Der junge Wilhelm Reich gehörte in den 1920er Jahren gemeinsam mit Bernfeld, Fenichel u.a. einer Gruppe von marxistisch orientierten Psychoanalytikern an, die mit Hilfe der marxistischen Lehre (Marx und Engels) eine psychoanalytische Neurosenprophylaxe für die Gesamtgesellschaft vorantreiben wollte.
Für Reich standen einerseits die Loslösung von der patriachalen Kleinfamilienstruktur zur kollektiven Pädagogik und andererseits die gesunde Entwicklung der Sexualität (siehe: „Die Funktion des Orgasmus“) im Zentrum seiner Überlegungen. Eine politische Funktion übte Reich nie aus. Eine zusätzliche Motivation für eine politisch-soziologische Sichtweise war sein Engagement bezüglich des tagtäglichen Elends der Bevölkerung zu jener Zeit. 1927 gründete er in Wien proletarische Sexualberatungsstellen und konnte dabei die trostlosen Lebensverhältnisse seiner Patienten und Patientinnen kennen lernen und studieren.
In vielen Versammlungen versuchte er mit seinen Vorträgen vor allem sein psychoanalytisches Wissen einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln.
Wilhelm Reichs politisches Dilemma war dergestalt, dass er einerseits in den marxistischen Organisationen die Erkenntnisse der Psychoanalyse (u.a. das „Unbewusste“ in Form von sexueller Verdrängung, Unterdrückung und Verschiebung) einforderte und andererseits die psychoanalytischen Organisationen mit der soziologischen Umsetzung der Psychoanalyse konfrontierte.- Selbst Freud warnte vor dem „politischen“ Reich.
Reichs politische Arbeit führte wiederholt zu Konflikten mit der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung; als Konsequenz daraus übersiedelte Reich 1930 nach Berlin. Hier arbeitete er in der Kommunistischen Partei mit. 1931 gründete er u.a. den Verlag für Sexualpolitik, aus dessen Publikationen 1932 sein Werk „Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral“ entstand. Nach Hitlers Machtübernahme emigrierte Reich 1933 nach Skandinavien. In Kopenhagen gründete er den Sexpol-Verlag, der die „Zeitschrift für politische Psychologie und Sexualökonomie“ herausgab. Reich verstand unter Sexualpolitik, „…daß die menschliche Gesellschaft in ihren Gesetzen nicht nur von den Forderungen ökonomischer und materialistischer Natur geleitet wird, sondern sogar noch mehr von den bewussten und unbewussten Forderungen der sexuellen Triebe und deren Gebrauch oder Missbrauch im öffentlichen politischen Leben.“ (Ilse Ollendorff Reich 1975, S.51). Im Sexpol-Verlag wurde 1933 auch Reichs Werk „Die Massenpsychologie des Faschismus“ veröffentlicht.
1934 wurde Reich aus der Kommunistischen Partei und aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen.
Nach diesen – politisch begründeten – Ausschlüssen und vor dem Hintergrund des `andröhnenden Nationalsozialismus´ begann Reich mit intensiven medizinisch/physiologischen Forschungen am Menschen (Krebsbiopathie und Orgonforschung). Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verließ Reich Europa Richtung USA.
In den 1940er und 50er Jahren stellte er noch seine Sichtweise der emotionalen Pest im „roten Faschismus“ (Stalin) dar.
Als Antwort auf den Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, verfasste er „Die Rede an den kleinen Mann“.
Den Kindern der Zukunft widmete Reich u.a. das Prinzip der „Arbeitsdemokratie“. „Arbeitsdemokratie, so meinte er, ist die natürliche Organisation menschlicher Beziehungen. Diese Interaktionen können nicht wie in einer politischen Partei organisiert werden. Bürokratie in jeglicher Form wäre in der Arbeitsdemokratie überflüssig, weil der Arbeitsprozess sich auf jeder Stufe selbst ganz allein verwalten könne. Reich glaubte, dass die einzige Hoffnung für die Nachkriegswelt in der echten Arbeitsdemokratie läge, begründet auf Wissen, Arbeit und natürlicher Liebe.“ (Ilse Ollendorff Reich, 1975, S.86).
Wenn wir den Planet Erde vor den zerstörerischen Kräften der Menschen retten wollen, werden wir in naher oder ferner Zukunft Reichs politische Thesen überprüfen und vieles von ihm übernehmen müssen.
(Text von Alfred Zopf)
Literatur:
Eigentlich sind fast alle Bücher von Wilhelm Reich auch Ausdruck seiner politischen Persönlichkeit; einige Meilensteine:
1. Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse
2. Sexualerregung und Sexualbefriedigung (Schriften der sozialistischen Gesellschaft für Sozialberatung)
3. Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral
4. Die Massenpsychologie des Faschismus
5. Menschen im Staat