erreichte Teilnehmerzahl.

    Neben internen Initiativen wie Intervisions- und Supervisionsgruppen, Vorträgen, etc. gab es in dieser Zeit auch eine Reihe von externen Theorieveranstaltungen mit Vortragenden wie Alfred Pritz, Gernot Sonneck, Richard Picker, Martin Wolkersdorfer, Hans Zimprich, Hans-Peter Bilek u.a.

    Das Vereinsleben hatte damals einen vorläufigen Höhepunkt erreicht; tatsächlich gingen die Aktivitäten aber von einigen wenigen Mitgliedern aus. Waren es in der ersten Zeit neben Peter Bolen vor allem Peter Schiller, Frank Boos, Ingeborg Scheer, Wolfgang Kicher, Susanne Gibs u.a., die sich mit großem Einsatz betätigten, folgten dann Renate Grossauer-Schnee und die „Jungen“ wie Monica Lieschke, Marlies Garbsch, Monika Gürtler, Barbara Heitger, Renate Wieser, Katja Rainer u.a. Seinen Unwillen über viel Arbeit und mangelndes Interesse tat dann auch Wladimir Zalozieckjy in seiner Eigenschaft als „Schriftführer“ im Nachsatz eines monatlich ausgesandten Rundbriefes im September 1985 kund:

    „In mir verdichtet sich der Verdacht, daß meine Aussendungen niemand liest. Das letzte Indiz dafür war die Ankündigung einer Vorstandssitzung im September, an der außer Marlies Garbsch, die den Termin festgesetzt hatte und mir, der ich ihn angekündigt hatte, niemand teilnahm (außerdem war die Sitzung bei mir, was eine Nicht-Teilnahme schwer gemacht hat).“

    Die Reaktion darauf beschreibt Wladimir Zalozieckjy in der Aussendung des darauffolgenden Monats: „Ich gebe mich geschlagen. Überwältigt von einer Lawine von Briefen, Postkarten und Anrufen kann ich wohl nicht umhin, diese Briefe weiterzuschreiben – offenbar werden sie doch gelesen.“

    Und in der November-Ausgabe 1985 ist Wladimir auf Mitarbeitersuche. Da heißt es: „Der Schriftführer des WRI sucht jemanden, der Zeit und Lust hat, bei der Arbeit des WRI-Brief-Versandes zu helfen (kopieren, falten, kuvertieren etc.). Wenn sich jemand immer schon eine derartige Tätigkeit gewünscht hat, sich aber bisher nie zu fragen getraut hat: Jetzt ist DIE Gelegenheit da! Bitte sich bei mir zu melden.“

    Und Wolfram Ratz, Absolvent der „zweiten“ Ausbildungsgruppe kam, sah und kopierte, faltete, kuvertierte, etc.

    Im November 1986 wurde Wolfram Ratz über die „Aktion 8000“ und auf vehementes Betreiben der damaligen Obfrau Renate Grossauer-Schnee als geschäftsführender Sekretär des WRI angestellt.

    Ein neuer Abschnitt begann.

    1987 – 1992

    Der Schwung in die „neue Zeit“ wurde jäh gebremst. Aufgrund unterschiedlicher inhaltlicher Auffassungen bezüglich der Durchführung weiterer Ausbildungsgruppen kam es zu Differenzen zwischen dem WRI-Vorstand und dem Ausbildungsleiter Peter Bolen.

    Peter Bolen begann daraufhin seine eigene Ausbildung anzubieten. Diese Entscheidung hinterließ jedoch eine große Lücke. Das WRI stand plötzlich – nach der Zurücklegung der Mitgliedschaft von Inge Bolen im Jahr 1983 -jetzt auch ohne „Vater“ da. Unter den „alleingelassenen Kindern“ machte sich einige Ratlosigkeit breit. 1986 endete die vorläufig letzte WRI-Ausbildungsgruppe. Das WRI begann sich nach außen zu öffnen.

    Als Gelegenheit dazu bot sich das Jahr 1987, in das der neunzigste Geburtstag bzw. der dreißigste Todestag Wilhelm Reichs fielen, geradezu an.

    Die Medien in Österreich widmeten aus diesem Anlaß Wilhelm Reich doch einiges an Aufmerksamkeit. Artikel zu seiner Person und seinem Werk erschienen unter anderem im profil, in der AZ, im Falter und in MOZ. In der ORF-Sendung Radio Diagonal gab es am 21. März 1987 einen ausführlichen Beitrag „Zur Person Wilhelm Reichs“; weiters ein von John Winbigler aufgenommenes Interview mit Wolfram Ratz in einer Sendung von „Blue Danube Radio“.

    Am 9. September 1987 fand die deutschsprachige Uraufführung des Filmes über Wilhelm Reich, „Viva Kleiner Mann“ von Digne Meller-Marcovicz in der VHS Stöbergasse statt.

    Am Burgtheater und im Akademietheater wurde Reichs 1948 erschienenes Werk „Rede an den kleinen Mann“ auf den Spielplan gesetzt, das in dem Schauspieler Ignaz Kirchner einen ausgezeichneten Interpreten fand und bis zum heurigen Sommer wiederholt aufgeführt wurde.

    Eine Reihe von Reich-Symposien wurde ebenfalls in diesem Jahr abgehalten: in Berlin, in Zürich, in Neapel, in Mexico City und schließlich, im November 1987, in Wien.

    Mit mehreren Veranstaltungen schloß sich das WRI dem Gedenkjahr an:

    Am 4. April 1987 fand ein Symposium mit dem Titel „Wilhelm Reich – vergessen – verdrängt?“ mit Kurzreferaten, Arbeitsgruppen und einer Podiumsdiskussion mit Martin Wolkersdorfer, Alfred Pfabigan, Beatrix Wirth, Susanne Gibs und Frank Boos statt.

    Am 20. Juni folgte die Veranstaltung „Wilhelm Reich lebt“ mit Peter Bolen im Budo-Center in Wien, an der mehr als einhundert Leute teilnahmen.

    Im November 1987 gab es die vom WRI organisierten „Wilhelm Reich-Tage“ in Wien Oberlaa (die bis dahin letzte Reich-Tagung in Österreich hatte 1984 an der Universität Innsbruck stattgefunden) mit Referenten aus den USA (Will Davis), der

    Schweiz (Hanspeter Seiler) und aus Deutschland (Bernd Senf, Heiko Lassek, Rainer Gebauer, Dorothea Opermann-Fuckert u.a.).

    1988

    Im Sommersemester 1988 begann eine vierteilige Vortragsreihe an den Wiener Volkshochschulen Floridsdorf, Ottakring und Hietzing, an denen neben Alena Skrobal und Nadine Hauer von unserem Institut Susanne Gibs, Beatrix Wirth und Wolfram Ratz themenspezifische Vorträge zu Wilhelm Reich hielten.

    Unserer Einladung folgend kam im Oktober 1988 erstmals der Psychotherapeut und Autor der Reich-Biographie „Fury on Earth“, Myron Sharaf, zu einem Vortrag und einem Workshop nach Wien; des weiteren Al Bauman, der Lehrer Michael Smiths.

    Im November 1988 wurde zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Faschistische Tendenzen in der Psychotherapie“ in die Wiener Urania eingeladen, an der auch der „Seelenarzt der Nation“, Erwin Ringel, teilnahm.

    Aus den monatlich versandten Briefen an die Mitglieder des Wilhelm Reich Institutes entstand im April 1988 die erste Ausgabe unserer Zeitschrift „BUKUMATULA“. Dieser eigentümliche und fast unmerkbare Name wurde von Alfred Preindl vorgeschlagen, wobei er auf Reichs 1932 erschienenes Buch „Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral“ Bezug nahm. Beate Riimmele, in dieser Zeit in Mailand arbeitende Graphikerin, entwarf das neue WRI-Logo (Wellenlinie).

    Im gleichen Jahr wurden nach einem Beschluß der Generalversammlung die Statuten geändert. Dies führte dazu, daß das WRI als „Wissenschaftliches Institut“ vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung Anerkennung fand; seither können Spenden an das WRI auch steuerlich abgesetzt werden.

    1989

    Workshops fanden wieder mit Myron Sharaf, Al Bauman und Jürgen Christian statt.

    Am 17. Dezember 1989 war von uns der bekannte Psychotherapeut und Reich-Biograph David Boadella zu einem Vortrag zum Thema „Body Therapy and Spirituality“ geladen, der auf großes Interesse stieß.

    1990

    Im Jänner 1990 hielt Eva Reich, Wilhelm Reichs 1924 in Wien geborene Tochter, einen Vortrag zum Thema „Vom Christusmord und der natürlichen Geburt“. Im Dezember 1990 fanden ein Vortrag und ein zweitägiges Seminar mit James DeMeo, dem ; Leiter des „Orgone Biophysical Research Laboratory“ in Kalifornien, statt. Weitere Workshops folgten mit Chris Bartuska, Jürgen Christian, Al Bauman und Emily Derr.

    1991

    Am 7. März 1991 wurde Eva Reich im Rahmen einer festlichen Veranstaltung im Rathaus die Silberne Ehrendmedaille der Stadt Wien überreicht; gleichzeitig hat Eva Reich die Ehrenmitgliedschaft des Wiener Wilhelm Reich Institutes angenommen.

    Im selben Monat dieses Jahres kam es zu einer Buchprüfung durch das Finanzamt für Körperschaften, die mit einem katastrophalen Ergebnis endete. Wegen des Verabsäumnisses, für ausländische Vortragende und Therapeuten „begrenzte Einkommenssteuer“ abzuführen, wurden wir zu einer Nachzahlung in Höhe von 103.308.-Schilling „verurteilt“.

    Durch großzügige Spenden konnte im Mai 1991 eine
    „Vorauszahlung“ von 36.000.- Schilling getätigt
    werden. Da die steuerrechtliche Situation sehr komplex ist, haben wir eine Steuerberatungskanzlei zu Hilfe gerufen. Derzeit läuft das zweite Berufungsverfahren. Ein endgültiger Bescheid steht noch aus. „Das kann sich über Jahre hinziehen“, meinte dazu tröstend der Geschäftsführer Udo Stalzer.

    Aufgrund der ungeklärten steuerlichen Rechtslage haben sich die Aktivitäten, „Reich-Experten“ – vornehmlich bisher aus den USA und Deutschland -nach Wien zu bringen, verringert.

    Ein therapeutisches Stelldichein in Wien gaben sich 1991 Al Bauman und Emily Derr.

    1992

    Am 3. Oktober hielt Heiko Lassek an der VHS Hietzing einen Vortrag zum Thema „Energetische Medizin“.

    Auf Anregung des WRI fanden im Laufe des Jahres mehrere Workshops mit Loil Neidhöfer, dem Autor des Buches „Intuitive Körperarbeit“ und Schüler Michael Smiths statt. Das Interesse an dieser Art ursprünglicher Reichscher Körperarbeit erwies sich als so groß, daß eine zweijährige SKAN-Trainingsgruppe mit Loil Neidhöfer zustande gekommen ist.

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    Bukumatula 6/1992

    10 Jahre Wilhelm Reich Institut in Wien – Rückblick und Ausblick

    Interviews mit Peter Bolen, Susanne Stöckl-Gibs, Ingeborg Hildebrandt und Kurt Zanoll
    Die Interviews führten Andrea Schlegelhofer und Wolfram Ratz:

    Peter Bolen

    Bukumatula: Du wirst immer wieder als der Vater des Wilhelm Reich Institutes bezeichnet. Wie ist die Idee entstanden, das WRI zu gründen?

    Peter: Ich habe 1980 erstmals eine Ausbildungsgruppe in Reichscher Körpertherapie angeboten. Als das zweijährige Curriculum zu Ende war, wollten die Teilnehmer mit mir und untereinander Kontakt halten – in einem offiziellen Rahmen. Also haben wir beschlossen, ein Institut zu gründen. Davon, daß es „Wilhelm Reich Institut“ heißen sollte, waren zwar nicht alle überzeugt, aber daß Wilhelm Reich und seine therapeutische Arbeit im Mittelpunkt stehen sollten, war klar.

    B: Wie habt ihr das WRI organisiert?

    P: Basisdemokratisch. Ich war zwar der erste Obmann, in einem Rotationsprinzip ist mir dann aber Susanne Stöckl-Gibs gefolgt. Ich muß sagen, ich hatte damals wenig Erfahrung mit Vereinen, und habe sicher auch Fehler gemacht. Irgendwie hat das mit der Basisdemokratie nicht funktioniert.

    B: Woran hat das gelegen?

    P: Es gab ordentliche und außerordentliche Mitglieder. Aber der Stein des Anstoßes waren die Lehrtherapeuten bzw. ihre Qualifikation. Das WRI hatte zwei Lehrtherapeuten – Michael

    Smith, der damals zwei Mal pro Jahr nach Wien kam und mit den Ausbildungskandidaten Workshops abhielt – und mich. Dann wollten plötzlich drei Absolventen der ersten Ausbildungsgruppe auch Lehrtherapeuten sein. Es gab harte Diskussionen, weil ich der Auffassung war, daß das nach so kurzer Zeit praktischer Erfahrung nicht möglich ist. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen habe ich begonnen, mich vom Reich Institut zu distanzieren…

    B: 1987 hast du eine neue Ausbildungsgruppe begonnen, unabhängig vom WRI. War keine Verständigung mehr möglich?

    P: Das würde ich nicht sagen. Ich wollte nur nicht auf alle Bedingungen, die an eine Fortführung der Ausbildungsgruppen geknüpft waren, eingehen. Es war mir wichtiger, unabhängig zu arbeiten. Ich bin übrigens nie aus dem WRI ausgetreten, ich bin Mitglied des WRI, war bis vor kurzem auch im Vorstand und unterstütze den Verein. Es gibt immer wieder Kooperationen zwischen dem Wilhelm Reich Institut und dem Arbeitskreis für Emotionale Reintegration.

    B: In der Emotionalen Reintegration arbeitest du nicht mehr ausschließlich nach den Reichschen Konzepten. Warum?

    P: Meine persönlichen Erfahrungen mit funktionaler Orgonomie bei meinem Lehrer Michael Smith, aber auch meine Erfahrung als Therapeut über zwei Jahrzehnte haben mich zu differenzierteren theoretischen Überlegungen geführt. Die Emotionale Reintegration ist ein

    therapeutischer Ansatz, der über Reich hinausgeht. Sie postuliert zum Beispiel mit Janov die Notwendigkeit der „Verknüpfung“. Meine Erfahrung geht dahin, daß es erst zu tiefgreifenden Veränderungen in der Psyche des Klienten kommt, wenn diese Bewußtmachung einer vorher ausgekoppelten Erfahrung stattgefunden hat. Man muß dem historischen Material auch auf der Beziehungsebene und verbal begegnen, nicht nur somatisch und energetisch. Sonst kommt es zu einer bloßen Abreaktion.

    B: Welche Funktion oder Funktionen könnte das WRI künftig erfüllen?

    P: Es sollte vor allem ein Dokumentationszentrum sein, in dem der historische Reich bewahrt wird, wo seine Ideen lebendig sind und wo Körpertherapeuten, die nach der Reichschen Methode arbeiten, Gleichgesinnte treffen können. Außerdem würde ich mir wünschen, daß das WRI „psychopolitisch“ aktiv ist und Fortbildungsveranstaltungen für Körpertherapeuten organisiert. Ich sehe da auch die Möglichkeit, daß wir gemeinsam eine Plattform bilden, um die Anerkennung der körpertherapeutischen Richtungen beim Psychotherapiebeirat zu erreichen.

    Susanne Stoekl-Gibs

    Bukumatula: Du warst eines der Gründungsmitglieder des Wilhelm Reich Institutes. Was hat das WRI damals für euch bedeutet?

    Susanne: Es war vor allem eine soziale Heimat, eine institutionalisierte Heimat – so nach dem Motto „Einigkeit macht stark“. Es gab da eine ungeheure Aufbruchstimmung in dieser ersten Ausbildungsgruppe mit Peter Bolen. Wir wollten zusammen etwas machen und haben viel Zeit und Energie investiert. Für mich persönlich hat das WRI auch Rückhalt und Sicherheit geboten. Ich habe gerade meinen Turnus im Spital begonnen und war dort ziemlich alleine. Im WRI habe ich wirklich gute Freunde gefunden.

    B: Vor drei Jahren bist du aus dem Wilhelm Reich Institut ausgetreten. Was war der Grund dafür?

    S: Da gab es mehrere Gründe. Vor allem konnte ich mich nicht mehr mit einem Institut identifizieren, das eine einzige Person in den Vordergrund stellt. Ich finde Körpertherapie ist wichtig, und sie ist heute in der Psychotherapie integriert. Sie braucht keine Unterstützung und Betonung mehr. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

    Zweitens haben alternative Richtungen – auch in der Medizin – die Forschungen von Wilhelm Reich längst aufgegriffen, zum Teil sind diese Ergebnisse aber auch überholt.

    Und drittens gab es persönliche Differenzen mit dem WRI.

    Das sind die Gründe für meinen Austritt – aber wirklich in dieser Reihenfolge.

    B: Du sagst, die Körpertherapie ist in der Psychotherapie integriert. Vom Psychotherapiebeirat im Sinne des Psychotherapiegesetzes anerkannt werden diese Richtungen aber – noch -nicht, mit dem Argument, sie seien nicht wissenschaftlich. Wie erklärst du dir das?

    S: Ich glaube, der Mangel an Wissenschaftlichkeit ist in diesem Zusammenhang ein vordergründiges Argument. Ich denke mir, daß das Problem bei den Curricula liegt…

    B: Was glaubst du, fehlt in der Ausbildung?

    S: Theoretische Grundlagen. Die Analyse ist zum Teil einfach der Grundstein jeder Psychotherapie, und die analytische Neurosenlehre ist ein wichtiges Hintergrundwissen. Theorie gibt mir jedenfalls einiges an Sicherheit in der Arbeit.

    B: Nach welchem Konzept arbeitest du heute als Therapeutin?

    S: Ich würde mich als integrative Therapeutin bezeichnen. Ich habe noch eine Ausbildung in Gestalttherapie gemacht, die ja in sich schon integrativ ist und in der die Körpertherapie einen wichtigen Stellenwert hat. Ich verwende Homöopathie… Im klassischen Reichschen Setting arbeite ich aber nicht. Ich finde es zu regressionsfördernd. Wenn man nur mit dem Körper arbeitet, bleibt man meiner Meinung nach zu sehr an der Oberfläche. Ich erlebe diese Art zu arbeiten lediglich als „Entblößung“ des Klienten. Ein prozeßorientiertes Arbeiten habe ich in der Körpertherapie nie kennengelernt. Es waren für mich immer isolierte Sitzungen, die ich nur schwer auf die Reihe gekriegt habe. Die exstatische Verschmelzung ist natürlich ein tolles Gefühl. Aber einen roten Faden – inhaltlich – habe ich da nie gefunden.

    B: Welche Funktionen, glaubst du, kann das Wilhelm Reich Institut künftig erfüllen?

    S: Ich finde, es ist wichtig, daß man mit anderen Therapeuten und therapeutischen Richtungen Kontakt hält. Das WRI sollte sich auf keinen Fall isolieren sondern methodenintegrativ wirken. Für mich ist das WRI auch ein Fortbildungsinstitut, und ich finde es gut, wenn Workshops und andere Veranstaltungen stattfinden, die vom WRI organisiert werden. Grundsätzlich denke ich mir, gibt es in der Psychotherapie keine Wundermethode. Man muß einfach dranbleiben, das ist alles.

    Ingeborg Hildebrandt

    Bukumatula: Was hat für dich die Gründung des Wilhelm Reich Institutes 1982 bedeutet?

    Ingeborg: Bei der Wiedergeburtsstunde der Arbeit Wilhelm Reichs in Österreich durch die Gründung des WRI mitdabeizusein war für mich ein ganz wesentlicher Zugang zu körperorientierter Arbeit und ihrer Manifestation in unserem Land.

    B: Was gefällt dir am WRI?

    Mir persönlich war es in all den Jahren wichtig, bei den Mitgliedern des WIR eine so vielfältige und akzeptierende Form des Zusammenarbeitens und Umgehens zu erleben.

    B: Sollte sich das WRI um Anerkennung der Wissenschaftlichkeit der therapeutischen Methode Wilhelm Reichs bemühen?

    I: Ja, ich halte das für sehr wichtig, und zwar im Rahmen der gegründeten Arbeitsplattform der körperorientierten Therapierichtungen in Österreich. Ich glaube, daß die körperorientierten Richtungen und im speziellen die Arbeit Wilhelm Reichs sehr wohl ausreichende Wissenschaftlichkeit bewiesen haben. Die Nachweisbarkeit der Wissenschaftlichkeit der Reichschen Körpertherapie ist sicher nicht mehr und nicht weniger unter Beweis zu stellen als die vieler anderer therapeutischer Richtungen. Das ist mir wichtig.

    B: Du bist besonders eng mit Eva Reich befreundet…

    I: Ich schätze mich ganz besonders glücklich, mit Eva Reich befreundet zu sein, die für mich persönlich und für die Mitglieder des WRI eine ganz wichtige Bereicherung darstellt, da sie die Arbeit ihres Vaters fortführt bzw. erweitert. Eva Reich ist es ein großes Anliegen, in der Reichschen Arbeit den Ansatz der Prophylaxe zu vertiefen, und zwar bei der und um die Geburt herum, um so Neurosen zu verhüten.

    B: Welche Wünsche hast du an das WIR?

    I: Daß es blühen und gedeihen möge und zumindest 20 Jahre alt wird. Und daß es den Wolfram Ratz in seiner liebevollen, umsichtigen Betreuung der Zeitschrift des Institutes dann noch gibt, da sie ein wichtiger zusammenschließender Faktor des Institutes und seiner Mitglieder ist.

    Kurt Zanoll

    BUKUMATULA: Du bist seit 1985 Mitglied des WRI. Was war für dich in dieser Zeit wichtig?

    KURT: Für mich war es in erster Linie wichtig, daß ich da Leute treffe, die zum Teil mit mir die Ausbildung in Reichscher Therapie gemacht haben und die ich mag, obwohl sie nicht zu meinem engeren Bekanntenkreis gehören. Insbesondere durch die Begegnung mit Michael Smith entstand die Idee, daß wir irgendetwas gemeinsam machen. Ich meine, daß das WRI durch das derzeit laufende SKAN-Training mit Loil Neidhöfer ein vorläufiges Ziel gefunden hat, dadurch daß ein Großteil der Leute, die sich immer wieder getroffen haben – es waren ja oft nicht mehr als vier oder fünf – auch an diesem Training teilnehmen. Diese Gemeinsamkeit bedeutet für mich mehr als irgendeine Vorstellung Reichs verwirklichen zu müssen. Das Training ist anders, ist keine „Ausbildung“ und verspricht auch keine Scheinchen. Da glaube ich, ist es sehr nahe dem, was Reich gemeint haben dürfte. Das ist jetzt meine persönliche Meinung. Reich würde wahrscheinlich aufschreien und sagen, das ist es nicht, weil er wieder anders denkt, und weil er stur war.

    Ganz klar war mir aber nie, was das Wilhelm Reich Institut eigentlich für eine Funktion hat; darum stand wohl auch immer wieder bei den Vollversammlungen die Diskussion „WRI-wohin?“ auf der Tagesordnung. Ich weiß nicht wohin…

    B: Was hat zu dieser Orientierungslosigkeit geführt?

    K: Das ist ganz klar. Gegründet worden ist das WRI nach der ersten Ausbildung mit Peter Bolen. Da gab es eine klare Zielsetzung. Da wurden Leute zu Reichschen Therapeuten ausgebildet. Das Problem entstand, als der einzige Trainer, der einzige Lehrtherapeut, Peter Bolen, begonnen hat, seine eigene Ausbildung anzubieten. Damit ist das einzig wirklich Konkrete weggefallen. Die Aktivitäten, die es ab diesem Zeitpunkt gab, wie Vorträge, Workshops, etc. sind schön und gut und waren auch wichtig. Aber solche Sachen gibt es in Wien ja öfter, und dazu bedarf es nicht unbedingt eines eigenen Institutes. Daß über das WRI immer wieder interessante Leute wie Al Baumann, Michael Smith, Myron Sharaf etc. gekommen sind, hat zumindest dazu beigetragen, daß immer die Verbindung geblieben ist zu dem, wo wir jetzt sind, zur Reichschen Körperarbeit. Vielleicht hat es eben zehn Jahre dauern müssen, bis jetzt Leute wieder zu einem Training zusammengekommen sind.

    B: Durch die gesetzliche Regelung von Psychotherapie und durch den bisher nicht erbrachten Nachweis der Wissenschaftlichkeit von Körperpsychotherapie ist die Situation für das WRI noch schwieriger, vielleicht aber auch klarer geworden…

    K: Für mich steht fest, daß das WRI als Ausbildungsinstitut nicht mehr besteht und daß das SKAN-Training, das als Ausbildung nie anerkannt werden wird und werden will, diese Lücke füllt. Die geforderte Wissenschaftlichkeit erscheint mir unvereinbar mit der Arbeit, die wir machen: für mich ist das SKANTraining mehr als eine „anerkannte“ Ausbildung.

    B: Wobei SKAN nicht gleich SKAN ist…

    K: Das ist für mich halt das, was mich mit Michael Smith, Al Bauman und Loil Neidhöfer verbindet.

    B: Deiner Meinung nach sollte sich das WRI nicht um die wissenschaftliche Anerkennung und um den Status eines Ausbildungsinistutes bemühen?

    K: Genau, es geht doch dabei gar nicht um Wissenschaftlichkeit, sondern einfach um viel Geld und Macht. Von allen Gruppierungen, die seit Jahren mehr oder weniger intensiv um eine Anerkennung kämpfen, haben ja die meisten den eigentlichen Gedanken und die eigentliche Therapie verlassen. Wenn man heute die Gestalt anschaut – lächerlich; das heißt nicht, daß sie nicht hilfreich sein mag. Man korrumpiert sich, man streicht die besten Teile weg, und es kommen immer diejenigen in den Vordergrund, die am rigidesten sind, die solche Vereinchen dann tragen, die irrsinnig viel schreiben – dicke Bücher über Theorien. Und dann passiert es, daß, was eigentlich zwischen Klienten und Therapeuten entsteht, die persönliche Beziehung, wie es auch Loil Neidhöfer in seinem Buch „Intuitive Körperarbeit“ beschreibt, überhaupt nicht mehr da ist. Und diese Beziehung ist für mich das einzige, das heilend ist. Alles andere ist Theorie, Theorie…

    B: Welche Funktion könnte das WRI dann zukünftig wahrnehmen?

    K: Im Moment ist es für mich in erster Linie eine Verbindung zu Leuten, die mit Loil Neidhöfer das Training machen. Ich merke, daß wieder mehr Interesse da ist. Was daraus entsteht, weiß ich nicht. Das ist für mich nicht so wichtig, das ist für den Sekretär wichtiger, weil der braucht ja seinen Job.

    B: Was hat dir bisher am besten gefallen am WRI?

    K: Na ja, wie wir immer beieinander gesessen sind und Wein getrunken und diskutiert haben… Nein, am besten hat mir gefallen, daß ich durch das Reich Institut Michael Smith kennengelernt habe. Dafür bin ich dem Reich Institut am dankbarsten. B: …nicht Peter Bolen?

    K: Das ist jetzt eine Haarspalterei. Es ist für mich nicht so wichtig, ob ich Michael über das Reich Institut kennengelernt oder über sonst jemanden… ich kann auch Peter Bolen dankbar sein, wenn das besser klingt.

    B: Was hat dir mißfallen?

    K: Schlecht finde ich, daß eine Menge Leichen im Keller liegen, und der Konflikt mit Peter Bolen eigentlich nie wirklich ausgetragen wurde. Das ist menschlich sehr verständlich und soll keine Schuldzuweisung sein, aber es hat die ganze Arbeit zäh gemacht. Das ist das Problem, wenn es ein Ausbildungsinstitut und nur einen Lehrtherapeuten gibt.

    B: Hast du einen Wunsch an das WRI?

    K: Als erstes fällt mir dazu ein, daß wir so etwas wie ein leicht anarchistisches und belebendes Element bleiben sollten. Das heißt, nicht stur gegen alles zu sein, sondern daß man gegen einengende pseudowissenschaftliche

    Argumente auftritt und äußerem Druck standhalten kann. Man braucht einen Rahmen, in dem man sich mit Menschen trifft, wenn der Druck von außen groß ist, damit man sich nicht selber verkauft und das, was man für wahr und gut befindet, bewahrt und weitergibt. Das ist eine Begegnungsstätte für Leute, die zwar auch Angst haben, aber sich gegenseitig in ihrer Arbeit stützen.

    B: Liegt dir noch etwas am Herzen?

    K: Ich würde mich freuen, wenn sich weiterhin Leute in diesem Rahmen zusammenfinden, die auch ungefähr mein Weltbild vertreten. Wer noch dazu Reichsche Therapie macht, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als z.B. gegen das Ausländervolksbegehren zu sein. Eigentlich müßten die Politiker Körpertherapie machen, aber das ist ein Widerspruch in sich… obwohl jeder Sehnsucht hat, aus dem Kern zu leben, wahrscheinlich auch der Haider. Ich würde ihn sofort in Einzeltherapie nehmen. Aber das ist ja nicht mehr das Thema „10 Jahre WRI“, weil dann wären wir ja schon sehr weit.

    Wichtig ist, daß Leute zusammenkommen, die ähnlich betroffen sind vom Rechtsextremismus, von der Gentechnologie, der Atomtechnik. Leute, die die Gesamtzusammenhänge durchschauen und gleichzeitig durch die Körperarbeit ihre Sehnsucht, die man als Kind und als Erwachsener immer wieder spürt, annehmen.

    Was dann passiert, weiß ich nicht. Aber es ist gut so.

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